streicher hat geschrieben: ↑Samstag 26. November 2022, 21:44
Es wird sich wohl nicht mehr um eine Neuauflage bemüht.
Nein. Der US-Sondergesandte für Iran und US-Verhandlungsführer in den Gesprächen Robert Malley hat vor 1-2 Wochen schon offiziell gesagt, dass der Abschluss der Gespräche momentan nicht auf der Agenda steht. Er hat zuletzt auf Twitter vor allem neue Sanktionen verkündet. Der iranische Außenminister Abdollahian hat dann herausgestellt, dass man kurz vorher erst von Außenministern dritter Länder Nachrichten von den USA erhalten hatte und er daher etwas irritiert ist, weil die Gespräche eigentlich kontinuierlich weitergingen auf verschiedenen Kanälen. Aber es macht strategisch keinen Sinn jetzt weiter Gespräche zu führen, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass bei neuen Verhandlungsrunden die Iraner kompromissbereiter sind als zuletzt. Sei es ein komplett neues System oder die Islamische Republik mit veränderter Besetzung (sei es eine Revolutionsgarden-Militärdiktatur oder eine neue Regierung z.B. mit Reformbewegungs-Beteilligung oder was auch immer) wird bei neuen Machthabern sehr wahrscheinlich die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ganz oben auf der Agenda stehen und man daher zu weitreichenden Kompromissen bereit sein. Die Regierung der Islamischen Republik ist im Moment einfach nicht in der Position irgendwelche weitreichenden Verhandlungen zu führen und dabei sonderlich ernst genommen zu werden. Dazu wäre es politisch natürlich nicht zu rechtfertigen jetzt einen Deal mit dem Regime zu machen, welches de facto dessen Überleben sichert.
Weil das die Proteste jetzt so ausarten hat natürlich primär mit der extremen wirtschaftlichen Notlage der Menschen zu tun, welche von den Sanktionen ausgelöst wurde, welche Obama dereinst verhängte, die Iraner dann recht zügig an den Verhandlungstisch zwang und die Trump dann wieder einführte, was dazu führte, dass im Iran seit 10 Jahren ein wirtschaftlicher Niedergang vonstatten ging, der selbst für iranische Verhältnisse das Land zunehmend unregierbar macht. Es ist Khamenei, als ewigem Ideologie-Sonntagsredner persönlich "anzulasten", dass die Islamische Republik dann die Gespräche in die Länge gezogen hat, um einen möglichst guten Deal für sich selbst herauszuholen, anstatt zu viele Zugeständnisse in Sachen Atomprogramm und Außenpolitik zu machen. Für ihn war schon immer klar, dass man den Imperialisten nur möglichst willensstark entgegentreten muss und man darf sich auf nichts einlassen, solange es nicht offensichtlich zum eigenen Vorteil ist. Das erzählt er fast jeden Freitag seit über 30 Jahren vor Publikum und er meint das auch genau so. Man mag das ja dann gerne als nationale Außenpolitik formulieren á la die Vorwärtsverteidigung, die Freiheit Irans wird im Irak verteidigt oder natürlich das Raketenprogramm als Abschreckung gegen einen möglichen Angriff der USA, aber die Kompromisslosigkeit der Islamischen Republik unter Khamenei in all diesen Fragen ist am Ende die Folge der Einstellung von Khamenei auf keinen Fall dem ideologischen Feind den USA auch nur einen Milimeter zugestehen zu wollen. Und mit der Einstellung hat man jetzt 10 Jahre lang wirtschaftlichen Niedergang in Kauf genommen, damit man weiter diese außenpolitischen Projekte verfolgen kann. Klar man hat es versucht mit dem JCPOA und wurde dann enttäuscht, was Khamenei nur bestätigt hat sich jetzt auf gar nichts mehr einzulassen.
