Selina hat geschrieben:(05 Feb 2018, 15:03)
"Gesamtgesellschaftliche Sicht" ist ein Abstraktum. Geschichten, Erinnerungen, Reflexionen des Einzelnen sind konkret. Mich interessiert vor allem Letzteres. Daher kritisierte ich ja auch diese "gesamtgesellschaftlichen" Zeitungsüberschriften, die einem vorschreiben wollen, wie man sein eigenes Leben bitte zu sehen hat. Nichts anderes sagte ich weiter oben. Sobald irgendjemand versucht, individuelle Erfahrungen auf irgendeine Weise zu bündeln oder zu verallgemeinern, wirds flach und zum Teil sogar unzulässig.
Es sei dir unbelassen, wenn dich nur Geschichten, Erinnerungen etc Einzelner interessieren. Sie liefern dennoch kein umfassendes Bild über die "Zustände" in der DDR.
Zur gesamtgesellschaftlichen Sicht, gehören halt auch die wirtschaftliche Situation, herrschende Ideologie, Politik etcpp.
Wirtschaftlich war die DDR am Ende - sie war zahlungsunfähig, war pleite.
Ich habe im Braunkohlebergbau gearbeitet - so genannte Grundstoffindustrie und die war relativ "privilegiert". Da wurden finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, die sowohl im Handel als auch in der Leichtindustrie fehlten.
Und dennoch wurden uns von der staatlichen Plankommission die Mittel für Ersatzinvestitionen zusammen gestrichen, wurden finanzielle Mittel für Neuinvestitionen dastisch gekürzt. Das sah dann so aus, dass für einen neu zu bauenden Kraftwerkschornstein keine Filteranlagen vorgesehen (gestrichen) wurden, weil die ja Devisen kosteten. Die Begründung lautete damals allen Ernstes bei der Höhe des Schornsteins seien Filteranlagen unnötig, weil ja Staub und Abgase weiträumig verteilt würden. Wir haben mit Brikettpressen gearbeitet, die Baujahr 1866 bis 1912 waren, die Zähne der Baggerschaufeln der Abraumbagger wurden zigmal wieder aufgearbeitet, damit sie sich dann wieder ein paar Wochen durch 90m Deckgebirge aus Geschiebemergel der Saaleeiszeit und Sandstein "fressen" konnten. Ersatzinvestitionen - Fehlanzeige!
Die Zahräder der Planetengetriebe der Abraum- und Kohlebagger wurden zigmal wieder augeschmiedet und wieder eingebaut - Ersatzinvestition - Fehlanzeige! Die Gurtbänder der Bandanlagen wurden wieder und wieder geflickt, bis gar nix mehr ging. Die mussten für Devisen im "Westen" eingekauft werden. Aber Produktion steigern - koste es was es wolle
Dabei hat der Betrieb, in dem ich arbeitete die wertvollen Devisen erwirtschaftet. "Unsere" Kohle hatte nämlich einen Bestandteil, welcher auf dem Weltmarkt hoch begehrt ist - genannt Montanwachs. Es gibt
weltweit drei Lagerstätten mit montanwachshaltigem Braunkohleflöz - zwei davon in der ehemaligen DDR und eins in Kalifornien.
Niemand - schon gar nicht eine gesamtgesellschaftliche Analyse/Sicht schreibt irgendjemandem vor, wie er seine ganz persönliche Biographie zu werten hat. Und individuelle Erfahrungen können auch nicht "gebündelt und verallgemeinert" werden, das bleiben individuelle Erfahrungen, die individuell gewichtet und bewertet werden.
Und ganz nebenbei hast du eine individuelle Erfahrungsgeschichte geliefert bekommen.

Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.
Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen