Kleon 2.0 » Mi 3. Jun 2015, 12:48 hat geschrieben:Es ist korrekt (und auch von zumindest manchen Theologen anerkannt), dass aus der Verkündigung Jesu sehr bald eine Verkündigung
über Jesus wurde. Inwieweit diese Verkündigung mit dem übereinstimmte, was die historische Person Jesus von sich gab, ist durchaus anzweifelbar, denn von Jesus selbst stammende Quellen haben wir nicht.
Es verwirrt mich aber, wie du vor diesem Hintergrund die behaupteten Inhalte seiner Lehre oder Paulus Abweichungen feststellen willst. Wie feststellen, wo Paulus abänderte/verfälschte, wenn die "Originallehre" weitgehend unbekannt bzw alle schriftlichen Zeugnisse verfälscht sind? Welche archäologischen Quellen soll es dazu geben?
Nun zumindest vom Evangelium nach Markus gibt es ein Fragment aus Qunram, welches als "Redequelle" bezeichnet wird und in dem Aussagen von Jesus aufgezeichnet sind. Dieses Fragment enthält keine Aussagen zur Heilsgeschichte, sondern nur Aussagen von Jesus, die von Markus aufgezeichnet wurden.
Weiterhin ist im Wesentlichen unumstritten, dass Paulus erst nach mehreren Jahren eigener Missionstätigkeit, Kontakt zur Jerusalemer Gemeinde hatte, der noch Leute aus der unmittelbaren Umgebung Jesus angehörten und Paulus keinerlei Interesse an den (eigentlichen) Lehren Jesus' zeigte.
Ein Buch, welches sich mit dem Thema (auf Basis von Forschungsergebnissen) eingehend beschäftigt, wurde bereits von User Progressiver verlinkt.
Kleon 2.0 » Mi 3. Jun 2015, 12:48 hat geschrieben:Einig sind wir uns darin, dass Jesus keine neue Religion schaffen, sondern das Judentum reformieren (Reformation = Wiederherstellung, Erneuerung), also zu seinen (wie auch immer gearteten bzw von Jesus gesehenen) Ursprüngen zurückführen wollte. Doch wie diese Vorstellungen aussahen bleibt mE weitgehend im Dunkel, besonders, wenn man die vorhandene schriftliche Überlieferung, die nun mal in den Evangelientexten besteht, nicht dazu heranzieht.
Die Evangelientexte sind relativ spät entstanden und von/durch Paulus' Wirken beeinflusst.
Und auch wenn Bibelarchäologen teilweise einen nicht besonders guten Ruf genießen, bleibt abzuwarten, was die zu Tage fördern.
Jedes noch so kleine Puzzlesteinchen hilft beim Verständnis der Lebensumstände der Menschen und ihrer Glaubenvorstellungen, die auch Jesus geprägt haben (werden).
Kleon 2.0 » Mi 3. Jun 2015, 12:48 hat geschrieben:BTW, mir geht es ähnlich wie dir: Ich bin nicht religiös gläubig, und es geht mir eigentlich nur um die "historische Wahrheit", soweit wir die heute noch herausarbeiten können.

Wie gesagt, wo schriftliche Quellen fehlen, kann nur die Archäologie helfen, auch wenn da vieles Interpretation bleiben muss.
Zumindest bleiben diese Interpretationen aber unbeeinflusst von irgendwelchen Glaubensvorstellungen.
Eine historische Wahrheit i.d.S. gibt es nicht, es kann immer nur eine hinreichend genaue Rekonstruktion eines bestimmten Zeitraumes erarbeitet werden.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.
Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen