Der Islam in den heutigen Tage hat ohne Frage desöfteren extremistische Tendenzen. Taliban, Wahhabiten, die Union islamischer Gerichte, die Muslimbrüder etc. pp.
Über die Ursachen der Entstehung dieser Bewegungen erhitzen sich die Gemüter und man kann unterschiedlicher Ansicht sein.
Ich möchte diesen Thread der Frage widmen inwieweit der Islam reformfähig ist und ob eine solche nötig ist und ich möchte hier einige bedeutende islamische Reformer vorstellen, deren Ideen das Bild des heutigen Islam stark geprägt haben und deren Philosophie die Grundlage eines Reform-Islams sein könnte. Ich erhebe hier nicht den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Komplettheit, sondern möchte nur eine Diskussion zum Thema anregen, in welche Richtung der islam sich in den nächsten Jahren bewegen wird oder sich bewegen könnte.
Dschamal ad-Din al-Afghani
Al-Afghānī gilt als einer der letzten großen muslimischen Denker und Philosophen der Moderne. Zwei zentrale Themen lassen sich in seiner Ideologie wiederfinden: Islamische Einheit, und der Ruf nach einem reformierten und modernisierten Islam, der sich westliche Technologie und Wissenschaft zu eigen macht, und sich damit gegen westliche politische und wirtschaftliche Abhängigkeit wehrt. Zeit seines Lebens agitierte Afghani gegen die Briten, die Ägypten und Indien kolonialisierten und Muslime unterdrückten. Den Grund für die Schwäche der Muslime sah Afghani in der fehlenden Einigkeit unter den Muslimen, sowie in der orthodoxen Form des Islam, wie er von den Rechtsgelehrten und Philosophen den 19. Jahrhunderts gepredigt wurde. Nach Meinung der Orthodoxie blieben Moderne, d.h. Wissenschaft und technischer Fortschritt, unvereinbar. Afghani wehrte sich gegen diese Ansicht: der Islam und moderne Technik und Wissen seien selbstverständlich vereinbar, alte Vorstellungen müssten aufgebrochen, der Islam modernisiert werden.
Raschīd Ridā
Zunächst begeisterte sich Rida für eine türkisch-arabische Einheit im Osmanischen Reich. In Istanbul versuchte Rida, eine Schule zu gründen, die religiösem Fanatismus entgegenwirken sollte. Sein Plan war es, moderne Bildungsmethoden und westliche Kultur zur Anwendung zu bringen, während die Religion intakt gehalten werden sollte . Insgesamt war die Bildung für ihn der wichtigste einzelne Faktor, der die Vorherrschaft des Westens garantierte und auch politische Entwicklung ermöglichte . Die Bildung hatte für Rida einen so großen Stellenwert, dass er die Gründung von Schulen für wichtiger befand als die Gründung von Moscheen . Auch begabte Mädchen sollten Zugang zu Bildung bekommen, auch wenn sie außer Allgemeinbildung hauptsächlich “weibliche” Fähigkeiten erwerben sollten .
Eine weitere seiner Annahmen war, dass der Fortschritt im Westen durch politische Verbände katalysiert wurde, die die Stellung absolutistischer Herrscher angreifen konnten . Im Orient waren derartige kollektive Bewegungen weitgehend unbekannt, weswegen Rida selbst insgesamt viermal als Initiator tätig wurde . Als erstes eröffnete er durch die von ihm gegründete “Gemeinschaft für Mission und Führung” eine Schule namens “Dar ad-Da’wa wa-‘l-Irshad” (Haus der Mission und Führung), wo ab März 1912 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs Studenten aus der gesamten islamischen Welt umsonst lernten.
Er beeinflusste unter anderem Hasan al-Banna, den Gründer der Muslimbrüder, die al-Manar weiterführten. Somit fanden viele von Ridas Ideen Eingang in die breiten islamistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Hingegen sind Ridas politische Projekte gescheitert. Auch in seiner Doktrin vollzog er nicht den entscheidenden Sprung in die Neuzeit, sondern kehrte schlussendlich zu althergebrachter Ideologie zurück.
Muhammad Abduh
Abduh trat zeit seines Lebens für die Synthese von westlichem Gedankengut und muslimischen Vorstellungen ein. Obwohl er bei vielen heutigen Salafisten als Apologetiker gilt, förderte er die Idee der Salafiyya, d.h. der Rückbesinnung auf den vorbildlichen Lebenswandel der Vorfahren. Er ist daher als wichtiger Denker in der Salafiyya-Bewegung selbst zu sehen.
