Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

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schokoschendrezki
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:49)

Genau. Jetzt müsste nur mal einer beantworten, warum manche immerzu so nach diesem "Verbindenden" in der "deutschen Kultur", nach diesem "wir gehören zusammen, weil wir uns beim Grüßen die Hand geben"-Quatsch lechzen. Warum? Was ist das Motiv? Sich ein bisschen größer und stärker fühlen zu können in seiner eigentlichen Un­be­deu­tend­heit? Will man endlich wieder wer sein? Oder was steckt dahinter?
Das waren die Vermutungen in dem weiter oben zitierten Tagesspiegel-Artikel. Aber das ist vielleicht doch etwas zu kurz gegriffen. Bzw. das ist ein Antwortversuch aus einer rein empirisch-soziologischen Perspektive. Liest man sich in den Themenbereich "Rechtsphilosophie" etwas ein, bekommt man schon einigen Respekt vor der (meinerseits jedenfalls) unvermuteten Komplexität des Gegenstands. Auf die Frage "Woraus leitet sich 'Recht' ab" gibt es keinesfalls eine einfache Antwort und vor allem auch keine einheitliche Denkrichtung. Es lassen sich ganz grob zwei Lager abgrenzen: Normativismus und Dezisionismus. Oder kurz: "Sollen" und "Sein". Allerneueste Richtungen versuchen diese Frage der Ableitung des Rechts ähnlich wie in den Wirtschaftswissenschaften zu "mathematisieren". In dem Fall mit den Methoden der Aussagenlogik.

Die Ableitung des Rechts aus den Prinzipien einer "Wertegemeinschaft" ist ziemlich klar normativistisch. Die vielzitierte "westliche Wertegemeinschaft" tritt an die Stelle früherer Religionsgemeinschaften. Der Punkt ist nur, dass dieser Begriff im Laufe der letzten 20,30 Jahre in der Reflexion vieler Menschen stark erodiert ist. In der Zeitschrift "Ossietzky" las ich einen Artikel von 2002, in dem etliche in Fragen der Rechtsphilosophie kompetente Menschen gefragt wurden, was ihnen spontan zum Begriff "westliche Wertegemeinschaft" einfalle. Es kamen ausschließlich zynisch-ironische Antworten. Nur mal eine:
Die letzte Antwort kam von Prof. Martin Kutscha, Vorsitzender der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen: "Westliche Wertegemeinschaft - da taucht vor meinem geistigen Auge folgende Szenerie auf: Eine Villa in Oggersheim - der Alte hat gerade Besuch. Aus der Küche bringt Angela Merkel Bier für Edmund Stoiber und Helmut Kohl. Sie stellt die Gläser mit devoter Geste auf den Tisch und überreicht den beiden einen Spendenaufruf für die hungernden Kinder in Afghanistan. Auch Scharping und Joschka Fischer hätten schon gespendet, berichtet sie. Kohl und Stoiber nicken anerkennend, zücken ihre Börsen und überreichen jeweils einen 20-Euro-Schein. Ein paar handsignierte Porträtfotos von sich legen sie dazu. Merkel schluchzt leise vor Rührung. Stoiber zieht unvermutet eine Grundgesetzbroschüre aus der Tasche und liest mit kokettem Augenaufschlag aus Art. 21 vor. Es geht darin um die Parteien. ,Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.' Der Rest des Satzes geht im dröhnenden Gelächter des großen Alten unter."
Es ist ganz bestimmt nicht nur ein "Will man endlich wieder wer sein" sondern auch ein "WIll man endlich wieder wo sein". Sprich: Das Gefühl haben, sich in einem verlässlichen, überschaubaren, konsistenten Werte-Koordinatensystem zu befinden. Möglicherweise ist die Frage der Werte-Inhalte dabei gar nicht mehr allein ausschlaggebend. AN die Stelle des Jelzin-Chaos solle die (scheinbare) Ordnung der Putin-Ideologie treten. Hauptsache Ordnung und Orientierung. Und die aktuelle Renaissance von Nation und Heimat ist nicht immer und vor allem nicht nur Nationalismus und Heimattümelei sondern zeigt vielleicht auch dieses verbreitete Bedürfnis nach Orientiertheit. Aber so wie die Welt augenblicklich aussieht, fürchte ich, eine solche Werte-Konsistenz und Orientierungssicherheit wird sich in nächster Zeit nirgends mehr herstellen lassen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 11:29)

