Noch nie war Deutschland so gespalten...

Moderator: Moderatoren Forum 2

Benutzeravatar
Juergen Neu
Beiträge: 94
Registriert: Samstag 15. Oktober 2022, 14:41
Wohnort: BERLIN

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Juergen Neu »

sünnerklaas hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 07:28 Da wird in der Bemerkung ein doppelter Konflikt angedeutet. Die Gruppe ist

(1) westdeutsch
(2) eine Schülergruppe - also junge Leute.

Das Schimpfen über die "Wessis" und über "Die Jugend von heute", also alle, die unter 50 sind, zieht sich wie ein roter Faden durch die Szene der sogenannten "Spaziergänger".
Fakt ist, wie auch im Eingangsbeitrag zu lesen war: Der Westen mokiert sich über den Osten - und zwar schon seit 30 Jahren.
Diese Spaltung wird auch ständig in den Medien zementiert.
Ein extremes Beispiel: Die Mauer bestand 28 Jahre - seit 33 Jahren ist sie verschwunden und seit 32 Jahren gibt es die Vereinigung.
Trotzdem ist immer noch die Rede von "den neuen Bundesländern".
Wie lange noch? Denn das ist Spaltungstendenz.
Dann: Was macht den Westen eigentlich überlegender gegenüber dem Osten?
Heute in den Nachrichten: Die Viertklässler haben eine enorme Schwäche in Deutsch und Mathe.
Berlin, Bremen und NRW kommen besonders schlecht dabei weg.
Bayern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gehören zum oberen Bereich.

Also - kein sinnlosen Schimpfen über
(1) westdeutsch
(2) eine Schülergruppe - also junge Leute

sondern lediglich eine Kritik der Überheblichkeit des Westens gegenüber dem Osten
Benutzeravatar
relativ
Beiträge: 41534
Registriert: Dienstag 17. Juli 2012, 10:49
user title: Relativitätsversteher
Wohnort: Pott

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von relativ »

H2O hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 13:03 @ jorikke:

Eine bedrückende Entwicklung; erleben wir nun einen Einzelfall, oder sind die Beziehungen zwischen Eltern, Kindern und Lehrern allgemein so zerrüttet? Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen!
Da wird es natürlich Unterschiede geben von Schule zu Schule und den Einzugsgebieten. Aber ein Trend ist da schon zu sehen. Es bedarf m.M. einer enormen Anstrengung und vorallen genügend engagiertes neues Lehrpersonal um da eine wirkliche Trendwende einzuläuten.
Einer meiner Neffen macht jetzt auf (Vorher BWL studiert) Lehramt ich hoffe, daß ist nur die "normale" Skepsis der unterschiedlichen Gernerationen, die mich das negativ sehen lässt. ;)
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
Benutzeravatar
relativ
Beiträge: 41534
Registriert: Dienstag 17. Juli 2012, 10:49
user title: Relativitätsversteher
Wohnort: Pott

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von relativ »

Juergen Neu hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 14:20 Fakt ist, wie auch im Eingangsbeitrag zu lesen war: Der Westen mokiert sich über den Osten - und zwar schon seit 30 Jahren.
Also meine Erinnerung ist und war, daß es aus dem Osten (Teilweise auch zurecht), beschwerden über die unfaire Verhältnisse nach der Wende und zuwenig Kuschelkurs gab. Also die Beschwerden kamen diesbezüglich ausschließlich aus den neuen Bundesländern.
Diese Spaltung wird auch ständig in den Medien zementiert.
Sie wird thematisiert, zementiert wird das nur in den jeweiligen Köpfen.
Ein extremes Beispiel: Die Mauer bestand 28 Jahre - seit 33 Jahren ist sie verschwunden und seit 32 Jahren gibt es die Vereinigung.
Trotzdem ist immer noch die Rede von "den neuen Bundesländern".
Wie lange noch? Denn das ist Spaltungstendenz.
Stimmt , aber dies kann man auch künstlich überhöhen, denn schließlich gibt es solche Bezeichnungen und kulturelle Abgrenzungen zwischen z.B. Nord und Süddeutschland auch schon ewig
Dann: Was macht den Westen eigentlich überlegender gegenüber dem Osten?
Die längere verweildauer in den sozialen Marktwirtschaft, die aber immer noch auf den Kapitalismus beruht.
Heute in den Nachrichten: Die Viertklässler haben eine enorme Schwäche in Deutsch und Mathe.
Berlin, Bremen und NRW kommen besonders schlecht dabei weg.
Bayern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gehören zum oberen Bereich.
Liegt Hauptsächlich am höheren Migrantenanteil, wo gerade Deutsch auch in 2-3 Generation teilweise noch ein Problem ist.

sondern lediglich eine Kritik der Überheblichkeit des Westens gegenüber dem Osten
Gibt es wohl bei einigen, aber sowas nach 30 Jahren als einen grundsätzliche Denke der Westdeutschen anzuprangern , halte ich für völlig übertrieben.
Genauso wie nicht jeder Ossi herumheult , wie übel ihm doch die Wiedervereinigung mitgespielt hat.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

busse hat geschrieben: Sonntag 9. Oktober 2022, 10:52 Ach ja , jetzt mal ganz ehrlich ?
Wenn einer aus dem NVA Knast Schwedt kam und darüber nicht reden wollte , weil nicht durfte, hat der normale DDR Bürger vermutet er wäre auf einen Kuraufenthalt gewesen ? Daran glaubst du doch wirklich nicht , oder ?
Willst du mich verarxxxen?
Was ist eigentlich an dem Satz

"Sie wussten zwar von deren Existenz, aber NICHT welchen Repressalien, Demütigungen und Erniedrigungen die Inhaftierten ausgesetzt waren."

so schwer verständlich?

Wenn jemand in Schwedt oder Torgau inhaftiert war UND nicht über die Inhaftierung bzw die Bedingungen während der Haft sprechen durfte, dann hat auch niemand etwas von den Haftbedingungen und -methoden erfahren.
Du scheinst nicht zu begreifen oder begreifen zu wollen, dass ein Riesenunterschied zwischen dem Wissen um die Existenz einer Haftanstalt und den Bedingungen IN der Haftanstalt besteht, dass ein Unterschied zwischen dem besteht, was tatsächlich passiert, dem was wie kommuniziert wird und nochmals zwischen dem, was wie tatsächlich passiert und evtl. durchsickernden Gerüchten.
Also lass die dämlichen Unterstellungen alá "Kuraufenthalt". :mad:
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 11. Oktober 2022, 23:28 Ihre Defizite hat sie sich selbst zuzuschreiben. Niemand, niemand ist durch seine Sozialisierung festgelegt.
Merkels Defizite SIND in ihrer Sozialisation begründet.
Sie ist in einer (Partei)Diktatur aufgewachsen und hat deren Prinzipien verinnerlicht, was u.a. auch in ihrer Rhetorik - "durchregieren", "alternativlos" - zum Ausdruck kommt. Ihr ist es u.a. auch zu "verdanken", dass paternalistische Politik "salonfähig" wurde.
Und NEIN, niemand kann sich seiner Sozialisation, seiner Prägung vollständig entziehen.
Wer behauptet, dass das möglich sei, ignoriert bzw leugnet Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

sünnerklaas hat geschrieben: Sonntag 16. Oktober 2022, 23:55 Man hat sich höchstens gegenseitig gefoppt. Mehr nicht.
Was ich bei Ostdeutschen erlebe, ist dieses sehr schnelle riesengroße Beleidigtsein. Vor allem, wenn sie erst ordentlich ausgeteilt haben und dann Wind von vorne bekommen.
Das gleiche erlebe ich bei Wessis - bei weitem nicht bei allen, aber doch bei einigen.
Und genau das gleiche trifft auf die Ossis zu. Die Spaltung findet im Kopf statt, in der Weigerung, Altes hinter sich zu lassen und Neues zu probieren, die Unfähigkeit oder Unwilligkeit einen Schritt auf den jeweils anderen zuzugehen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 21429
Registriert: Donnerstag 10. August 2017, 15:41

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von sünnerklaas »

Dark Angel hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 16:04 Das gleiche erlebe ich bei Wessis - bei weitem nicht bei allen, aber doch bei einigen.
Da ist es aber eine Randgruppe, der kleine Bestand an Halb- und Vollhorsten. Also alle im normalen Bereich. Bei Ostdeutschen - und da v.a. bei Leuten aus den südlichen Regionen - erlebe ich es auch seit Jahren komplett anders. Man fasst sich da echt an den Kopf. Und das Problem ist ja: glaubt man das Vorurteil aus dem Kopf rausbekommen zu haben, weil man Leute kennt und mit Leuten zu tun hat, die eben nicht den Stereotypen entsprechen, kommen sofort erst mal geballt eine Reihe Ricos. Ronnys und Mändies um die Ecke, die sämtliche Vorurteile gleich wieder bestätigen.

Und genau das gleiche trifft auf die Ossis zu. Die Spaltung findet im Kopf statt, in der Weigerung, Altes hinter sich zu lassen und Neues zu probieren, die Unfähigkeit oder Unwilligkeit einen Schritt auf den jeweils anderen zuzugehen.
Ich versuche da für mein Teil zu differenzieren und Sachen irgendwie auf den Grund zu gehen. Was man da dann herausfindet, ist erst einma alles andere, als schön und angenehm. Es gibt eine Gemeinsamkeit, die Ost und West eint: es sind Ältere, Ü50/Ü60, die Querdenker, Pegida, AfD etc. auf deren Demos unübersehbar in überwältigender Mehrheit prägen und dominieren.
Benutzeravatar
Vongole
Moderator
Beiträge: 22228
Registriert: Dienstag 24. März 2015, 18:30

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Vongole »

sünnerklaas hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 18:42 (..)

Ich versuche da für mein Teil zu differenzieren und Sachen irgendwie auf den Grund zu gehen. Was man da dann herausfindet, ist erst einma alles andere, als schön und angenehm. Es gibt eine Gemeinsamkeit, die Ost und West eint: es sind Ältere, Ü50/Ü60, die Querdenker, Pegida, AfD etc. auf deren Demos unübersehbar in überwältigender Mehrheit prägen und dominieren.
Das mag auf den Demos so sein, aber leider sind gerade junge Leute Wähler der AfD, und zwar nicht nur im Osten:
https://www.n-tv.de/politik/Die-AfD-kon ... 33419.html
https://www.dw.com/de/wieso-ist-die-afd ... a-57843954
https://de.statista.com/statistik/daten ... ach-alter/
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 21429
Registriert: Donnerstag 10. August 2017, 15:41

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von sünnerklaas »

Vongole hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 19:28 Das mag auf den Demos so sein, aber leider sind gerade junge Leute Wähler der AfD, und zwar nicht nur im Osten:
https://www.n-tv.de/politik/Die-AfD-kon ... 33419.html
https://www.dw.com/de/wieso-ist-die-afd ... a-57843954
https://de.statista.com/statistik/daten ... ach-alter/
Ändert nichts ander Tatsache, dass die AfD ein Altherrenclub ist. Genauso, wie Pegida und Querdenker.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 15:54 Merkels Defizite SIND in ihrer Sozialisation begründet.
Sie ist in einer (Partei)Diktatur aufgewachsen und hat deren Prinzipien verinnerlicht, was u.a. auch in ihrer Rhetorik - "durchregieren", "alternativlos" - zum Ausdruck kommt. Ihr ist es u.a. auch zu "verdanken", dass paternalistische Politik "salonfähig" wurde.
Und NEIN, niemand kann sich seiner Sozialisation, seiner Prägung vollständig entziehen.
Wer behauptet, dass das möglich sei, ignoriert bzw leugnet Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie.
Es gibt statistische Korrelationen zwischen gesellschaftlichen Zuständen und wahrscheinlichen politischen Einstellungen und wahrscheinlichen persönlichen Biographien. Aus der Sicht einer freiheitlich-liberalen Einstellung ist das aber nicht der zu verstehende Normalfall oder gar eine unhinterfragbare Gesetzmäßigkeit sondern der zu überwindende und auch der überwindbare Notstand. Kulturelle, soziale Einflüsse stehen als Angebote zur Verfügung. Und bekanntlich durchläuft jeder Mensch in jungen Jahren eine Entwicklungsphase, in welcher er oder sie eine Bedrängung verspürt, sich daraus eine ganz eigene und gegen alle Konventionen gerichtete Mixtur anzueignen. Und es gibt die, die sich später selbst über dieses eigene eigenständige Denken wundern und es gibt die, die soviel Freude daran hatten, dass sie es lebenslang nicht missen wollen.

Ein konservativer Paternalismus, eine paternalistische Politik war bis Mitte der 60er Jahre in beiden deutschen Staaten - wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise - das prägende gesellschaftlich-politisch-kulturelle Konzept. "Keine Experimente" hat z.B. der Vorstandsvorsitzende der Springer Verlagsgruppe einen resümierenden Artikel zur Regierungszeit Merkels in der ziemlich paternalistischen "Welt" überschrieben. Das ist Adenauer. Das ist national und konservativ. Das ist keineswegs das gesellschaftliche Experiment zur Schaffung der sozialistischen Persönlichkeit. Die Präferenzen der Adenauer-Zeit stehen jedem Menschen als Aneignungsmaterial zur Verfügung. Man kann sie ablehnen oder man kann sie verinnerlichen. Man entscheidet selbst darüber. Falls man sich dazu entschieden hat, selbst zu entscheiden.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Ogmios
Beiträge: 247
Registriert: Samstag 24. September 2022, 10:52

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Ogmios »

sünnerklaas hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 19:56 Ändert nichts ander Tatsache, dass die AfD ein Altherrenclub ist. Genauso, wie Pegida und Querdenker.
Eine Alters- und Geschlechtererhebung in diesem Forum würde vermutlich eine ähnliche Tatsache enthüllen.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

frems hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 00:05 Ist halt schwierig, wenn man immer nur mitteilt, man hätte mehr Erfahrung mit Diktaturen, aber ignoriert, dass die Erfahrung mit Demokratie und Freiheit fehlt.
Demokratie und Freiheit sind oder waren zunächst einmal Ideen. Ich sags mal ganz krass: Glaubst Du, dass Afrikaner, Schwarze in Hamburg oder Bremen nicht klarkommen, weil ihnen die Erfahrungen mit einem kühleren Klima fehlen? Dann hast Du ein ziemlich beschränktes Menschenbild.

Ich habe mit 13, 14 Jahren festgestellt, dass man in der (Ost)Berliner Stadtbibliothek Bücher lesen kann, die ansonsten kaum irgendwo in der DDR zu haben waren. Solange man sie nicht ausleiht und sie im Lesesaal liest. So habe ich ab achte, neunte Klasse mindestens zwei Tage die Woche nachmittags in der Breiten Straße verbracht. Mit Kafka, Expressionismus, Dadaismus, mit den russischen Symbolisten usw. Meine Wirklichkeit und "Sozalisierung" bestand schon als Kind in der Erkenntnis, dass die Stadt ein paar Straßen weiter "aufhört". Etwas später bekommt man Kontakte auch zu oppositionellen Kreisen. Es ist nichts unmöglich. Man bekommt, wenn man sich bemüht, auch die Schriften von Solschenizyn oder Sacharow in irgendwelchen Kopien oder Abschriften in die Hände. Und man kann sich auch immer ünber die Verhältnisse woanders informieren. "Eine Frau hat zwei Probleme. Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?" So hab ich das typische bundesdeutsche anfang-70-er-Jahre-TV im Gedächtnis. Haben diese Frauen und Männer über Demokratie und Freiheit als Ideen nachgedacht? Glaubst Du ernstlich, der Mensch bräuchte irgendeine "Sozialisierung", um sich über die verschiedenen Brüche in der Welt bewusst zu werden? Oder irgendeine "Sozialisierung" könnte jemanden zwangsläufig von dieser Bewusstwerdung abhalten? Man muss dazu allerdings den Willen und die Fähigkeit haben, sich abgrenzen zu können und zu wollen. Von der eigenen Umgebung. Von Nation, Heimat, "Identität", Kommunitarismus. Von denen, die die Welt vor allem mit einem "Die sind eben so" und - komplentär dazu - "Wir sind eben so" erklären. Kollektivistisch.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Ogmios hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:01 Eine Alters- und Geschlechtererhebung in diesem Forum würde vermutlich eine ähnliche Tatsache enthüllen.
:) So genau weiß man das gar nicht. Es gibt zum Beispiel in den USA unter den Republikanersympathisanten und Mitgliedern mehr und mehr eine ultrakonservative, weibliche und auch relativ junge Trumpanhängerschaft. Das klassische Beispiel dafür ist Sarah Palin.

Auch meine persönlichen Erfahrungen sehen da anders und sagen wir mal uneinheitlicher aus.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Ogmios
Beiträge: 247
Registriert: Samstag 24. September 2022, 10:52

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Ogmios »

schokoschendrezki hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:37 :) So genau weiß man das gar nicht. Es gibt zum Beispiel in den USA unter den Republikanersympathisanten und Mitgliedern mehr und mehr eine ultrakonservative, weibliche und auch relativ junge Trumpanhängerschaft. Das klassische Beispiel dafür ist Sarah Palin.
Wenn Jahrgang 1964 jung ist, dann eröffnen sich natürlich noch einmal andere Perspektiven. :p
Pico dello Mirandola
Beiträge: 2
Registriert: Montag 17. Oktober 2022, 11:06

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von Pico dello Mirandola »

Es ist doch ein allgemeiner Trend, der sich national wie global beobachten lässt, nämlich die soziale Spaltung und damit zusammenhängende sich zu spitzende politische Polarisierung. Ob beim Themen wie Migration, Klimawandel, Coronapolitik oder jetzt die aktue Gaskrise + Inflation, einer der Hauptgründe dafür das Populisten von links und rechts erfolgreich sind ist die Angst der Menschen und das Versagen der "Anderen". Bsp: Vermögensverteilung hier geht seit Jahren auch in Deutschland die Schere immer weiter auseinander, 1% der Bevölkerung besitzen fast 50% des Gesamtvermögens, es müsste hier im Grunde politisch gegengesteuert werden ( siehe die Debatte rund um Erbschafts- und Vermögenssteuer) bevor der soziale Kitt endgültig sich auflöst und der Laden uns um die Ohren fliegt. Es herrscht ja bereits vor allem in Ostdeutschland verbreitet Frust und Verbitterung und genau dass ist das Kapital der Radikalen dort, etwa in Gestalt der AfD.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von schokoschendrezki »

Pico dello Mirandola hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:46 Es ist doch ein allgemeiner Trend, der sich national wie global beobachten lässt, nämlich die soziale Spaltung und damit zusammenhängende sich zu spitzende politische Polarisierung. Ob beim Themen wie Migration, Klimawandel, Coronapolitik oder jetzt die aktue Gaskrise + Inflation, einer der Hauptgründe dafür das Populisten von links und rechts erfolgreich sind ist die Angst der Menschen und das Versagen der "Anderen". Bsp: Vermögensverteilung hier geht seit Jahren auch in Deutschland die Schere immer weiter auseinander, 1% der Bevölkerung besitzen fast 50% des Gesamtvermögens, es müsste hier im Grunde politisch gegengesteuert werden ( siehe die Debatte rund um Erbschafts- und Vermögenssteuer) bevor der soziale Kitt endgültig sich auflöst und der Laden uns um die Ohren fliegt. Es herrscht ja bereits vor allem in Ostdeutschland verbreitet Frust und Verbitterung und genau dass ist das Kapital der Radikalen dort, etwa in Gestalt der AfD.
Zufällig war ich gestern nachmittags und abends in Erfurt. Es war ein außergewöhnlich warmer Oktobertag. Die Straßencafés und Straßenrestaurants in den autofreien Teilen der Innenstadt waren geöffnet. Es herrschte ein fröhliches Stimmengewirr. Man sah in entspannte Gesichter. Angeregte Gespräche wurden geführt. Wein wurde gereicht.

Wenn ich einen AfD-Wähler aus meinen Belkanntenkreis frage, warum er immer davon spricht, dass "Deutschland am Ende" sei. Und ich ihm sage: J. Du fährst einmal im Jahr nach Südspanien und einmal an die Ostsee nach Binz. Du hast einen guten Job. Eine schöne Wohnung. Ein teures Auto. Warum ist für dich "Deutschland am Ende". Dann antwortet er: "Einen Mangel an Wohlstand meine ich nicht. Wenn ich dir, A., erklären würde, was ich damit meine ... Du würdest es sowieso nicht verstehen."
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Ogmios hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:39 Wenn Jahrgang 1964 jung ist, dann eröffnen sich natürlich noch einmal andere Perspektiven. :p
Ja gut. Aber der politische Aufstieg Palins im Zeichen des Konservativismus begann bereits 1992. Das ist ja nur der klassische Vorläufer. Due heutigen Trumpistinnen sind jung und selbstbewusst. Und Abtreibungsgegnerinnen und Waffenbesitzbefürworterinnen. Wie das zusammengeht ... das weiß ich auch nicht. Es gibt jedenfalls eine rechtskonservative Strömung auch unter weiblich und jung. Auch hier.

