History Marketing - Gefälligkeitsliteratur?

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NMA
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History Marketing - Gefälligkeitsliteratur?

Beitrag von NMA »

Was ist History Marketing?

Hierzu zunächst ein älterer Beitrag von mir aus dem Strang Das Elend vieler Akademiker in Deutschland
"Wer sich mit dem, was er als Forscher denkt und tut, nicht grundsätzlich auch auf dem freien Markt positionieren kann, muss sich die Frage nach der Legitimation seines Tuns und damit nach der Berechtigung seiner Alimentierung durch die öffentliche Hand gefallen lassen.«"

... sagt der von mir hinsichtlich seiner Qualität als Lehrender hoch geschätzte Historiker Prof. Dr. Gregor Schöllgen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Gregor_Schöllgen

Er ist Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amts und er ist mitverantwortlich für die historische Ausbildung deutscher Diplomaten. Einen Namen gemacht hat er sich auch mit seiner "vielbeachteten" Biographie von Willy Brandt von 2003. Ferner war er schon einige Male Berater für historische Fernsehdokumentationen.

http://www.zag.uni-erlangen.de/
Klickt euch da mal durch!

Der Knackpunkt: "Wir recherchieren die Geschichte Ihrer Familie, Ihres Unternehmens oder Ihrer Organisation
und schreiben sie auf."



Schöllgen steht vor allem unter seinen Kollegen unter starker Kritik. Er ist der (m.E. nicht unberechtigten) Meinung, dass sich Institute, welche von der Gesellschaft alimentieren lassen, wenigstens ihre Möglichkeiten ausloten sollten, es wenigstens versuchen sollten(soweit in einem Gespräch mit uns in einer Lehrveranstaltung), auch etwas zu erwirtschaften. Das ist nicht für jeden Geschichtsprofessor selbstverständlich.

Es entspricht seiner zupackenden, offensiven Art, dass er sich dabei provokant ausdrückt: "Wir kapitalisieren Geschichte". Das hat etwas Beigeschmack, zumindest für einige illusionierte Studenten. "Schöngeistige" Wissenschaft, gewählt aus Idealismus, und "kapitalisieren", das irritiert im ersten Moment. Aber warum sollte sie das nicht dürfen?


"Ich zeige, dass auch ein geisteswissenschaftliches Institut vieles aus eigenen Mitteln stemmen kann." Ein Interview, in dem er erklärt, wie auch Studenten profitieren könnten.
http://www.zag.uni-erlangen.de/media/di ... aupten.pdf


Freilich steht er nicht nur bei seinen Fachkollegen an der FAU Erlangen in der Kritik:
http://www.zeit.de/2011/18/Schoellgen

Mit Erfolg macht man sich nicht nur Freunde, kontert er und postuliert, in der Sache kompetenter als seine Kritiker zu sein.
Fraglos wird er als überaus kompetent empfunden, insbesondere beim Thema deutsche Außenpolitik. Gleichzeitig empfand ich und viele meiner Kommilitonen ihn in der Lehre mit am Besten im gesamten Studium: Seine Vorlesungen und Seminare sind ausgesprochen kurzweilig!

Was haltet ihr davon? "History Marketing" betreibt bei Weitem nicht nur Schöllgen. Dieser aber offenbar überdurchschnittlich erfolgreich. Ich sehe das nicht unproblematisch, aber überwiegend positiv - unter der Voraussetzung, dass der Vorwurf der "Gefälligkeitsliteratur" ungerechtfertigt ist, was ich alleine nicht beurteilen möchte. Man studiert eben an einem Institut, dass sich bemüht. Das stärkt tatsächlich den Rücken.
Fragt sich nur, wie es läuft. Man setzt sich damit harscher Kritik aus, der man standhalten muss.

Den Strang habe ich aus aktuellem Anlass eröffnet:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/untern ... 28644.html

Wie ist eure Meinung dazu? Generell nicht machbar? Schwierig? Zu begrüßen? Notwendig?
Pulse of Europe
https://pulseofeurope.eu/de/
https://voltdeutschland.org/programm

Weniger Klimaschutz wird teurer als mehr Klimaschutz!
gingerfox

Re: History Marketing - Gefälligkeitsliteratur?

