Raskolnikof hat geschrieben:(12 Jul 2017, 22:45)
Der technische Fortschritt begann nicht erst mit der Industrialisierung im 19. Jh. sondern bereits mindestens 6000 Jahre früher, als beispielsweise das Rad erfunden wurde. Seitdem ist es immer weiter gegangen. Der Mensch ist seit eh und je erfinderisch gewesen immer mit dem Ziel, die Arbeit zu erleichtern und das Leben angenehmer zu gestalten.
Viele Erfindungen konnten sich über Jahrtausende behaupten und wurden immer weiter perfektioniert, andere gingen gnadenlos unter. Für das Rad gibt es bis heute keine Alternative; selbst ein Flugzeug benötigt sie. Andere Erfindungen aber gingen wie gesagt gnadenlos unter, so z.B. der elektro-mechanische Fernschreiber, die Tonbandaufzeichnung, die analoge Fotografie, der Rechenschieber, die analoge Waage, der Videorecorder, der Plattenspieler, der Röhrenfernseher, das Röhrenradio und viele andere Erfindungen. Dass der Plattenspieler derzeit in gewissen Kreisen eine gewisse Renaissance erfährt ist nichts anderes als die Modeerscheinung einiger Exzentriker.
Erfindungen, die gerade verschwinden: die analoge Rundfunk- und Fernsehübertragung, die klassische Glühbirne, die analoge Telefonie...
Noch vor 30 Jahren hätte niemand gedacht, dass das klassische Radio einmal ausdient. Jetzt ist es langsam so weit. Die analoge Übertragung ist dem Tot geweiht. In wenigen Jahren wird mit einem normale UKW-Radio nichts mehr zu hören sein. DAB und Internetradio sind die Zauberwörter. Auf Kurzwelle ist fast alles tot. Morsetelegrafie betreiben nur noch Amateurfunker, die Kommunikation mit den Schiffen auf den Weltmeeren geschieht via Satellit. Küstenfunkstellen wie Norddeich Radio oder Elbe-Weser Radio sind längst Geschichte. Vor 30 Jahren hätte das niemand für möglich gehalten.
Als Mitte der 1980er Jahre das Mobiltelefon salonreif wurde und Nokia die ersten Geräte für erschwingliche Preise für Otto Normalverbraucher zu Millionen auf den Weltmarkt warf lächelten fast alle "Alten" dieser Welt und meinten, dass derartiges Kinderspielzeug kein Mensch braucht. An die Zukunft des Mobiltelefons glaubten nur die Entwickler und die Jugend.
Und wie sieht es heute mit der Mobilfunktechnik aus? Finnland hat eines der best ausgebauten Mobilfunknetze Europas. Dort wird kein Cent mehr in den Erhalt der analogen Telefonleitungsnetze gelegt. Dort soll innerhalb der nächsten 10 Jahre das analoge Telefonnetz abgeschaltet werden. Dann funktionieren da nur noch Handys bzw. Smartphones.
Die "Erfindung" des Geldes hat den früheren Tauschhandel abgelöst. Das war auch gut so. Über Jahrhunderte war das Geld in Form von bedrucktem Papier und geprägten Münzen bis heute ein optimales Tauschmittel... bis heute. Dieses Tauschmittel wird nun ebenfalls von einer neuen Erfindung oder besser einer neuen Technik eingeholt, dem Kartengeld. Eigentlich ändert sich damit gar nichts. Bezahlt wird eben nur nicht mehr bar sondern unbar. Dem Gläubiger wird ein fälliger Geldbetrag einfach direkt seinem Konto gutgeschrieben. Bargeld wird zunehmend vollkommen überflüssig und ist es in den meisten Situationen des täglichen Lebens schon. Es dürfte wohl landesweit keinen einzigen Supermarkt, Discounter, Kaufhaus, Baumarkt und andere Geschäfte für tägliche Bedarfsartikel geben, in denen nicht mit Kartengeld bezahlt werden kann. Die letzten vielleicht zwei Prozent aller Geschäftleute wie Bäckereien, Friseure, Marktleute und Kioskbetreiber rüsten derzeit ebenfalls technisch auf.
Auch an die Möglichkeit innerhalb der Familie oder des Freundeskreises Geldbeträge unbar jemanden zukommen zu lassen wurde bereits gedacht. Entsprechende Apps die die Banken ihren Kunden kostenlos zur Verfügung stellen oder die frei im Netz verfügbar sind machen den Geldtransfer einfach über die Telefonnummer möglich. Ein Kartenlesegerät ist da nicht erforderlich. Bereits wenige Sekunden nach der Transaktion erhält der Geldempfänger die Mitteilung, dass ein bestimmter Geldbetrag von xy eingegangen ist. Ein Klick auf ein Dankeschön-Smilie, das wars. Wo ist da der Unterschied zum schnöden Weiterreichen eines Fetzen Papier?
