Dieter Winter » Mo 29. Dez 2014, 14:43 hat geschrieben:[...]Die im Artikel gestellte Frage:
"Wie kann es dann also sein, dass die Dresdner Spießbürgerei die politische Klasse mehr aufregt als alle anderen, zum Teil gewalttätigen Demos zusammen?" wird bezeichnenderweise nicht, oder eben nur sehr selten, gestellt. Meiner Meinung nach ist sie damit zu beantworten, weil eben diese Spießbürger an sich die politische Mitte bilden.
Die Mitte sind sie ganz sicher nicht. Es handelt sich um eine konservative Minderheit, deren Ansichten derzeit im politischen System nicht repräsentiert werden. Genau das wird ja hier von dir und auch von zahlreichen Anhängern von Pegida bemängelt. Die CDU unter Merkel vertritt nun mal keine Islamkritischen Positionen und kann somit diese Leute nicht ansprechen und ins politische System integrieren.
Das wird ja aktuell in der CDU auch kritisiert und ist der eigentliche Grund warum die politische Klasse derzeit ziemlich hektisch und widersprüchlich gegenüber Pegida agiert. Es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet Friedrich diese Kritik geäußert hat, gehört er doch zu denen in der CDU die klar sagten, dass ihrer Meinung nach der Islam nicht zu Deutschland gehört. Das die Pegida-Demonstranten sich zumindest teilweise ins politische System integrieren wollen kann man meines Erachtens durchaus erkennen, z.B. an den bekannten 19 Punkten in denen man versucht so etwas wie vernünftige politische Forderungen zu stellen. Dazu kommt, dass man niemanden ausschließt so, dass sich der Veranstaltung diverse andere politische Minderheiten begeistert anschließen (Rechtsextreme, Putin-Fans, Maskulisten etc.). Dadurch ergibt sich auch eine ordentliche Schnittmenge mit der AfD die ebenfalls auf diese von der Union entfremdeten Konservativen setzt, wenngleich man dort bemüht ist sich des Rechten Randes zu entledigen. Die NPD ist wohl recht aktiv,
konnte die Bewegung aber nicht kapern, obwohl man inhaltlich vielem begeistert zustimmen dürfte. Aber es ist diese Ambiguität zwischen unverstandenen Bürgerlichen und diversen politischen Minderheiten die Pegida auf den ersten Blick so schwer einschätzbar macht.
Ich sehe hier so etwas wie eine anti-islamische Tea Party. Genau dieselben die noch vor ein paar Jahren Thilo Sarrazin zugejubelt haben und sich auf das "Das wird man ja doch noch sagen dürfen" beriefen und versuchten mutmaßliche Tabus einzureißen, weil auch sie sich an das eigentliche Tabu: offener anti-muslimische Xenophobie/Rassismus, nicht herangetraut haben. Bei Pegida erkennt man übrigens den Einfluss der Rechtsextremen daran, dass man vielfach diesbezüglich weniger Hemmungen hat. Einerseits sei man gegen den "politischen Islam" bzw. gegen den "Salafismus" andererseits kann man wie hier im Strang verlinkt auf Facebook oder auch bei den Kommentaren der Pro-Pegida-Petition eindeutig islamfeindliche Aussagen nachlesen. Diese Ansichten entstehen aus einem allgemeinen Entfremdungsgefühl heraus, dass von nicht geringen Teilen der Bevölkerung geteilt wird und sich vor allem gegen den sichtbaren Islam richtet, d.h. ganz besonders Kopftücher, aber auch Moscheen und z.B. als islamisch zu erkennende Bärte. Teilweise durch das eigene Leben, vor allem aber medial vermittelt. Ist ja kein Zufall, dass es die Islamkritik erst seit 9/11 und den diversen Kriegen in Nahost (2te Intifada, Irak-Krieg, Krieg gegen den Terror, Islamischer Staat) in die Wohnzimmer Deutschlands geschafft hat.
Ich sehe hier ein strukturelles Problem in der deutschen Politik, dass Teile des konservativen Bürgertums z.B. mit ihren anti-islamischen Ansichten im politischen System nicht integriert sind und darum hin und wieder "aufbegehren" und dabei teilweise auch auf Rückhalt in der weiteren Bevölkerung zählen können. Pegida steht damit in einer Reihe mit der Diskussion um Wulffs der "Islam gehört zu Deutschland" und Sarrazins "das wird man ja doch noch sagen dürfen" zum Thema Migranten und Euro.
Man muss abwarten wie es weiter geht, ob es gelingt irgendwie diese Leute ins politische System zu integrieren, oder sie sich möglicherweise außerhalb dessen organisieren, beides Aussichten die mir persönlich nicht gefallen, aber ich bin ja Demokrat.

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