Terror nach Ferdinand von Schirach

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Schuldig oder nicht schuldig ?

Umfrage endete am Donnerstag 20. Oktober 2016, 21:42

Schuldig
14
40%
Nichtschulding
21
60%
 
Insgesamt abgegebene Stimmen: 35
Edmund
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Edmund »

JJazzGold hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:23)
Mich beschäftigt schon die Frage, ob das Flugzeug tatsächlich punktgenau in der Allianz Arena gelandet wäre. Ob die Cockpitbesatzung noch auf ihren Sitzen sitzt, ließe sich ja feststellen und die hätte den Sinkflug ggfls. so steuern können, dass das Flugzeug über die Arena hinausgeschossen wäre.
Und wenn nicht? Dann wären zehntausende Menschen tot, die man leicht hätte retten können. Darauf würde ich es nicht ankommen lassen.

Auch die Frage nach der Räumung des Stadions in für den Fall irrelevant. Der Kampfpilot hatte in seiner Situation nur die Wahl entweder zu schießen und zehntausende Menschen zu retten oder es es bewusst hinzunehmen, wie zehntausende Menschen getötet werden.
Amtsschimmel
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Amtsschimmel »

jorikke hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:12)
Für Baum gilt der alte Juristen Spruch: Er wir ein Einser Jurist und auch sonst ein ziemliches Rindvieh.
Der Schöpfer dieses Sinnspruchs, Ludwig Thoma, war ironischerweise selbst Jurist, was auch in der tatsächlichen Stelle in "Der Vertrag" durchscheint:
Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande. Er kümmerte sich nicht um das Wesen der Dinge, sondern ausschließlich darum, unter welchen rechtlichen Begriff dieselben zu subsummieren waren. Eine Lokomotive war ihm weiter nichts als eine bewegliche Sache, welche nach bayrischem Landrechte auch ohne notarielle Beurkundung veräußert werden konnte, und für die Elektricität interessierte er sich zum erstenmale, als er dieser modernen Erfindung in den Blättern für Rechtsanwendung begegnete und sah, daß die Ableitung des elektrischen Stromes den Thatbestand des Diebstahlsparagraphen erfüllen könne. Er war Junggeselle. Als Rechtspraktikant hatte er einmal die Absicht gehegt, den Ehekontrakt einzugehen, weil das von ihm ins Auge gefaßte Frauenzimmer nicht unbemittelt war, und da überdies die Ehelosigkeit schon in der lex Papia Poppaea de maritandis ordinibus ausdrücklich mißbilligt erschien. Allein der Versuch war mit untauglichen Mitteln unternommen; das Mädchen mochte nicht; ihr Willenskonsens ermangelte und so wurde der Vertrag nicht perfekt. Alois Eschenberger hielt sich von da ab das weibliche Geschlecht vom Leibe und widmete sich ganz den Studien. Er bekam im Staatsexamen einen Brucheinser und damit für jede Dummheit einen Freibrief im rechtsrheinischen Bayern.
Dennoch sollte der Satz nicht überstrapaziert werden. Hier trifft er einfach nicht zu. Baums Argumentation entspricht der Kant'schen Auffassung vom Menschen als selbstbestimmten Individuum, die letztlich unser GG verkörpert. Die andere Ansicht muss damit leben, dass sie Menschen zu verzichtbaren Objekten degradiert.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von JJazzGold »

Jekyll hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:25)

Danke. Nun ja, die 70.000 da unten zählen auch. Hier bedeutete das Nichtabschießen eine größere Schuld als das Abschießen.
Das Problem ist, dass gar nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, ob das Flugzeug tatsächlich in der Arena gelandet wäre.
Falls das vermeidbar gewesen wäre und die Möglichkeit dazu besteht, dann wären ggfls. die 164 Menschen umsonst gestorben, oder sie wären beim Aufschlag außerhalb der Arena gestorben, dann aber durch die Hand der Terroristen oder der Cockpitbesatzung, aber nicht durch den Abschuss.

Das hat mir die Entscheidung so schwer gemacht.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt

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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von JJazzGold »

Edmund hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:29)

Und wenn nicht? Dann wären zehntausende Menschen tot, die man leicht hätte retten können. Darauf würde ich es nicht ankommen lassen.

Auch die Frage nach der Räumung des Stadions in für den Fall irrelevant. Der Kampfpilot hatte in seiner Situation nur die Wahl entweder zu schießen und zehntausende Menschen zu retten oder es es bewusst hinzunehmen, wie zehntausende Menschen getötet werden.

Nicht, wenn ein zurechnungsfähiges Krisenmanagement die Arena hätte rechtzeitig räumen lassen, wie das eigentlich vorauszusetzen ist.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von schelm »

JJazzGold hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:26)

D.h., er hat für schuldig gestimmt?
Er hat sich - glaub ich - nicht explizit geäußert, wenn ich mich richtig erinnere, um niemanden zu beeinflussen. Da ich aber neben nachvollziehbaren Argumenten auch ziemlich angenervt war, wegen zuviel imho lebensfernen, theoretischen und gutmenschelnden Geistesblitzen (....) muss es eigentlich so gewesen sein, sollte ich über Nacht nicht selber etwas weltfremd geworden sein. Nä, eher nicht.
Denk ich an D in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht, Heinrich Heine.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Amtsschimmel »

Edmund hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:11)
Wie sich das mit der Menschenwürde dieser 70.000 Menschen in Einklang bringen lassen soll, hätte ich gerne von Herrn Baum gehört.
Du musst hier klar zwischen Terroristen und dem Staat trennen. Die Leben der 70.000 werden von einem Dritten beeinträchtigt, nämlich dem Terroristen, nicht vom Staat. Hingegen verletzt der Staat durch einen eigenmächtig vorgenommenen Abschuss direkt in die Menschenwürde der Flugzeuginsassen ein. Du negierst das Grundrecht auf Menschenwürde der 164 (und vielleicht noch auftretenden Opfer des Flugzeugabsturzes) zugunsten der 70.000. In so einem Fall entzieht der Staat den Passagieren Ihre Grundrechte, er degradiert sie zum reinen Mittel zum Zweck, zum Kollateralschaden.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Edmund »

JJazzGold hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:34)
Nicht, wenn ein zurechnungsfähiges Krisenmanagement die Arena hätte rechtzeitig räumen lassen, wie das eigentlich vorauszusetzen ist.
Dann nehmen wir an, die Arena wäre geräumt worden, der Terrorist hätte aber ein ganz anderes Ziel in München gehabt, wo ebenfalls zehntausende Menschen getötet worden wären. Und dann?
Svi Back

Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Svi Back »

Amtsschimmel hat geschrieben: Das Mordmerkmal ist unzweifelhaft bei einem solchen Fall gegeben, Vorsatz ebenfalls (Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung ist gegeben). Frage ist, ob er rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Der Tatbestand steht nicht zur Diskussion und wird im Übrigen von der zumindest juristischen "Schuldig"-Fraktion auch nicht bestritten. Wenn, dann kann er nur wegen Mordes verurteilt werden.
ok, ich bin natürlich kein Jurist und allein der Artikel auf wiki, ist betreffend auf das, was du ansprichst, für mich Juristenkauderwelch und auch mit Interpretationsspielraum.

https://de.wikipedia.org/wiki/Mord_(Deu ... rdmerkmale
"Auch hinsichtlich des gemeingefährlichen Tatmittels fordern Vertreter der Verwerflichkeitskonzeption, wie die Rechtsprechung eine zusätzliche subjektive Anforderung."
hmmmm
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Progressiver »

odiug hat geschrieben:(17 Oct 2016, 21:42)

Habt ihr abgestimmt und wenn ja, wie ?
Der Fall wird hier beschrieben:
http://programm.ard.de/TV/Programm/Send ... 8737698567
Ich habe leider den eigentlichen Film nicht gesehen, sondern nur die Diskussion. Daneben habe ich mich im Internet informiert.