Aber es ist seit Jahren klar, dass genau das passieren kann, was jetzt die letzten 2-3 Monate passiert. Ich war 2019/2020 einige Monate im Land und die ökonomischen und soziale Probleme für die breite Masse waren selbst für iranische Verhältnisse erschütternd und es ist seitdem durch anhaltende Sanktionen und Corona nochmal deutlich schlimmer geworden. Die Situation ist ja im Moment die, dass sich zig-Millionen Menschen im Iran heute nicht mehr das zu essen kaufen können, was sie vor 10 Jahren gegessen haben, weil es schlichtweg zu teuer geworden ist. Und das ist der Grund warum es seit 2017 ständig Proteste gegeben hat. Es war mir damals schon klar, dass das Regime eigentlich schnellstmöglich eine Einigung mit den USA finden muss um weitere Proteste und womöglich eine Wiederholung der Proteste vom November 2019 zu vermeiden und das Regime wieder zu stabilisieren. Ich war dann auch für eine Einigung, weil das noch am ehesten eine kurz- und mittelfristige Verbesserung der breiten Masse ermöglichen könnte und ein langer und blutiger Prozess der Instabilität mit ungewissem Ausgang vermieden werden kann. Sicherlich auch, weil ich damals die repressive Seite der ganzen Sache persönlich erlebt habe. Es kann ja auf keinen Fall davon gesprochen werden, dass im September 2022 plötzlich Proteste ausgebrochen wären. Vielmehr gibt es seit Ende 2017 eine Phase zunehmender politischer Instabilität im ganzen Land mit immer wieder aufkeimenden und abflauenden Protesten gibt, die nun in eine landesweite und andauernde Protestbewegung gemündet ist. Diese Proteste gab und gibt es vor allem dort wo ohnehin Konfliktlinien verlaufen, wie beim Thema Frauen- und Menschenrechte, unzufriedene Sondergruppen wie Arbeiter, Lehrer, Rentner, Landwirte und natürlich die ethnischen Minderheiten, deren Verhältnis zur persischen Zentralmacht immer recht komplex ist und die gerade in Belutschistan eher zu den Ärmeren im Land gehören. Hier gab es immer schon Meinungsverschiedenheiten, aber durch den ökonomische Niedergang, die Perspektivlosigkeit der Jugend die jetzt Anfang 20 ist und im ganzen Leben nie etwas anderes bewusst wahrgenommen hat als eben diesen Niedergang, geht es jetzt richtig zur Sache. Die Revolutionsgarden und Geheimdienste haben entsprechend aufgerüstet in Sachen Repression, aber damit kann man nur Feuer löschen und nicht das Grundproblem lösen. Sie sind aber recht effektiv dabei, die Proteste zu unterdrücken, weil man ja selbst durch eine populäre Revolution an die Macht gekommen ist und daher sehr gut versteht wie Moblisierung und Organisation einer solchen Revolution funktioniert. Die Schlüsse die man daraus gezogen hat prägen die repressiven Maßnahmen und sie waren bisher auch recht erfolgreich darin das Entstehen einer organisierten Opposition im Land zu verhindern.
Aber ich sehe nicht, wie die Islamische Republik an dieser Abwärtsspirale der Inflation irgendwas ändern könnte, solange die Sanktionen weiter in Kraft sind oder man irgendwelche Wege findet sie in größeren Umfang zu umgehen. (Kryptowährungen schienen zuletzt recht erfolgreich zu sein, Geld in Milliardenhöhe nach Iran zu bringen.) Khamenei hält ja seit Jahren Reden, dass man sich darauf einstellen muss, dass man die wirtschaftliche Lage verbessert ohne die Sanktionen aufzuheben, aber die Möglichkeiten sind da halt begrenzt und Raisi ist sehr symptomatisch für diese Situation, weil er seit Regierungsantritt ständig die Anweisung an seine Regierung gibt, die Probleme des Landes zu lösen, aber offenbar keinen Plan hat, wie er das tatsächlich anstellen will. Man bemüht sich ja schon, man macht Kooperationsabkommen mit China, will auch eines mit Russland machen. Man hat mit den USA über eine Rückkehr zum JCPOA verhandelt, konnte die Gespräche aber nicht zum Abschluss bringen, weil es wichtiger ist irgendwelche Geheimnisse zum Atomprogramm vor 10-15 Jahren geheim zu halten, als die ökonomischen Probleme des Landes zu lösen. Aber die Möglichkeiten trotz Sanktionen etwas zu machen sind begrenzt. Letztlich haben die USA eine sehr effektive Art und Weise gefunden den Iran ökonomisch zu isolieren und eine schwere Wirtschaftskrise auszulösen, dem Land so den eigenen Willen aufzuzwingen, und es gibt nicht so viel, was man dagegen machen kann, was tatsächlich die Lage der breiten Masse der Bevölkerung verbessert. Das man die richtigen Schlussfolgerungen daraus nicht gezogen hat und entsprechende Kompromissbereitschaft gegenüber den USA zeigt hat m.E. primär mit Khamenei zu tun, dass er sein Leben lang Ideologie-Sonntagsreden hält und die Leute, welche daran glauben überall in Amt und Würden gehoben hat. Pragmatische Technokraten gibt es im Regime in großer Anzahl, aber die treffen am Ende nicht die Entscheidungen. Ergebnis ist die aktuelle Situation wo der Wohlstand der breiten Masse für ideologische Ziele geopfert wurde und die Quittung dafür sieht man nun sehr deutlich.
