Armstrong » Di 7. Feb 2012, 22:43 hat geschrieben:Was hat das alles mit dem Holocaust, also der millionenfachen Tötung von Juden aus ganz Europa in eigens für diesen Zweck eingerichtete Vernichtungslager zu tun?
Was ist das jetzt für eine Frage, Armstrong? Verlierst du langsam den Überblick? Es ging hier zunächst einmal nur darum,
die Menge der mit den Nazis gleichgesinnten Deutschen abzuschätzen. Du und TD, ihr hattet Anstoß daran genommen, dass ich von "den" Deutschen sprach. Weiß du noch? Nun, "die" Deutschen deshalb, weil da offenkundig viel zu viele involviert waren, in das Nazi-System. Es hatten sich einfach viel zu viele mit den Nazis arrangiert. Und die Art und Weise vor allem,
wie diese Gleichschaltung vonstatten ging, mit welcher Leichtigkeit und Mitläufertum...
Ob und inwieweit diese gleichgeschalteten Deutschen am Holocaust mitverantwortlich sind, ist eine andere, weiterführende Frage.
Eine NSDAP-Mitgliedschaft bedeutete nicht zwingend ein Nazi zu sein.
Sicher. Ich halte es sogar für möglich, dass selbst die in den Vernichtungsprozess unmittelbar Involvierten keine überzeugte Nazis zu sein brauchten. Es sollen ja Leute geben, die für ihre Karriere den Tod von Menschen in Kauf nehmen und buchstäblich über Leichen gehen. Wernher von Braun beispielsweise; ich glaube nicht, dass er ein überzeugter Nazi war, also Juden für eine "minderwertige" Rasse hielt und sie hasste etc. (jedenfalls nicht mehr, als es damals so üblich war). Aber er war so sehr besessen von seinem Traum, dass er bereit war, dafür einen Pakt mit dem Teufel einzugehen (meines Wissens starben tausende von Zwangsarbeitern bei der Realisierung seines Traums). Ähnliches gilt auch für Albert Speer. Aber, sind solche Kolaborateure nun bessere Mensche als "überzeugte" Nazis? Sind sie weniger schuldig oder weniger verantwortlich als jemand, der aus krankem Hass tötet/töten lässt statt aus selbstsüchtigem Ehrgeiz?
In meiner Verwandtschaft gab es einige NSDAP-Mitglieder, die aus reinem Opportunismus eingetreten sind, weil man als "Parteigenosse" eben Vorteile für sich und seine Familie hatte.
Aber, dass die Juden im großen Stil ausgegrenzt wurden/werden sollten und aus der reinrassigen deutschen Gesellschaft verschwanden/verschwinden sollten, hatten deine Verwandten schon mitgekriegt, oder? Ich meine, das mussten ja schon Nicht-Parteimitglieder mitgekriegt haben. Darf man erfahren, was für Vorteile da konkret erlangt wurden? Was konnte man als NSDAP-Mitglied tun/haben, was man als Nicht-Mitglied nicht tun/haben konnte? Nicht jeder Deutsche war ein Raketenbauer oder Großindustrieller, der billige Zwangsarbeiter bzw. Sklaven benötigte - was für Vorteile hatte also der Otto-Normalbürgernazi, diese über 8 Millionen Deutschen, durch eine Parteimitgliedschaft in der NSDAP?
Ansonsten gab es natürlich in der Tat viele Deutsche, die von Hitler und dem NS-Regime beeindruckt waren. Beseitigung der Arbeitslosigkeit, viele sozialpolitische Reformen, Eintopfsonntage, Winterhilfswerk, Kindergeld, Ehegattensplitting, Kraft durch Freude, dazu eine nationale Aufbruchstimmung, aussenpolitisch grosse Prestigerfolge...alles ging aufwärts.
Nun ja, nicht alles. Eben das nicht. Die Juden, Roma/Sinti, Kommunisten, Homos...bei diesen Menschen ging dieses Alles eher bergab, von systematischer Ausgrenzung und Entrechtung bis hin zur physischer Vernichtung. Zumindest die erstgenannten Unannehmlichkeiten, mit denen die genannten Gruppen nachhaltig konfrontiert wurden, müssen die restlichen Deutschen 100%ig mitgekriegt haben.
Aus dieser durchaus berechtigten Zustimmung vieler Deutscher nun zu konstruieren, 95% der Deutschen hätten den Holocaust begrüßt und seien deshalb mitverantwortlich an der Ermordung von 6 Millionen Juden, ist Schwachsinn.