Aber hier gehts ja um die Spaltung Ost- und Westdeutschland. Und neben Sarah Palin gibts ja auch noch Sarah Wagenknecht. Auch konservativ, identitär, kommunitaristisch, auf Gemeinschaft und Herkunft bedacht. Spaltet sie dabei Deutschland? Den Eindruck habe ich angesichts des deutschlandweit übergreifenden Erfolg ihres Bestsellers "Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm - für Gemeinsinn und Zusammenhalt" eigentlich nicht. Die Zeichen stehen auf Provinzialismus, Nation und Volksgemeinschaft. Und gegen das liberale Ideal von Individualismus.. Hier wie dort.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Ogmios
Beiträge: 247
Registriert: Samstag 24. September 2022, 10:52

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von Ogmios »

Pico dello Mirandola hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:46 Bsp: Vermögensverteilung hier geht seit Jahren auch in Deutschland die Schere immer weiter auseinander, 1% der Bevölkerung besitzen fast 50% des Gesamtvermögens, es müsste hier im Grunde politisch gegengesteuert werden ( siehe die Debatte rund um Erbschafts- und Vermögenssteuer) bevor der soziale Kitt endgültig sich auflöst und der Laden uns um die Ohren fliegt. Es herrscht ja bereits vor allem in Ostdeutschland verbreitet Frust und Verbitterung und genau dass ist das Kapital der Radikalen dort, etwa in Gestalt der AfD.
Ein Zusammenhalt auf negativer Basis wird immer in einen Populismus führen, und eine die zahllosen identitären Gruppen übergreifende positive Idee wird es nicht mehr geben.
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 21:47 Es gibt statistische Korrelationen zwischen gesellschaftlichen Zuständen und wahrscheinlichen politischen Einstellungen und wahrscheinlichen persönlichen Biographien. Aus der Sicht einer freiheitlich-liberalen Einstellung ist das aber nicht der zu verstehende Normalfall oder gar eine unhinterfragbare Gesetzmäßigkeit sondern der zu überwindende und auch der überwindbare Notstand. Kulturelle, soziale Einflüsse stehen als Angebote zur Verfügung.
Du willst es nicht begreifen: es gibt in der Entwicklung der Lebenwesen - jedes einzelnen Lebewesen, also auch jedes einzelnen Menschen - eine Phase, die in der Verhaltensbiologie als Prägung bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um eine relativ kurze Phase des irreversiblen Lernens. Heißt, das in der Phase der Prägung erlernte ist unwiderrufbar, ist andererseits auch nicht nachholbar.
Beim Menschen sind in dieser, als Prägung bezeichneten Lernphase, auch psychische, psychologische und soziologische Einflüsse entscheident.
An dieser Tatsache ändern weder statistische Korrelationen noch freiheitlich-liberale Einstellungen und erst recht keine existenzialischen etwas.
schokoschendrezki hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 21:47Ein konservativer Paternalismus, eine paternalistische Politik war bis Mitte der 60er Jahre in beiden deutschen Staaten - wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise - das prägende gesellschaftlich-politisch-kulturelle Konzept.
Wir leben aber nicht in den Fünfziger/Sechziger Jahren des 20.Jh, sondern im 21. Jh.
Dazwischen liegen ca 50 Jahre, in denen Paternalismus NICHT zur politischen Praxis gehörte, zumindest nicht in der (damaligen) Bundesrepublik.
Paternaistische Politik kam mit der Kanzlerschaft Merkels und hier insbesondere ab 2014/2015 und während der Corona-Pandemie zur Anwendung UND sie fand ihren Höhepunkt im Ausschluss der Legislative bei der Entscheidungsfindung. Hier maßte sich Merkel die Befugnis zur Letztentscheidung an.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:19 Ich habe mit 13, 14 Jahren festgestellt, dass man in der (Ost)Berliner Stadtbibliothek Bücher lesen kann, die ansonsten kaum irgendwo in der DDR zu haben waren. Solange man sie nicht ausleiht und sie im Lesesaal liest.
Ach, hast du festgestellt!
Du gibst also zu, als Berliner Göre von 13/14 Jahren, das Privileg gehabt zu haben, regelmäßig Zugang zur Staatsbibliothek gehabt zu haben.
Ganz großes Kino! Was meinst du denn wie viele Menschen insgesamt, aus DDR-Provinz, ein solches Privileg hatten?
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 21429
Registriert: Donnerstag 10. August 2017, 15:41

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von sünnerklaas »

Ogmios hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:01 Eine Alters- und Geschlechtererhebung in diesem Forum würde vermutlich eine ähnliche Tatsache enthüllen.
Ich behaupte, dass das soziale Umfeld (Familie/Freunde/Wohnviertel/Region) sowie die allgemeine politische und kulturelle Grundströmung sowie die des Milleus in Kindheit/Jugend einen Menschen entscheidend prägen.
Und ich stelle auch im RL fest, dass viele Menschen, die +-vor 1972 geboren wurden, sehr oft komplett anders ticken, als die, die danach geboren wurden. Irgendwo in den 70er Jahren verläuft bei den Geburtsjahrgängen eine doch recht ausgeprägte Grenzlinie unterschiedlicher Mentalitäten.
Benutzeravatar
Tom Bombadil
Beiträge: 81185
Registriert: Samstag 31. Mai 2008, 16:27
user title: Non Soli Cedit

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Tom Bombadil »

Dark Angel hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 10:38 Du gibst also zu, als Berliner Göre von 13/14 Jahren, das Privileg gehabt zu haben, regelmäßig Zugang zur Staatsbibliothek gehabt zu haben.
Hatte da eigentlich jeder DDR-Bürger freien Zutritt und konnte lesen, was er wollte?
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
---
- Don't feed the trolls
- AgD=Alternative gegen Deutschland
- Diffamierer der Linken
Benutzeravatar
Billie Holiday
Beiträge: 35809
Registriert: Mittwoch 11. Juni 2008, 11:45
user title: Mein Glas ist halbvoll.
Wohnort: Schleswig-Holstein, meerumschlungen

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Billie Holiday »

Tom Bombadil hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 10:46 Hatte da eigentlich jeder DDR-Bürger freien Zutritt und konnte lesen, was er wollte?
Linientreue Bürger hatten bestimmt mehr Privilegien als Bürger, die angeeckt sind.
„Wer mich beleidigt, bestimme ich.“ (Klaus Kinski)

„Just because you’re offended, doesn’t mean you’re right.“ (Ricky Gervais)
Benutzeravatar
Seidenraupe
Beiträge: 11468
Registriert: Dienstag 2. November 2021, 12:38

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Seidenraupe »

sünnerklaas hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 10:42
Und ich stelle auch im RL fest, dass viele Menschen, die +-vor 1972 geboren wurden, sehr oft komplett anders ticken, als die, die danach geboren wurden. Irgendwo in den 70er Jahren verläuft bei den Geburtsjahrgängen eine doch recht ausgeprägte Grenzlinie unterschiedlicher Mentalitäten.
Logisch, wenn man die Prägung durch einen Weltkrieg als Grund für diesen gravierenden Unterschied kennt

Die Generation, die vom Krieg nciht betroffen war, konnte anders leben und handeln als Menschen, die ihre Habseeligkeiten in den Bombennächten von WW2 verloren , als Heimatvertriebene in ausgebombten Kellern überleben mussten oder als Frauen, deren Väter , Brüder und Männer an der Front gefallen sind.

Wer im Nachkriegsdeutschland aufwachesn durfte, hatte eine andere Sozialisation als die Kriegsgeneration.

Wer im OSten der Rep nach 1968 (Prager Frühling) aufwachsen musste hat eine andere Soziialistion als die Nach 1968im Westen in Freiheit und Wohlstand aufgewachsenen
Wer Ironie findet, kann sie behalten. Wer nicht, sein/ihr Problem.

„Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“
Schopenhauer
Benutzeravatar
Seidenraupe
Beiträge: 11468
Registriert: Dienstag 2. November 2021, 12:38

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von Seidenraupe »

ich kann die These "Deutschland sei noch nie so gespalten wie heute"" überhaupt nicht nachvollziehen
Wer Ironie findet, kann sie behalten. Wer nicht, sein/ihr Problem.

„Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“
Schopenhauer
Benutzeravatar
sünnerklaas
Beiträge: 21429
Registriert: Donnerstag 10. August 2017, 15:41

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von sünnerklaas »

Seidenraupe hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 10:51 Logisch, wenn man die Prägung durch einen Weltkrieg als Grund für diesen gravierenden Unterschied kennt

Die Generation, die vom Krieg nciht betroffen war, konnte anders leben und handeln als Menschen, die ihre Habseeligkeiten in den Bombennächten von WW2 verloren , als Heimatvertriebene in ausgebombten Kellern überleben mussten oder als Frauen, deren Väter , Brüder und Männer an der Front gefallen sind.
Wer im Nachkriegsdeutschland aufwachesn durfte, hatte eine andere Sozialisation als die Kriegsgeneration.
Zwischen den Jahrgängen ca. vor 1942/43 und denen danach bis ca. 1972 verläuft auch noch mal eine Mentalitätsgrenze. Das ist auch ganz logisch, denn das war z.B. die Generation, die das Land wieder aufgebaut hat, für die Zeit nach 1945 eine Erfolgsgeschichte war. Das waren Leute, die etwas aus eigenem Antrieb heraus bewegt haben und das auch so erlebt haben. Man war nicht passiv, man hat sich engagiert, man hat gemacht.
Wer im OSten der Rep nach 1968 (Prager Frühling) aufwachsen musste hat eine andere Soziialistion als die Nach 1968im Westen in Freiheit und Wohlstand aufgewachsenen
Entscheidend ist etwas anderes: wer in den RGW-Ländern konform war, der brauchte sich um nichts zu kümmern, für den war zumindest in Grundfragen stets gesorgt. Grundnahrungsmittel waren billig, warme Bude gab es auch, es gab nicht nur eine Pflicht zur Arbeit, sondern umgekehrt auch ein Recht auf Arbeit. Für all das sorgte der Staat. Ebenso für Ferien in den staatlichen Ferienheimen. Das Gemeinschaftsgefühl wurde dadurch gestärkt, dass in den Neubaugebieten alle wohnten - vom Generaldirektor bis zum einfach Arbeiter.

