3x schwarzer Kater hat geschrieben:(02 Mar 2018, 00:08)
Es fehlt in Bezug auf das soziokulturelle Existenzminimum nichts, aber die Tafeln dienen sehr wohl der Budgetoptimierung von Bedürftigen. Das ist auch nichts Verwerfliches.
"Herr Hausstein, Sie sind in Ihrer soeben veröffentlichten Studie „Was der Mensch braucht“ der Frage der Hartz IV-Regelbedarfe nachgegangen. Wieso denn das: Die sind doch regierungsamtlich durchgerechnet und verfassungsrechtlich bestätigt, so, wie sie sind – und also vollkommen auskömmlich?
Die Praxis sieht leider vollkommen anders aus. Viele Menschen können sich unter den Bedingungen von Hartz IV auch einfachste Selbstverständlichkeiten nicht mehr leisten, weil sie zu wenig Geld zur Verfügung haben.
350.000 Haushalten wurde 2013 etwa der Strom abgeschaltet, weil sie die Rechnung nicht mehr bezahlen konnten. Und 1,5 Millionen Menschen müssen jede Woche den für sie demütigenden Weg zu einer Lebensmitteltafel antreten, weil ihr Geld nicht fürs Essen reicht. Man muss sich diese Zahl einmal auf der Zunge zergehen lassen: 1,5 Millionen Menschen! Inzwischen gibt es mancherorts sogar Wartelisten von bis zu zwei Jahren bei den Tafeln. Dies sind alles andere als Zeichen dafür, dass der von der Politik als Existenzminimum deklarierte Betrag auch wirklich existenzsichernd oder gar auskömmlich ist.
Dies wird umso deutlicher, je mehr man ins Detail geht, mit einzelnen Betroffenen spricht und sich von ihnen ihre Lebenssituationen beschreiben lässt. Da erfährt man dann von vielen demütigenden Umständen, vielen zwangsweisen Verzichten auf einfache Dinge, die für jeden anderen in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sind. Dem Verzicht beispielsweise, Verwandte zu Geburtstagen zu besuchen, da man sich schämt, kein Geschenk mitbringen zu können, sofern man überhaupt noch die Fahrt oder Reise dorthin bezahlen kann. Und von Kranken, die das Rezept des Arztes für ein Medikament nicht einlösen können oder Krankenhausbehandlungen meiden, weil sie die Zuzahlung nicht zu leisten in der Lage sind. Oft ist es ein vollständiger Rückzug aus der sozialen Öffentlichkeit, da den Menschen an allen Ecken und Kanten schlicht das Geld zur sozialen Teilhabe fehlt.
Sie zweifeln also an der amtlichen Berechnungsmethode? Wieso?
Ganz einfach: Weil sie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Immer wieder wird durch Politiker gegenüber der Öffentlichkeit gebetsmühlenartig wiederholt, dass damit der Bedarf ermittelt würde. Doch eben dies ist überhaupt nicht Inhalt der Statistik-Methode auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die auch weiterhin, also auch nach der vom Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 angeordneten Neuberechnung der Regelsätze, als Berechnungsgrundlage benutzt wird. Mithilfe der verwandten Statistikmethode wird nur das Ausgabeverhalten eines ebenfalls armen Bevölkerungsteils ermittelt, der aufgrund seines eigenen, sehr niedrigen Einkommens auch nur wenig Geld zur Verfügung hat. Mit einer Bedarfs- Ermittlung hat dies jedoch nichts zu tun."
http://www.nachdenkseiten.de/?p=26257
Sehr lesenswerter Artikel.
Duldsamkeit heißt nicht, dass ich auch billige, was ich dulde.
(Mahatma Gandhi)