Einziges Problem ist vielleicht die Umgewöhnung an dieses neue Bezahlform. Und je älter ein Mensch ist und je eingefahrener bestimmte Verhaltensformen sind desto schwerer fällt die Umgewöhnung (siehe Handynutzung). Anders verhält es sich aber bei Menschen, die mit einer neuen Technik von Kindheit an aufwachsen. Im Klartext: Wer kein Bargeld kennenlernt wird solches auch nicht vermissen. Und wenn einem Menschen, der 20 Jahre ausschließlich mit Kartengeld bezahlt hat (weil es nichts anderes gibt) und dann plötzlich mit einer neuen Erfindung "Bargeld" bezahlen soll wird der die Welt für bekloppt halten.
Man kann jetzt natürlich lange darüber diskutieren und auch wie schokoschendrezki philosophieren, ob denn jedes neu erlangte Wissen in die Praxis umgesetzt werden und als technischer Fortschritt gefeiert werden muss. Aber wozu soll denn z.B. universitäres Wissen und Forschen dienen, wenn das erlangte Wissen nicht in die Praxis umgesetzt wird? Sicher gibt es da Grenzbereiche da sage auch ich, dass es vieleicht besser gewesen wäre, die Büchse der Pandora wäre nicht geöffnet worden. Aber das sind dann Erfindungen die beispielsweise dazu dienen, Menschen zu vernichten. Und das sehe ich bei der Abschaffung des Bargeldes eben nicht. Den Verlust von Arbeitsplätzen sehe ich schon. Aber den haben bisher viele Erfindungen gebracht. Anderseits sind durch die Einführung neuer Technologien aber auch wieder ganz neue Arbeitsplätze geschaffen worden.
Ich hatte in einem von einem Moderator gelöschten Beitrag die Amish People erwähnt, eine Glaubensgemeinschaft, die jeden technischen Fortschritt ablehnt und deren Mitglieder in abgelegenden ländlichen Gemeinschaften, überwiegend in den USA, wie vor 300 Jahren leben. Aber auch diese Menschen haben große Probleme, was den Zusammenhalt ihrer Lebensgemeinschaften betrifft. Auch sie wollen zunehmend auf viele Annehmlichkeiten des täglichen Lebens, die uns allen vertraut und selbstverständlich sind, nicht mehr verzichten müssen. Und so kommt es, dass sich die Amish People langsam die Frage stellen müssen, ob sie von ihrem harten Kurs des Verzichts abkehren müssen, um die zu beobachtende Abkehr der Jugend hinüber in die moderne Welt zu verhindern. Ein Zugeständnis ist da bereits das Telefon. Allerdings gibt es da zwischen den einzelnen Lebensgemeinschaften Unterschiede.
Ich sehe da Parallelen zu unserer Gesellschaft. Der technische Fortschritt ist nicht aufzuhalten und wird auch wider jeder Vernunft niemals enden. Wir können alle nur froh sein, dass wir von dieser Spirale nur einen winzigen Teil mittragen bzw. miterleben und davon profitieren dürfen. 300 Jahre technischen Fortschritt würden wir wohl kaum ertragen. Wahrscheinlich würden wir uns auch in sektenförmigen Gemeinschaften zurückziehen und der "guten alten Zeit" nachtrauern.
Da ist doch wohl die Abkehr von Bargeld pillepalle. Jede Epoche neigt sich mal dem Ende zu und wird Geschichte. So wird das in naher Zukunft auch mit dem Bargeld passieren. Wer das verleugnet oder nicht glaubt verleugnet wohl auch Darwin und seine Evolutionstheorie und glaubt stattdessen an den sechsten Tag der Schöpfungsgeschichte.
Ach ja, noch etwas speziell für PD: Ich weiß nicht, wie du immer wieder darauf kommst, dass hier irgend jemand die Meinung vertritt, dass die Abschaffung des Bargeldes irgendwann durch Regierungsbeschluss erfolgt. Das hat hier doch niemand prophezeit! Es wird ganz anders laufen. Der gesellschaftliche Wandel und die Möglichkeiten der weiter voranschreitenden Digitalisierung werden das Bargeld völlig überflüssig machen. Das Verhalten der Verbraucher wird also das Bargeld abschaffen in Form eines ganz natürlichen unspektakulären Prozesses. Natürlich wird es auch in 100 Jahren noch Nostalgiker geben, die sich mit Bargeld umgeben werden: Münzsammler z.B. Beispiel Finnland. Da sind nach der Euro-Umstellung 1 und 2 Cent Münzen erst gar nicht in Umlauf gekommen. Trotzdem werden diese kleinen Münzen dort immer noch geprägt, sogar Sonderprägungen. Nur bezahlen kann man damit in Finnland nicht.