Das Ganze wird heute im Sinne des "es wäre nicht alles schlecht gewesen" romantisiert.

Und es gibt entscheidende Unterschiede: bei den Montags-"Spaziergängen")* ("Wie 1989!") lässt man sich von dem Staat, von dem System beschützen, das man eigentlich abschaffen bzw. überwinden will.

-----

)* Wozu muss man eigentlich einen Spaziergang anmelden? Ich kann regelmässig allein und mit anderen spazieren gehen ohne dass ich das anmelden muss und ohne dass es Ärger mit Behörden gibt.
Benutzeravatar
relativ
Beiträge: 41534
Registriert: Dienstag 17. Juli 2012, 10:49
user title: Relativitätsversteher
Wohnort: Pott

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von relativ »

Pico dello Mirandola hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:46 .... Bsp: Vermögensverteilung hier geht seit Jahren auch in Deutschland die Schere immer weiter auseinander, 1% der Bevölkerung besitzen fast 50% des Gesamtvermögens, es müsste hier im Grunde politisch gegengesteuert werden ( siehe die Debatte rund um Erbschafts- und Vermögenssteuer) bevor der soziale Kitt endgültig sich auflöst und der Laden uns um die Ohren fliegt. ....
Ein Gewisser user, der glaubt er sei ein Realist wird wohl gleich hier auftauchen. Viel Spass dabei. :D
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
Benutzeravatar
relativ
Beiträge: 41534
Registriert: Dienstag 17. Juli 2012, 10:49
user title: Relativitätsversteher
Wohnort: Pott

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von relativ »

Seidenraupe hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 11:25 ich kann die These "Deutschland sei noch nie so gespalten wie heute"" überhaupt nicht nachvollziehen
Hm, also mir sagen schon die Wahlergebnisse so einiges über den Zustand unseres Landes. Natürlich ist noch nicht Hopfen und Malz verloren, aber die Uhr tickt.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

Tom Bombadil hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 10:46 Hatte da eigentlich jeder DDR-Bürger freien Zutritt und konnte lesen, was er wollte?
Für Bibliotheken benötigte man i.d.R. einen Bibliothekausweis. Den bekam man jedoch ohne Probleme und konnte auch problemlos ausleihen, was im Fundus der Bibliothek vorhanden war. Es gab allerdings für bestimmte Bücher/Literatur Altersbeschränkungen - genauso wie heute auch.
Allerdings verfügten die wenigsten Bibliotheken über Literatur, wie sie User Schokoschendretzki beschreibt. Es ist nicht auszuschließen, dass bestimmte Bücher/Literatur ausschließlich in Berlin verfügbar waren.

Etwas ganz anderes ist mir hingegen erst im Nachhinein aufgestoßen: der User scheint so eine Art Wunderknabe gewesen zu sein, mit ganz anderen Interessen, als Jugendliche, insbesondere pubertierende Jugendlich normalerweise haben - zumindest will er uns das weismachen. Klar doch, 13/14jährige Judendliche interessieren sich für Solschenizyn oder Sacharow, vor allem verfügen die über die notwendige geistige Reife und/oder die politische Reife bzw das politische Interesse sich mit irgendwelchen oppositionellen Gruppen zu beschäftigen. Wer's glaubt ...

Also wenn ich so an die Zeit zurück denke, als ich 13/14 Jahre alt war, was mich da so interessiert hat - das war alles mögliche, aber politische Literatur gehörte definitiv nicht dazu, über oppositionelle Gruppen und deren evtl Existenz habe ich nicht nachgedacht, geschweige denn Kontakt zu ihnen gesucht. Da gab es nur immer wieder Stress wegen der Musik und der Sender, die ich gehört habe ...
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 13:13 Für Bibliotheken benötigte man i.d.R. einen Bibliothekausweis. Den bekam man jedoch ohne Probleme und konnte auch problemlos ausleihen, was im Fundus der Bibliothek vorhanden war. Es gab allerdings für bestimmte Bücher/Literatur Altersbeschränkungen - genauso wie heute auch.
Allerdings verfügten die wenigsten Bibliotheken über Literatur, wie sie User Schokoschendretzki beschreibt. Es ist nicht auszuschließen, dass bestimmte Bücher/Literatur ausschließlich in Berlin verfügbar waren.

Etwas ganz anderes ist mir hingegen erst im Nachhinein aufgestoßen: der User scheint so eine Art Wunderknabe gewesen zu sein, mit ganz anderen Interessen, als Jugendliche, insbesondere pubertierende Jugendlich normalerweise haben - zumindest will er uns das weismachen. Klar doch, 13/14jährige Judendliche interessieren sich für Solschenizyn oder Sacharow, vor allem verfügen die über die notwendige geistige Reife und/oder die politische Reife bzw das politische Interesse sich mit irgendwelchen oppositionellen Gruppen zu beschäftigen. Wer's glaubt ...

Also wenn ich so an die Zeit zurück denke, als ich 13/14 Jahre alt war, was mich da so interessiert hat - das war alles mögliche, aber politische Literatur gehörte definitiv nicht dazu, über oppositionelle Gruppen und deren evtl Existenz habe ich nicht nachgedacht, geschweige denn Kontakt zu ihnen gesucht. Da gab es nur immer wieder Stress wegen der Musik und der Sender, die ich gehört habe ...
An Selbstbewusstsein hast Du jedenfalls keinen Mangel. Wenn Du von dir selbst im Majestätsplural sprichst.

Ich habe mit etwa 14 vor allem die Ausgaben der expressionistischen Zeitschriften "Der Sturm" und "die Aktion" aus den 10er und 20er Jahren im Lesesaal der Berliner Stadtbibliothek gelesen. Die man sonst nirgendwo in die Hände bekam und eben auch nicht ausleihen konnte. Stadtbibliothek, liebe D.A., Breite Straße, nicht "Staatsbibliothek". Ich weiß heute noch meine Leseausweisnummer auswendig. 127 379. Und einen solchen Ausweis bekam jeder. Mir ist jedenfalls nix darüber bekannt, dass sie einem verweigert wurde. Bitte genauer lesen. Auslöser war ein famoses Hörspielfeature im Sender Rias über den Dada-Poeten Kurt Schwitters. Eine Etage über diesem Lesesaal befand sich die Phonotek. Dort gab es zum Beispiel die Cream-Doppel-LP "Wheels of Fire". Ebenfalls nicht ausleihbar sondern nur vor Ort abhörbar. Und kaum sonst zu haben. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich die dort abgehört hab.

Und Kontakt mit oppositionellen Gruppen, Solschenizyn, Sacharow und weitergereichten Samisdat- und sonstigen Schriften, schrieb ich, hatte ich später. Später!
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von schokoschendrezki »

Seidenraupe hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 11:25 ich kann die These "Deutschland sei noch nie so gespalten wie heute"" überhaupt nicht nachvollziehen
Es gibt eine ganze Reihe von statistischen Daten ... von der Häufigkeit bestimmter Erkrankungen über Einkommensverhältnisse bis hin zu den Ergebnissen von Meinungsumfragen: Wenn Du die visualisierst, bekommst du in sehr vielen Fällen ganz klar die Umrisse der Ex-DDR zu sehen.