So wie ich die Sache beurteilen kann, dann macht man sich als Pilot aber eindeutig schuldig. Zum Vergleich: Ein Kampfroboter ohne moralisches Gewissen hätte die Situation sicher so bewertet, dass er auf jeden Fall einen Abschuss tätigen würde. Denn was sind schon 164 Leute, wenn man dafür 70.000 angeblich rettet? Als rechnerisches Zahlenspiel ohne Emotionen und Gewissen ist so etwas sicher durchaus möglich.

Aber, möchte ich einwenden: Wird der Mensch, das Individuum, dann nicht nur zu einer Nummer degradiert? Und wo bleibt das moralische Gewissen gegenüber den Flugzeuginsassen? Haben die denn nicht genau so ein Recht auf Leben?

Wie gesagt: Ich habe die Hauptsendung verpasst. Ich weiß nicht, inwieweit der Pilot den Überblick hatte. Aber ich kann mir echt nicht vorstellen, dass -in diesem Fall der Pilot- den totalen Überblick über eine Situation haben kann, um sich über das Gesetz zu stellen. Den allwissenden Piloten halte ich für eine Fiktion, die es so nie geben wird. In diesem Sinne würde ich als Befürworter des Grundgesetzes den Piloten im Knast sehen wollen.

Mein Respekt, Herr Baum! Und wenn dieser ehemalige Kampfpilot, der in "Hart aber fair" auftrat, argumentierte, dass man die "Sicherheit der meisten" über das Grundgesetz -und somit die Menschenrechte des Einzelnen- stellen möchte, dann stellen sich mir die Haare zu Berge! Mit solch einer Argumentation kommt man vielleicht in Kriegen weiter. Oder auch nicht. Aber letztendlich verliert man damit den Wert der Humanität an sich.

Denn wo will man dann die Grenze ziehen? Nach unserer derzeitigen Gesetzeslage darf sich niemand selbst zum Mörder machen, wenn er sich nicht strafbar machen will. Wo aber wird die Grenze sein, wenn dieses absolute Prinzip aufgeweicht wird? Dieses eine Mal wird es nur ein Pilot sein, der sich über das Gesetz stellen. Aber ein anderes Mal werden dann womöglich irgendwelche "besorgten Bürger" der Meinung sein, dass man den Politiker xy beseitigen muss, da dieser sonst ihrer Einschätzung nach für einen "Volkstod" sorgen wird? Und umgekehrt dürfen sich dann die Anhänger dieses Politikers wehren, weil diese selbsternannten Retter der Nation eben doch Mörder sind und -wiederum der eigenen Meinung nach- bestraft gehörten? Auge um Auge? Zahn um Zahn?

Wie auch immer: Selbstjustiz und Lynchjustiz sind Dinge aus vorstaatlichen, barbarischen Zeiten Zeiten. Das Ergebnis der Abstimmung der Zuschauer zeigt da nur, wie dünn die Decke der Zivilisation doch ist, die wir bewohnen.
"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." Friedrich Nietzsche

"Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, dem wird bald jedes Problem zum Nagel."
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von JJazzGold »

Edmund hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:38)

Dann nehmen wir an, die Arena wäre geräumt worden, der Terrorist hätte aber ein ganz anderes Ziel in München gehabt, wo ebenfalls zehntausende Menschen getötet worden wären. Und dann?

Das ist dann wieder die Sache mit dem passend zur Verfügung stehenden freien Feld.
Wäre der Abschuss über bewohntem Gebiet erfolgt, was würde dann höher wiegen?
Das Leben der 164, oder das Leben von weniger oder mehr Bewohnern?
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von JJazzGold »

Progressiver hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:41)

Ich habe leider den eigentlichen Film nicht gesehen, sondern nur die Diskussion. Daneben habe ich mich im Internet informiert.

Falls Sie ONE1 empfangen, dort wird der Film gerade wiederholt.
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Selina
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Selina »

Ich finde es unmöglich, so eine ernste Sache wie ein Spiel zu betreiben und alle Welt öffentlich darüber abstimmen zu lassen. Die meisten Menschen stehen so unter dem Eindruck dieses ewigen Terror-Themas, das laufend geschürt wird durch bestimmte Politiker und bestimmte Medien, dass es doch klar war, wie abgestimmt wird. Da hat der FDP-Baum wirklich recht. Was soll mit diesen Millionen-Einschaltquoten eigentlich vorbereitet und erreicht werden? Mir wäre ein mediales Training, wie man ohne Hysterie mit Flüchtlingen umgeht und wie man friedlich zusammenlebt, lieber. Das wiederum hätte dann natürlich nicht so hohe Quoten.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Edmund
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Edmund »

Amtsschimmel hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:37)
Du negierst das Grundrecht auf Menschenwürde der 164 (und vielleicht noch auftretenden Opfer des Flugzeugabsturzes) zugunsten der 70.000. In so einem Fall entzieht der Staat den Passagieren Ihre Grundrechte, er degradiert sie zum reinen Mittel zum Zweck, zum Kollateralschaden.
Was ist mit den Grundrechten der 70.000 Menschen im Stadion? Die würde man in dem von Dir bevorzugten Szenario bewußt nicht retten, sondern absichtlich zu Tode kommen lassen.

Und indem man die 164 Passagiere bewußt in das Stadion krachen läßt, schützt man die Grundrechte dieser Menschen?
Amtsschimmel
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Amtsschimmel »

Svi Back hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:38)

ok, ich bin natürlich kein Jurist und allein der Artikel auf wiki, ist betreffend auf das, was du ansprichst, für mich Juristenkauderwelch und auch mit Interpretationsspielraum.

https://de.wikipedia.org/wiki/Mord_(Deu ... rdmerkmale
"Auch hinsichtlich des gemeingefährlichen Tatmittels fordern Vertreter der Verwerflichkeitskonzeption, wie die Rechtsprechung eine zusätzliche subjektive Anforderung."
hmmmm
Ja, der ist in der Tat sehr schlecht formuliert. Gemeint ist mit dem von Dir zitierten Satz Folgendes: Der Tatbestand wird bei allen Straftaten in den objektiven und den subjektiven Tatbestand aufgeteilt. Die Mordmerkmale aus § 211 II StGB werden in drei Gruppen eingeteilt:
Mörder ist, wer

aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,

heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder

um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,

einen Menschen tötet.
DIe 1. und die 3. Gruppe sind subjektive Mordmerkmale (sie betreffen also die innere Motivation des Täters), die der 2. Gruppe hingegen objektive (sie betreffen also die äußere Umsetzung der Tat). Darauf bezieht sich der von Dir zitierte Satz. Es wird zusätzlich zum Vorliegen des objektiven Tattbestands des gemeingefährlichen Mittels eine hinzutretende subjektive "besondere Rücksichtslosigkeit des Täters" gefordert. Problem dieses Ansatzes ist allerdings, dass die Abgrenzung einer "besonderen Rücksichtslosigkeit" kaum möglich ist.
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schelm
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von schelm »