Wer behauptet denn hier so'n Schwachsinn? Du bestätigst jetzt unfreiwillig meine zuvor geäußerte Vermutung hinsichtlich der Motivation, die hinter dieser Frage "Wer
wusste Bescheid?" steckt. Aus einem nicht-100%ig-konkret-wissen machst du ein 100%ig-nicht-mitverantwortlich. Wenn ich mich mit einer Gruppe einlasse, von der ich weiß, dass sie gar nicht so gute Absichten gegenüber einer bestimmten Minderheit hat und dies sogar offen kund tut (indem sie die Verrrrnichtung der gesamten jüdischen Rrrrrasssee rausposaunt, oder auch "nur" von systematischer Ausgrenzung und Entrechtung redet usw.) - und es stellt sich nacher heraus, dass sie das alles tatsächlich wortwörtlich so gemeint und in die Praxis umgesetzt haben - kann ich da noch sagen als jemand, der ein Teil dieser Gruppe war und an dessen Etablierung und Fortdauer
mitgewirkt hat, dass ich da überhaupt keine
Mitverantwortung trage?
Ach, und anderen Menschen in anderen Ländern gegenüber hat man also keinerlei moralische Verpflichtung? Nach dem Motto:"Was geht es mich an, wenn im Nachbarhaus Menschen abgeschlachtet werden oder verhungern?"
Ich fürchte, du verstehst gar nicht den Sinn des Gesagten; man kann hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, indem man an gänzlich unterschiedlichen Situationen moralische Vergleiche anstellt. Die Deutschen wurden in
ihrem Land mit einer Herausforderung konfrontiert. Und es hat sie auch niemand dazu gezwungen, in Scharen in die Nazi-Partei einzutreten (das Gegenteil war eher der Fall!) oder sonstwie mitzumachen. Selbstverständlich setzt ein sich Einsetzen für die Interessen von Unterdrückten und Entrechteten in
anderen Erdteilen eine deutlich höhere Sensibilität in Sachen Moral und Courage voraus, aber die Deutschen haben ja schon unmittelbar in ihrem eigenen Land, quasi in ihrem eigenen Haus (also nicht mal vor der Haustüre), bei ihren
eigenen Mitbürgern versagt. Und nur von diesen konkreten Vorkommnissen reden wir hier. Um meine Moralität und Courage wirklich objektiv und unvoreingenommen "messen" und vergleichen zu können, müsste ich in eine adäquate Situation geraten sein, was bis jetzt nicht der Fall war. Aber das alles ist auch ohne Belang, weil ich ja - und das sagte ich bereits - nicht moralisch argumentiere, sondern sachlich. Ich hoffe wirklich, du begreifst dieses gar nicht so unbedeutende Detail irgendwann und reflektierst ein wenig, ohne gleich Schaum vorm Mund zu kriegen und in irgendwelche schwer definierbare Zustände zu geraten.
Du erwartest von den damaligen Deutschen Juden aufzunehmen und zu verstecken?
Nein, da war es ja imgrunde schon zu spät. Es hätte gereicht, wenn die Deutschen es hätten erst gar nicht so weit kommen lassen. Wie ich dir schon mal gesagt habe - wählen, mitmachen und dann, wenn die braune Kacke am Dampfen ist, sich als ahnungsloses Opfer hinstellen und von einer amnesiösen Wendehälsigkeit heimgesucht werden...das ist einfach nur arschlos.
Wieviele Obdachlose hast DU in diesem Winter schon bei dir aufgenommen, um ihnen das Leben zu retten? Dein Risiko wäre dabei noch wesentlich geringer als das der damaligen Deutschen, wenn sie einen Juden aufgenommen hätten.
Die Obdachlosen sind ja auch wesentlich weniger einer staatlich organisierten Verfolgung und Ausrottung ausgesetzt als die Juden damals. Im Gegenteil, Deutscheland ist ein Sozialstaat - für solche Hilfsmaßmahmen gibt es Stellen und Personen, die besser dafür geeignet wären (vor allem aus finanzieller Sicht) als unsereins. Aber ich habe schon mal ein paar alten Omis über die Straße geholfen bzw. die Treppen raufgeholfen. Hin und wieder spende ich auch. Und ich habe schon mal übel gemobbten Leuten unter die Arme gegriffen (als Einziger in der Gruppe übrigens). Oder Dinge angeprangert, die nicht ganz koscher waren, wieder als Einziger, umgeben von Lemmingen, so erbärmlichen Lemmingen....Ach, so übel kann ich wirklich nicht sein.
