Gut, nachdem es hier nun mal wieder ein wenig gemenschelt hat, widmen wir uns doch mal einer wissenschaftlichen Stellungnahme zur Zukunft der Pandemie. Diese Stellungnahme von CIDRAP (
https://www.cidrap.umn.edu/sites/defaul ... art1_0.pdf) ist sehr gut dazu geeignet, noch einmal auf ein paar Grundlagen einzugehen und gleichzeitig einige Szenarien zu diskutieren.
Das "Center for Infectious Disease Research and Policy" (CIDRAP) hat sich in einem Beitrag dazu geäußert, wie es mit der Pandemie weitergehen
könnte. Die Autoren stellen gleich zu Beginn fest, dass sie damit nicht irgendwie geartete Glaskugelei betreiben wollen, sondern anhand vergangener Erfahrungswerte mit Influenza-Pandemien, mögliche Szenarien (nicht Prognosen) aufzeigen wollen.
Seit den frühen 1700er Jahren habe es mindestens acht globale Influenza Pandemien gegeben, von denen vier seit Beginn des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben. Konkret gemeint sind die Pandemien 1918-19, 1957, 1968 und 2009-10. Indem man sich diese genau anschaue und analysiere, sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Covid-19 herausarbeite, könne man plausible Szenarien entwickeln.
Worin liegen denn nun Gemeinsamkeiten zwischen SARS-CoV-2 und bekannten Influenza-Pandemien? Die wichtigste Gemeinsamkeit (und das unterscheidet sowohl neuartige Influenza-Pandemien als auch das neue Coronavirus von der saisonalen Grippe) besteht darin, dass es eben ein neu auftretendes Virus ist, dessen Eigenschaften zu Beginn unbekannt sind und gegen die keine Immunität in der Weltbevölkerung vorliegt.
Dies ermöglicht beiden eine rasche Ausbreitung (auf die jeweilige Basisreproduktionszahl kommen wir noch zu sprechen) und das Potenzial
für die Durchseuchung größerer Teile der Weltbevölkerung. Außerdem werden beide Krankheiten vor allen Dingen durch Tröpfcheninfektionen
übertragen. Die asympomatische Übertragung spielt bei der Grippe ebenso eine große Rolle wie bei Covid-19.
Einen wichtigen Unterschied können wir nun auch bei eben dieser asymptomatischen Übertragung beobachten. Während die durchschnittliche Inkubationszeit für Influenzaviren bei zwei Tagen liege (innerhalb einer Spanne von 1 bis 4 Tagen), beträgt diese bei Covid-19 5 Tage (innerhalb einer Spanne von 2 bis 14 Tagen). Diese deutlich längere Inkubationszeit, zusammen mit der asympomatischen Übertragung und den leichten Verläufen bei vielen Patienten, wird als die Hauptursache für die "stille" und rasche Verbreitung angesehen. Der Anteil an völlig symptomlosen
Verläufen wird auf 25 Prozent geschätzt.
Mit der Basisreproduktionszahl und der Nettoreproduktionszahl sind wir alle ja nun schon vertraut, deshalb setzte ich dieses Konzept mal
als gegeben vorraus. Betrachten wir einmal die Basisreproduktionszahl vergangener Influenza-Pandemien. Die wissenschaftliche Literatur gibt für die Pandemien von 1918 und 1968 jeweils einen Wert von 1,8 an, 1,65 für jene von 1957, sowie 1,46 für die Schweinegrippe-Pandemeie. Bei einer saisonalen Grippe wird im Schnitt ein R0 von 1.27 ermittelt. Die Basisreproduktionszahl von SARS-CoV-2 wird bekanntermaßen auf mindestens 2,5 geschätzt, was deutlich höher ist.
Was hat es nun mit dem saisonalen Muster einer Grippepandemie auf sich? Können wir hier ein klares Muster erkennen? Die Autoren verneinen dies. Zwei davon begannen im Winter, drei im Frühjahr, eine im Sommer und zwei im Herbst. Sieben hatten einen frühen Höhepunkt, liefen aber ohne nenneswerte menschliche Intervention von selbst aus. Danach hatte jede dieser sieben einen zweiten Höhepunkt, der etwa 6 Monate nach dem ersten Höhepunkt eintrat. Nur die Pandemie von 1968, folge einem klassischen saisonalen Grippe-Muster.
Auch die Autoren dieser Studie gehen von einer Herdenimmunität ohne Impfstoff erst ab einer kritischen Schwelle von 60-70%
der Bevölkerung aus, basierend auf der leichten Übertragbarkeit der Krankheit.
Zum Schluss entwickeln Sie drei Szenarien, wie es mit der Pandemie weitergehen könnte.
Szenario 1: Auf die erste COVID-19-Welle im Frühjahr 2020 folgt eine Reihe sich wiederholender kleinerer Wellen, die sich über den
Sommer und dann konsistent über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren wiederholen und irgendwann im Jahr 2021 allmählich abklingen.
Das Auftreten dieser Wellen kann geografisch unterschiedlich sein und davon abhängen, welche Maßnahmen zur Eindämmung
getroffen werden und wie diese gelockert werden.
Szenario 2: Auf die erste Welle von COVID-19 im Frühjahr 2020 folgt eine größere Welle im Herbst oder Winter 2020 und eine oder mehrere
kleinere Folgewellen im Jahr 2021. Dieses Muster erfordert die Wiedereinführung von Eindämmungsmaßnahmen im Herbst, um die Ausbreitung von Infektionen einzudämmen und zu verhindern, dass die Gesundheitssysteme überfordert werden. Dieses Muster ähnelt dem, was bei der Pandemie 1918-19 beobachtet wurde. Auch die Pandemie von 1957-58 folgte einem ähnlichen Muster. Aufeinanderfolgende, kleinere Wellen traten noch mehrere Jahre lang auf.
Scenario 3: Auf die erste Welle von COVID-19 im Frühjahr 2020 folgt eine anhaltender Übertragung und Auftreten von
Fällen auf kleinem Niveau, jedoch ohne ein klares Wellenmuster. Dieses Muster wurde bei früheren Grippepandemien nicht beobachtet
bleibt bei aber COVID-19 eine Möglichkeit.
Die Autoren halten es für wahrscheinlich, dass SARS-CoV-2 weiterhin zirkuliert und sich zu einem saisonalen Muster entwickelt, wie dies früheren pandemischen Grippeviren der Fall war. Es wird deutlich, dass es sich bei Szenario 2 um den Worst-Case handelt, welcher dann besonder hart zuschlägt, wenn ein Impfstoff nicht gefunden wird oder sehr lange auf sich warten lässt.
Unabhängig von Interventionen und Maßnahmen muss also davon ausgegangen werden, dass die Pandemie mindestens 18 bis 24 Monate anhält.