Tom Bombadil hat geschrieben: ↑Freitag 3. November 2023, 10:20
[...]Ein Rechtssystem, das den Täter in Watte packt ist für mich nicht liberal, sondern zeigt gut die Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit auf.[...]
Das Einhalten rechtsstaatlicher Standards stellt m.E. keine "Kuscheljustiz" dar.
Tom Bombadil hat geschrieben: ↑Freitag 3. November 2023, 10:20
Und wenn dann neue Beweise auftauchen, die einem mutmaßlichen Täter die Tat nachweisen können, dann muss man das auch in Betracht ziehen, auch wenn man den armen mutmaßlichen Täter erneut "belastet".
[...]
Nein.
Und das ist gut so. Bei Kapitalverbrechen tritt die Verjährung erst spät (z.B. Totschlag nach 20 Jahren) oder auch gar nicht ein (bei Mord).
DIe Staatsanwaltschaft hat also Zeit, sorgfältig zu ermitteln. Sie muß grundsätzlich abwägen, ob eine Verurteilung wahrscheinlich ist und sollte nur dann Anklage erheben. Sowohl, um mit ihren eigenen Ressourcen schonend umzugehen, als auch, weil ein rechtskräftiges Urteil in der Sache eine erneute Strafverfolgung in derselben Sache grundsätzlich ausschließt. In einem Rechtsstaat muß der Bürger auf die abschließende Wirkung rechtskräftig ergangener Urteile vertrauen können. Ausnahmen gab es schon vor der Novelle, etwa in dem Fall, daß Richter, Zeugen oder Gutachter bestochen waren. Das erscheint durchaus logisch.
Tom Bombadil hat geschrieben: ↑Freitag 3. November 2023, 10:20
Jemand, der keine Straftaten begeht, hat in D nur sehr wenig zu befürchten, selbst mehrfach vorbestrafte Intensivtäter kommen oft nochmals mit einer Bewährungsstrafe davon, deswegen gibt es ja diesen Strang. Von einer Willkürjustiz, die mit diesem Zitat angedeutet wird, sind wir meilenweit entfernt, auch dann, wenn ein Prozess neu aufgerollt wird, weil neue, starke Beweise auftauchen.
Das wäre schön.
Mal ein politisches Gegenbeispiel: Wir erinnern uns an den früheren Bundespräsidenten Wulff. Dieser trat im Rahmen der sogenannten Wulff-Affäre 2012 zurück. Nach gut einem Jahr Ermittlungen erhob dann 2013 die Staatsanwaltschaft Hannover Anklage wegen Bestechlichkeit. Der Richter regte dann im Dezember 2013 an, das Verfahren einzustellen (siehe z.B.
hier), nachdem die Staatsanwaltschaft bis dato keine Belege über strafrechtliche relevante Taten beigebracht hatte. Im Februar 2014 wurde Wulff freigeprochen. Die Staatsanwaltschaft kündigte umgehend Revision an, die sie anschließend zurückzog.
Man mag von Wulff als Bundespräsident halten, was man will (ich fand ihn eher schwach), aber der Verdacht drängt sich doch auf, daß die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft hier zumindest auch aus rein politischen Motiven vorging.