Bielefeld09 hat geschrieben:(30 Jun 2016, 00:46)
Können wir beide uns auf das Rechtsempfinden einigen oder
postest du weiterhin hier die Rechtsgeschichte von Karl dem Grossem?
Aber was hat das mit der Kuscheljustiz von heute zu tun?
Beweg dich im hier und jetzt,
die Vergangenheit ist einfach weg.
Und was ist "das Rechtsempfinden"? Sollen wir jetzt wieder mit dem "gesunden Volksempfinden" des Nationalsozialismus hantieren? Meistens beruht dieses Rechtsempfinden doch nur auf gefährlichem Halbwissen. Die Medien berichten verfälschend über Strafprozesse und die Leute nehmen das natürlich für bare Münze, und dann ist von einem "Justizskandal" die Rede, wo gar keiner ist. Der Fall Gina-Lisa illustriert das doch perfekt: Ohne überhaupt Ahnung vom Sachverhalt zu haben werden da vollkommen falsche Behauptungen, ja Verdrehungen der Tatsachen behauptet. Alle möglichen Leute meinen, den Fall glasklar beurteilen zu können.
Sicherlich gibt es Fehlurteile. Aber wer macht denn bitte keine Fehler, gerade in einer so komplexen Welt? Die Zahl der Fehlurteile ist vernichtend gering, der Rechtsschutz in Deutschland sehr gut gewährleistet. Fehlurteile wird es immer geben.
Wir haben keine Krise der Justiz, sondern eindeutig eines des Journalismus und der öffentlichen Meinungsbildung.
GG146 hat geschrieben:(30 Jun 2016, 21:44)
Vorkonstitutionelles Recht ist verfassungskonform auszulegen oder dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorzulegen. Es gibt kein verbindliches Recht, das den Geltungsanspruch von Grundgesetznormen auch nur ankratzen könnte.
Und was willst Du jetzt damit konkret aussagen? Das StGB und die von mir aufgeführten Grundsätze der Strafgesetzgebung widersprechen dem GG in keinem Punkt, sondern sind gerade Ausdruck der Werte unserer Verfassung, die ein freiheitliches und selbstbestimmtes Menschenbild auszeichnet und - ganz wichtig - ein Übermaßverbot festlegt.
GG146 hat geschrieben:(30 Jun 2016, 21:44)
Grabschen verletzt das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, da kann es nach verfassungsrechtlichen Maßstäben keine Bagatellgrenze geben. Entweder man kann über das wann, wie und wo der Betätigung der eigenen Sexualität völlig autonom entscheiden oder nicht.
Ich poste ja ungerne ad personam, aber ich kann mir hier die Bemerkung nicht verkneifen, dass Deine Beiträge sehr stark nach angelesenem juristischen Halbwissen aussehen.
Also wer hier mit ganz gefährlichem Halbwissen kommt, bist eindeutig Du.
Zuerst einmal sind die Grundrechte Abwehrrechte gegen den Staat und nicht gegen andere Personen. Gleichwohl ist der Staat auch mittelbar dazu verpflichtet, den Schutz auch wirksam auszugestalten, und da kommt man auch das Strafrecht ins Spiel.
Einigen wir uns aber erstmal darauf, dass Grundrechtseingriffe bis auf diejenigen, die die Menschenwürdegarantie antasten, allesamt einzelfallbezogen durchaus gerechtfertigt sein können - ob nun durch Gesetzesvorbehalte, oder wenn sie vorbehaltlos gewährt sind, durch die verfassungsimmamenenten Schranken. Bis auf die Menschenwürde ist jeder Eingriff in ein Grundrecht grundsätzlich der Rechtfertigung zugänglich.
Im Verhältnis Bürger-Bürger ist klar, dass nicht jeder seine Grundrechte vollkommen ausreizen kann, ohne andere in ihrer Grundrechtsausübung zu beschränken. Das ist dem Gesetzgeber ebenfalls sehr klar: Gerade der öffentliche Raum ist ein Raum der Zumutung, in dem Ausprägungen der Ausübung von Grundrechten regelmäßig kollidieren. Der Autofahrer, der durch eine Demonstration im Stau steht, ist in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (auch ein Freiheitsrecht, die Du ja so hoch gewichtest) eingeschränkt. Würde man den Schutz dieses Grundrechtes als absolut auslegen, so müsste die Demonstration aufgelöst werden, um der Ausübung dieses Grundrechts volle Entfaltung zukommen zu lassen. Dann würdest Du aber das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit faktisch abschaffen. Man sieht: Bei Grundrechtskollisionen bedarf es einer Abwägung, man kann Grundrechte nicht einfach gewähren, ohne dass sie auch einschränkbar sind.
Übertragen wir dies nun auf das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, dass sich aus dem Persönlichkeitsgrundrecht ergibt. Würde man wie Du einen absoluten strafrechtlichen Schutzanspruch jeglicher, auch kleinster Beeinträchtigungen im Verhältnis Bürger-Bürger annehmen, träfe man auf nicht lösbare Konflikte.
Ein Beispiel: Satirische Darstellungen mit sexuellen Inhalten von Personen des öffentlichen Lebens beeinträchtigen regelmäßig das Persönlichkeitsgrundrecht im Allgemeinen und auch das darin enthaltene Recht auf sexuelle Selbstbestimmung dieser Personen, denn dieses schützt auch vor Eingriffen verbaler Art. Ein Praxisbeispiel ist z. B., dass bei der jetzigen Berichterstattung über Gina-Lisa Lohfink auführlich Bezug auf ihr Image als "Luder" genommen wird. Auch andere Prominente werden teilweise als "Teppichluder" oder ähnliches bezeichnet, gerne auch im satirischen Kontext. Nun behauptest Du, eine Bagatellgrenze für Eingriffe dürfte es nicht geben, sondern diese seien per se strafwürdig. Konsequenz wäre: Jede Berichterstattung mit diesem Inhalt wäre verfassungsrechtlich unzulässig und mithin auch strafrechtlich zu ahnden, ob diese noch durch die Meinungs- oder Kunstfreiheit gedeckt wären oder nicht, wäre irrelevant. Du merkst selbst, dass dies nicht richtig sein kann.
Natürlich kann Grabschen die sexuelle Selbstbestimmung beeinträchtigen. Nur reicht es nicht aus, sich einfach hinzustellen und daraus schlusszufolgern, dass das dann verfassungsrechtlich nicht anders als mit den Mitteln des Strafrechts zu lösen sein könne - dieser Schluss ist grob falsch. Das Strafrecht ist - ich sage es gern nochmal - die drastischste Form des staatlichen Eingriffs in die Rechte eines Bürgers. Es ist daher restriktiv auszugestalten, es ist gerade keine allumfassende Sammlung unerwünschten Verhaltens, sondern soll nur die schwersten Taten in sich aufnehmen, weil eben das Übermaßverbot dies gebietet. Daher muss der Gesetzgeber beachten, ob eine Bagatallgrenze überschritten wird. Wie ich bereits geschrieben habe, wird man sicherlich darüber diskutieren können, ob eine strafrechtliche Regelung des Grabschens notwendig ist, und man wird vielleicht auch zu dem Schluss kommen können, dass Grabschen ein strafwürdiges Verhalten sein kann. Ich tendiere eher zu Nein, aber das ist durchaus einer Diskussion zugängig.
Aber die Behauptung, eine Strafbarkeit sei eine allein aufgrund des Vorliegens eines Eingriffs in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht aus diesem erwachsende Konsequenz, ist falsch. Die Schaffung eines Straftatbestandes "Grabschen" legt unsere Verfassung nicht als zwingend fest. Das kann aus ihr nicht herausgelesen werden.