schokoschendrezki » So 25. Okt 2015, 06:56 hat geschrieben:
Der Einwand ist berechtigt. Ein zuverlässiger objektiver Indikator für die Trennlinie zwischen Nationalismus und Nationalkonservativismus ist der in Russland mit sehr langer und unguter Tradition herrschende Antisemitismus. Und in dieser Hinsicht ist der Kreml-Regierung gerade in jüngster Zeit absolut nix vorzuwerfen. Im Gegenteil.
Keine Regierung der modernen Welt (Iran ausgenommen) will sich den Vorwurf des Antisemitismus erlauben. Allein aus wirtschaftlichen Konsequenzen, die ein derartiger veux pas (oder genauer gesagt - die Dummheit) hervorrufen würde.
Der Antisemitismus ist nicht ausgestorben. Auch wenn er gegenwärtig nur noch punktuell schlummert. Nicht nur in Russland.
Was das "Russische Konservative Forum" in Petersburg anbelangt, so wurde es nicht von "Einiges Russland" sondern von der Vaterlandspartei organisiert. Ähnlich wie bei Fidesz und Jobbik vermengt die emotionsgetriebene politische Polemik da schnell mal die Dinge.
Nicht ganz...
Die Vaterlandspartei in Russland ist keine Oppositionspartei sondern ein Teil der von Kreml aus gesteuerten Politik, wo der Vizepremier Rogosin immer bewusst durch Putin dort von der Leine losgelassen wird, wo Kreml nicht lange sondieren will.
Das Treffen in Petersburg war ein deutlicher Signal für die Nationalisten und das übliche braune Pack, verstärkt das jetzige Europa zu konterminieren.
Mittlerweile leugnet man auch nicht die finanzielle Unterstützung von Kreml.
Man darf natürlich auch, was die Sicht auf den grassierenden Nationalkonservativismus in ganz Osteuropa plus Russland die Dinge nicht vermengen. Noch ist Ungarn eine Demokratie und Russland eine Autokratie bzw. gelenkte Demokratie, aber ganz ohne Zweifel, vor allem wenn man nicht nur die Regierungen sondern die entsprechenden Gesellschaften betrachtet, existiert eine dominante wertkonservative und die nationale Identität beschwörende Tendenz sowohl in Riga und Minsk wie auch in Moskau, Kiew, Warschau, Budapest und Istanbul.
Die nationale Identität und ihre Auswüchse wird noch lange dort existieren, wo die nationale Benachteiligung bis zur Unterdrückung in der Erinnerung der Gesellschaft nicht nur in der Vergangenheit der älteren Bevölkerungsteile wach gehalten wird.
Der Krieg in Georgien und Ukraine ist sehr wohl durch Russland mit nationalistischer Rhetorik initiiert. Die ständigen politischen und auch militärischen Vorfälle und Provokationen in Baltikum und Osteuropa sind nicht der Ursprung sondern Reaktion auf die nationale Radikalisierung in diesem Teil der EU.
Zusätzlich glaubt man nicht an Beteuerungen derer, die weit vom Ort des Geschehens die Verteidigungsstrategien Europas zur Zeit der ernsthaften Bedrohung kontinuierlich im effektiven Abbau der militärischen Fähigkeiten und nur in der geografischer Verschiebung der Grenzen sehen.
Der laxe Umgang Teile der EU mit der nicht nur politischen sondern auch wirtschaftlichen Gängelung durch Russland in diesem Teil der Gemeinschaft gibt den Rest dazu.
Darüber sollte man sich zuerst Gedanken, bevor man zu voreilig den Gärtner zum Bock macht.
Auch wenn ein Jaroslaw Kaczynski u.a. wegen des Tods seines Bruders, aber auch wegen historischer Gegebenheiten allen Grund hat, Russland zu misstrauen. Ich wage die Prognose, dass es, wenn seine Partei heute gewählt wird, eine Annäherung zu Russland geben wird. Zu ähnlich sind sich schon die Personen Kaczynski und Putin in ihrer Ablehnung westlicher "Dekadenz" wie gleichgeschlechtlicher Ehe und in ihrer Rückbesinnung auf traditionelle Werte wie Religion und Nation.
Es ist Deine vage Spekulation, die meinerseits keinesfalls geteilt wird.
Es ist nicht so, dass die galoppierende Vermengung der militärischen Ereignisse in der Welt zur Zeit dort als weit entfernt rezipiert wird.
Der in Russland tragisch verunglückte Zwillingsbruder (zu diesem Zeitpunkt polnischer Präsident) von Jaroslaw Kaczynski sprach 2008 (sic !!!):
-..."zuerst Georgien, dann die Ukraine und dann vielleicht auch wir, Polen..."
Jaroslaw Kaczynski sprach im Februar 2015 von einer harten und nicht "weichen" Reaktion auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine. Er meinte die Waffen.
Ich erwarte eher die Verschlechterung der Beziehungen, da diese insbesondere dem älteren Teil der Kaczynski's Wählerschaft die historische Gleichgültigkeit Europas in Anbetracht der Aggressionen in Polen und derer vernichtenden Folgen im Nachhinein nicht vergessen sind.
Dem jüngeren Publikum, das sich anscheinend gegenwärtig auch der Partei Kaczynskis zuwendet wird durch diese immer mehr die vorgeworfene Marginalisierung der wirtschaftlichen Interessen der neuen Beitrittsländer projiziert. Und das ist im Falle der politischen Gleichgültigkeit noch mindestens genauso gefährlich....
Ich denke, es ist langsam Zeit, auch sich selbst an die Nase zu fassen.