Platon hat geschrieben: ↑Sonntag 19. März 2023, 20:34
Prinzipiell ja. Wobei es bei größeren kriegsstrategischen Fragen häufig so ist, dass die Empirie eher schwierig wird, weil die tatsächlichen relevanten Fakten zum Kriegsgeschehen nicht öffentlich zugänglich oder noch nicht vorhanden sind. Erst später wird dann klarer wie es gelaufen ist.
Das ist Dein erster großer Irrtum. Die empirischen Wissenschaften arbeiten nicht erst seit dem 24. Februar 2022 daran, relevante Fakten bezüglich kriegerischer Auseinandersetzungen zu ermitteln. Die erste als wissenschaftlich zu betrachtende Studie zu der Form des Kriegs, die im Wesentlichen noch heute praktiziert wird, wurde in den Jahren von 1832 bis 1834 von einem Mann namens Clausewitz vorgelegt. Seither haben zahlreiche "Feldstudien" (im Volksmund: Kriege) stattgefunden, nach denen die empirisch erhobenen Befunde dann quasi "statistisch" belegt werden konnten. Uns liegen also sehr wohl recht zuverlässige Erkenntnisse darüber vor, wie so ein Kriegsgeschehen üblicherweise aussieht. Natürlich verbunden mit der grundlegenden Unzulänglichkeit der "Statistik", dass sie neben dem "normalen" bzw. statistisch signifikant häufigen Auftreten bestimmter Erscheinungen immer auch die Ausreißer registriert. Also auch die Fälle, die ganz untypisch sind.
Das heißt man hat in vielen Fällen einfach Argumente für und gegen etwas und muss diese gewichten.
Genau so ist es. Hier gilt nur leider: Um etwas einigermaßen seriös gewichten zu können, muss man ein Mindestmaß an Sachkenntnis haben. Wenn man diese Sachkenntnis nicht hat, kann man nur zwei Aussagen (ich würde hier nichtmal von "Argumenten" reden) als vermeintlich gleichrangig nebeneinander stellen und sich selbst einreden, dass beide gleiches Gewicht haben.
Ein Beispiel aus meinem persönlichen Bereich: Im November habe ich an meinem Auto Winderräder montieren lassen. Zwei der Reifen waren abgefahren und mussten ersetzt werden. Der Monteur sagte mir, dass die beiden neuen Reifen an der Hinterachse montiert werden. Daraufhin fragte ich ihn, ob es denn nicht sinnvoller wäre, die vorne anzubringen, da dort Verschleiß und Traktion höher sind. Er antwortete mir, dass die Hinterachse spurführend ist und die "guten" Reifen deshalb nach hinten müssen.
In dem Moment hätte ich mich auf den Standpunkt stellen können, dass mein "Argument" aber doch genauso gewichtig sei wie seins. Das habe ich natürlich nicht getan, denn der Mann ist Experte und ich bin Laie. Es wäre doch wohl bescheuert, einen Experten mit einer Arbeit zu betrauen und ihm dann gestützt auf eine Laienmeinung vorzuschreiben, wie er die Arbeit zu erledigen hat. Verstehst Du, worauf ich hinaus will?
Ein Beispiel wäre die Diskussion über das Halten von Bakhmut. Nach dem Durchbruch der Russen in Soledar hatte sich die Situation der Ukrainer in der Stadt verschlechtert und die Russen sind im Umland und auch in der Stadt vorgerückt. Jetzt gab es die Entscheidung von Zelensky und seinen Generälen sich nicht aus der Stadt zurückzuziehen. Ich habe mich einer Reihe von Stimmen angeschlossen und gesagt, dass das eine falsche Entscheidung ist. Ich habe versucht dieses Argument im Detail durchzudenken und auch die Konsequenzen daraus zu ziehen, wie das Zelensky hier natürlich die Entscheidung trifft mehr ukrainische Verluste in der Stadt zu akzeptieren. Aber ob ich damit richtig liege kann ich natürlich nicht wissen.
Das ist Dein zweiter großer Denkfehler. Du hast selbst eingeräumt, dass Du hierzu nur eine Laienmeinung äußern kannst, da Du weder über Kriegführung im Allgemeinen noch über die Kämpfe bei Bachmut tiefergehende Kenntnisse hast. Trotzdem hältst Du Dich für qualifiziert, ein Urteil darüber zu fällen, ob Selenskijs Entscheidung richtig oder falsch war. Dass Selenskij diese Entscheidung mit größter Wahrscheinlichkeit gar nicht eigenmächtig getroffen hat, sei nur am Rande erwähnt.