Nur: Was heißt das jetzt konkret? Zu welchen wertenden Aussagen berechtigt dies? Kulturalismus ist der Rassismus der Gegenwart.
Gedankengebäude, die Kultur nicht als „historisch bedingt“ und nicht als veränderbar betrachten und in denen Vorstellungen von Kultur „in einem solchen Maße verdinglicht und essentialisiert werden“, dass Kultur „zum funktionalen Äquivalent des Rassenbegriffs wird“, werden als kultureller Rassismus bezeichnet.
"'Die' sind so und 'wir' sind anders als die." Wer das Individuum nicht primär als Individuum sondern primär als Teil irgendeiner "Kultur" versteht, hat die Region Humanismus, Aufklärung, Liberalismus verlassen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 14:11 An Selbstbewusstsein hast Du jedenfalls keinen Mangel. Wenn Du von dir selbst im Majestätsplural sprichst.
Seit wann ist "ich" pluralis majestatis?
Und wenn ich schreibe: "... zumindest will er uns das weismachen", meine ich nicht nur mich, sondern wirklich "uns", nämlich mich und andere User.
Du denkst doch nicht ernsthaft, dass die anderen nicht auch merken, dass du uns (Usern) einen vom Pferd erzählen willst.
schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 14:11Ich habe mit etwa 14 vor allem die Ausgaben der expressionistischen Zeitschriften "Der Sturm" und "die Aktion" aus den 10er und 20er Jahren im Lesesaal der Berliner Stadtbibliothek gelesen. Die man sonst nirgendwo in die Hände bekam und eben auch nicht ausleihen konnte.
Ja sicher doch, weil sowas ja auch 14jährige interessiert. Ich sage doch, du versuchst uns (Usern) weiszumachen, dass du dich grundlegend von anderen Jugendlichen dieses Alters unterschieden hast - eben ein Wunderknabe warst.
schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 14:11Stadtbibliothek, liebe D.A., Breite Straße, nicht "Staatsbibliothek".
Ja, sorry - ein Lesefehler meinerseits, ändert aber nichts daran, dass Berlin eine Sonderstellung einnahm und die Bewohner der Hauptstadt der DDR Sonderrechte genossen haben, die die Bewohner der DDR-Provinz nicht hatten.
Das fing bei der Versorgung mit Konsumgütern an über den Zugang zu immateriellen Gütern ...
schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 14:11Ich weiß heute noch meine Leseausweisnummer auswendig. 127 379. Und einen solchen Ausweis bekam jeder. Mir ist jedenfalls nix darüber bekannt, dass sie einem verweigert wurde.
Ich habe nirgendwo behauptet, dass irgendwem ein Bibliotheksausweis verweigert wurde - ganz im Gegenteil.
Ich schrieb, dass es bei bestimmter Literatur Altersbeschränkungen gab, wie heute auch UND ich schrieb, dass die Bibliotheken nicht alle den gleichen Fundus an Büchern/Literatur hatten.
Das "Bitte genauer lesen" gebe ich gerne an dich zurück, mit dem Zusatz, es doch bitte zu unterlassen entwas hineinzuinterpretieren, was da gar nicht drin steht!
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 15:06 Seit wann ist "ich" pluralis majestatis?
Und wenn ich schreibe: "... zumindest will er uns das weismachen", meine ich nicht nur mich, sondern wirklich "uns", nämlich mich und andere User.
Du denkst doch nicht ernsthaft, dass die anderen nicht auch merken, dass du uns (Usern) einen vom Pferd erzählen willst.
Hast Du diese anderen User wirklich alle einzeln gefragt, ob du in ihrem Namen eine Entgegnung auf einen persönlichen und ganz subjektiven individuellen Beitrag mit personenbezogenen biographischen Einzelheiten schreiben darfst? Wie läuft das hier eigentlich? Ist das hier ein Forum mit einzelnen Usern als Diskussionsteilnehmern oder gibt es so eine Art Gruppenaccount mit einem Gruppensprecher?
Ja sicher doch, weil sowas ja auch 14jährige interessiert. Ich sage doch, du versuchst uns (Usern) weiszumachen, dass du dich grundlegend von anderen Jugendlichen dieses Alters unterschieden hast - eben ein Wunderknabe warst.
Die DDR war eine Gleichmachungsmaschine. Gerade mit 14 habe ich einen sehr heftigen Drang gehabt, genau das nicht zu machen, was alle anderen 14-jährigen machen. Schau: Mein Großneffe, der Enkel meiner Schwester ist auch grad 14. Der weigert sich strikt, ein Smartphone zu benutzen. Nicht zuletzt deshalb, weil dies in seiner Altersgruppe so verbreitet ist. Er wird mit einiger Wahrscheinlichkeit Informatiker werden und weiterhin Klavier lernen. Es lebe der radikale Individualismus.
Ja, sorry - ein Lesefehler meinerseits, ändert aber nichts daran, dass Berlin eine Sonderstellung einnahm und die Bewohner der Hauptstadt der DDR Sonderrechte genossen haben, die die Bewohner der DDR-Provinz nicht hatten.
Das fing bei der Versorgung mit Konsumgütern an über den Zugang zu immateriellen Gütern ...
Ich entschuldige mich nachträglich für die Inanspruchnahme dieser Sonderrechte ohne Eigenleistung.
Ich habe nirgendwo behauptet, dass irgendwem ein Bibliotheksausweis verweigert wurde - ganz im Gegenteil.
Ich schrieb, dass es bei bestimmter Literatur Altersbeschränkungen gab, wie heute auch UND ich schrieb, dass die Bibliotheken nicht alle den gleichen Fundus an Büchern/Literatur hatten.
Das "Bitte genauer lesen" gebe ich gerne an dich zurück, mit dem Zusatz, es doch bitte zu unterlassen entwas hineinzuinterpretieren, was da gar nicht drin steht!
Ich bin später, während meines Studiums auch des öfteren nach Dresden gefahren. Dort gab es in der Neustädter Szene Leute, die eine Druckerei betrieben und dort verschiedene Arten von Samisdat-Publikationen herstellten. Was will ich denn eigentlich sagen mit Bezug auf die DDR? Hat man es mit existenziellen Problemen zu tun, ist man damit beschäftigt, für sich und seine Familie Essen zu besorgen, ein Dach über den Kopf zu haben. Hat man diese Existenznöte nicht, so ist man keineswegs einfach Sklave oder Sklavin der Umstände, in denen man aufwächst. Selbst unter widrigsten Umständen kann man seine Sicht auf die Welt den Gewohnheiten entgegensetzen, die einen umgeben. Und sei es auch nur gedanklich, Man muss aber was tun dafür. Und sich was einfallen lassen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Mendoza
Beiträge: 3690
Registriert: Samstag 14. Juli 2018, 06:28

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Mendoza »

Tom Bombadil hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 10:46 Hatte da eigentlich jeder DDR-Bürger freien Zutritt und konnte lesen, was er wollte?
Freien Zutritt hatte man, bloß es gab ja keine Bücher, die auch nur ansatzweise staats- oder sozialismuskritisch waren. Der Rest waren eben Sachbücher oder Romane etc.
Churchill "Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleichmäßige Verteilung der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die gleichmäßige Verteilung des Elends."
Benutzeravatar
Mendoza
Beiträge: 3690
Registriert: Samstag 14. Juli 2018, 06:28

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von Mendoza »

relativ hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 12:00 Hm, also mir sagen schon die Wahlergebnisse so einiges über den Zustand unseres Landes. Natürlich ist noch nicht Hopfen und Malz verloren, aber die Uhr tickt.
Mir bereiten eher Leute Kopfschmerzen, die bestimmen wollen, was gute und was schlechte Wahlergebnisse sind. Zeigt nämlich, dass sie nicht viel von Meinungsfreiheit halten.
Churchill "Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleichmäßige Verteilung der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die gleichmäßige Verteilung des Elends."
Benutzeravatar
relativ
Beiträge: 41534
Registriert: Dienstag 17. Juli 2012, 10:49
user title: Relativitätsversteher
Wohnort: Pott

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von relativ »

Mendoza hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 21:22 Mir bereiten eher Leute Kopfschmerzen, die bestimmen wollen, was gute und was schlechte Wahlergebnisse sind. Zeigt nämlich, dass sie nicht viel von Meinungsfreiheit halten.
Nunja wenn Parteien aus den extremen Rändern mehr zuspruch bekommen hat das ein Grund. Eine letzendliche Wertung habe ich gar nicht abgegeben, es ging um das gespaltene Land und das sind Hinweise darauf.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Mendoza hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 21:12 Freien Zutritt hatte man, bloß es gab ja keine Bücher, die auch nur ansatzweise staats- oder sozialismuskritisch waren. Der Rest waren eben Sachbücher oder Romane etc.
Staats- oder sozialismuskritisch war im Prinzip alles, was als "bürgerlich" oder "spätbürgerlich" oder auch als "bürgerlich dekadent" bezeichnet werden konnten. Das war bereits in gewissem Maße, sagen wir mal, bei Thomas Mann oder bei Theodor Fontane der Fall. Fontanes "Effi Briest" war allerdings offizielle Schul-Lektüre.

Oder nimm das Beispiel Heinrich Heine. Ich hatte neben einem intellektuell selbstständig denkendem Vater zum Glück ab Klasse 9 eine sehr kluge und äußerst unangepasste Deutschlehrerin. Die hat uns einmal die Haltung Heines zum Kommunismus nähergebracht. Für Heine nämlich war der Kommunismus eine Gesellschaft, in der (so gut wie sinngemäß, ich hab jetzt fürs wörtliche zitieren nicht die Zeit) "die Menschen aus meinem "Buch der Lieder" Tüten drehen werden, in die sie Kaffee und Tabak für die alten Weiber schütten".

Auch an Kafka, Trakl und etliche andere, die mit sozialistischen Ideen nicht das Geringste am Hut hatten, kam man nicht vorbei. Man muss einfach die Augen aufmachen. Hinhören. Hinter das Offensichtliche und Offizielle schauen. Vorbeidenken können. Sich an den Rändern bewegen wollen. Jede Art von Mainstream verachten. Sich im Off, im Underground umschauen.

Bertolt Brecht etwa oder in der Sowjetunion Wladimir Majakowski wurden in jeweils eigener Art als Nationaldichter inszeniert. Aber man muss die einfach wirklich mal lesen und diese Rolle hinterfragen. Nichts einfach so hinnehmen. Majakowski war einer der begnadetsten Dichter des 20. Jahrhundert. Brecht war ein durch und durch rebellischer Charakter.

Es ist völlig richtig, dass es in der DDR Lebensrealitäten gab, in denen solche Arten von Ausweichmöglichkeiten schwer bis gar nicht zugänglich waren. Bzw. in denen Jugendwerkhof, Zuchthaus oder Stasiknast die einzig verbliebenen Alternativen waren.

Und dennoch plädiere ich für kluges, taktisches Abwägen. Damals wie heute. Man konnte die verpflichtenden, unter Marxismus-Leninismus geführten 3 obligatorischen Reihen (ML-Philosophie, ML-Politische Ökonomie, "Wissenschaftlicher" Kommunismus) verweigern und damit (mindestens) die sichere Exmatrikulation herbeiführen. Man kann das ganze aber auch umdeuten zu einer kostenlosen Gratis-Veranstaltung, die einem Einblicke in eine der wirkungsmächtigsten Denksysteme der Neuzeit verschaffen. Ohne damit irgendwelche Kompromisse mit dem System einzugehen.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich damals in einer ziemlich komfortablen Lage befand. Aus medizinischen Gründen dauerhaft ausgemustert und infolgedessen von allen Fragen nach irgendwelchen Armee-Diensten unbehelligt. Und mit Mathematik als Studiumsfach in dem ideologisch so ziemlich unbehelligsten Bereich akademischer Ausbildung. Man meinte von seitem der Staatsführung nur, dass man diese Leute bei der Etablierung der DDR als weltweit führendem Staat auf dem Gebiet der Mirko-Elektronik vielleicht brauchen könnte.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
frems
Beiträge: 47596
Registriert: Samstag 4. April 2009, 14:43
user title: Hochenergetisch
Wohnort: Hamburg, Europa

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von frems »

schokoschendrezki hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 22:19 Demokratie und Freiheit sind oder waren zunächst einmal Ideen. Ich sags mal ganz krass: Glaubst Du, dass Afrikaner, Schwarze in Hamburg oder Bremen nicht klarkommen, weil ihnen die Erfahrungen mit einem kühleren Klima fehlen? Dann hast Du ein ziemlich beschränktes Menschenbild.
Mit Ausgangssperre ist es vermutlich nicht leicht vorstellbar, aber in Afrika -- ein scheiße großer, vielfältiger Kontinent -- kann es auch arschkalt werden. Ist bloß was anderes, wenn jemand glaubt, aufgrund seiner Geburt (oder die der Eltern) immer überlegen und zugleich unterlegen zu sein. Diese arrogante Anmaßung ist nicht so meins. Im Tal der Ahnungslosen aber weit verbreitet.
Labskaus!

