d'Artagnan » So 5. Aug 2012, 16:08 hat geschrieben:
Montis Idealvorstellung: Eine gelenkte Demokratie mit Parlamenten "erzogen" von arroganten und ignoranten Goldman-Sachs-Knilchen wie ihm??
Kroll-Opern statt Parlamente, das soll also das Ziel der europäischen Integration sein?
Es gibt allerdings dieser Tage einen Gegenentwurf, an dem Demokratie-Oberlehrer Habermas mitgewirkt hat, der ebenfalls in höchstem Grade peinlich ist (Peinlich = Pein erzeugend, jedenfalls bei mir). Anm: Kann bei faz.net zur Gänze eingesehen werden.
In diesem Gegenentwurf wird die Vereinheitlichung der europäischen Politik (z.B. Finanz- oder auch Sozialpolitik) durch Zentralisierung in Brüssel gefordert... zu welchem Zweck? Na ist doch klar für die Autoren des Pamphlets: Weil anders die kulturelle Vielfalt in Europa nicht aufrechterhalten werden kann! VIELFALT DURCH VEREINHEITLICHUNG!

(Könnte ja direkt von George Orwell sein...)
Habermas hat sich natürlich insoweit an seine Rolle als Demokratie-Oberlehrer erinnert, daß er eine demokratische Absicherung der Zentralisierung fordert... d.h. die entsprechenden Verfassungsänderungen müssten natürlich vom Volk "erlaubt" werden. Darüber, wie die dann fälligen Entscheidungen der Zentralregierung, ist sie einmal mit Volkes Zustimmung etabliert, demokratisch legitimiert sein werden, schweigt sich das Papier aus... merkwürdig für einen Demokratie-Oberlehrer... wird schon "irgendwie" klappen?
Demokratie ist, was die Einwirkungshöhe des Einzelnen angeht, eben nicht immer gleich Demokratie. Bin ich in einer Gruppe, die aus niemand anderem als mir besteht, und nehme eine demokratische Abstimmung vor, ist meine Mitwirkung maximal, ich allein bestimme. In einer Gruppe von 10 Personen ist meine Einwirkungsmacht kleiner, aber sie ist immer noch erheblich größer als in einer Gruppe von, sagen wir, 80 Millionen. Demokratielehrer Habermas möchte jetzt meine Einwirkungsmacht nochmals verkleinern, durch Vergrößerung der Gruppe, die in mich betreffende Entscheidungen "hineinreden", auf jetzt 500 Millionen.
Da für mich der Wert von "Demokratie" ALLEINE in der Tatsache besteht, Einwirken zu können auf die mich betreffenden Entscheidungen, ist diese Verkleinerung der Einwirkungsmacht praktisch ein Demokratieabbau. Ein praktischer Demokratieabbbau, der von einem Demokratie-Oberspezialisten gefordert wird... toll, das begeistert mich!
An Peinlichkeit wird das ganze nur noch getoppt durch die Art und Weise, wie die SPD-Spitze, namentlich Gabriel, diesen Unsinn auch noch gedankenlos nachplappert. Oh, man hat den berühmten Namen da stehen... na dann brauchen wir nicht selber nachzudenken (wäre für Gabriel auch nicht ganz einfach).
Wie stark auch der Verstand von Habermas beim Thema Europa aussetzt bzw. wie sehr ihn sein Geschwätz von gestern nicht mehr sonderlich interessiert, sieht man auch an Folgendem: Laut einer der Habermasschen Haupttheorien einigen sich die gesellschaftlichen Individuen auf die sie betreffenden gemeinsamen Entscheidungen durch einen Diskurs untereinander, der bestimmte Eigenschaften haben muß. Eine wichtige dieser Eigenschaften, wenn nicht gar die wichtigste, ist die Verständlichkeit (lustig übrigens, das ausgerechnet Habermas dies so sieht).
Mit seiner jetzigen Forderung auf Anhebung der Diskursprozesse auf europäisches Niveau begeht Habermas einen peinlichen Fehler... eine ganz wesentliche Beeinträchtigung der intraeuropäischen Diskursprozesse scheint er dabei völlig zu übersehen... nämlich die Beteiligungsungleichgewichte (=Demokratischen Defizite), die durch die Existenz unterschiedlicher Sprachen und die unterschiedlich ausgeprägte, durchschnittlich aber eher dürftige Fähigkeit der Subjekte zur Multisprachlichkeit entsteht. Sicher, eine bestimmte Geisteselite, der auch Habermas angehört, ist multisprachlich, und kann dadurch an den intraeuropäischen Diskursen, die die letztendliche Politik bestimmen, mit Leichtigkeit teilnehmen, d.h. IHRE Gesichtspunkte in die Gestaltung des europäischen Lebens einbringen. Einsprachige, und das ist, diese Vermutung wage ich, die Mehrheit der Europäer, sind aber in ihrer Teilnahme an den intraeuropäischen Diskursen eingeschränkt. Sie sind z.B. darauf angewiesen, daß die "Übersetzer" an den nationalen Grenzlinien, korrekt arbeiten, d.h. nicht nur qualitativ korrekt übersetzen, sondern auch quantitativ... d.h. Diskurse bestimmter Gruppen in anderen Ländern nicht einfach "unter den Tisch" fallen lassen. Wenn man sich anschaut, wie z.B. die Medien diese "Übersetzung" heutzutage durchführen (man denke z.B. an die Repräsentation von berechtigten Gesichtspunkten, die für eine breite Öffentlichkeit in Deutschland wichtig sind, in den griechischen Medien durch die Zurschaustellung von Nazisymbolik o.ä., um einmal ein konkretes Beispiel von Medien als "Übersetzer" im politischen Diskurs zu nennen), sind schlimmste Befürchtungen angezeigt. Jedenfalls zeigt die Notwendigkeit von Mittlern, Übersetzern, daß der "direkte" Diskurs zwischen Menschen, die sich gegenseitig sprachlich nicht verstehen, nicht möglich ist, und das bereitet den Boden für Fälschung, Verzerrung usw... mit anderen Worten, undemokratische Beinträchtigung der politischen Prozesse.
Die Anhebung der Entscheidungsmacht auf europäisches Niveau, egal ob in wirtschaftlichen oder politischen Fragen, ist daher schon aus diesen Kommunikationsproblemen mit einem Demokratieabbau verbunden, mit einer Minderung der Mitsprachemöglichkeit Einzelner, zugunsten einer bestimmten multisprachlichen Geisteselite. Habermas, als Mitglied dieser Geisteselite, scheint das nicht zu stören, aber das ist auch eher selten, daß sich Menschen an Vorteilen, die sie persönlich als Individuum genießen, stören. Peinlich ist dies nur, wenn das solch einem Demokratie-Oberspezialisten passiert.