Das waren die Vermutungen in dem weiter oben zitierten Tagesspiegel-Artikel. Aber das ist vielleicht doch etwas zu kurz gegriffen. Bzw. das ist ein Antwortversuch aus einer rein empirisch-soziologischen Perspektive. Liest man sich in den Themenbereich "Rechtsphilosophie" etwas ein, bekommt man schon einigen Respekt vor der (meinerseits jedenfalls) unvermuteten Komplexität des Gegenstands. Auf die Frage "Woraus leitet sich 'Recht' ab" gibt es keinesfalls eine einfache Antwort und vor allem auch keine einheitliche Denkrichtung. Es lassen sich ganz grob zwei Lager abgrenzen: Normativismus und Dezisionismus. Oder kurz: "Sollen" und "Sein". Allerneueste Richtungen versuchen diese Frage der Ableitung des Rechts ähnlich wie in den Wirtschaftswissenschaften zu "mathematisieren". In dem Fall mit den Methoden der Aussagenlogik.

Die Ableitung des Rechts aus den Prinzipien einer "Wertegemeinschaft" ist ziemlich klar normativistisch. Die vielzitierte "westliche Wertegemeinschaft" tritt an die Stelle früherer Religionsgemeinschaften. Der Punkt ist nur, dass dieser Begriff im Laufe der letzten 20,30 Jahre in der Reflexion vieler Menschen stark erodiert ist. In der Zeitschrift "Ossietzky" las ich einen Artikel von 2002, in dem etliche in Fragen der Rechtsphilosophie kompetente Menschen gefragt wurden, was ihnen spontan zum Begriff "westliche Wertegemeinschaft" einfalle. Es kamen ausschließlich zynisch-ironische Antworten. Nur mal eine:

Es ist ganz bestimmt nicht nur ein "Will man endlich wieder wer sein" sondern auch ein "WIll man endlich wieder wo sein". Sprich: Das Gefühl haben, sich in einem verlässlichen, überschaubaren, konsistenten Werte-Koordinatensystem zu befinden. Möglicherweise ist die Frage der Werte-Inhalte dabei gar nicht mehr allein ausschlaggebend. AN die Stelle des Jelzin-Chaos solle die (scheinbare) Ordnung der Putin-Ideologie treten. Hauptsache Ordnung und Orientierung. Und die aktuelle Renaissance von Nation und Heimat ist nicht immer und vor allem nicht nur Nationalismus und Heimattümelei sondern zeigt vielleicht auch dieses verbreitete Bedürfnis nach Orientiertheit. Aber so wie die Welt augenblicklich aussieht, fürchte ich, eine solche Werte-Konsistenz und Orientierungssicherheit wird sich in nächster Zeit nirgends mehr herstellen lassen.
Und jetzt? Alles bekannt..sollen und sein in dem spannungsfeld bewegt sich der Mensch. Einfach mal merken , ohne Ort keine Ortung und ohne Ortung keine Ordnung.
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Zunder
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

PeterK hat geschrieben:(10 Nov 2017, 10:03)

Ja, erstaunlich. Handelt es sich denn um eine "verbindende" deutsche Automobilindustrie?
Das kommt darauf an, was man unter "verbindend" verstehen will. Tarifverträge haben durchaus etwas Verbindendes. Und das sogar im nationalen Rahmen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Unité 1 »

Tinkerbell hat geschrieben:(10 Nov 2017, 11:53)

Und jetzt? Alles bekannt..sollen und sein in dem spannungsfeld bewegt sich der Mensch. Einfach mal merken , ohne Ort keine Ortung und ohne Ortung keine Ordnung.
Die Werte des liberalen Rechtsstaat sind die der verbindlichen Unverbindlichkeit - die gegenseitige Anerkennung grundlegender Freiheiten gibt keinen Ort vor, sie erzeugt die Potentialität zur mehrfachen Verortung. Die Forderung nach Anerkennung jener ortlosen Verortung ist das eigentlich Verbindliche. Wie ich zu leben habe, kannst du mir nicht vorschreiben - wie ich leben möchte, das hast du anzuerkennen (sofern ich die Gesetze achte). Damit kommen Gemeinschaftsfanatiker nicht so klar, die hätten gerne Einheit und Unterordnung und verbrämen das als Verteidigung der eigentlichen Werte, die nur gemeinschaftlich zu erreichen seien. Darin spiegelt sich eine Verachtung gesellschaftlicher Unverbindlichkeit, die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert. Einfach mal merken.