Selina hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:47)

Ich finde es unmöglich, so eine ernste Sache wie ein Spiel zu betreiben und alle Welt öffentlich darüber abstimmen zu lassen. Die meisten Menschen stehen so unter dem Eindruck dieses ewigen Terror-Themas, das laufend geschürt wird durch bestimmte Politiker und bestimmte Medien, dass es doch klar war, wie abgestimmt wird. Da hat der FDP-Baum wirklich recht. Was soll mit diesen Millionen-Einschaltquoten eigentlich vorbereitet und erreicht werden? Mir wäre ein mediales Training, wie man ohne Hysterie mit Flüchtlingen umgeht und wie man friedlich zusammenlebt, lieber. Das wiederum hätte dann natürlich nicht so hohe Quoten.
9/11 war kein Spiel. Die Lage vergleichbar. Angenommen, nach dem Einschlag im Nordturm wäre ein Kampfjet aufgetaucht, während die zweite Maschine auf den Südturm zurast. Abschießen oder nicht ? Unfair, weil wir das Ergebnis kennen ?
Denk ich an D in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht, Heinrich Heine.
Svi Back

Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Svi Back »

Selina hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:47)

Ich finde es unmöglich, so eine ernste Sache wie ein Spiel zu betreiben und alle Welt öffentlich darüber abstimmen zu lassen.
pfui, Menschen nach ihrer Meinung zu fragen, widerlich. Sowas hätte es in der DDR nicht gegeben.
........unter dem Eindruck dieses ewigen Terror-Themas, das laufend geschürt wird durch bestimmte Politiker und bestimmte Medien, dass es doch klar war, wie abgestimmt wird.
Genau, das Terrorthema wird nur "geschürt", ist fast nur Fiktion, Petitessen die hochgespielt werden.
Da wäre
ein mediales Training, ......... lieber.
jawoll- ja, die Erziehung via Glotze muss noch viel intensiver werden.
Wir brauchen ein Ministerium und eine Margot 2.0
Mir wird gerade sehr übel.
Zuletzt geändert von Svi Back am Montag 17. Oktober 2016, 23:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von holymoly »

Svi Back hat geschrieben:(17 Oct 2016, 22:20)

der Fall ist vergleichbar mit dem Prozess gegen Wolfgang Daschner.
Er wurde gegen jede Vernunft schuldig gesprochen.

Herrn Baum sein Auftreten ist erbärmlich.
Baum ist Jurist und er kommt aus der Rolle nicht raus. Ums Verrecken wird an Paragraphen geklammert, in dem Glauben, dass Recht immer richtig ist. Das ist oftmals aber nicht so und darum sein Auftritt....tilt.
Alles was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch sagen

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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Nathan »

odiug hat geschrieben:(17 Oct 2016, 21:42)

Habt ihr abgestimmt und wenn ja, wie ?
Der Fall wird hier beschrieben:
http://programm.ard.de/TV/Programm/Send ... 8737698567
Die alte Geschichte vom Tyrannenmord ist leicht geklärt und das Abstimmungsergebnis deutlich wie immer und ein Zeichen mangelhafter humanistischer Bildung in der breiten Bevölkerung. Insofern ein überraschend repräsentatives Umfrageergebnis.

Das quantitative Abwägen von Menschenleben ist genauso unzulässig wie das qualitative. Menschen sind Solitäre. Jeder für sich ist ein unverwechselbares Einzelstück und damit unersetzlich und unersetzlich bedeutet eben, dass keinerlei Überlegungen über eventuelle qualitative oder quantitative Bewertungen über Menschenleben zulässig sind. Unersetzlich bedeutet nämlich hauptsächlich "unendlich wertvoll". Jeder Mensch ist identisch unendlich wertvoll und der Unendlichkeitsbegriff bedeutet wiederum nichts anderes als dass eine beliebige Menge Menschen nicht wertvoller sein können als ein einziger Mensch.

Außerdem gibt es keine Institution überhalb des Menschen, die einem Menschen das Recht geben könnte über Leben und Tod eines anderen Menschen zu entscheiden. Wenn aber der Mensch nach eigenem Ermessen über Leben und Tod anderer Menschen entscheidet bedeutet dies eine unerträgliche Anmaßung, eine Selbsterhöhung dieses Menschen über andere. Dazu hat niemand buchstäblich "das Recht".

Schließlich wäre da noch Heisenberg, jo, der gute, mit seiner Sehschwäche und seiner Unschärferelation die besagt, es wäre völlig unmöglich, gleichzeitig Ort und Zeit eines bewegten Objekts genau zu bestimmen. In unserem Beispiel bedeutet das, dass abgesehen von allen gegebenen ethischen Ausschlüssen auch rein technisch betrachtet eine solche Entscheidung niemals qualifiziert zu treffen wäre. Denn es ist einfach nicht absolut sicher gesagt, was passieren würde. Es ist nur eine Annahme mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Auch eine "99% Wahrscheinlichkeit" ist keine Sicherheit (Natürlich gibt es auch keine "99% Sicherheit". Entweder es ist etwas sicher oder eben nicht) und eine Entscheidung auf Grund von Wahrscheinlichkeiten treffen zu müssen bei der es um Menschenleben geht wünsche ich niemand.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Amtsschimmel »

Edmund hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:50)
Was ist mit den Grundrechten der 70.000 Menschen im Stadion? Die würde man in dem von Dir bevorzugten Szenario bewußt nicht retten, sondern absichtlich zu Tode kommen lassen.
Der Staat muss natürlich alles unternehmen, um die 70.000 Menschen zu retten. Die anderen 164 zu töten ist kein gerechtfertigtes Mittel dazu. Sie lässt man eben nicht "absichtlich" zu Tode kommen. Genau gesagt: Es liegt schon gar keine staatliche Maßnahme vor. Es gibt kein Handlungsgebot, vielmehr ein Handlungsverbot für den Staat, das Flugzeug abzuschießen. Das GG schützt den Menschen vor staatlichen Maßnahmen, nicht vor Akten Dritter, also der Terroristen. Darüber hinaus eine weitere Frage: Was ist mit denjenigen, die von den Trümmern des abgeschossenen Flugzeugs getroffen werden? Dass ein Flugzeug über einem Kartoffelacker abstürzt, dürfte ja auch nicht immer der Fall sein. Wie rechtfertigst Du ihren Tod?
Edmund hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:50)
Und indem man die 164 Passagiere bewußt in das Stadion krachen läßt, schützt man die Grundrechte dieser Menschen?
Der Arzt, der aus Mitleid die lebenserhaltenden Maschinen des Patienten abschaltet, der eh stirbt, ändert auch nichts an der Kausalitätskette - auch wenn er die Maschinen nicht abschaltet, stirbt der Betroffene. Dennoch würde niemand dafür plädieren, der Arzt sei ja gerechtfertigt, weil die Leute eh sterben. "Die sterben eh" ist kein Argument, insbesondere deshalb nicht, weil diese Gewissheit in so einer Lage niemals mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Das hat das BVerfG auch ausführlich dargelegt.
Kennedy2610

Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Kennedy2610 »

Brainiac hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:05)

Ja schön, aber der BGH und ich sagen an dieser Stelle, dass es für solche Fälle kein allgemeines Gesetz geben kann.

