Rautenberger hat geschrieben:(31 Jan 2021, 12:17)
Klar ist es für Russland unrealistisch, zu den USA und China aufzuschließen. Der Grund dafür ist aber eben ein eklatantes politisches Versagen in den vergangenen Jahrzehnten. Es hätte anders kommen können... Ich denke da aber auch weniger an die wirtschaftliche Gesamtleistung (was bringt es einem unter irgendwelchen Top XY zu sein?), sondern an das BIP pro Kopf. Und da hat Russland verglichen mit anderen Ländern mit realsozialistischer Vergangenheit versagt - eben weil man total auf Rohstoffe gesetzt und fast alle anderen Wirtschaftszweige vernachlässigt hat.
Und was den Kolonialismus angeht: Russland hat seine eigene Kolonialgeschichte. Der Unterschied zu den westlichen Staaten liegt im Wesentlichen darin, dass man nicht nach Übersee gefahren ist, sondern benachbarte Gebiete erobert hat (die geographisch Lage machte es möglich). Was die Rohstoffe angeht, profitiert ja Russland heute noch von diesen "eingesammelten" Gebieten im Osten...
Die wirtschaftliche Gesamtleistung ist ein Indikator wie fortgeschritten Land X ist. Zumal jene Länder die eine starke Volkswirtschaft aufweisen auch in der Weltpolitik hohen Einfluss genießen. Die USA und China nutzen ihren Markt bewusst um sich gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu verschaffen. Siehe z. B. US-Zölle auf deutsche Autos, Chinas Doktrin das deutsche Autohersteller Joint-Ventures mit chinesischen Automobilunternehmen eingehen müssen. Hier geht es um knallhartes Geschäft.
Und das ist auch völlig okay das Russland Rohstoffe aus seinen Gebieten im fernen Osten bezieht. Andere Länder beneiden Russland dafür. Man hat es halt verpasst wie andere Länder genügend Einnahmen aus dem Rohstoffexport zu nutzen und in andere Industriezweige zu investieren. Wobei z.B. Fortschritte in der Luftbranche zu erkennen sind: War es noch so das Flugzeuge wie z. B. der SSJ 100 nur mit Hilfe westlichen Unternehmen gebaut werden können, so hat Russland im vergangen Jahr den MS-21 erfolgreich getestet. Anders als beim SSJ-100 war z. B. das Triebwerk aus heimischer Produktion. Das komplette Flugzeug hat man alleine auf die Beine gekriegt. Wird natürlich schwer sich im Markt wo Airbus und Boeing dominieren durchzusetzen. Die Hürden sind hoch. Auch die Hafeninfrastruktur wurde ausgebaut - die baltischen Staaten können da ein Klagelied singen. Das sind nur mal ein paar Beispiele.
Ja okay, dass BIP-pro Kopf ist natürlich eine andere Sache. Du hast ja nur davon geschrieben das Russland den chinesischen Weg gehen kann.
Taiwan und Südkorea sind außerdem ziemlich beeindruckende Beispiele wie sich Länder auch ohne Kolonien innerhalb von ein paar Jahrzehnten von Armenhäusern zu starken Industrienationen entwickeln können - durch die richtige Politik.
Weil sie die nötigen politischen Institutionen geschaffen haben. Klar.
Da stellt man sich dann aber zurecht die Frage warum Taiwan, Singapur oder Südkorea so etwas können und China kann es auch -> Aufstieg zur Industrienation. China ist im Vergleich zu diesen Ländern nicht besonders Investitionsfreundlich, von Menschenrechten erst gar nicht die Rede.
Warum ist eine Ein-Parteien Diktatur erfolgreicher als Russland bei der Modernisierung der Volkswirtschaft? Nicht nur weil es bei der Umverteilung der Exporteinnahmen in der Vergangenheit anders vorgegangen ist, sondern weil es seinen Markt als wirtschaftspolitisches Druckmittel verwendet:
McMillan and Rodrik (2014) emphasize the active role of industrial policy as an important ingredient of positive structural change in China. In particular, it was using its huge market size as a bargaining argument with its counterparts to organize a mass transfer of technology from the West and also from Russia.13 Such an opportunity does not seem to be feasible in the case of Russia, since it does not have such a large market size, and thus its bargaining power is much weaker. Since the late 1970s, China has also been successful in picking up its next industrial priorities, by fitting new industries and available production capabilities more carefully than under the Great Leap Forward policy
Russia’s diversification prospects
Ivan Lyubimov