Und wieder ist es Palmer, der in einem Beitrag in der Welt genau das ausdrückt, was auch mir Gedanke macht (Bezahlartikel, der hier die wesentlichen Inhalte zitiert):
BORIS PALMER
Die Balance von Freiheit und Gesundheitsschutz gerät ins Wanken
Dank Impfungen ist Corona heute nicht mehr wesentlich gefährlicher für das Gesundheitssystem als eine heftige Influenzawelle im Winter. Trotzdem hält die Politik weiter daran fest, dass eine epidemische Lage nationaler Tragweite bestehe. Die Begründungen lassen tief blicken.
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Interessant sind aber die öffentlichen Begründungen dafür. Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Klaus Holetschek (CSU), sagte wörtlich, die Feststellung sei „notwendig, um Infektionsschutzmaßnahmen in den Ländern weiterhin umzusetzen, wenn dies geboten ist. Angesichts steigender Infektionszahlen halten wir das für wichtig, denn wir dürfen uns nicht voreilig unserer erprobten Instrumente berauben“.
Darin kommt eine Umkehrung der gesetzlichen Voraussetzungen in ihr Gegenteil zum Vorschein. Der Ausgangspunkt der Überlegung ist nicht mehr die Frage, ob eine epidemische Lage nationaler Tragweite besteht. So steht es eigentlich im Gesetz.
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Christian Drosten, gewiss unverdächtig, Corona zu verharmlosen, hat in seinem Podcast vorgerechnet, dass eine Corona-Infektion für Menschen unter 45 ungefähr so gefährlich ist wie eine Infektion mit der Influenza. Die insgesamt 20 Mal höhere Infektionssterblichkeit bei Corona geht ausschließlich auf die Menschen über 45 zurück, wirklich dramatisch ist der Anstieg des Risikos ab 65 Jahren. Zwischen 65 und 74 sterben 2,2 Prozent der Corona-Infizierten, über 85 ist es fast jeder Dritte.
Bei den Menschen über 60 sind in Deutschland mittlerweile aber 85 Prozent wirksam geimpft. Bis zum Herbst dürfte ein Wert von 90 Prozent erreichbar sein. Die Schutzwirkung der Impfung gegen Tod liegt bei etwa 90 Prozent. Die zu erwartende Infektionssterblichkeit ist daher mit dem absehbaren Impfstand bereits auf etwa ein Fünftel gesunken und dürfte folglich bei etwa 0,2 Prozent liegen, wenn man Drostens konservative Schätzung übernimmt.
Das Ergebnis dieser Rechnung ist, dass Corona durch die Impfung hinsichtlich der Gefahr einer tödlichen Erkrankung in den Bereich einer besonders schweren Influenzawelle kommt.
Der Vergleich betrifft nicht die Krankheiten an sich, nur deren Todesrisiko. Die Hospitalisierungsraten einer bereits weitgehend geimpften Bevölkerung, also die Last für das Gesundheitswesen, werden sich ebenfalls in einem Korridor bewegen, den wir von der Influenza kennen.
Wenn das zutrifft, stellt sich eine ganz einfache Frage: Wenn das Risiko der Influenza nie in der Geschichte der Republik Anlass war, über eine epidemische Lage nationaler Tragweite auch nur zu diskutieren, warum sollte es jetzt angesichts eines durch die Impfungen auf ein vergleichbares Maß reduzierten Risikos ganz anders sein?
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Dass die Politik den Wechsel auf einen solchen harten Indikator verweigert und weiter an den Inzidenzen festhält, um erhebliche Eingriffe in Freiheitsrechte und die private Lebensführung zu rechtfertigen, lässt aufhorchen. Das gilt besonders für den Schwellenwert 35, der im Infektionsschutzgesetz festgelegt wurde, als es noch keine Impfung gab. Exakt denselben Wert für die Definition einer Vielzahl von Pflichten und Verbote weiter zu verwenden, bedeutet angesichts des verminderten Risikos nach der Impfung eine Verzehnfachung der relativen Eingriffstiefe der Corona-Schutzmaßnahmen.
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Ich halte den Weg, den Deutschland geht, für bedenklich. Es fehlt an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Schon beim heutigen Impfstand ist Corona nicht mehr wesentlich gefährlicher für das Gesundheitssystem als eine heftige Influenzawelle im Winter. Wenn der Staat zu völlig neuartigen Maßnahmen greift und sich im Vergleich mit anderen Risiken keine guten Gründe mehr dafür finden lassen, ist das gefährlich für die freiheitliche Grundordnung, in der wir leben. Ein Staat, der so weitgehende Freiheitseingriffe vornimmt, ohne dafür eine überzeugende Begründung vorzulegen, könnte auf eine schiefe Ebene geraten.
Denn schon jetzt zeigt sich ja, dass viele mit diesen Eingriffen – vermeintlich in die Freiheit anderer – gut leben oder sie befürworten. Der Übergang vom freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat in einen paternalistischen Obrigkeitsstaat kann schleichend erfolgen. Wenn dabei ein hehres Ziel wie die Gesundheit aller auf den Fahnen der Bannerträger prangt, ist die Gefahr, sich darin einzurichten, um so größer. Auf die Dauer sind die daraus erwachsenden Gefahren erheblich. Freiheits- und Grundrechte kommen nicht von selbst wieder, wenn sie einmal zur Disposition und in das Belieben der jeweils Regierenden gestellt sind.
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https://www.welt.de/debatte/kommentare/ ... anken.html
Er trifft es damit auf den Punkt. Das ist die Motiovation für den Bestrafungsstrang für Impfgegner, den ich in der Weinstube gestartet habe - manches ist mir Ironie besser gesagt als im ernst.
Grundlage für einen epidemischen Zustand ist der Zustand selber, nicht der Wunsch den erklärten Zustand für Maßnahmen nutzen zu können. Es sollte nun langsam ankommen, dass das Risiko durch den Impfstatus nicht mehr vergleichbar ist mit dem, was wir vor Monaten noch hatten. Ich stelle eine gewisse Trägheit vieler Personen fest, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen und die passenden Schlüsse daraus zu ziehen.
Mich hat sehr verwundert, dass Niedersachsen offenbar relativ alleine dastand, als es darum ging einen neuen Richtwert für die Verhängung von Maßnahmen zu definieren. Die Inzidenz ist ganz offensichtlich nicht mehr relevant, dennoch wird sie offenbar weiter aufrechterhalten.