Damit entscheidet also ein Gericht nach bestem Wissen und Gewissen, ohne sich auf ein konkret passendes Gesetz stützen zu können. Natürlich nicht jeder einzelne Bürger selbst.
Nein, der BGH sagt das eben nicht. Der BGH sagt schlichtweg, dass es unvereinbar mit dem GG ist ein Personenflugzeug im Terrorfall abzuschießen:
Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.
Hier das ganze Urteil, falls du Interesse hast: http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... 35705.html
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von schelm »

JJazzGold hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:26)

D.h., er hat für schuldig gestimmt?
Hab noch was gefunden :


" Ferdinand von Schirachs Stück konfrontiert uns mit der Frage, was unsere Verfassung, der Grundsatz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" noch wert ist – in einer Welt, die von Terroristen bedroht wird. "Die Würde des Menschen, das ist kein Spielball", sagt von Schirach. "Wir können nicht damit herummachen und sagen: In manchen Fällen gilt es und in anderen Fällen nicht. Nein. Es gilt immer. "

http://www.daserste.de/information/wiss ... a-100.html
Denk ich an D in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht, Heinrich Heine.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Selina »

schelm hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:55)

9/11 war kein Spiel. Die Lage vergleichbar. Angenommen, nach dem Einschlag im Nordturm wäre ein Kampfjet aufgetaucht, während die zweite Maschine auf den Südturm zurast. Abschießen oder nicht ? Unfair, weil wir das Ergebnis kennen ?
Über so etwas darf man einfach Lieschen Müller aus Kleckerhausen nicht abstimmen lassen.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von JJazzGold »

schelm hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:02)

Hab noch was gefunden :


" Ferdinand von Schirachs Stück konfrontiert uns mit der Frage, was unsere Verfassung, der Grundsatz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" noch wert ist – in einer Welt, die von Terroristen bedroht wird. "Die Würde des Menschen, das ist kein Spielball", sagt von Schirach. "Wir können nicht damit herummachen und sagen: In manchen Fällen gilt es und in anderen Fällen nicht. Nein. Es gilt immer. "

http://www.daserste.de/information/wiss ... a-100.html
Da hat er recht. Dann bin ich doch froh, dass ich mich mit der Entscheidung gequält habe und eigentlich immer noch quäle.

Danke
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Alexander Freiherr von Humboldt

https://www.youtube.com/watch?v=9FBu2rVuXGI
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Selina »

Nathan hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:00)

Die alte Geschichte vom Tyrannenmord ist leicht geklärt und das Abstimmungsergebnis deutlich wie immer und ein Zeichen mangelhafter humanistischer Bildung in der breiten Bevölkerung. Insofern ein überraschend repräsentatives Umfrageergebnis.

Das quantitative Abwägen von Menschenleben ist genauso unzulässig wie das qualitative. Menschen sind Solitäre. Jeder für sich ist ein unverwechselbares Einzelstück und damit unersetzlich und unersetzlich bedeutet eben, dass keinerlei Überlegungen über eventuelle qualitative oder quantitative Bewertungen über Menschenleben zulässig sind. Unersetzlich bedeutet nämlich hauptsächlich "unendlich wertvoll". Jeder Mensch ist identisch unendlich wertvoll und der Unendlichkeitsbegriff bedeutet wiederum nichts anderes als dass eine beliebige Menge Menschen nicht wertvoller sein können als ein einziger Mensch.

Außerdem gibt es keine Institution überhalb des Menschen, die einem Menschen das Recht geben könnte über Leben und Tod eines anderen Menschen zu entscheiden. Wenn aber der Mensch nach eigenem Ermessen über Leben und Tod anderer Menschen entscheidet bedeutet dies eine unerträgliche Anmaßung, eine Selbsterhöhung dieses Menschen über andere. Dazu hat niemand buchstäblich "das Recht".

Schließlich wäre da noch Heisenberg, jo, der gute, mit seiner Sehschwäche und seiner Unschärferelation die besagt, es wäre völlig unmöglich, gleichzeitig Ort und Zeit eines bewegten Objekts genau zu bestimmen. In unserem Beispiel bedeutet das, dass abgesehen von allen gegebenen ethischen Ausschlüssen auch rein technisch betrachtet eine solche Entscheidung niemals qualifiziert zu treffen wäre. Denn es ist einfach nicht absolut sicher gesagt, was passieren würde. Es ist nur eine Annahme mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Auch eine "99% Wahrscheinlichkeit" ist keine Sicherheit (Natürlich gibt es auch keine "99% Sicherheit". Entweder es ist etwas sicher oder eben nicht) und eine Entscheidung auf Grund von Wahrscheinlichkeiten treffen zu müssen bei der es um Menschenleben geht wünsche ich niemand.
:thumbup:
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Svi Back »

Amtsschimmel hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:50)

Ja, der ist in der Tat sehr schlecht formuliert. Gemeint ist mit dem von Dir zitierten Satz Folgendes: Der Tatbestand wird bei allen Straftaten in den objektiven und den subjektiven Tatbestand aufgeteilt. Die Mordmerkmale aus § 211 II StGB werden in drei Gruppen eingeteilt:


DIe 1. und die 3. Gruppe sind subjektive Mordmerkmale (sie betreffen also die innere Motivation des Täters), die der 2. Gruppe hingegen objektive (sie betreffen also die äußere Umsetzung der Tat). Darauf bezieht sich der von Dir zitierte Satz. Es wird zusätzlich zum Vorliegen des objektiven Tattbestands des gemeingefährlichen Mittels eine hinzutretende subjektive "besondere Rücksichtslosigkeit des Täters" gefordert. Problem dieses Ansatzes ist allerdings, dass die Abgrenzung einer "besonderen Rücksichtslosigkeit" kaum möglich ist.
So habe ich es auch verstanden, deswegen mein Einwurf mit dem Interpretationsspielraum.
Zumindest scheint wirklich keine Einigkeit zu herrschen.
Und wenn eben noch ein "subjektives Tatmerkmal" erforderlich ist, habe ich zumindest ein bisschen Recht. ;)
Ich möchte mich doch ein wenig auf mein Bauch verlassen können.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Nathan »

Progressiver hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:41)

Ich habe leider den eigentlichen Film nicht gesehen, sondern nur die Diskussion. Daneben habe ich mich im Internet informiert.

So wie ich die Sache beurteilen kann, dann macht man sich als Pilot aber eindeutig schuldig. Zum Vergleich: Ein Kampfroboter ohne moralisches Gewissen hätte die Situation sicher so bewertet, dass er auf jeden Fall einen Abschuss tätigen würde. Denn was sind schon 164 Leute, wenn man dafür 70.000 angeblich rettet? Als rechnerisches Zahlenspiel ohne Emotionen und Gewissen ist so etwas sicher durchaus möglich.

Aber, möchte ich einwenden: Wird der Mensch, das Individuum, dann nicht nur zu einer Nummer degradiert? Und wo bleibt das moralische Gewissen gegenüber den Flugzeuginsassen? Haben die denn nicht genau so ein Recht auf Leben?

Wie gesagt: Ich habe die Hauptsendung verpasst. Ich weiß nicht, inwieweit der Pilot den Überblick hatte. Aber ich kann mir echt nicht vorstellen, dass -in diesem Fall der Pilot- den totalen Überblick über eine Situation haben kann, um sich über das Gesetz zu stellen. Den allwissenden Piloten halte ich für eine Fiktion, die es so nie geben wird. In diesem Sinne würde ich als Befürworter des Grundgesetzes den Piloten im Knast sehen wollen.