Fakt ist: Du hast ein Urteil gefällt. Die Diskussionsteilnehmer, die Dir widersprochen haben, haben KEIN Urteil gefällt. Sie haben Dir lediglich aus einer zweifellos größeren Sachkenntnis heraus erklärt, dass sehr wohl gewichtige Gründe dafür sprechen, Bachmut so lange wie möglich zu halten. Niemand hat gesagt, dass die Ukraine Bachmut unbedingt halten muss. DU warst es, der gesagt hat, die Ukraine müsse Bachmut unbedingt räumen.
Was wirfst Du Deinen Kritikern jetzt vor? Dass sie mehr Sachkenntnis als Du haben und dass sie aus dieser Sachkenntnis heraus durchaus nachvollziehen können, warum die Ukrainer Bachmut nach wie vor verteidigen?
Mein Argument und meine Beiträge dazu zielen letztlich immer darauf ab, dass mir jemand widerspricht und mir sagt, das ich falsch liege.
Und das ist Dein dritter großer Denkfehler. Deine Beiträge bezüglich Bachmut zielten eben genau nicht darauf ab, dass Dir jemand sagt, dass Du falsch liegst. Dir ist immer wieder gut begründet gesagt worden, dass Deine Grundaussage "Bachmut wird fallen und die Ukrainer müssen Bachmut räumen" falsch ist. Das wurde Dir immer wieder von Diskussionsteilnehmern gesagt, die mehr vom Thema verstehen als Du. Du hast trotzdem beharrlich an Deinem Urteil festgehalten.
Deine jetzige "Verstimmung" beruht nur darauf, dass Deine mutmaßlich falsche Grundaussage von kundigeren Menschen nicht als "gleichrangig" anerkannt wird.
Und ich betone es jetzt nochmal: DU hast ein Urteil gefällt. DU hast die bloße und durch nichts begründete Meinung geäußert, dass die Verteidigung von Bachmut ein Fehler ist. Deine "Kritiker" haben lediglich dargelegt, dass viele gute Gründe dafür sprechen, Bachmut weiter zu verteidigen. Niemand hat gesagt, dass die Räumung ein Fehler wäre. Es wurde immer gesagt: Es hängt von der Entwicklung des Gefechts ab, ob und wann die Ukrainer Bachmut räumen.
Das ist aber natürlich schwierig, wenn auf das eigene Argument, dass sich die Situation seit Soledar geändert nicht eingegangen wird, sondern immer weiter wiederholt wird, dass das Verhältnis 1:7 ist, dann verbunden mit irgendwelchen Verdächtigungen.
Der nächste Denkfehler. Du bezeichnest es als erwiesen, dass sich die Lage seit Soledar geändert hätte. Aber ist das denn wirklich so? Soledar hat nur eins geändert: Die Ukrainer müssen sich nun woanders zur Verteidigung aufstellen. Der ukrainische Generalstab hat entschieden: Das passiert nun so lange wie vertretbar bei Bachmut. Ob das richtig oder falsch ist, wird sich zeigen. Aber wieso sollten kundigere Leute als Du Deiner Prämisse zustimmen, dass Soledar alles geändert hätte und eine Verteidigung Bachmuts falsch ist?
Ein Nachsatz zu den Verlustverhältnissen: Du warst es, der die These aufgestellt hat, das Verlustverhältnis liege inzwischen bei 1:1. Das hast Du ohne jede Grundlage getan. Alle vorliegenden Informationen deuten auf eine ganz andere Lage hin. Trotzdem führst Du Deine These von den hohen ukrainischen Verlusten immer wieder als "Argument" dafür an, dass die Verteidigung Bachmuts beendet werden müsse. Du ignorierst jedes Gegenargument und rezitierst monoton immer wieder Dein Urteil. Das wird irgendwann ermüdend. Kein Wunder, dass dann auch mal schärfere Worte fallen.
Ich selbst habe mich irgendwann bemüht, Deine ständigen "Wasserstandsmeldungen", wonach Bachmut demnächst eingekreist ist und kurz vor dem Fall steht, zu ignorieren. Leicht ist mir das nicht immer gefallen.