Ob Mailand oder Madrid -- Hauptsache Europa.
Benutzeravatar
harry52
Beiträge: 2984
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 09:35

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von harry52 »

Juergen Neu hat geschrieben: Montag 17. Oktober 2022, 14:20 Der Westen mokiert sich über den Osten - und zwar schon seit 30 Jahren.
Das kann man so nicht stehen lassen.
Es gibt Wessis, die große Vorurteile haben gegenüber Muslime, Juden, Homosexuelle, Frauen, Amis, Farbige ... und ja, es gibt sicher auch einige Prozent Wessis, die Vorturteile gegenüber den Ossis haben und die ständig für alles Böse verantwortlich machen.

Es gibt überall auf der Welt dumme Menschen,
die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit für schlau halten.

Aber im Westen Deutschlands sind das nicht mehr,
als umgekehrt im Osten. Studien bzgl. beispielsweise Antisemitismus, Antiamerikanismus, oder Rasssismus... zeigen, dass es das auch bei Ossis gibt und leider sogar etwas häufiger. Das ist kein Vorurteil, sondern ein Fakt.

Es gibt also gute Gründe
für alle und somit auch für Ossis, über das eigene Weltbild nachzudenken.


---------------------------------


Regelrechter Hass gegen den Westen
wurde systematisch von der SED geschürt. Beispiele: Man hat die westliche Musik als Schund und Mist runtergemacht, man hat uns als Faschisten und Ausbeuter beschimpft, als kriegsgeil, dekadent ... Das tun die Russen ja immer noch.

Und das tun einige Linke bis heute.

Selbst Gysi ist extrem boshaft sogar noch nach der Wende aufgetreten
und hat immer wieder Lügen über die Treuhand erzählt. Er wollte verschleiern, in welch katastrophalen Zustand viele volkseigene Betriebe waren.

Einige Stichworte:
Null Umweltschutz, Asbest, Schwermetalle...im Boden, in den Wänden....uralte Stromleitungen.. , null Arbeitsschutz, ...beschissener Brandschutz, ...null IT, ...Mitarbeiter, die noch nie einen Computer bedient haben, oder wissen, was Sozialversicherungen sind ....

Und dann kam ja hinzu, dass die Ossis in den ersten Jahren ihre eigenen Produkte nicht kauften!!!

Viele Betriebe waren unrettbar.
Es gab sicher auch einige, die man hätte retten können, aber die Treuhand hat wirlich ihr Bestes getan, um Arbeitsplätze zu erhalten.

Ich habe mehrere Interviews mit Treuhandmitarbeitern gesehen.
Das war erschütternd!!! Die sind mit Mord bedroht worden, ihre Kinder wurden beschimpt, angegriffen, bedroht..... Erschütternd. Da wurde geweint in den Interviews.

Und das wegen der Märchen bzw. Verschwörungstheorien
die Gysi und Co. über die Treuhand erzählt haben. Bis heute hat er sich nicht korrigiert, oder entschuldigt für das Gift, was er zwischen Ossis und Wessis damals gespritzt hat.

So ist das!
"Gut gemeint" ist nicht das Gleiche wie "gut gemacht".
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 20:55 Hast Du diese anderen User wirklich alle einzeln gefragt, ob du in ihrem Namen eine Entgegnung auf einen persönlichen und ganz subjektiven individuellen Beitrag mit personenbezogenen biographischen Einzelheiten schreiben darfst? Wie läuft das hier eigentlich? Ist das hier ein Forum mit einzelnen Usern als Diskussionsteilnehmern oder gibt es so eine Art Gruppenaccount mit einem Gruppensprecher?
Ich muss nicht jeden einzelnen fragen, um zu wissen, was sie von deinen Beiträgen, deinen Aussagen halten. Und selbst wenn das "uns" nur drei, vier oder fünf User betrifft, handelt es sich um eine Gruppe und damit um "uns" und ist KEIN pluralis majestatis.
Klar soweit?
schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 20:55Die DDR war eine Gleichmachungsmaschine. Gerade mit 14 habe ich einen sehr heftigen Drang gehabt, genau das nicht zu machen, was alle anderen 14-jährigen machen. Schau: Mein Großneffe, der Enkel meiner Schwester ist auch grad 14. Der weigert sich strikt, ein Smartphone zu benutzen. Nicht zuletzt deshalb, weil dies in seiner Altersgruppe so verbreitet ist. Er wird mit einiger Wahrscheinlichkeit Informatiker werden und weiterhin Klavier lernen. Es lebe der radikale Individualismus.
Ja klar, weil pubertierende Jugendliche ja auch soooo angepasst sind und niemals nicht gegen Regeln aller Art rebellieren.
Du warst da der einzige, der das getan hat. Wer's glaubt ...

Und jaja, ich (wir) wissen, dass deine ganze Familie aus "radikalen Individualisten" und Wunderkindern besteht. Hast du uns nun schon oft genug mitgeteilt.
Weißt du, wie man solche "radikalen Individualisten" auch nennt? - Außenseiter und dieser Begriff bezeichnet eine marginale Minderheit, weil (normale) Menschen, als soziale Menschen, Zugehörigkeit UND Zusammengehörigkeit für ihr (Psychisches) Wohlbefinden brauchen. Genau aus diesem Grund schließen sich Menschen zu Interessengruppen und Vereinen zusammen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 22:20 Staats- oder sozialismuskritisch war im Prinzip alles, was als "bürgerlich" oder "spätbürgerlich" oder auch als "bürgerlich dekadent" bezeichnet werden konnten. Das war bereits in gewissem Maße, sagen wir mal, bei Thomas Mann oder bei Theodor Fontane der Fall. Fontanes "Effi Briest" war allerdings offizielle Schul-Lektüre.
Es war vieles "offizielle Schul-Lektüre", was nix mit "Sozialismus" zu tu hatte - "Robinson Crusoe" zum Bleistift, oder "Macbeth" oder "Faust" 1. und 2. Teil.

schokoschendrezki hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 22:20Auch an Kafka, Trakl und etliche andere, die mit sozialistischen Ideen nicht das Geringste am Hut hatten, kam man nicht vorbei. Man muss einfach die Augen aufmachen. Hinhören. Hinter das Offensichtliche und Offizielle schauen. Vorbeidenken können. Sich an den Rändern bewegen wollen. Jede Art von Mainstream verachten. Sich im Off, im Underground umschauen.
Doch, man kam daran vorbei - nämlich wenn man sich so gar nicht dafür interessiert hat und müsen muss (und musste) man gar nichts ...
Und nochmal: "normale" 13 bis 16jährige hatten völlig andere Interessen als Kafka, Trakl oder Th. und H. Mann, die hatten auch kein Interesse sich im "im Off, im Underground umschauen" umzuschauen. Die waren in erster Linie mit sich selbst beschäftigt - genau wie das Jugendliche dieses Alters heute auch machen.


Schließe doch nicht immer von dir auf andere und v.a. mach dich nicht immer zum Maß der Dinge.
Zuletzt geändert von Dark Angel am Mittwoch 19. Oktober 2022, 13:21, insgesamt 1-mal geändert.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Seidenraupe
Beiträge: 11468
Registriert: Dienstag 2. November 2021, 12:38

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Seidenraupe »

Dark Angel hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 11:44 Ich muss nicht jeden einzelnen fragen, um zu wissen, was sie von deinen Beiträgen, deinen Aussagen halten. Und selbst wenn das "uns" nur drei, vier oder fünf User betrifft, handelt es sich um eine Gruppe und damit um "uns" und ist KEIN pluralis majestatis.
Klar soweit?


Ja klar, weil pubertierende Jugendliche ja auch soooo angepasst sind und niemals nicht gegen Regeln aller Art rebellieren.
Du warst da der einzige, der das getan hat. Wer's glaubt ...

Und jaja, ich (wir) wissen, dass deine ganze Familie aus "radikalen Individualisten" und Wunderkindern besteht. Hast du uns nun schon oft genug mitgeteilt.
Weißt du, wie man solche "radikalen Individualisten" auch nennt? - Außenseiter und dieser Begriff bezeichnet eine marginale Minderheit, weil (normale) Menschen, als soziale Menschen, Zugehörigkeit UND Zusammengehörigkeit für ihr (Psychisches) Wohlbefinden brauchen. Genau aus diesem Grund schließen sich Menschen zu Interessengruppen und Vereinen zusammen.
ich schließe mich an, damit ist der Plural hinreichend begründet.
Wer Ironie findet, kann sie behalten. Wer nicht, sein/ihr Problem.

„Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“
Schopenhauer
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 11:58 Es war vieles "offizielle Schul-Lektüre", was nix mit "Sozialismus" zu tu hatte - "Robinson Crusoe" zum Bleistift, oder "Macbeth" oder "Faust" 1. und 2. Teil.



Doch, man kam daran vorbei - nämlich wenn man sich so gar nicht dafür interessiert hat und müsen muss (und musste) man gar nichts ...
Und nochmal: "normale" 13 bis 16jährige hatten völlig andere Interessen als Kafka, Trakl oder Th. und H. Mann, die hatten auch kein Interesse sich im "im Off, im Underground umschauen" umzuschauen. Die waren in erster Linie mit sich selbst beschäftigt - genau wie das Jugendliche dieses Alters heute auch machen.


Schließe doch nicht immer von dir auf andere und v.a. mach dich nicht immer zum Maß der Dinge.
Was heißt: Schließe nicht von dir auf andere. Wo habe ich in dem fraglichen Beitrag von etwas anderem geredet als über mich? Ich habe nicht im Geringsten ein Interesse daran, mich "zum Maß der Dinge" zu machen, sondern, genau im Gegenteil, mich von allem Kollektivistischen, Kommunitaristischen absondern zu wollen.

Soll ich mich wirklich nachträglich, nach 50 Jahren dafür entschuldigen, dass ich unter dem Eindruck einer in weiten Teilen gleichgeschalteten DDR-Wirklichkeit versucht habe, mir meine eigene Lebenswirklichkeit zu konstruieren? Dass ich "nicht normal" sei, das habe ich oft genug in der Grundschule von Lehrerinnen zu hören bekommen. Darüber hinaus hatte ich auch noch einen Nachnamen, der nicht nur aus den Buchstaben des deutschen Alphabets bestand. Das war ganz sicher ein wesentlicher Teil in weiten Bereichen der DDR-Gesellschaft: Alles aus dem Rahmen, aus der Norm fallende zu verachten. Und ein Einfügen in die Gesellschaft wie auch in den sozialen Nahbereich als selbstverständlich anzusehen.