Mein Respekt, Herr Baum! Und wenn dieser ehemalige Kampfpilot, der in "Hart aber fair" auftrat, argumentierte, dass man die "Sicherheit der meisten" über das Grundgesetz -und somit die Menschenrechte des Einzelnen- stellen möchte, dann stellen sich mir die Haare zu Berge! Mit solch einer Argumentation kommt man vielleicht in Kriegen weiter. Oder auch nicht. Aber letztendlich verliert man damit den Wert der Humanität an sich.

Denn wo will man dann die Grenze ziehen? Nach unserer derzeitigen Gesetzeslage darf sich niemand selbst zum Mörder machen, wenn er sich nicht strafbar machen will. Wo aber wird die Grenze sein, wenn dieses absolute Prinzip aufgeweicht wird? Dieses eine Mal wird es nur ein Pilot sein, der sich über das Gesetz stellen. Aber ein anderes Mal werden dann womöglich irgendwelche "besorgten Bürger" der Meinung sein, dass man den Politiker xy beseitigen muss, da dieser sonst ihrer Einschätzung nach für einen "Volkstod" sorgen wird? Und umgekehrt dürfen sich dann die Anhänger dieses Politikers wehren, weil diese selbsternannten Retter der Nation eben doch Mörder sind und -wiederum der eigenen Meinung nach- bestraft gehörten? Auge um Auge? Zahn um Zahn?

Wie auch immer: Selbstjustiz und Lynchjustiz sind Dinge aus vorstaatlichen, barbarischen Zeiten Zeiten. Das Ergebnis der Abstimmung der Zuschauer zeigt da nur, wie dünn die Decke der Zivilisation doch ist, die wir bewohnen.
Ha, interessant. Sie merke ich mir! Schöner Beitrag. :thumbup:
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Selina »

Svi Back hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:55)

Mir wird gerade sehr übel.
Dann solltest du dich übergeben. Und danach tief durchatmen.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von JJazzGold »

Selina hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:02)

Über so etwas darf man einfach Lieschen Müller aus Kleckerhausen nicht abstimmen lassen.
Im Ernstfall stimmt Lieschen Müller auch nicht darüber ab, aber vielleicht lernt Lieschen Müller aufgrund dieser Sendung das GG kennen, oder besser kennen und weiß vielleicht sogar, dass es ein Luftsicherheitsgesetz gibt.

Wissen ist Macht und Nichtwissen´macht doch etwas, nämlich dumm.
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Alexander Freiherr von Humboldt

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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von schelm »

JJazzGold hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:04)

Da hat er recht. Dann bin ich doch froh, dass ich mich mit der Entscheidung gequält habe und eigentlich immer noch quäle.

Danke
Er hat ja auch prinzipiell Recht. Das Problem ist die Situation, in der Menschenwürde gegen Menschenwürde abgewogen wird. Und das wird sie zweifellos, wenn nach menschlichem Ermessen der Einschlag im Stadion unmittelbar bevor stünde. Die Frage nach der Würde und dem Recht auf Leben der Stadionbesucher kann hier nicht einfach ausgeblendet werden durch den Verweis, man wisse ja nicht genau was noch passiert. Hat eher ein G'schmäckle einer Schutzbehauptung. Abgesehen davon, der Staat hat auch eine Schutzfunktion den Menschen im Stadion gegenüber wahrzunehmen, die Art des Angriffes entbindet ihn davon nicht.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Edmund »

Amtsschimmel hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:00)
Sie lässt man eben nicht "absichtlich" zu Tode kommen.
Natürlich macht man das.

Es gibt nur zwei Alternativen:

1.) 164 Menschen sterben und 70.000 Menschen werden gerettet
2.) 164 Menschen sterben und 70.000 Menschen sterben zusätzlich

Für die 164 Menschen kann man nichts mehr tun, aber die 70.000 Menschen könnte man leicht retten.

Du bist nun der Meinung, der Staat sei verpflichtet die 70.000 Menschen bewußt sterben zu lassen und ihnen die nötige Rettung zu verweigern, die man mit Leichtingkeit gewährleisten könnte, nur damit die 164 nicht durch einen Abschuß, sondern durch eine Kollision im Stadion sterben.

Wie der Strafverteidiger in dem Film schon sinngemäß sagte: Der Staat opfert ganz bewußt 70.000 Menschenleben für die strikte Einhaltung eines Prinzips, welches in dem konkreten Fall keinen Sinn ergibt.
Amtsschimmel hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:00)
Darüber hinaus eine weitere Frage: Was ist mit denjenigen, die von den Trümmern des abgeschossenen Flugzeugs getroffen werden? Dass ein Flugzeug über einem Kartoffelacker abstürzt, dürfte ja auch nicht immer der Fall sein. Wie rechtfertigst Du ihren Tod?
Man könnte das Passagierflugzeug sicher schon in der Luft nahezu pulverisieren, sodaß maximal noch kleinere Trümmerteilchen zu Boden sinken.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von JJazzGold »

schelm hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:14)

Er hat ja auch prinzipiell Recht. Das Problem ist die Situation, in der Menschenwürde gegen Menschenwürde abgewogen wird. Und das wird sie zweifellos, wenn nach menschlichem Ermessen der Einschlag im Stadion unmittelbar bevor stünde. Die Frage nach der Würde und dem Recht auf Leben der Stadionbesucher kann hier nicht einfach ausgeblendet werden durch den Verweis, man wisse ja nicht genau was noch passiert. Hat eher ein G'schmäckle einer Schutzbehauptung. Abgesehen davon, der Staat hat auch eine Schutzfunktion den Menschen im Stadion gegenüber wahrzunehmen, die Art des Angriffes entbindet ihn davon nicht.
Schirach hat es uns aber auch sehr leicht gemacht mit seinem Szenario, 164 Leben gegen 70 000.
Wie hätten die ca. 86%, oder auch wir uns entschieden, wenn die Frage gelautet hätte, 164 im Flugzeug gegen 164 Stadtrandbewohner?
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Amtsschimmel »

schelm hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:14)

Er hat ja auch prinzipiell Recht. Das Problem ist die Situation, in der Menschenwürde gegen Menschenwürde abgewogen wird. Und das wird sie zweifellos, wenn nach menschlichem Ermessen der Einschlag im Stadion unmittelbar bevor stünde. Die Frage nach der Würde und dem Recht auf Leben der Stadionbesucher kann hier nicht einfach ausgeblendet werden durch den Verweis, man wisse ja nicht genau was noch passiert. Hat eher ein G'schmäckle einer Schutzbehauptung. Abgesehen davon, der Staat hat auch eine Schutzfunktion den Menschen im Stadion gegenüber wahrzunehmen, die Art des Angriffes entbindet ihn davon nicht.
Der Unterschied ist doch klar: Die Stadionbesucher werden durch einen Terroristen bedroht. Die Insassen des Flugzeuges hingegen nicht nur vom Terroristen, sondern auch vom Staat selbst durch seine Entscheidung, sie für die anderen zu töten. Darüber hinaus führt ein Aufweichen des Grundsatzes zu unlösbaren Konflikten. Ich erinnere an die Variation des Weichenstellerfalls mit dem dicken Mann, der getötet wird. Sobald das Opfer tatsächlich individualisiert wird und man selbst tatsächlich Hand anlegt, ist man sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob das jetzt moralisch vertretbar ist oder nicht. Auch die heutige Fernsehabstimmung war davon geprägt, dass man da diesen sympathischen, adretten Piloten sitzen hat, während man die konkreten Opfer seiner Handlung nicht sieht. Die Frage danach, ob er auch geschossen hätte, wenn seine Frau und sein Kind im Flugzeug gesessen hätten, lässt ziemlich tief blicken und sollte sich auch jeder selbst stellen, der sich zum Richter über Leben und Tod aufschwingt und einen Abschuss rechtfertigt. Was der Terrorist tut, ist zutiefst unmenschlich. Aber begebe ich mich nicht auf ein Niveau mit ihm und verlasse ich somit nicht den Boden des Rechtsstaats, wenn ich es ihm gleichtue und ebenfalls zum Richter werde, obwohl mir als Staat diese Entscheidung nicht zusteht?
Svi Back

Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Svi Back »

Edmund hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:18)

Natürlich macht man das.

Es gibt nur zwei Alternativen:

1.) 164 Menschen sterben und 70.000 Menschen werden gerettet
2.) 164 Menschen sterben und 70.000 Menschen sterben zusätzlich

Für die 164 Menschen kann man nichts mehr tun, aber die 70.000 Menschen könnte man leicht retten.

Du bist nun der Meinung, der Staat sei verpflichtet die 70.000 Menschen bewußt sterben zu lassen und ihnen die nötige Rettung zu verweigern, die man mit Leichtingkeit gewährleisten könnte, nur damit die 164 nicht durch einen Abschuß, sondern durch eine Kollision im Stadion sterben.

Wie der Strafverteidiger in dem Film schon sinngemäß sagte: Der Staat opfert ganz bewußt 70.000 Menschenleben für die strikte Einhaltung eines Prinzips, welches in dem konkreten Fall keinen Sinn ergibt.
bis hierhin richtig


Man könnte das Passagierflugzeug sicher schon in der Luft nahezu pulverisieren, sodaß maximal noch kleinere Trümmerteilchen zu Boden sinken.
das glaube ich nun nicht. Siehe Lockerbie
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Amtsschimmel »

Edmund hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:18)

Natürlich macht man das.

Es gibt nur zwei Alternativen:

1.) 164 Menschen sterben und 70.000 Menschen werden gerettet
2.) 164 Menschen sterben und 70.000 Menschen sterben zusätzlich

Für die 164 Menschen kann man nichts mehr tun, aber die 70.000 Menschen könnte man leicht retten.
Nenne mir die konkrete Grenze, das konkrete Verhältnis, ab wann Alternative 1 vorzugswürdig ist. 164? 500? 1.000? 10.000? Wer bewertet denn, ab welcher Zahl der Tod der Passagiere in Kauf genommen werden kann? Dies presst Menschen in ein Schema, in dem sie nach ihrer zahlenmäßigen Wertigkeit in "lebenswert" und nicht "lebenswert" eingeteilt werden. Menschenleben sind keine in Wirtschaftsdaten erfassbare Größe. 1xUnendlich ergibt genauso viel wie 70.000xUnendlich! Das ist schlicht nicht in ein abstrakt-generelles Schema zu pressen, somit undefinierbar und damit kann es nicht Gegenstand eines verfassungsgemäßen Gesetzes werden. Ein Rückgriff auf den "Einzelfall" käme einer vollkommenen Willkür gleich.
Edmund hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:18)
Du bist nun der Meinung, der Staat sei verpflichtet die 70.000 Menschen bewußt sterben zu lassen und ihnen die nötige Rettung zu verweigern, die man mit Leichtingkeit gewährleisten könnte, nur damit die 164 nicht durch einen Abschuß, sondern durch eine Kollision im Stadion sterben.
Die Leichtigkeit liegt nur vor, weil Du die Grundrechte der 164 für verhandelbar erklärst. Das ist aber ein Grundgesetz mit unveräußerlichen Rechten und kein Basar, wo alles an den Höchstbietenden geht.
Edmund hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:18)
Man könnte das Passagierflugzeug sicher schon in der Luft nahezu pulverisieren, sodaß maximal noch kleinere Trümmerteilchen zu Boden sinken.
Sorry, vollkommener Unsinn, der sich aus Filmen wie Star Wars speist, wo der Todesstern sich einfach in Luft auflöst. Ein Abschuss hat zur Folge, dass das Flugzeug explodiert und riesige Trümmer in alle Richtungen fliegen, mit unabsehbaren Folgen für alles, was im Wege ist, erst recht bei einem schon bodennahen Abschuss, der in solchen Fällen zu erwarten ist. Kollateralschäden treten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch einen Abschuss auf, erst recht in einem so urbanisierten Land wie Deutschland.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Svi Back »

letztendlich kann man aber feststellen, das wir heute Abend seit Ewigkeiten mal wieder
etwas gesehen haben, wofür die Zwangsgebühren sinnvoll waren.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Zunder »

Billabong hat geschrieben:(17 Oct 2016, 23:29)

Dann habe ich ein Recht darauf rechtzeitig gewarnt bzw. evakuiert zu werden. Für was zahlt man denn Steuern?
Aber echt jetzt. Die Terroristen sollen gefälligst rechtzeitig Bescheid sagen, wann genau sie ins Stadion zu brettern gedenken.
Für was zahlt man denn Steuern?
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von schelm »

JJazzGold hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:21)

Schirach hat es uns aber auch sehr leicht gemacht mit seinem Szenario, 164 Leben gegen 70 000.
Wie hätten die ca. 86%, oder auch wir uns entschieden, wenn die Frage gelautet hätte, 164 im Flugzeug gegen 164 Stadtrandbewohner?
Ich habe eher ein Problem mit der Verabsolutierung eines Prinzips. Baum bringt als Ausnahme den Tyrannenmord. Bereits hier wird es inkonsistent, denn auch der Tyrannenmord kann nicht chirurgisch sauber erfolgen, er zieht unschuldige Opfer nach sich; sei es durch Rache beim gescheiterten Versuch, Machtkämpfe im Nachhinein, oder durch den Anschlag selber. Nehmen wir als Beispiel den Piloten der Tante Ju, die gesprengt werden sollte um Hitler zu töten. Oder die Trümmer töten Kinder am Boden. Und nun ?
Zuletzt geändert von schelm am Dienstag 18. Oktober 2016, 00:59, insgesamt 3-mal geändert.
Denk ich an D in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht, Heinrich Heine.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Kennedy2610 »

Scheinbar urteilen die meisten Menschen in diesem Fall emotional und beanspruchen für sich in diesem konkreten Fall die Grenzen dieser Moral festzulegen. Man kann hier aber die Schuldfrage nicht aufteilen in:

1) ist der Pilot "moralisch" schuldig, weil er ja schließlich 70.000 Menschen gerettet und "nur" 164 getötet hat und
2) ist der Pilot rechtlich schuldig, weil er ein Gesetz gebrochen hat und 164 Menschen getötet hat.

