Bei diesem Spon-Artikel stehen einem die Haare zu berge...
Für das Bewerbungsgespräch bei einer großen Möbelfirma in der Nähe von Mönchengladbach hatte sich Oguz-Han Yavuz ordentlich in Schale geworfen: feiner Anzug, weißes Hemd, silberfarbene Krawatte. Als dem Betriebswirt der Bus vor der Nase wegfuhr, beschloss er, ein Stück zu Fuß zu gehen. Doch er kam nicht weit.
"Was lungern Sie hier herum?", sagt Yavuz, habe ihn ein Polizist angeherrscht, der seinen Streifenwagen neben ihm zum Stehen gebracht hatte. Obwohl Yavuz keineswegs wie ein Stadtstreicher aussah, bestand der Beamte darauf, dessen Personalien zu überprüfen. Nachdem er seinen Ausweis zurückbekommen hatte, sagte Yavuz "Tschüs". Der Polizist sagte nichts.
Es ist offensichtlich, dass hier versucht wird, Rassismus des Polizisten als Grundlage für die Kontrolle eines unschuldigen Ausländers zu suggerieren. Dass die Trefferwahrscheinlichkeit, unter "südländisch Aussehenden" einen Kriminellen ausfindig zu machen, ungemein höher ist, wird dabei einfach unterschlagen.
Ganz böse diskriminierend, ich weiß. So funktioniert aber effiziente Polizeiarbeit.
Höflicher hätte er sein können, aber selbst das würde ich von keinem Polizisten verlangen. Wenn sie es trotzdem sind schön, wenn nicht auch gut.
Das war der Moment, so erzählt es Yavuz, 30, in dem er genug hatte. Genug von diesem Land, genauer gesagt: genug davon, in diesem Land Türke zu sein. Er ist in Neuss geboren und besitzt seit 13 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber er hat eine dunklere Haut als die meisten Deutschen. Deshalb wird er beim Einkaufen oder in der Bank immer wieder gefragt: "Verstehen Sie Deutsch?"
Ja, warum wird er das wohl immer gefragt? Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass viele seiner hier lebenden Landsmänner dermaßen schlecht Deutsch sprechen, das nichteinmal sachgerechte Kommunikation überhaupt möglich ist oder weil von vornherein von "Dunkelhäutigeren" erwartet wird, zu doof dafür zu sein, verständliches Deutsch zu sprechen? Suggeriert wird aufjedenfall zweiteres + der seltendämliche Vorwurf an die Deutschen sie würden Türken nach ihrer Hautfarbe beurteilen.
Der Betriebswirt will nun das Land, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, verlassen. Er plant, in die Türkei auszuwandern. Sein älterer Bruder ist Pilot bei der Fluglinie Emirates und wohnt in Dubai. "Aber ich würde auch nach China gehen", sagt Yavuz. "Ob ich am Ende in Deutschland oder im Ausland Ausländer bin, spielt keine große Rolle."
Yavuz ist Teil einer Bewegung, die türkischstämmige Akademiker in Deutschland erfasst hat. Viele der klügsten Köpfe der rund 2,7 Millionen Menschen starken türkischen Community werden, wie einst ihre Eltern, zu Migranten - allerdings in entgegengesetzter Richtung: Sie kehren Deutschland den Rücken, weil sie sich hier unerwünscht fühlen und anderswo bessere Chancen sehen. Aus Kindern von Einwanderern werden Auswanderer.
Akademiker sind immer und überall erwünscht, auch in Deutschland. Ihre unnützen und verbrecherischen Landsleute aber nicht. Das selbst türkische Akademiker zu dämlich sind, das zu kapieren und sich stattdessen einer ethnischen Minderheit zu schreiben um sich selbst als Opfer einzuordnen, spricht gegen sie.
Migration sei "wie ein Barometer für den Standort Deutschland", sagt der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU): "Attraktive Länder haben Einwanderer, weniger attraktive haben Auswanderer."
Und wir haben jährlich zehntausende hochgebildete und leistungsfähige Auswanderer und jede Menge ungebildete und leistungsunfähige Einwanderer. Was sagt uns das? Deutschland ist unattraktiv für Leistungsträger aber offensichtlich attraktiv für Leistungsempfänger. Woran das wohl liegen mag. Die bekannte "latente Ausländerfeindlichkeit" wird es weniger sein, nachdem trotzdem noch jede Menge Menschen nach Deutschland einwandern.
Das Krefelder Institut futureorg hat gerade 250 türkische und türkischstämmige Akademiker befragt, von denen knapp drei Viertel in der Bundesrepublik geboren wurden. Laut einer Zwischenauswertung erklärten 38 Prozent, sie wollten in die Türkei auswandern. Als Begründung gaben 42 Prozent an, in Deutschland fehle ihnen das "Heimatgefühl". Fast vier Fünftel bezweifelten, "dass in Deutschland eine glaubwürdige Integrationspolitik betrieben wird".
Ob das eine mit dem anderen zu bewerkstelligen ist, ist eine andere Frage.
Zudem wäre es mal interessant gewesen, die befragten Türken nach ihren Vorschlägen zu fragen, wie sich sich das konkret mit dem Heimatgefühl vorstellen. Wenn ein besseres Heimatgefühl bedeuten soll, in Deutschland wie in der Türkei zu leben, dann haben sie Pech gehabt. Dann ist sonstwo wirklich besser als hier.
Der zweite Teil besteht dann nur noch aus Vorwürfen an die deutsche Gesellschaft die ausgewanderten Türken nicht genug geschätzt, gewürdigt, integriert oder was auch immer zu haben.