Und die USA müssen jetzt im Endeffekt nur abwarten, den Druck aufrecht erhalten und können interessiert zuschauen, wie die Islamische Republik die ganze Sache überleben will. Wie gesagt die Inflation und der ökonomische Niedergang geht ja weiter und selbst wenn die Revolutionsgarden in Zahedan, Sanandaj und Mahabad noch tausende Demonstranten erschießen, ändert das nichts daran, dass sich ein Großteil der Bevölkerung keine Milch mehr leisten kann. Und je mehr Unrecht die Islamische Republik anrichtet, umso mehr schwächt das die Legitimation der Herrschenden selbst in den Augen der eigenen Anhänger und irgendeine Änderung muss es dann irgendwann geben. Wie die aussieht und wie sich die Sache entwickelt, wenn tatsächlich auch personelle Veränderungen vorgenommen werden wird man sehen. Es ist ja mal wieder typisch Khamenei, dass er den Demonstranten nicht einen Fingerbreit nachgeben will und alles für eine Verschwörung der Imperialisten hält, die man nur willensstark bekämpfen muss. Andere hätten es vielleicht mit Neuwahlen bzw. einer Regierungsneubildung versucht. Aber Khamenei dürfte jede Änderung seiner Politik als persönliche Niederlage gegen den Imperialismus verstehen und ich gehe davon aus, dass jede echte Veränderung über seine Leiche gehen wird. Entweder weil ihn der Prostatekrebs dann doch irgendwann erledigt oder weil er irgendwann von einem Mob in Stücke gerissen wird. Vielleicht kommen ein paar Regime-Insider auch zu dem Schluss, dass er ein Hindernis für das Überleben des Regimes darstellt und entsorgen ihn.
Solange die Islamische Republik also jetzt nicht signalisiert zu wirklich weitreichenden Zugeständnissen bereit zu sein, zum Atomprogramm, Raketenprogramm und den Proxies und eine komplette Kehrtwende in den eigenen Prioritäten vollzieht und faktisch eine Kapitulation unterschreibt, die dann für die USA zu verlockend ist um Nein dazu zu sagen, werden die USA jetzt erstmal abwarten und man wird ja dann sehen wie es in 1-2 Jahren aussieht. Die Iraner haben nun auch schon wieder Sachen gemacht, welche das Atomprogramm weiter vorantreiben in Reaktion darauf. Aber hier muss man sich beim Regime jetzt natürlich fragen, ob ein Krieg gegen die USA zum aktuellen Zeitpunkt im eigenen Sinne wäre. (kann man natürlich so oder so sehen) Ich würde vermuten, dass in wirklich jeder Konstellation in der Khamenei und seine ideologische Starrköpfigkeit nicht den Ton angeben der Iran zu weitreichenden Zugeständnissen bereit ist. Selbst eine Militärdiktatur der Revolutionsgarden wird am Ende nicht das Überleben des Regimes für das Raketenprogramm riskieren. Die USA wären blöd zum jetzigen Zeitpunkt mit Leuten von Khamenei einen Deal zu machen.
Dieser Beitrag ist sehr gut.