lach und echt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(10 Nov 2017, 12:24)

Das kommt darauf an, was man unter "verbindend" verstehen will. Tarifverträge haben durchaus etwas Verbindendes. Und das sogar im nationalen Rahmen.
Tarifverträge sind ein Auslaufmodell. Ich sage das kein bissel wertend. Es ist nur die allgemeine Beobachtung. Und es gibt noch ein paar weitere Auslaufmodelle. Ebenfalls ohne jede Wertung.
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Selina
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 11:29)

Das waren die Vermutungen in dem weiter oben zitierten Tagesspiegel-Artikel. Aber das ist vielleicht doch etwas zu kurz gegriffen. Bzw. das ist ein Antwortversuch aus einer rein empirisch-soziologischen Perspektive. Liest man sich in den Themenbereich "Rechtsphilosophie" etwas ein, bekommt man schon einigen Respekt vor der (meinerseits jedenfalls) unvermuteten Komplexität des Gegenstands. Auf die Frage "Woraus leitet sich 'Recht' ab" gibt es keinesfalls eine einfache Antwort und vor allem auch keine einheitliche Denkrichtung. Es lassen sich ganz grob zwei Lager abgrenzen: Normativismus und Dezisionismus. Oder kurz: "Sollen" und "Sein". Allerneueste Richtungen versuchen diese Frage der Ableitung des Rechts ähnlich wie in den Wirtschaftswissenschaften zu "mathematisieren". In dem Fall mit den Methoden der Aussagenlogik.

Die Ableitung des Rechts aus den Prinzipien einer "Wertegemeinschaft" ist ziemlich klar normativistisch. Die vielzitierte "westliche Wertegemeinschaft" tritt an die Stelle früherer Religionsgemeinschaften. Der Punkt ist nur, dass dieser Begriff im Laufe der letzten 20,30 Jahre in der Reflexion vieler Menschen stark erodiert ist. In der Zeitschrift "Ossietzky" las ich einen Artikel von 2002, in dem etliche in Fragen der Rechtsphilosophie kompetente Menschen gefragt wurden, was ihnen spontan zum Begriff "westliche Wertegemeinschaft" einfalle. Es kamen ausschließlich zynisch-ironische Antworten. Nur mal eine:

Es ist ganz bestimmt nicht nur ein "Will man endlich wieder wer sein" sondern auch ein "WIll man endlich wieder wo sein". Sprich: Das Gefühl haben, sich in einem verlässlichen, überschaubaren, konsistenten Werte-Koordinatensystem zu befinden. Möglicherweise ist die Frage der Werte-Inhalte dabei gar nicht mehr allein ausschlaggebend. AN die Stelle des Jelzin-Chaos solle die (scheinbare) Ordnung der Putin-Ideologie treten. Hauptsache Ordnung und Orientierung. Und die aktuelle Renaissance von Nation und Heimat ist nicht immer und vor allem nicht nur Nationalismus und Heimattümelei sondern zeigt vielleicht auch dieses verbreitete Bedürfnis nach Orientiertheit. Aber so wie die Welt augenblicklich aussieht, fürchte ich, eine solche Werte-Konsistenz und Orientierungssicherheit wird sich in nächster Zeit nirgends mehr herstellen lassen.
Das ist eine sehr freundliche, den Kompromiss suchende Erklärung. Ehrt dich. Für mich klingen diese leitkulturellen Erklärungen einer "verbindenden deutschen Kultur" alle nur herrenmenschenmäßig und andere ausgrenzend. Und nicht nur für mich. Sorry. Aber nichts gegen den interessanten Rechtsordnungs-Wertegemeinschafts-Disput. Gegen den hab ich ja auch gar nix.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

PeterK hat geschrieben:(09 Nov 2017, 17:29)
Um mal wieder zum Thema zurückzukommen: Nein, es gibt keine "verbindende deutsche Kultur". Die Idee, dass es sie geben könnte, beruht auf der irrigen Annahme/Behauptung/Hoffnung, es gebe eine Kongruenz zwischen Kollektiv und Kultur.
Dergleichen Schwachsinn hat niemand behauptet! Natürlich gibt es kein Kongruenz zwischen Kollektiv und Kultur - ganz einfach, weil es keine "kollektive Kultur" gibt. Es gibt lediglich einen intersubjektiven Konsens, es gibt Normen und Werte, die auf diesem intersubjektiven Konsens beruhen, aus ihm entstanden sind.
Intersubjektiver Konsens hat nichts mit "Kollektiv" zu tun und noch weniger mit Kongruenz eines Kollektivs mit Kultur.
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Selina
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Billie Holiday hat geschrieben:(10 Nov 2017, 10:08)

So unbedeutend finde ich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung und Gewaltentrennung gar nicht.

