Woppadaq » So 10. Jun 2012, 11:48 hat geschrieben:
Schon mal daran gedacht, dass viele ehemalige DDR-Bürger die jetzige Gesellschaftsform, martialisch "Freiheit" genannt, als mentales Gefängnis betrachten?
Sie sollen sich für 40 Jahre "Verirrung" schämen, sie sollen nicht über zu geringe Löhne, den täglichen Arbeitskampf (denn das ist er bisweilen, im Vergleich zu früher), über steigende Preise, die Schliessung ihrer Arbeitsstätten und die totale Ausrichtung des ganzen Lebens unter dem Profitstreben irgendwelcher ominöser Leute "da oben" aufregen, weil sie doch nun gelernt haben müssten, dass dieser ganze linke Mist (es kommt aus dem Osten, also ist es links), den sie wollen, keinen Profit bringt, die Freiheit gefährdet, in Unterdrückung endet bliblablub...
Zu DDR-Zeiten sollten wir die Klappe halten, heute auch. Und während wir täglich um unsere Jobs zittern, sollen wir bitte schön ein selbstbestimmendes Freiheitsgefühl entwickeln.
Also lass es mich vollkommen freiheitlich selbstbestimmt sagen: man konnte in der DDR leben. Man konnte dort sogar glücklich werden. Viele Probleme, die man heute hat, hatte man damals nicht, dafür hatte man andere Probleme, und die waren irgendwann so schlimm, dass sich viele Leute von ihrem Staat trennten, als sie es konnten.
Manche verstehen hier nicht, dass mit dem Untergang der DDR für viele auch ein Stück Heimat vernichtet wurde, egal wie gut oder schlecht dieses Stück im Vergleich zu irgendeiner westlichen Protzheimat nun war.
Irgendwie hast Du Recht. Die Umstellung und Anpassung war verdammt hart für Euch. Einige sind sehr weich gefallen, andere haben heute noch daran zu knabbern. Aber Deine Heimat hast Du doch behalten. Nur die Etablierten, die Bestandteil des Systems waren, vermissen allerdings die Vorteile, auch die gesellschaftlichen. Es kann doch nicht sein, dass man sich mit Menschenhandel (Strauss), mit Unfreiheit und politischen Druck und Bevormunden abfinden konnte. Es sei denn ......... Ich war auch ein DDR-Kind und bin mit meinen Eltern im Rahmen einer Familienzusammenführung ausgereist. Ich weiss wie es abgelaufen ist, auch über meine verbliebenen Verwandten. In den 50er/60er Jahren wusste man im Westen so gut wie gar nichts von der DDR. Als ich im Westen in die Schule kam, dachte man, ich käme von einem anderen Stern. Zumindest war das mein Gefühl. Mit dem Erwachsenwerden hatte ich sofort Boden unter den Füssen und bereits sehr jung ein Haus gebaut und eine Familie gegründet, die in Freiheit leben konnte. Ich habe nichts bereut und nichts vermisst. An anderer Stelle habe ich folgenden Bericht zur die DDR verfasst. Denke mal darüber nach.
In der ehemaligen DDR waren sämtliche "Untaten" Teil des System. Kinder von "Rübergemachten", dass war der Sprachgebrauch für politische Flüchtlinge, wurden von "Linientreuen" adoptiert. Das was Mielke mit der Stasi angerichtet hat, ist hinlänglich bekannt und wird nicht in Vergessenheit geraten. Schlimmster menschenverachtender Umgang mit Landsleuten, die politisch anderer Meinung waren, Gefängnis, Folter, Tod und Verfolgung, bis in den Westen. Die DDR soll dann kein Unrechtstaat gewesen sein. Es gibt einen geheimen Spruch: Wenn Du ein sehr selbstbewussten ehemaligen Ostbürger triffst, dann war das entweder ein politisch Etablierter oder ein IM. Die Stillen und Unterdrückten, sind auch heute noch zurückhaltend und verunsichert, nach 20 Jahren. Leider muss man feststellen, dass die "Alte Garde" dabei ist ihr Jungvolk zu verklären und in die falsche Richtung zu lenken. Was nützt es da, dass jährlich 100 Milliarden Subventionen in die Neuen Länder fliessen?
Leider wird das alles, gerade in den "Neuen Ländern" nicht nur nicht aufgearbeitet, sondern verschwiegen und verdreht. Die ewigen Gestrigen möchten gern alles beschönigen. Dabei wäre ehrliche Aufarbeitung das wichtigste für unsere Gesellschaft. Über Parteien, wie die Linke, die in der Verantwortung steht und auf die ihr eigene Art und Weise erneut zur Volkspartei des Ostens geworden ist, erreicht das nur durch Verklärung und Verfolgung altbekannter Ziele. Beängstigend, Beschämend. Wo bleiben die mündigen Ostbürger, lassen sie sich immer noch am Nasenring durch das Land führen.
Im Westen ist längst nicht alles Gold was glänzt, aber es gibt Freiheit und jeder kann sagen was er will. Vergesst im Osten nicht, wie einige für Freiheit ihr Leben geopfert haben und wie viele sich vom Osten abgewandt haben.