Thomas I hat geschrieben:
Ein starker Nationalismus mag für die Modernisierung eines Staates eine gewisse Zeit lang hilfreich sein - auf Dauer aber kann er auch mehr Schaden als Nutzen, man schaue sich hierzu nur die Geschichte der europäischen Mächte an, nicht zuletzt die Geschichte Deutschlands. (Aus gutem Grund versuchen wir ja heute auch nicht mehr die politischen Vorstellungen derjenigen die 1870 unseren Staat gegründet haben 1:1 umzusetzen oder?)
Wenn die AKP der Inbegriff des islamischen Drucks auf die türkische Politik st, sind dann CDU/CSU der Inbegriff des christlichen Drucks auf die deutsche Politik?
Eine zunehmende Islamisierung in Armenien, Azerbeidschan, Georgiern, Griechenland, Bulgarien oder Syrien kann ich im übrigen nicht feststellen, selbt im Nord-Irak ist so eine nicht festzustellen - und der Iran ist ja nun schon fast 30 Jahre Maximal-islamisiert.
Einen vermehrter Druck diesbezüglich auf die Türkei sehe ich auch nicht.
Das einzige was die Türkei zereisst ist die Minderheitenfrage, nicht die Religionsfrage. Und in der Minderheitenfrage ist die AKP eher zu Zugeständnissen bereit, das passt den Hypernationalisten nicht und deswegen attackieren se die AKP mit der Religionsfrage...
Zur Kenntnis genommen. Um wirklich stichhaltig dagegen zu argumentieren fehlen mir die notwendigen Kenntnisse zur allgemeinen politischen Lage in der Türkei. Diese Betrachtung der AKP als zu Unrecht von "Hypernationalisten" als islamistische Partei diskreditierte erscheint mir aber doch einwenig fadenscheinig. Gerade im Hinblick auf ihren Parteichef, seiner Haft und dem bekannten Zitat "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unserer Helme und die Gläubigen unsere Soldaten". Islamistischer geht es kaum.
Mit islamischen Druck meinte ich auch eher das allgemeine Erstarken der Religiösität in der islamischen Welt, gerade des politischen Anteils des Islam (du nennst es wahrscheinlich Islamismus).
Thomas I hat geschrieben:
Keine dieser Gruppen hat annähernd eine Größenordnung wie die Kurden in der Türkei.
Du meinst nicht dass die Leute nicht auch andere Vorstellungen haben aber die Auswahl doch etwas begrenzt ist?
Könnte eine Partei in der Türkei z.B. offen für Autonomie für die Kurden eintreten, die AKP wäre jetzt nicht alleine an der Regierung.
Sind Kurden und ihre absolute Anzahl nun ausschlaggebend für die Betrachtung der herrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen in der Türkei, weil diese sich stark von den der Türken unterscheiden?
Soweit ich weiß unterscheiden sich die Grundsätze auch nur marginal von denen anatolischer Türken. Nur mit dem Unterschied, dass sie das gern in einem eigenen Nationalstaat für sich bewerkstelligen wollen.
Thomas I hat geschrieben:
Du hast wohl noch nie mit christliche Fundamentalisten zu tun gehabt? Was die für ein Gesellschaftssystem wollen ist genauso entgegengesetzt zu dem welches wir haben wie das was Islamisten wollen.
Und dass die Rechts- und Linksextremisten ein Gesellschaftssystem wollen das mit dem heutigen im Prinzip NICHTS gemein hat, möchtest du jetzt nicht ernstlich bestreiten oder?
Also versuche hier nicht solche Bestrebungen nichtmuslimischer Kreise zu negieren und zu verharmlosen sondern beantworte meine Frage:
"Es leben derzeit etwa 2,4 Mio. Personen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland - wobei da die Kurden türkischer Statsbürgerschaft enthalten sind.
2 Mio. Fundamentalistische Katholiken oder 2 Mio Deutsche die sich zu rechtsextremen gesellschaftlichen Vorstellungen hingezogen fühlen gibt es fraglos auch.
Die gesellschaftlichen Vorstellungen der Mehrheit der Deutschen und gewisser rechtslastiger oder katholisch-fundamentalistischer Kreise in diesem Land sind sicher auch nicht in Einklang zu bringen - siehst du da auch die Gefahr eines Bürgerkrieges?"
Und wenn es geht auch mit einer Begründung warum du nur von Islamisten eine Bürgerkriegsgefahr ausgehen siehst, nicht aber von Links- und Rechtsextremisten (deren Zahl gewaltbereiter Anhängr größer ist als der Islamisten hierzulande!) und Fundi-Christen.
Rechts-/Linksextremisten und Kampfkatholen haben in Deutschland wenig erfolgreiche politische Vertretungen. Das allein sagt einem schon, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen nicht soweit abweichen, das demokratische Teilhabe unmöglich ist. Sie bewegen sich noch halbwegs innerhalb des Systems. Aufgrunddessen sinkt nebenbei auch die Bereitschaft zur erforderlichen Militanz.
