Drittens und letztens:
Vongole hat geschrieben: ↑Sonntag 17. Oktober 2021, 16:32
Ja, ich zähle ganz sicher zu den "Verdächtigen", die Juden glauben, wenn sie von Antisemitismus berichten.
Und sollte sich herausstellen, dass das bei Ofarim nicht der Fall war, wird sich für mich an dieser Haltung nichts ändern.
Das ist das, was alle Menschen tun. Denen aus der eigenen Gruppe, der man sich verbunden und zur Loyalität verpflichtet fühlt, zu glauben. Das ist evolutionär wichtig für den Fortbestand der eigenen Gruppe gewesen, und das Prinzip gilt auch für den kulturellen Bereich. Es ist nichts daran auszusetzen. Allerdings gehört dazu eben auch die (moralfrei gesprochen) implizite Diskriminierung desjenigen, der nicht dazu gehört. Das waren in diesem Fall der Manager und der Hotelbetreiber, zu deren Lasten das ging.
Genau nach diesem Prinzip, den Aussagen eines Mitglieds der eigenen Gruppe stärker zu vertrauen als der Aussage eines Fremden, verfahren auch die Muslime, bei denen die Mitglieder der Umma vertrauenswürdiger sind als die Nichtmitglieder. Und da bei der Größe der Umma immer eine Diskriminierungsgeschichte verfügbar ist, kann man das unter diesem Aspekt (wiederum ganz moralfrei gedacht) sogar rechtfertigen. Ergebnis: In einer deutschen Stadt rennen ein paar tausend Muslime und ihr Freundeskreis auf die Straße, um unter Verdrehung von Täter und Opfer gegen Juden und fürs Kalifat zu "demonstrieren".
Die Idee der Aufklärung war der Versuch, den Menschen aus diesem identitären Gruppendenken zu befreien. Wahrscheinlich war es bloß eine schöne Illusion. Das evolutionäre Erbe sowie das traditionelle und neue identitäre Denken sorgen dafür, dass die Mechanismen, die man überwinden wollte, wirksam bleiben. Die Idee der Unschuldsvermutung basiert auf der Idee der Überwindung solcher Mechanismen. Mit besagtem "Erfolg".
Fazit: Den eigenen Leuten mehr zu glauben als fremden ist natürlich und nicht verwerflich. Solange es im Streitfall nicht von vornherein zu Lasten eines Beschuldigten geht. Wenn es 1.000 Fälle von Antisemitismus vor Ofarims Anschuldigung gab, erklärt das zwar neben der eigenen Sympathie auch die rationalen Gründe, weshalb man ihm Glauben schenkte. Aber es legitimiert nicht, beim 1.001. Mal die Unschuldsvermutung sausen zu lassen. Sie immer zu beachten, auch gegen alle Vermutung und Wahrscheinlichkeit, ist der Sinn der Unschuldsvermutung, die ein wichtiger Bestandteil demokratischen Rechts ist.