Abduh führte die Lehre seines Tutors Dschamal ad-Din al-Afghanis fort, indem er dessen Überzeugung aufgriff, dass der Islam kein Hindernis für moderne Entwicklung, Technologie und Wissenschaft sei; Abduh war davon überzeugt, dass der Islam sogar die besten Voraussetzungen für Modernität besäße - Traditionalisten und Orthodoxie, vor allem in der konnservativen Al-Azhar Universität, vermittelten eine veraltete und teilweise falsche Version des Islam. Zeit seines Lebens setzte sich Abduh deshalb vor allem für Bildungseinrichtungen ein, in denen eine neue Religionsanschauung vermittelt werden sollte, was sich bis zu seinem Tod nicht verwirklichen ließ.
Die allgemeine Schwäche der Muslime seiner Zeit führte er auf zwei Probleme zurück: (1) Unkenntnis über die eigene Religion bzw. falscher Glaube; (2) Despotismus der muslimischen Herrscher. Seiner Meinung nach konnten diese zentralen Probleme nur durch eine Rückbesinnung auf die wahre Religion (aṣl al-dīn al-islāmī) gelöst werden; vor allem durch verbesserte Bildungssysteme und eine Modernisierung alter Interpretationen der religiösen Orthodoxie. Er lehnte es ab, die Interpretationen und den Konsensus früherer Generationen von Rechtsgelehrten als einzig wahre Interpretation von Glaubensfragen zu akzeptieren, ebenso wie die blinde Nachahmung früherer Generationen (taqlid). Verbote wie das Tragen europäischer Hüte lehnte er ab, ebenso die Polygynie. Obwohl er in vielerlei Hinsicht eine liberale Haltung gegenüber Frauen vertrat, wollte er Frauen keine politische Macht zugestehen.
Abduhs wichtigster Schüler war Raschid Rida. Während dieser einen konservativen Pfad einschlug, entwickelte Ali Abd Ar-Raziq Abduhs Ansätze weiter.
Aus den Ideen dieser 3 Philosophen und ein paar anderer haben sich die heutigen Bewegungen des Islams entwickelt.
Dabei schlug man 2 Richtungen ein. Die einen wählten den Weg "Back to the Roots" und entwickelten extremistische Vorstelleungen von der wortwörtlichen Auslegung des Korans und der Verteufelung alles westlichens. Z.B. die Wahhabiten, die Muslimbrüder und die Taliban sind darauf zurückzuführen.
Andere muslimische Denker von heute propagieren eine totale Abwendung von den konservativen Ansätzen, um den Islam für weitgreifende Reformen zu öffnen, da sie in der Konservativität des Islams die Ursachen der Rückschrittlichkeit der islamischen Länder vermuten. Es gibt eine ganze Reihe solcher Denker und der Kampf wird mit allen politischen Mitteln ausgefochten.
Dazu dieses Buch, das ich schonmal verlinkt habe:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/533651/"Als Muhammad vor tausendvierhundert Jahren in Mekka eine Revolution in Gang setzte, um die archaischen, starren und ungerechten Verhältnisse der Stammesgesellschaft durch die radikal neue Vision der von Gott geschenkten Moral und der sozialen Gleichheit zu ersetzen, zerriss er das Gewebe der traditionellen arabischen Gesellschaft. Erst nach Jahren der Gewalt und der Zerstörung konnte der Hidschaz von seinen 'falschen Idolen' befreit werden. Und es wird noch viele Jahre dauern, ehe der Islam von seinen neuen falschen Idolen der Frömmelei und des Fanatismus befreit ist."
Das ist das Fazit, welches der US-iranische Autor Reza Aslan am Ende seines Buches "Kein Gott außer Gott" zieht. Doch für den Verfasser ist diese Erkenntnis kein Grund zur Bitternis. Vielmehr keimt aus ihr auch ein Stück Hoffnung hervor:
"Diese Befreiung wird kommen, die Reform ist nicht mehr aufzuhalten. Die Zeit der islamischen Reformation hat begonnen. Wir leben mitten in ihr."
Schon seit vielen Jahren fordern kritische Stimmen im Westen, die islamische Welt müsse einen Martin Luther hervorbringen. Denn genauso wie das Christentum stehe der Islam vor der Notwendigkeit, seine Dogmen zu überdenken und sich der Moderne anzupassen. Verschleierte, unterdrückte Frauen, gesteinigte oder körperamputierte Menschen, Zwangsscheidungen und Ehrenmorde passten genauso wenig in unsere Zeit wie unmündig gehaltene Massen, so die Kritiker. Reza Aslan teilt diese Meinung. Sein Buch "Kein Gott außer Gott" ist daher ein Plädoyer für diese Reformen. Doch die islamische Welt selber tue sich, so Aslan, noch schwer damit:
"Was heute in der muslimischen Welt stattfindet, ist eine innermuslimische Auseinandersetzung, kein Kampf zwischen dem Islam und dem Westen. Der Westen ist nur Zuschauer - das unachtsame, komplizenhafte Opfer eines Machtkampfes um die Frage, wer das nächste Kapitel in der Geschichte des Islams schreiben wird."