Durch meinen Vater war ich meine ganze Kindheit und Jugend hindurch in eine Atmosphäre hineingewachsen, in der Literatur eine zentrale Rolle spielte. Zum eigenen Selbstverständnis. Zur "Beschäftigung mit sich selbst" wie Du schreibst. Zur Selbstkonstruktion. Aber nicht Jules Verne oder Thor Heyerdahl sondern vor allem Lyrik, nicht nur deutschsprachige. Und eben auch Trakl oder Kafka. Und durch seine Tätigkeit hatte meine Familie auch direkt und sehr häufig mit Literaturleuten, Schriftstellern usw. zu tun. In der Mehrzahl Menschen, die dem DDR-System distanziert bis kritisch gegenüberstanden. Bekannte wie Fühmann oder Kunert, zeitweilig auch Biermann. Oder weniger bekannte wie der einzigartige Mensch Uwe Gressmann. In dem Nachlass meines Vaters, den ich seit einiger Zeit versuche, zu ordnen befindet sich ein großer Leitz-Ordner allein mit dem privaten Briefwechsel mit Fühmann. (Der übrigens 1982 ein Buch über Trakl veröffentlichte, "Vor Feuerschlünden". Das nicht nur nix mit Sozialismus zu tun hatte sondern in gewisser Hinsicht eine Abrechnung mit dem DDR-Sozialismus darstellte. Man muss es nur richtig zu lesen wissen).

Erstens: Wenn Du auch nur einen Moment überlegst, müsstest du eigentlich zu der Erkenntnis kommen, dass niemand, kein Mensch sich über einen langen Zeitraum hinweg an einem Diskussionsforum beteiligt, nur um irgendeine Fakeperson zu konstruieren. Zweitens: Du hast offensichtlich einfach keine Vorstellung davon, wie vielgestaltig die Welt auch im geographischen Nahbereich ist. Dass es dort Lebensrealitäten gibt, die so überhaupt nicht dem entsprechen, was du für "normal" und eben für die Regel hältst.

Schließe doch nicht immer von dem, was du für "normal" hältst darauf, dass dies auch für andere Menschen der Normalzustand ist. Bei dir gehts ja noch einen Schritt weiter: Dass dies auch für andere Menschen der Normalzustand zu sein hat. Frei nach dem Motto "Deutschland Normal".
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von schokoschendrezki »

frems hat geschrieben: Dienstag 18. Oktober 2022, 23:20 Mit Ausgangssperre ist es vermutlich nicht leicht vorstellbar, aber in Afrika -- ein scheiße großer, vielfältiger Kontinent -- kann es auch arschkalt werden. Ist bloß was anderes, wenn jemand glaubt, aufgrund seiner Geburt (oder die der Eltern) immer überlegen und zugleich unterlegen zu sein. Diese arrogante Anmaßung ist nicht so meins. Im Tal der Ahnungslosen aber weit verbreitet.
Die in der DDR verbreitete Gleichzeitigkeit von Überlegenheits- wie auch Unterlegenheitsgefühlen ist eine richtige und wichtige Beobachtung. Es wurde verschiedentlich auch der Begriff "Gefühlsstau" zur Erklärung der Lebenswirklichkeit DDR herangezogen. Das geht nach meinem Gefühl in eine ähnliche Richtung. Nur: Jenseits von Sozialpsychologie: Eine liberale Sicht auf die Gesellschaft geht vom Individuum aus und übernimmt nicht einfach die kollektivistische Sicht der Ideologie der DDR-Staatsführung. Nach dem Motto: Du bist nichts. Die Gemeinschaft ist alles.

Selbstverständlich kann man Statistiken auswerten. Aber in der (liberalen) politischen Beurteilung gibt es die Staatsführung und dort die Verantwortlichen für die Repressivität des Systems. Und es gibt die Fakten. Die Wirtschaftszahlen zum Beispiel. Und es gibt exemplarische Biographien. Aber was es nicht gibt, das ist "Der DDR-Mensch". Ebensowenig wie "Den Russen" oder "Den Osteuropäer" oder eben "Den Neger".

Ich habe übrigens verschiedentlich gelesen oder gehört, dass der Judenhass sowie der Hass auf andere Völker in NS-Deutschland auch nur aus dieser Mischung von sich scheinbar widersprechenden psychologischen Grundstimmungen der Überlegenheit und Unterlegenheit zu verstehen ist.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 23386
Registriert: Freitag 7. August 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 15:36 Was heißt: Schließe nicht von dir auf andere. Wo habe ich in dem fraglichen Beitrag von etwas anderem geredet als über mich? Ich habe nicht im Geringsten ein Interesse daran, mich "zum Maß der Dinge" zu machen, sondern, genau im Gegenteil, mich von allem Kollektivistischen, Kommunitaristischen absondern zu wollen.
Tust du aber!
schokoschendrezki hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 15:36Soll ich mich wirklich nachträglich, nach 50 Jahren dafür entschuldigen, dass ich unter dem Eindruck einer in weiten Teilen gleichgeschalteten DDR-Wirklichkeit versucht habe, mir meine eigene Lebenswirklichkeit zu konstruieren?
Du sollst dich für gar nichts entschuldigen, du sollst uns aber auch keinen vom Pferd erzählen!
Eine Gleichschaltung wurde zwar versucht, gab es jedoch de facto nicht, weiul jeder gelernt hatte zwei Meinungen zu haben - eine, die er in der Öffentlichkeit äußerte und eine private.
Jeder - wirklich jeder einzelne hat versucht sich seine Individualität zu bewahren.
schokoschendrezki hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 15:36 Durch meinen Vater war ich meine ganze Kindheit und Jugend hindurch in eine Atmosphäre hineingewachsen, in der Literatur eine zentrale Rolle spielte. Zum eigenen Selbstverständnis. Zur "Beschäftigung mit sich selbst" wie Du schreibst. Zur Selbstkonstruktion. Aber nicht Jules Verne oder Thor Heyerdahl sondern vor allem Lyrik, nicht nur deutschsprachige. Und eben auch Trakl oder Kafka.
Tja siehste und genau das ist der Punkt, den ich dir nicht abkaufe, dass du bereits mit 13/14 Jahren über die geistige Reife verfügt hast, die genannten zu verstehen.
Auch in meiner Familie spielte Literatur eine große Rolle. Meine Eltern verfügten über eine umfangreiche Büchersammlung, Bücher gehörten zu den häufigsten Geschenken, die ich bekam und trotzdem haben meine Eltern nicht versucht, mich in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wäre ihnen, nebenbei gesagt, auch nicht gelungen. Mit 13/14 habe ich die "Ilias" gelesen, die "Odyssee", die "Edda" oder das "Ramayana", je nach Gemütslage, die Lederstrumpferzählungen, die Kummerow-Trilogie.
Später waren es Romane von Johannes Tralow oder allgemein historische Romane und wiederum etwas später habe ich mich mit den historischen Zusammenhängen beschäftigt, die die Grundlage für die Erzählungen bildeten. Jules Verne oder Thor Heyerdahl habe ich erst sehr viel später gelesen.

schokoschendrezki hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 15:36Erstens: Wenn Du auch nur einen Moment überlegst, müsstest du eigentlich zu der Erkenntnis kommen, dass niemand, kein Mensch sich über einen langen Zeitraum hinweg an einem Diskussionsforum beteiligt, nur um irgendeine Fakeperson zu konstruieren.
Gerade weil ich deine Überheblichkeit kenne, gerade weil ich deine Ablehung von allem, was mit Zugehörigkeit, Geinschaft etc kenne, traue ich dir zu, dass du uns Märchen erzählst ...
schokoschendrezki hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 15:36Zweitens: Du hast offensichtlich einfach keine Vorstellung davon, wie vielgestaltig die Welt auch im geographischen Nahbereich ist. Dass es dort Lebensrealitäten gibt, die so überhaupt nicht dem entsprechen, was du für "normal" und eben für die Regel hältst.
Du hast nicht die geringste Ahnung davon, was ich mir alles vorstellen kann. Aber glaub mir, ich verfüge über genug Lebenserfahrung, um zu erkennen, was als "normal" betrachtet wird und was der Regel entspricht. Dazu gehört jedoch auch, dass dein radikaler Individualismus, deine Ablehnung all dessen, was mit Zugehörigkeit, Gemeinschaft etc zu tun hat, eben NICHT normal ist, im Umkehrschluss weiß ich jedoch auch, dass Zugehörigkeit(sgefühl), Gemeinschaft(sgefühl) nicht zwingend etwas mit Kollektivismus zu tun hat bzw haben muss.
schokoschendrezki hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 15:36Schließe doch nicht immer von dem, was du für "normal" hältst darauf, dass dies auch für andere Menschen der Normalzustand ist. Bei dir gehts ja noch einen Schritt weiter: Dass dies auch für andere Menschen der Normalzustand zu sein hat. Frei nach dem Motto "Deutschland Normal".
Tja genau das ist dein Problem, dass du nicht begreifen kannst oder willst, dass für mich genau DAS der Normalzustand ist, was auch für die Mehrheit der Menschen der Normalzustand ist, weil die Mehrheit der Menschen ist wie ich, NICHT so wie du. DU bist der Außeneiter, der aus der Reihe tanzt, der auf Biegen und Brechen anders sein will, NICHT ich.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
jorikke
Beiträge: 9244
Registriert: Samstag 30. Mai 2009, 10:05

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von jorikke »

Ein Streit darüber ist doch gar nicht vonnöten. Schoko... fühlt sich eben als einsamer "Denker" als normal, du D.A. leitest den Normalbegriff eher von einer mehrheitlichen Meinung ab.
(So würde ich das im allgemeinen Sprachgebrauch auch sehen)
Das kann man doch gegenseitig akzeptieren.
S. sollte aber auch akzeptieren als leicht wunderlicher Überhebling wahrgenommen zu werden.
Ist der Preis für individuelles anders sein. Akzeptiert aber belächelt.
Benutzeravatar
Juergen Neu
Beiträge: 94
Registriert: Samstag 15. Oktober 2022, 14:41
Wohnort: BERLIN

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von Juergen Neu »

harry52 hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 11:10 Das kann man so nicht stehen lassen.
Es gibt Wessis, die große Vorurteile haben gegenüber Muslime, Juden, Homosexuelle, Frauen, Amis, Farbige ... und ja, es gibt sicher auch einige Prozent Wessis, die Vorturteile gegenüber den Ossis haben und die ständig für alles Böse verantwortlich machen.

Es gibt überall auf der Welt dumme Menschen,
die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit für schlau halten.