Der Pilot ist schuldig, weil er eindeutig ein Gesetz gebrochen hat. Das Aufwiegen von Menschenleben gegeneinander steht weder dem Staat noch dem Piloten zu - siehe GG Menschenwürde. Die Menschenwürde der 164 Passagiere ist genau so unantastbar, wie die der 70.000 Stadionbesucher.
Kennedy2610

Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Kennedy2610 »

JJazzGold hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:21)

Schirach hat es uns aber auch sehr leicht gemacht mit seinem Szenario, 164 Leben gegen 70 000.
Wie hätten die ca. 86%, oder auch wir uns entschieden, wenn die Frage gelautet hätte, 164 im Flugzeug gegen 164 Stadtrandbewohner?
Gute Frage. Hätte mich auch interessiert. Ich vermute aber, dass Schirach kalkuliert so eine große Differenz gewählt hat. Der Zuschauer soll so einem absoluten ethischen Dilemma ausgesetzt werden.

Ob nun 164 vs. 164 oder 1 vs. 100.000 ist ja rechtlich völlig egal, da die Würde jedes einzelnen Menschen unantastbar ist.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Zunder »

Amtsschimmel hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:30)

Nenne mir die konkrete Grenze, das konkrete Verhältnis, ab wann Alternative 1 vorzugswürdig ist. 164? 500? 1.000? 10.000? Wer bewertet denn, ab welcher Zahl der Tod der Passagiere in Kauf genommen werden kann? Dies presst Menschen in ein Schema, in dem sie nach ihrer zahlenmäßigen Wertigkeit in "lebenswert" und nicht "lebenswert" eingeteilt werden. Menschenleben sind keine in Wirtschaftsdaten erfassbare Größe. 1xUnendlich ergibt genauso viel wie 70.000xUnendlich! Das ist schlicht nicht in ein abstrakt-generelles Schema zu pressen, somit undefinierbar und damit kann es nicht Gegenstand eines verfassungsgemäßen Gesetzes werden. Ein Rückgriff auf den "Einzelfall" käme einer vollkommenen Willkür gleich.
Die Entscheidung zwischen "lebenswert" und "nicht lebenswert" wird auch dann getroffen, wenn der Pilot nicht eingreift - nur eben nicht über 164 Menschenleben, sondern über 70.164 Menschenleben. Endliche Menschenleben, unendliche Menschenleben gibt es nicht.

Tatsächlich kann der Pilot überhaupt nicht zwischen richtigem und falschem Handeln entscheiden, sondern nur zwischen falschem und falschem.
Wie soll denn aus einer erzwungen Wahl zwischen Pest und Cholera eine Schuld erwachsen können?
Außer aufgrund einer willkürlichen Rechtsnorm eigentlich gar nicht.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Zunder »

Kennedy2610 hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:53)

Der Pilot ist schuldig, weil er eindeutig ein Gesetz gebrochen hat.
Natürlich - außer einer Schuld im rechtspositivistischen Sinne gibt es ja auch keine.
Blöderweise kann aber jeder Scheißdreck in ein Gesetz gegossen werden, d.h. die Rechtsnorm ist eben nicht der Weisheit letzter Schluß.
(Wo der liegt, weiß ich aber auch nicht. Wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht.)
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Nathan »

Zunder hat geschrieben:(18 Oct 2016, 01:06)

Die Entscheidung zwischen "lebenswert" und "nicht lebenswert" wird auch dann getroffen, wenn der Pilot nicht eingreift - nur eben nicht über 164 Menschenleben, sondern über 70.164 Menschenleben. Endliche Menschenleben, unendliche Menschenleben gibt es nicht.

Tatsächlich kann der Pilot überhaupt nicht zwischen richtigem und falschem Handeln entscheiden, sondern nur zwischen falschem und falschem.
Wie soll denn aus einer erzwungen Wahl zwischen Pest und Cholera eine Schuld erwachsen können?
Außer aufgrund einer willkürlichen Rechtsnorm eigentlich gar nicht.
Nein, das ist sprachlich nicht korrekt. Nicht einzugreifen bedeutet keine neue Entscheidung. Der Pilot erfüllt seinen eigentlichen Auftrag wenn er weiterfliegt. Die Entscheidung von A nach B zu fliegen hat er schon vorher getroffen. Nur von diesem Vorhaben abzuweichen würde einer neue Entscheidung bedürfen.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Nathan »

Zunder hat geschrieben:(18 Oct 2016, 01:15)

...(Wo der liegt, weiß ich aber auch nicht. Wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht.)
Ja, seh ich auch so. Das wahre Optimum müsste kosmische Geltung besitzen und dafür haben wir auf der Erde den Arsch zu weit unten.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Zunder »

Nathan hat geschrieben:(18 Oct 2016, 01:21)

Nein, das ist sprachlich nicht korrekt. Nicht einzugreifen bedeutet keine neue Entscheidung. Der Pilot erfüllt seinen eigentlichen Auftrag wenn er weiterfliegt. Die Entscheidung von A nach B zu fliegen hat er schon vorher getroffen. Nur von diesem Vorhaben abzuweichen würde einer neue Entscheidung bedürfen.
Natürlich entscheidet er, ob er abschießt oder nicht.
Indem er von dem Terrorvorhaben erfährt, steht er vor einer Situation, zu der er sich verhalten muß. So oder so.
Aus diesem Dilemma kommt er nicht heraus.
Die Frage ist wohl eher, ob solche Situationen mit irgendwelchen Gesetzestexten noch zweifelsfrei erfaßt werden können.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Nathan »

Zunder hat geschrieben:(18 Oct 2016, 01:29)

Natürlich entscheidet er, ob er abschießt oder nicht.
Indem er von dem Terrorvorhaben erfährt, steht er vor einer Situation, zu der er sich verhalten muß. So oder so.
Aus diesem Dilemma kommt er nicht heraus.
Die Frage ist wohl eher, ob solche Situationen mit irgendwelchen Gesetzestexten noch zweifelsfrei erfaßt werden können.
Doch, selbstverständlich. Indem er von dem Terrorvorhaben erfährt passiert - nichts. Es geht ihn nichts an. Es steht nicht in seinen Dienstvorschriften. Es gibt kein Dilemma und wenn dann hätte er den Fehler schon beim Unterschreiben des Arbeitsvertrags gemacht, wenn der eine Klausel zum Selbstmord enthalten hätte. Die ganze Story ist ja auch nur ein Lehrstück, geradezu surrealistisch. Es geht nicht um Konkretes sondern eher um die Bloßstellung humanistischer Defizite im Denken. Das ist bestens gelungen wie man auch hier sieht.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Zunder »

Nathan hat geschrieben:(18 Oct 2016, 01:47)

Doch, selbstverständlich. Indem er von dem Terrorvorhaben erfährt passiert - nichts. Es geht ihn nichts an. Es steht nicht in seinen Dienstvorschriften. Es gibt kein Dilemma und wenn dann hätte er den Fehler schon beim Unterschreiben des Arbeitsvertrags gemacht, wenn der eine Klausel zum Selbstmord enthalten hätte. Die ganze Story ist ja auch nur ein Lehrstück, geradezu surrealistisch. Es geht nicht um Konkretes sondern eher um die Bloßstellung humanistischer Defizite im Denken. Das ist bestens gelungen wie man auch hier sieht.
Das ist wieder das positivistische Argument.
Den möglichen Tod von 70.000 Menschen verhindern zu können, geht ihn selbstverständlich etwas an. Das geht jeden etwas an, der - auch ohne eigenes Zutun - involviert ist.
Das Leben von 70.000 Menschen retten zu wollen, sehe ich nicht als humanistisches Defizit.
Ein humanistisches Defizit liegt eher dann vor, wenn man von 70.000 konkreten Individuen abstrahiert und sie zum Wohle irgendeines willkürlichen Prinzips opfert.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Nathan »