Um diese Spannungen verständlich zu machen, breitet Aslan die Geschichte des Islams aus. Er schildert das Entstehen der Urgemeinde in der Wüstenstadt Medina, unweit von Muhammads Geburtsstadt Mekka und zeigt, unter welchen dramatischen Umständen die Gemeinde im Laufe der Jahre nach dem Tod des Propheten zerbrach. Es kam zur "Fitna", dem ersten Bürgerkrieg in der islamischen Geschichte. Aus dieser ersten Spaltung, aus der die Sunniten und Schiiten hervorgingen, leiteten sich die weiteren Spaltungen ab.
Nicht weniger als heute ist dieser Konflikt aktuell. Dies alles vermittelt Aslan in sachkundiger, aber gleichzeitig unterhaltsamer und spannender Art. Denn der Autor hat nicht nur in Harvard islamische Theologie studiert, sondern besitzt auch einen Abschluss in Belletristik von der Universität Iowa in den USA. Daher vermischt er an vielen Stellen Fakten mit Fiktion und füllt seine Ausführungen mit Geschichten, Zitaten und kleinen Szenen. So entsteht für den Leser eine Idee davon, wie die Dinge sich in der arabischen Wüste vor mehr als tausendvierhundert Jahren abgespielt haben könnten.
"'O Prophet Gottes', sagte Abu Bakr, 'deine dauernden Bitten werden deinem Herrn lästig fallen; Gott erfüllt, was er dir versprochen hat.' Da stand Muhammad auf, rief seiner kleinen Schar zu, auf Gott zu vertrauen und dem Feind entschlossen entgegenzutreten."
Das Buch richtet sich in erster Linie an westliche Leser, die wenige Kenntnisse über den Islam haben. Für sie erklärt Aslan in verständlicher Weise die Themen, die jeden Durchschnittseuropäer beim täglichen Konsum der Nachrichten verwirren: Was ist der Dschihad? Müssen Frauen sich wirklich verschleiern? Welche Ideologie steckt hinter dem Wahhabismus?
Aslan möchte mit seinem Buch auch seine Glaubensbrüder- und schwestern ansprechen, denn der Islam ist eine moderne Religion. Die Agenda für Reformen lägen, so Aslan, bereits in der islamischen Urgemeinde verankert: Dort habe sich Muhammad als gadenloser Reformer erwiesen, indem er beispielsweise die Rechte der Frauen massiv gegen die wütenden Proteste seiner Geschlechtsgenossen verbesserte.
Aslan kritisiert in seinem Buch die Starrheit des Islam und das Unvermögen der Muslime, die von Muhammad eingeleiteten Reformen nach seinem Tod umzusetzen. Stattdessen hätte die geistliche Kaste des Islam, die Rechtsgelehrten, dafür gesorgt, die Traditionen so auszulegen, dass ihre Machtposition nicht gefährdet wurde. Erst in Reaktion auf den Kolonialismus besannen sich Intellektuelle und Geistliche auf den "Urgeist" des Islam und nahmen die Reformen wieder auf. Dabei kam es wiederum zu einer Spaltung unter den Muslimen.
Denn die einen wollten die Islamisierung ihrer Gesellschaften friedlich umsetzen. Andere dagegen wählten radikalere Mittel. Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA waren die logische Konsequenz. Die Spaltung innerhalb der muslimischen Gemeinde hält auch weiterhin an. So stellt sich für die Zukunft die Frage, wer in dieser innerislamischen Auseinandersetzung die Oberhand behält: Die friedlichen Reformer oder die gewaltbereiten Radikalen? Reza Aslan sieht in seinem Buch "Kein Gott außer Gott" hier deutliche Parallelen zur Geschichte des Christentums: Dieses habe fünfzehnhundert Jahre für seine Reformation gebraucht. Der Islam, vor tausendvierhundert Jahren in der arabischen Wüste entstanden, sei nun auch endlich in "sein" fünfzehntes Jahrhundert eingetreten.
So und um euch nicht vollends zu langweilen, schliesse ich das hiermit ab und frage euch: Was denkt ihr zum Thema? In welche Richtung wird sich die islamische Welt in den nächsten Jahren entwickeln und warum?