Aber tut mir leid, dass du dich so klein und unbedeutend fühlst. :(
Nee, ich fühle mich ja gerade nicht so. Und zwar deshalb nicht, weil ich eine ständige Vergewisserung, ob es eine "verbindende deutsche Kultur" gibt (und wenn ja, wie viele :D ), gar nicht brauche. Ich fühle mich vielem verbunden, aber nicht irgendeiner "Wir-Verbindung", die sich an irgendwelchen national-kulturellen Vorgaben orientiert.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Unité 1 hat geschrieben:(10 Nov 2017, 12:32)

Die Werte des liberalen Rechtsstaat sind die der verbindlichen Unverbindlichkeit - die gegenseitige Anerkennung grundlegender Freiheiten gibt keinen Ort vor, sie erzeugt die Potentialität zur mehrfachen Verortung. Die Forderung nach Anerkennung jener ortlosen Verortung ist das eigentlich Verbindliche. Wie ich zu leben habe, kannst du mir nicht vorschreiben - wie ich leben möchte, das hast du anzuerkennen (sofern ich die Gesetze achte). Damit kommen Gemeinschaftsfanatiker nicht so klar, die hätten gerne Einheit und Unterordnung und verbrämen das als Verteidigung der eigentlichen Werte, die nur gemeinschaftlich zu erreichen seien. Darin spiegelt sich eine Verachtung gesellschaftlicher Unverbindlichkeit, die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert. Einfach mal merken.
Ja. Das ist so ziemlich genau das, was ich auch in der ganzen Diskussion versuche, deutlich zu machen.

Ich hab' eine ganze Weile über diese Unterscheidung von Normativismus und Dezisionismus bei den Rechtsphilosophien nachgedacht. Über Recht als Sollen oder Recht als Sein. Was die "Erzeugung" einer Rechtsordnung anbetrifft, also den Weg und die Regeln der Erarbeitung von Gesetzen, bin ich klar und eindeutig Normativist. Und zwar mit Aufklärung, Humanismus, Demokratie als Grundnorm. Recht entsteht nicht im luftleeren Raum. Sind Gesetze jedoch einmal erlassen, gültig, niedergeschrieben, sind sie "dezisionistisch" anzusehen, so als wären sie unhinterfragbar und nicht zu hinterfragen von einer absoluten Instanz in die Welt gesetzt. Bei Hobbes wäre dies der absolute bändigende Staat. Sonst läuft man in die Falle des Kulturalismus. Indem man die Gesetze, die eigentlich Verbindlichkeiten sind, als Kulturleistung und auch noch als Unterscheidungsmerkmal zu anderen "Kulturen" ansieht. Das ist nicht ihr Zweck. Ihr Zweck ist es, einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen Kultur und wertorientiertes Handeln überhaupt erst stattfindet und stattfinden kann: "Die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert.".
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

Unité 1 hat geschrieben:(10 Nov 2017, 12:32)

Die Werte des liberalen Rechtsstaat sind die der verbindlichen Unverbindlichkeit - die gegenseitige Anerkennung grundlegender Freiheiten gibt keinen Ort vor, sie erzeugt die Potentialität zur mehrfachen Verortung. Die Forderung nach Anerkennung jener ortlosen Verortung ist das eigentlich Verbindliche. Wie ich zu leben habe, kannst du mir nicht vorschreiben - wie ich leben möchte, das hast du anzuerkennen (sofern ich die Gesetze achte). Damit kommen Gemeinschaftsfanatiker nicht so klar, die hätten gerne Einheit und Unterordnung und verbrämen das als Verteidigung der eigentlichen Werte, die nur gemeinschaftlich zu erreichen seien. Darin spiegelt sich eine Verachtung gesellschaftlicher Unverbindlichkeit, die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert. Einfach mal merken.

