Die Libor-Bande
10.02.2013 · Nach und nach kommt heraus, mit welch krimineller Energie Banken über Jahre den Zins manipulierten. Jetzt wehren sich die Opfer.
Einer der größten Bankenskandale in der Wirtschaftsgeschichte steht kurz vor der Aufklärung. Betroffen ist fast jeder. Die großen Banken der Welt haben in einem beispiellosen Kartell über Jahre hinweg den Zins manipuliert, die wichtigste Stellgröße der Wirtschaft. Sie haben ihn mit üblen Tricks nach unten und oben getrieben - genauso, wie es ihnen gerade passte. Und keiner konnte sich ihrer Machenschaften entziehen. Während man bei Zertifikaten oder komplizierten Finanzprodukten immer noch selbst entscheiden kann, ob man sie kauft, entkommt der Macht des Zinses keiner.
Auch Leute, die von der großen weiten Finanzwelt wenig halten und nur ein Konto oder einen Hauskredit bei der Sparkasse haben, konnten leicht zum Opfer werden. Unmittelbar manipuliert wurden zwar lediglich die Bankenzinssätze Libor und Euribor. Das hatte aber Folgen für Sparkonten und Sparpläne, deren Zins an den Bankenzins gekoppelt ist, wie sie zum Beispiel Volksbanken und Sparkassen auch für Privatkunden anbieten. Und bei der Festlegung vieler anderer Zinsen dient der Bankenzins zumindest als Richtschnur. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Orientierung am Bankenzins sogar für die Dispo-Zinsen beim Girokonto bei der Sparkasse.
„Betroffen von der Manipulation war damit fast jeder“, sagt Bankenprofessor Hans-Peter Burghof. „Auch die Unternehmer. Das Kalkül für Investitionen wird verzerrt, wenn der Zins manipuliert wird.“Schließlich vergleicht der Unternehmer bei einer Investition immer: Welche Rendite bringt die Investition? Und welchen Zins bekomme ich, wenn ich das Geld am Kapitalmarkt anlege? Ist der Zins verfälscht, hinkt die ganze Rechnung.
„Organisierte Kriminalität“
Sogar in der Wissenschaft haben Professoren mit den gemauschelten Libor-Sätzen gerechnet. „Der Libor ist als Referenzzins in vielen Studien verwendet worden“, sagt Jan-Pieter Krahnen, Direktor des Center for Financial Studies in Frankfurt. Was soll man jetzt mit diesen Studien machen? Alle in die Tonne kloppen? So weit würde Krahnen nicht gehen: Gleichwohl ist das Entsetzen über die Manipulation in der Wissenschaft stark.
Die große Frage lautet: Wie war das überhaupt möglich? Und was hat die Banker motiviert?
Für drei große Banken haben die Aufsichtsbehörden dazu jetzt unglaubliche Berichte präsentiert: Mit der britischen Bank Barclays fing es an, dann kam die Schweizer UBS an die Reihe, vergangene Woche die Royal Bank of Scotland - und als Nächstes warten alle gespannt auf die Deutsche Bank.
Was dabei über das Verhalten der Banken herauskam, lässt Bankenprofessor Burghof von „organisierter Kriminalität“ sprechen. Um zu verstehen, wie man einen solchen Zins manipulieren kann, muss man das Verfahren betrachten, wie er entsteht. Der Libor wird weder von einer zentralen Stelle festgesetzt wie der Leitzins der Europäischen Zentralbank, noch kommt er am Markt durch Angebot und Nachfrage zustande. Er entsteht durch eine Art Umfrage bei großen Banken. Sie melden jeden Tag um elf Uhr an den britischen Bankenverband BBA, zu welchem Zinssatz sie sich Geld von anderen Banken leihen könnten. Aus diesen Meldungen wird ein Durchschnitt gebildet - der „Libor“, auf den sich dann Zinsen von Darlehen, Sparguthaben und Finanzprodukten überall auf der Welt beziehen.
Derivatehändler kungelten mit den Geldhändlern
Das Problem nun: Banken leihen sich heute nur selten ohne Sicherheiten noch Geld. Es gibt zu wenige reale Geschäfte, auf die sich die Meldungen für den Libor gründen können. Das schafft Ermessensspielraum - und Interessenkonflikte. Man kann gut tricksen, indem man Zahlen meldet, die einem gerade passen. „Der Libor-Zins lud zu Manipulation geradezu ein“, sagt Elke König, die Chefin der Bankenaufsicht Bafin. „Aus heutiger Sicht macht mich das sprachlos.“
Vor allem zwei Motive trieben Banker an, den Zins zu manipulieren. Das eine war der sogenannte „Schaufenster-Effekt“: Banken versuchten in der Finanzkrise durch die Meldung eines zu niedrigen Libor-Wertes den Eindruck zu erwecken, sie könnten sich günstiger Geld leihen, als das in Wirklichkeit der Fall war. Dadurch sollten Kunden und Konkurrenten glauben, die Lage der Bank sei besser, als sie damals war. „Low balling“ nennen die Banker dieses bewusste Nach-unten-Manipulieren. Gerade bei Barclays, aber auch bei der UBS spielte dieses Motiv eine Rolle. Das andere Motiv war die Habgier von Händlern, die den Zins manipulierten, weil es ihren Spekulationen gerade nutzte. Sie manipulierten den Zins nicht immer in eine Richtung, sondern mal nach oben, mal nach unten. Und machten Handelsgeschäfte für die Bank, von denen sie über eine Gewinnbeteiligung oder einen saftigen Bonus profitierten.