Zunder hat geschrieben:(18 Oct 2016, 02:01)

Das ist wieder das positivistische Argument.
Den möglichen Tod von 70.000 Menschen verhindern zu können, geht ihn selbstverständlich etwas an. Das geht jeden etwas an, der - auch ohne eigenes Zutun - involviert ist.
Das Leben von 70.000 Menschen retten zu wollen, sehe ich nicht als humanistisches Defizit.
Ein humanistisches Defizit liegt eher dann vor, wenn man von 70.000 konkreten Individuen abstrahiert und sie zum Wohle irgendeines willkürlichen Prinzips opfert.
Bleib genau. Ich sehe den Tod von 70.000 Menschen auch nicht als humanistisches Defizit, sehr wohl aber die quantitative Abwägung, den Tod von 1 Menschen als weniger gewichtig zu betrachten als den von 10 Menschen. Das ist ein grundsätzlich unhumanistischer Gedanke, wie ich bereits schon begründet habe. Hätte von Schirach dem armen Probanden das Leben ein bisschen schwerer gemacht und die Menschenanzahl als genau gleich angenommen hätte sich der wahre Abgrund aufgetan. Dann hätten die die meisten gesagt "weiterfliegen, ist ja eh egal, ob so oder so". Das wäre ein noch dramatischerer Fehler gewesen, nicht der Rat, aber die Begründung. Diese Begründung wäre vollends menschenverachtend gewesen, noch unentschuldbarer, wenn das überhaupt möglich ist. Egal ist es natürlich nicht und genau deswegen hätte der Pilot nie und nimmer eine aktive Tötungshandlung herbeiführen dürfen, weder in dem einen noch in dem anderen Fall.

Aber ich muss jetzt echt mal Bubu, wenn ich tot vom Stuhl falle haste ja auch keinen Spaß. CU.
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Der General »

Kennedy2610 hat geschrieben:(17 Oct 2016, 22:17)

Finde es extrem schwer hier zu urteilen. Trotzdem habe ich mich für schuldig entschieden, nach dem ich lange hin und her geschwankt bin.

Der eigentliche Skandal ist, dass das Stadion nicht geräumt wurde. Aus meiner Sicht wäre so der Pilot überhaupt nicht in diese Situation gekommen und das muss das Ziel sein.

Jetzt ist er aber in dieser Situation und handelt eigenmächtig gegen das deutsche Recht. Für mich ist er hier Schuldig. Auch wenn man über das moralische "Recht" streiten kann. Moral ist aber etwas sehr persönliches und subjektives und sollte nicht von einzelnen Menschen für alle Menschen beurteilt werden. Um sachlich und frei von Gefühlen zu handeln haben wir Gesetze. Diese sollten auch in diesem Fall gelten.

Anfühlen tut sich keines von beiden gut - schuldig genauso wenig wie unschuldig.

Also, ich habe mir es tatsächlich mal wieder angetan die ARD anzuschalten und mir diesen manipulierenden Rotz anzusehen.

Ist es eigentlich keinem aufgefallen was man mit so einem Filmchen erreichen möchte? Das war eigentlich nichts anderes als eine Umfrage ob das Grundgesetz noch Akzeptanz erfährt und wieviele sich vom Rechtsstaat noch vertreten fühlen.

Spätestens die geschockten Gesichter vom Moderator Blaseberg und dem OPA Baum sprachen Bände :D

Nun gut, ist ein eigenständiges Thema und gehört wohl eher im Strang Medien.

Selbstverständlich lautet für mich in diesem Fall das Urteil auf Schuldig !!

Warum:

Entscheident ist die Tatsache, dass es noch 15 Minuten gedauert hätte, bis das Flugzeug das Stadion erreicht hätte! In 15 Minuten hätte noch viel passieren können. Passagiere/Pilot hätten den Terrorist überwälltigen können usw...usw...

Nach meiner Meinung nach, kann es nicht sein, dass ein Einzelner über Leben oder Tod entscheiden kann/darf!

Die Argumentation von der Staatsanwältin in Bezug auf Organspende war stark.

Ich sitze selber jedes zweite Wochenende in einem Stadion und ich habe mir in der Tat sogar mal Gedanken über solche mögliche Situationen gemacht. So ein Fußballstadion ist wohl ein "perfektes" Ziel für diese Bekloppten. Von daher, bin ich schon seit langem dafür Vorsorge zu treffen. Es müssen Flugverbotszonen (zeitlich) eingerichtet werden, die es bislang nicht gibt um reagieren zu können. 15 Minuten für eine komplett Evakuierung sind nicht ausreichend.

Fazit: Um dieses Szenario zu verhindern gibt es durchaus Lösungen.

Das Grundgesetz mit der Floskel "Die Würde des Menschen usw..." ist und bleibt leider nur noch eine Floskel, denn diese Würde wird tagtäglich mißbraucht!

Moralisch gesehen ist klar, dass 160 Menschen sterben müssen damit 70.000 überleben. Leider und das ist der alles entscheidene Punkt, weiß niemand ob diese 160 Menschen auch wirklich hätte sterben müssen!

Wenn von den 86% die für nicht schuldig gestimmt haben, Ihre Familienangehörigen im Flieger säßen, hätten diese sicher für Schuldig gestimmt, völlig normal und Menschlich!

Von daher ist es gut, dass kompetente Richter Urteile fällen und nicht Zuschauer mit Chips oder mit einer Dose Bier auf dem Sofa!
Wildermuth
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Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Wildermuth »

1.
Wie funktioniert die "Manipulation" in den öffentlich rechtlichen?

Es sind ja keine regierungssender, wie RT, bei denen der regierungsschef einfach bestimmen kann, was läuft.

Wie wird das nun getan bei den öffentlich rechtlichen? Gibts da einen vertreter der regierung, der bestimmt, und die rundfunkräte müssen zustimmen?

Da du dir so sicher bist, wird es dir ja nicht schwer fallen, das system aufzudecken!

2.
"Um dieses Szenario zu verhindern gibt es durchaus Lösungen. "

du hast in deinem eifer ganz vergessen, zu beschreiben, welche lösungen es noch gäbe!
Raus damit!

Da es Schirach ja genau um dieses dilemma der nothilfe mit kolateralschäden geht, wäre es ein ziemliches versagen, wenn er in seiner konstruierten geschichte eine elegante lösung übersehen hätte.
Raus damit!
Itu

Re: Terror nach Ferdinand von Schirach

Beitrag von Itu »

JJazzGold hat geschrieben:(18 Oct 2016, 00:21)

Schirach hat es uns aber auch sehr leicht gemacht mit seinem Szenario, 164 Leben gegen 70 000.
Wie hätten die ca. 86%, oder auch wir uns entschieden, wenn die Frage gelautet hätte, 164 im Flugzeug gegen 164 Stadtrandbewohner?
Immer noch gleich
Die im Flugzeug sind eh tot



Ein Polizist der den finalen Rettunggschuss setzt wägt auch das Leben eines Menschen das über einen anderen

Jede größere Geiselbefreiung birgt die Gefahr das man nicht alle Geiseln rettet kann
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