Aber im Westen Deutschlands sind das nicht mehr,
als umgekehrt im Osten. Studien bzgl. beispielsweise Antisemitismus, Antiamerikanismus, oder Rasssismus... zeigen, dass es das auch bei Ossis gibt und leider sogar etwas häufiger. Das ist kein Vorurteil, sondern ein Fakt.

Es gibt also gute Gründe
für alle und somit auch für Ossis, über das eigene Weltbild nachzudenken.


---------------------------------


Regelrechter Hass gegen den Westen
wurde systematisch von der SED geschürt. Beispiele: Man hat die westliche Musik als Schund und Mist runtergemacht, man hat uns als Faschisten und Ausbeuter beschimpft, als kriegsgeil, dekadent ... Das tun die Russen ja immer noch.

Und das tun einige Linke bis heute.

Selbst Gysi ist extrem boshaft sogar noch nach der Wende aufgetreten
und hat immer wieder Lügen über die Treuhand erzählt. Er wollte verschleiern, in welch katastrophalen Zustand viele volkseigene Betriebe waren.

Einige Stichworte:
Null Umweltschutz, Asbest, Schwermetalle...im Boden, in den Wänden....uralte Stromleitungen.. , null Arbeitsschutz, ...beschissener Brandschutz, ...null IT, ...Mitarbeiter, die noch nie einen Computer bedient haben, oder wissen, was Sozialversicherungen sind ....

Und dann kam ja hinzu, dass die Ossis in den ersten Jahren ihre eigenen Produkte nicht kauften!!!

Viele Betriebe waren unrettbar.
Es gab sicher auch einige, die man hätte retten können, aber die Treuhand hat wirlich ihr Bestes getan, um Arbeitsplätze zu erhalten.

Ich habe mehrere Interviews mit Treuhandmitarbeitern gesehen.
Das war erschütternd!!! Die sind mit Mord bedroht worden, ihre Kinder wurden beschimpt, angegriffen, bedroht..... Erschütternd. Da wurde geweint in den Interviews.

Und das wegen der Märchen bzw. Verschwörungstheorien
die Gysi und Co. über die Treuhand erzählt haben. Bis heute hat er sich nicht korrigiert, oder entschuldigt für das Gift, was er zwischen Ossis und Wessis damals gespritzt hat.

So ist das!
In einem muß ich zumindest recht geben: Gregor Gysi. Er hat kurz nach der Wende - insbesondere vor der Vereinigung, die er verhindern wollte - sehr gegen die Bundesrepublik polarisiert.
Kein Vergleich zu Gysi heute
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Gibt es immer noch 2 Deutschland?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 18:28 Tja genau das ist dein Problem, dass du nicht begreifen kannst oder willst, dass für mich genau DAS der Normalzustand ist, was auch für die Mehrheit der Menschen der Normalzustand ist, weil die Mehrheit der Menschen ist wie ich, NICHT so wie du. DU bist der Außeneiter, der aus der Reihe tanzt, der auf Biegen und Brechen anders sein will, NICHT ich.
:p
Na, das würde ich doch mal in Frage stellen. Bzw. das ist - gelinde gesagt! - eine Selbstüberhöhung der Sonderklasse.

Die Gesellschaften - überall auf der Welt - sind in den letzten hundert Jahren in einem rasanten Tempo vielgestaltiger geworden. Klassische Bindungen lösen sich mehr und mehr auf bzw. werden durch neue ersetzt. Das geht bei der klassischen bürgerlichen Mutter-Vater-Kind-Familie los. Die sich zwar nicht aufgelöst hat und auch nicht negativ gesehen werden muss ... die aber eben nur eine Form des Zusammenlebens ist. Ähnlich sieht es mit den Auffassungen über Mann und Frau, über die Geschlechterrollen und sexuellen Orientierungen aus. Auch hier werden die klassischen Sichtweisen eben nur noch als eine von mehreren angesehen.

Die Tatsache, dass es in den politischen Systemen seit 20, 30 Jahren (fast) überall auf der Welt eine Wende hin zum Konservativismus gibt, bestätigt dies nur. Sie ist als Gegenreaktion auf den Wandel verständlich und erklärbar. Der Wandel auf der einen und der neue Konservativismus auf der anderen Seite bewirken mehr und mehr eine Polarisierung der Gesellschaft. Grob gesagt in Kommunitaristen auf der einen und Urbane auf der anderen Seite. Um wenigstens hier mal halbwegs beim Thema zu bleiben.

Ich empfehle dir als Lektüre eines der einflussreichsten Bücher von einem der einflussreichsten deutschen Soziologen der Gegenwart: Andreas Reckwitz: "Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne". Und hier vor allem Kapitel eins. Überschrieben mit "Die Explosion des Besonderen"
Reckwitz beginnt in der Einleitung mit einem Panorama von Phänomenen, in denen in der Gegenwartsgesellschaft Einzigartigkeiten prägend wirken: Dies gilt nicht nur für Individuen, Dinge, Orte oder Ereignisse, sondern auch für Kollektive: Projekte und Kollaborationen in der Arbeitswelt, politische Subkulturen, Diaspora-Communities sowie fundamentalistische Gemeinschaften. Diese unterlaufen laut Reckwitz universale Regeln sowie standardisierte Verfahren und kultivieren stattdessen eigene Welten mit eigener Identität.
Diese Diagnose moderner Gesellschaften enspricht so überhaupt nicht, so ganz und gar nicht dem, was Du in dieser Hinsicht in die Runde wirfst.

Auch die DDR-Gesellschaft ist bzw. war in vielerlei Hinsicht ein Versuch, den Wandel hin zur Moderne aufzuhalten. Auch wenn hier meist das Politische hervorgekehrt wird und wenn "modern" hier meist eher als "demokratisch", "offen", "gewaltengeteilt", "meinungsfrei" und "konservativ" hier meist als gewissermaßen steinzeitmarxistisch gesehen wird. Und auch wenn in solchen Diskussionen immer und immer wieder Dinge wie die Rolle der Frau in der Arbeitswelt der DDR als Gegenargument genannt werden. Die sicher eine etwas andere war als die zur selben Zeit im Westen Deutschlands. (Das hatte meiner Ansicht einen einfachen pragmatischen Grund: Man benötigte die Arbeitskraft). Im Kern jedoch war die DDR-Gesellschaft auch in sozialer Hinsicht stockkonservativ bis zum geht-nicht-mehr. Eine Gesellschaft von Zeltplatzwarten und Hausmeistern. Und deren rücksichtslose Durchsetzung von "Normalvorstellungen". Erinnert sei nur daran, dass "asoziales Verhalten" ("Arbeitsscheu" etwa) eine strafbare Handlung war, die einen Knastaufenthalt nach sich ziehen konnte. Intellektuellenfeindlichkeit war überall auf der Tagesordnung. Meist mit dem irgendwie verklausulierten Vorwurf der "bürgerlichen Dekadenz". Der negativen Sicht auf alle Formen des irgendwie "Anders-als-alle-anderen-sein-wollens". Du hast gefälligst normal zu sein! Die Rückkehr dieser Affekte in anderer Form in der heutigen Gesellschaft ist eine für mich ziemlich niederdrückende Tatsache. Jüngst erst mit dem offiziellen Wahlslogan der AfD ("Deutschland Normal"). Oder mit den Slogans der Wahlsiegerpartei in Italien (Tradition, Familie, christliche Werte). Oder etwa mit der zwangsweisen Abschaffung der Genderforschung an den ungarischen Hochschulen.

Der Expressionismus und Dadaismus in Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts war auch eine Form der Reaktion auf den Konservativismus des 19. Jahrhunderts. Biedermeier, "Nationenfrühling", deutsche Reichsgründung. Ersteinmal: Um sich einen Leseausweis zu besorgen, ein Buch oder eine Zeitschrift zu bestellen und darin zu lesen ... dazu gehört nix weiter als Lesen und Schreiben können. Und an einem dadaistischen Lautgedicht wie der "Sonate in Urlauten" von Kurt Schwitters ... da gibt es nix zu "verstehen". Gar nix! Das ist nur einfach völlig anders als der sonstige graue DDR-Alltag. Und das ist nicht nur untypisch für einen 14jährigen sondern das erwartungsgemäßeste was man sich nur vorstellen kann. Das ist Punk von 1923. Rebellion. Welches Alter als das der Pubertät könnte für eine Begeisterung dafür noch mehr typisch sein?
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von schokoschendrezki »

jorikke hat geschrieben: Mittwoch 19. Oktober 2022, 20:14 Ein Streit darüber ist doch gar nicht vonnöten. Schoko... fühlt sich eben als einsamer "Denker" als normal, du D.A. leitest den Normalbegriff eher von einer mehrheitlichen Meinung ab.
(So würde ich das im allgemeinen Sprachgebrauch auch sehen)
Das kann man doch gegenseitig akzeptieren.
S. sollte aber auch akzeptieren als leicht wunderlicher Überhebling wahrgenommen zu werden.
Ist der Preis für individuelles anders sein. Akzeptiert aber belächelt.
Es gibt kaum ein Thema, mit dem ich mich (gezwungenermaßen) so intensiv beschäftigen musste wie das der (gaußschen) Normalverteilung. Und das des "Erwartungswerts" und das des "statistischen Ausreißers".
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 20831
Registriert: Mittwoch 15. September 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Noch nie war Deutschland so gespalten...

Beitrag von schokoschendrezki »

Ich würde aber gern zum eigentlichen Thema zurückkehren. Einem Außenstehenden zu erklären, ob und wenn ja warum es immer noch 2 Deutschlands gibt.

Es gibt zwei Deutschlands über das gesamte Territorium der heutigen Bundesrepublik hinweg. Ebenso wie es inzwischen zwei Vereinigte Staaten von Amerika gibt: Von einer erheblichen Menge an Abtreibungsbefürwortern, Waffenbesitzfreunden und evangelikalen Fanatikern bis hin zu Studentinnen, die es fertig gebracht haben, dass Trigger-Warnungen über "inkorrekt" formulierte Zitate an etlichen US-amerikanischen Universitäten zur Pflicht geworden sind. Und auch dort gibt es keine geographische Gleichverteilung sondern zumindest einen gewissen Verteilungsbias. Das hat keineswegs, in keinster Weise eine Entsprechung der Ursachen im Vergleich zu Deutschland. Aber eine Polarisierung und Spaltung der Gesellschaften ist jedenfalls kein deutschlandspezifisches Phänomen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Antworten