3x schwarzer Kater hat geschrieben: ↑Dienstag 20. Mai 2025, 15:55
Wer 40h/Woche zum ML arbeitet hat mindestens 1.600 €. Die Armutsgefährdungsschwelle (nicht Armutschwelle, die liegt noch darunter) liegt bei etwa 1.400€. Damit ist man nicht arm, wenn man Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet.
Diese Milchmädchenrechnung kann man vielleicht in der BWL-Erstiwoche bringen, aber nicht, wenn es um reale Lebensverhältnisse geht. Die 1.600 € netto beim Mindestlohn sind bestenfalls eine Momentaufnahme für Alleinstehende ohne Kinder, ohne Schulden, ohne hohe Miete, ohne Pflegebedarf, ohne irgendwas. Und auch das nur in günstigen Gegenden.
Die Armutsgefährdungsschwelle ist eine statistische Linie, sie berücksichtigt nicht, ob man davon real Miete, Strom, Krankenversicherung, Mobilität und gesunde Ernährung stemmen kann. In München oder Köln kannst du dir mit 1.600 € netto nicht mal ein WG-Zimmer leisten, geschweige denn ein Leben mit Teilhabe.
Und dann mal ganz konkret: Was ist mit Alleinerziehenden? Was ist mit Paaren mit Kind(ern)? Da reicht der Mindestlohn eben nicht. Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland größer als in fast jedem anderen westlichen Industrieland und das trotz Mindestlohn. Der war von Anfang an zu niedrig und ist immer noch keine Armutsfeste untere Haltelinie.
Es geht nicht nur darum, knapp über einer willkürlichen Linie zu hängen. Es geht um die Frage: Reicht die Arbeit zum Leben, oder nicht? Wer das ernsthaft mit einem Taschenrechner wegrechnet, hat das Grundproblem nicht verstanden, oder will es gar nicht verstehen.
Die arbeiten in der Regel alle nicht zum Mindestlohn. Pflegehelfer z.B. haben mindestens einen Stundenlohn von 15,50€. Auch für die anderen Beispiele wird in der Regel mehr bezahlt. wer zum ML arbeiten muss hat in der Regel ein Kompetenzproblem, dass mehr in der eigenen Person als in den Tätigkeiten.
Die Schuld liegt in der Person“, das ist die altbekannte Arroganz derer, die meinen, persönliche Leistung sei der einzige Maßstab, obwohl sie selbst in einem System sitzen, das systematisch von den Leistungen der angeblich „Unqualifizierten“ profitiert.
Wer ernsthaft behauptet, Pflegehelferinnen würden pauschal 15,50 € oder mehr verdienen, lebt entweder in einer PR-Broschüre des Gesundheitsministeriums oder hat noch nie eine Pflegerin nach ihrer Lohnabrechnung gefragt. Und ja, viele sind auf Mindestlohn oder knapp darüber. Besonders bei privaten Trägern oder Leiharbeitsfirmen.
Dass Menschen mit Mindestlohn ein „Kompetenzproblem“ hätten, ist nichts als die plumpe Reproduktion neoliberaler Elitenmythen. Millionen Menschen arbeiten im Einzelhandel, in der Logistik, in der Reinigung, in der Gastro, in der Altenpflege, im Versandhandel, systemrelevant, aber mies bezahlt. Und nicht, weil sie dumm wären, sondern weil diese Berufe seit Jahrzehnten politisch entwertet wurden.
Wer solche Berufe mit intellektueller Geringschätzung abtut, zeigt nicht nur Empathiearmut, sondern auch, dass er nicht verstanden hat, wie viele Räder in der Gesellschaft ineinandergreifen müssen, damit er morgens überhaupt Brötchen kaufen kann.
Hier ist die Tabelle der OECD mit den Kaufkraftparitäten
https://data-explorer.oecd.org/vis?tm=m ... ]=REF_AREA
Daraus ergeben sich für Luxemburg (15,62 €/h) und die Niederlander (14,06 €/h) folgende Mindestlöhne wenn man sie auf die deutsche Kaufkraft umrechnet:
Luxemburg 12,65 €/h
Niederlande 12,79 €/h
In beiden !ändern ist die Produktivität übrigens höher als in D.
Schön gerechnet aber irreführend. Wer Mindestlöhne „kaufkraftbereinigt“ gegeneinanderstellt, um zu suggerieren, Deutschland sei hier Spitze, betreibt Augenwischerei auf Kosten der unteren Einkommen.
Warum ignorierst du alle Länder, in denen der Mindestlohn real höher ist und wo die soziale Lage trotzdem stabil bleibt? Frankreich, Belgien, Irland, Australien (außerhalb der OECD-Daten), da passt deine Rechnung plötzlich nicht mehr so gut. Selektive Datennutzung nennt man das.
Wer glaubt, man könne aus einer OECD-Kaufkrafttabelle die soziale Gerechtigkeit oder Fairness von Mindestlöhnen herauslesen, beweist vor allem eins: ökonomische Ahnungslosigkeit im Maßstab XXL. Diese Tabellen sagen nichts über Tarifbindung, Arbeitsmarktrealität, Wohnkosten, soziale Sicherungssysteme oder die Verhandlungsmacht der Beschäftigten. Frankreich hat z. B. eine gesetzliche Kopplung des Mindestlohns an die Inflation, davon können wir hier nur träumen. In Australien greift ein ganzes Netz aus branchenbezogenen Mindestlöhnen und Kontrollen, kein Vergleich zur deutschen Minimalvariante
Und wie oft der Mindestlohn tatsächlich zur Anwendung kommt, sagt so ein internationaler Vergleich rein gar nichts aus. Was nützt mir der Verweis auf ein "kaufkraftbereinigt hohes Niveau", wenn:
in Luxemburg der Mindestlohn für deutlich weniger Menschen das reale Einkommen darstellt und in Deutschland Millionen Menschen dauerhaft genau an dieser Schwelle kleben?
Selbst die die keinen Abschluss haben, arbeiten zum weitaus größten Teil nicht zum Mindestlohn. Es braucht also nicht mal eine Ausbildung um mehr zu verdienen. Es reicht offensichtlich schon einfach nur willig zu sein.
Ach so, es reicht also „willig“ zu sein? Dann haben wir's ja endlich: Armut ist kein strukturelles Problem, sondern ein Mangel an Motivation. Dass solche Phrasen immer noch ernsthaft in Umlauf gebracht werden, zeigt, wie weit manche sich aus der Lebensrealität verabschiedet haben.
Die Wahrheit ist: Millionen schuften für Niedriglöhne, oft in systemrelevanten Berufen, unter hohem Stress, mit unregelmäßigen Arbeitszeiten – und verdienen trotzdem nicht genug zum Leben. Und das liegt eben nicht daran, dass sie "nicht wollen", sondern daran, dass unser Arbeitsmarkt jahrzehntelang systematisch auf Lohndumping gebaut wurde.
Wenn es wirklich so einfach wäre, mit „Wollen“ mehr zu verdienen, bräuchten wir keine Mindestlöhne, keine Tarifverträge und auch keine Sozialpolitik. Das ist Sozialdarwinismus.
Wenn arme Menschen nicht in die Gänge kommen, nennt man das - Schmarotzer. Wenn reichen Menschen das passiert, nennt man das - Depressionen.