Beitrag von gingerfox »

New Model Army » Di 22. Okt 2013, 09:17 hat geschrieben:Wie ist eure Meinung dazu? Generell nicht machbar? Schwierig? Zu begrüßen? Notwendig?

Interessantes Thema, sehr gute und übersichtliche Darstellung. Muss mich erst noch einlesen, damit Du nicht ohne Resonanz bleibst, schon einmal eine spontane Meinungsäußerung: ich finde es gut. Begründung folgt ;)
cronos

Re: History Marketing - Gefälligkeitsliteratur?

Beitrag von cronos »

gingerfox » Do 24. Okt 2013, 09:10 hat geschrieben:
Interessantes Thema, sehr gute und übersichtliche Darstellung. Muss mich erst noch einlesen, damit Du nicht ohne Resonanz bleibst, schon einmal eine spontane Meinungsäußerung: ich finde es gut. Begründung folgt ;)
Als Beispielfür Gefälligkeitslitaratur:

1.) der deutsch-polnische Historiker Musial, für die Darstellung der Geschichte aus polnischer Sicht und damit auch der virulenten antisowjetischen Vorurteile in Deutschland.

2,.) der Historiker Götz Aly, der die Attraktivität von Büchern über das III.Reich wirtschaftlich zu nutzen weiß.

Es gibt aber nicht nur eine Gefälligkeits LITERATUR , es gibt auch Gefälligkeitsberichte im Fernsehen, ich erinnere an die heroisierende Darstellung von Erwin Rommel, der als einer der wenigen ehrenwerte Generale unter Hitler dargestellt wurde, real aber nicht nur ein Oportunist war, dasvielleicht noch verzeihlich, real aber ein Feigling war, als Militär aber unverzeihlich.
Zuletzt geändert von cronos am Samstag 2. November 2013, 13:48, insgesamt 2-mal geändert.
Haiopai
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Re: History Marketing - Gefälligkeitsliteratur?

Beitrag von Haiopai »

Auf Anhieb würde ich dem Ansatz des Historikers folgen, was er da fordert und praktiziert ist doch
auf anderen wissenschaftlichen Gebieten schon Gang und Gebe .

Man denke nur an das Frauenhofer Institut und die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg , welche
an der Entwicklung von MP3 beteiligt waren .
Das ist doch nichts anderes als was dort als History Marketing benannt wird .

Im Prinzip ist das auch zu begrüßen, wenn Wissenschaftler an Unis beweisen, daß sie den
praktischen Alltag beherrschen und nicht nur reine Grundlagen, sondern Dinge von Wert produzieren
können .
Mal abgesehen davon, daß dies der Finanzierung der betreffenden Einrichtungen gut tut und
ihnen über die Alimentierung hinaus eine finanzielle Eigenständigkeit verschafft .
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Tantris
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Re: History Marketing - Gefälligkeitsliteratur?

Beitrag von Tantris »

Haiopai » Sa 2. Nov 2013, 22:23 hat geschrieben:Auf Anhieb würde ich dem Ansatz des Historikers folgen, was er da fordert und praktiziert ist doch
auf anderen wissenschaftlichen Gebieten schon Gang und Gebe .

Man denke nur an das Frauenhofer Institut und die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg , welche
an der Entwicklung von MP3 beteiligt waren .
Das ist doch nichts anderes als was dort als History Marketing benannt wird .

Im Prinzip ist das auch zu begrüßen, wenn Wissenschaftler an Unis beweisen, daß sie den
praktischen Alltag beherrschen und nicht nur reine Grundlagen, sondern Dinge von Wert produzieren
können .
Mal abgesehen davon, daß dies der Finanzierung der betreffenden Einrichtungen gut tut und
ihnen über die Alimentierung hinaus eine finanzielle Eigenständigkeit verschafft .
Zunächst sollte man den schulunterricht kommerzialisieren, mit werbepausen, plakaten und beschallung.

Dann könnte man daran gehen, die universitäten an die wirtschaft zu verteilen. Physik etc könnte man an die reaktorwirtschaft verscheuern, die rechtsknaller sind sicher geneigt, die geschichte endlcih umzuschreiben und stipendien gehören verboten!
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