Insider schildern dieses Geschäftsmodell so: Derivatehändler deckten sich mit Wertpapieren ein, die man als Wette auf die künftige Entwicklung des Libor betrachten kann. Etwa Termingeschäfte auf den Drei-Monats-Libor. Diese Handelspositionen brachten ihnen Geld ein, wenn der Libor zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Höhe hatte.
Dann sprachen sich die Händler mit anderen ab - zunächst innerhalb der Bank. Die Derivatehändler kungelten mit den Geldhändlern - jenen Leuten, die jeden Tag die Libor-Meldungen machten.
2000 Manipulationsversuche zwischen 2005 und 2012
Als zweiten Schritt sprachen sich die Libor-Melder dann mit Kollegen aus anderen Banken ab. Das war offenbar ein Geben und Nehmen: Mal half der eine dem anderen, mal der andere dem einen. In einigen Fällen wurden auch Broker bestochen, die ihrerseits wieder anderen Banken zu niedrige oder zu hohe Zinssätze nannten.
Was waren das für Leute, die so was machten? Als extremes Beispiel wird in den Ermittlungsakten Tom Hayes genannt, ein 33 Jahre alter Händler der UBS in Tokio. Er war ein Star im Handelsraum und brachte seiner Bank Hunderte von Millionen Dollar ein. Für Hayes genügte ein winziges Rädchen, um gewaltige Summen zu bewegen: Er habe in einem Fall den Libor nur um 0,01 Prozent manipulieren müssen, damit seine Spekulationsgeschäfte einen Gewinn von 459.000 Dollar abwarfen, wird berichtet.
Davon machte er offenbar reichlich Gebrauch - und andere auch. Die Behörden jedenfalls kamen zu dem Schluss, zwischen 2005 und 2010 habe es bei der UBS mindestens 2000 Manipulationsversuche gegeben. Sie verdächtigen die Bank sogar, in dieser Zeit ausschließlich gefälschte Libor-Meldungen abgegeben zu haben.
Bei der Deutschen Bank hingegen, dem prominentesten Fall hierzulande, ist den Behörden vor allem die „French Connection“ aufgefallen: ein Ring von Händlern, die alle einen Bezug zu Frankreich hatten und sich deshalb auf Französisch verständigten. Das hatte für die Übeltäter den Vorteil, dass sie eine Zeitlang vor den automatischen Scan-Programmen der Aufsicht geschützt waren. Diese Programme durchkämmten Mails von Händlern in heiklen Bereichen auf alle Worte, die auf Manipulationen hindeuten. Allerdings nur auf Englisch. Es soll eine der ersten Reaktionen auf den Skandal gewesen sein, dass die Aufsicht mehrsprachige Suchprogramme einsetzte.
40 Millionen Euro Bonus
Einer, der zu dieser „French Connection“ gehört haben soll, ist Christian Bittar. Er war bei der Deutschen Bank in London ein „Rainmaker“, wie die Investmentbanker ihre toughen Stars nennen. In nur einem Jahr soll er seiner Bank durch Zinswetten satte 500 Millionen Euro eingebracht haben.
Der übermotivierte Händler der Deutschen Bank soll zusammen mit einem marokkanischen Kollegen von Barclays namens Philippe Moryoussef die Zins-Meldungen koordiniert haben. Bittar kannte Moryoussef von einer gemeinsamen Zeit bei der französischen Großbank Société Générale. Die zwei kommunizierten vor allem über einen Chatroom des Finanzdaten-Systems Bloomberg. Weitere Freunde der französischen Sprache aus englischen und französischen Banken machten mit - ein richtiger „Ring“ bildete sich, ein „Panel“.
Später gehörte Bittar zu den ersten, die im Zuge des Libor-Skandals die Deutsche Bank verlassen mussten - zusammen mit einem Kollegen. Stolze 40 Millionen Euro Bonus, die er eigentlich noch bekommen sollte, hält die Bank bis heute zurück. Mittlerweile arbeitet Bittar beim Hedgefonds Blue Crest in Genf. Zu den Vorgängen will er sich nicht äußern.
„Die French Connection wollte den Zins nicht manipulieren, um ihre Banken besser dastehen zu lassen“, sagt ein Insider. „Denen ging es nur darum, Geschäfte zu machen - und von ihrer Beteiligung an den Geschäften und einem höheren Bonus zu profitieren.“
[...]
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/w ... 57074.html