Keine der genannten Gruppen kommt für seperatistische Bestrebungen in Frage, weil es trotzdem auch Deutsche sind.
Christen neigen schon aufgrund ihres Glaubens wenig zur für einen Bürgerkrieg erforderlichen Militanz.
Alle drei Gruppen würden keinerlei internationale Anerkennung für bewaffneten Widerstand finden und daher auch keine Unterstützung. Im Gegenteil, ein solches Vorgehen würde vermutlich Unterstützung für das bestehende System hervorrufen.
Rechtsextremisten werden soweit überwacht das jegliche Militanz schon im Keim erstickt werden würde, Linksextremisten läßt man sich austoben.
Das ist das Erstbeste, was mir zu der Frage, warum von Links-/Rechts- und christlichen Extremisten kaum oder nur eine geringe Gefahr eines Bürgerkriegs ausgeht, einfällt.
Den Vergleich zu "Islamisten" kann und darf ich nicht ziehen, da ich nicht bereit bin, unzulässigerweise zwischen "Islamisten" und Moslems zu differenzieren und mir von der hiesigen Moderation garantiert wieder Hetze und Beleidigung unterstellt wird. Stell dir einfach vor jedem dieser Punkte würde ein Satz folgen wie "Im Gegensatz dazu...".
Thomas I hat geschrieben:
Die Gleichberechtigung ist ein sehr grundsätzlicher Wert. Nicht ohne Grund steht sie schon im zweite Artikel unserer Verfassung.
Ohne Gerichtsentscheidungen hätten wir heute ja nicht mal Gleichberechtigung von Mann und Frau. (In weite Kreisen der CSU/CDU tut man sich damit ja immernoch schwer, siehe die Debatte ums Elterngeld!)
Ich im übrigen auch, weil ich das für reichlich übertrieben halte was hier mittlerweile alles unter "Gleichberechtigung" fällt. Ich schrieb vorher nicht ohne Grund "Gleichstellung" und nicht Gleichberechtigung. Von zweiterem halte ich sehr viel und erkenne es auch als grundsätzlichen Wert an, erstes lehne ich vollständig ab (Quoten, AGG, etc). Und bevor du fragst: Nein, ich stelle in diesem Fall meine Privatmeinung hier nicht zur Diskussion. Wenn ich das tun wollte, wäre ich sehr viel aktiver im Gesellschaftsforum, also versuch erst gar keine Diskussion darüber zu starten.
Der Punkt war aber, dass diese Werte kein den nationalen Verfassungen übergeordnetes Recht sein sollen, sondern sich die Unionspartner mit der Zugehörigkeit zur Union an diesen Werten zu orientieren haben, die Gesetzgebung in diesen Fragen aber Sache der einzelnen Nationalstaaten ist und nicht wie heute vor einem europäischen Gerichtshof als letzte Instanz einklagbar. Wie gesagt ich wünsche mir eine EU, die ein wirtschaftliches und diplomatisches Bündnis ist.
Thomas I hat geschrieben:
Das bei Staaten in denen Plebiszte nicht so normal sind wie in der Schweiz die Bürger dazu neigen wenn mal eines stattfindet denen "da oben" duch ein Nein eins "Reinzuhauen" ist kein unbekanntes Phänomen.
Ich wäre auch dafür die Iren aus der EU zu werfen. Dürfte ein lehrreiches Exempel werden für alle diejenigen die immernoch nationale Lösungen propagieren.
Wo wäre Irland denn entwicklungsmäßig heute ohne die EU? Irgendwo zwischen Rumänien und Albanien. Und jetzt wo man selber etwas beitragen müsste zur Entwicklung anderer mault man. Das erinnert so ein bißchen an jemanden der auf Kredit sich ein tolls Haus gebaut hat und sich nun weigert auch die Raten zu zahlen...
Mal davon abgesehen, dass ich noch nie davon gehört habe, dass europäische Fördergelder die geförderten Nationen dazu verpflichten, eine ihrer eigenen Verfassung übergeordnete Verfassung/Vertrag ohne wenn und aber zu akzeptieren, zeigt sich hier ein grundsätzliches Problem der EU: mangelnde demokratische Legitimation und regelrechte Demokratiefeindlichkeit.
Egal welche Grundlage ein Mehrheitsentscheid gegen diesen "Reformvertrag" hat, selbst wenn es sich um die zu lange Nase eines EU-Kommissars handelt oder eben Undankbarkeit, dann ist diese von den Regierenden zu akzeptieren. Ohne wenn und aber. Und ich empfinde es als eine Frechheit sondergleichen, dass gerade uns Deutschen, wo unsere Verfassung gerade mal durch einen parlamentarischen Rat legitimiert ist, die Chance verwehrt wurde, über eine Verfassung abzustimmen, die auch für uns gilt.