lach und echt.
Konsistente Antwort. Nur wird darin vergessen, dass es nicht darum geht , wie ich zu dir , ihm oder sonst wem stehe und umgekehrt, sondern wie der Rahmen gezogen wird, in dem das anerkennen des anderen der raum gegeben wird, um der erarbeitet freiheit im Bereich der Wertinterpretation, die uns frei gemacht haben, zu ermöglichen. Deshalb ist die Anerkennung hier herrschender Gesetze nach unserer Interpretation Grundlage. Ein formales Bekenntnis dazu ist inhaltsleer. Die FDGO ist nun mal formal nicht zu begreifen und zu fassen.


Da ist nix mit über's oder Unterordnung, da ist nur was mit verstehenchtsentwic Verständnis.
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Selina
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Unité 1 hat geschrieben:(10 Nov 2017, 12:32)

Die Werte des liberalen Rechtsstaat sind die der verbindlichen Unverbindlichkeit - die gegenseitige Anerkennung grundlegender Freiheiten gibt keinen Ort vor, sie erzeugt die Potentialität zur mehrfachen Verortung. Die Forderung nach Anerkennung jener ortlosen Verortung ist das eigentlich Verbindliche. Wie ich zu leben habe, kannst du mir nicht vorschreiben - wie ich leben möchte, das hast du anzuerkennen (sofern ich die Gesetze achte). Damit kommen Gemeinschaftsfanatiker nicht so klar, die hätten gerne Einheit und Unterordnung und verbrämen das als Verteidigung der eigentlichen Werte, die nur gemeinschaftlich zu erreichen seien. Darin spiegelt sich eine Verachtung gesellschaftlicher Unverbindlichkeit, die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert. Einfach mal merken.

lach und echt.
Besser kann man es nicht zusammenfassen, worum es hier geht. Danke :)
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Zunder
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 12:58)
Tarifverträge sind ein Auslaufmodell.
Das weiß ich nicht. Ich befrage keine Glaskugeln.
Tarifverträge sind jedenfalls Realität, genauso wie Nationalstaaten. Und solange es Nationalstaaten gibt, gibt es auch nationale Kulturen. Schon allein deshalb, weil Gesetze, Verordnungen und sonstige Maßnahmen, die innerhalb der Staatsgrenzen gelten, auch innerhalb der Staatsgrenzen wirken. Das ist alles ziemlich banal.
Das BGB gilt in Berlin, Hamburg, München und Köln, aber nicht in Warschau, Kairo, Tokio oder New York. Mit dem ganzen Geschwätz von "Wertegemeinschaft", "Wir-Gefühl" und "Nationalismus" hat das schlicht nichts zu tun.
Allerdings halte ich es für unerläßlich, auf unterschiedliche Wertvorstellungen hinzuweisen und für die hierzulande - noch!- anerkannten Werte zu streiten - auch ohne irgendwelche Gesetze zu bemühen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:11)

Ja. Das ist so ziemlich genau das, was ich auch in der ganzen Diskussion versuche, deutlich zu machen.

Ich hab' eine ganze Weile über diese Unterscheidung von Normativismus und Dezisionismus bei den Rechtsphilosophien nachgedacht. Über Recht als Sollen oder Recht als Sein. Was die "Erzeugung" einer Rechtsordnung anbetrifft, also den Weg und die Regeln der Erarbeitung von Gesetzen, bin ich klar und eindeutig Normativist. Und zwar mit Aufklärung, Humanismus, Demokratie als Grundnorm. Recht entsteht nicht im luftleeren Raum. Sind Gesetze jedoch einmal erlassen, gültig, niedergeschrieben, sind sie "dezisionistisch" anzusehen, so als wären sie unhinterfragbar und nicht zu hinterfragen von einer absoluten Instanz in die Welt gesetzt. Bei Hobbes wäre dies der absolute bändigende Staat. Sonst läuft man in die Falle des Kulturalismus. Indem man die Gesetze, die eigentlich Verbindlichkeiten sind, als Kulturleistung und auch noch als Unterscheidungsmerkmal zu anderen "Kulturen" ansieht. Das ist nicht ihr Zweck. Ihr Zweck ist es, einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen Kultur und wertorientiertes Handeln überhaupt erst stattfindet und stattfinden kann: "Die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert.".
Du solltest dem zutreffenden Gedanken von Hobbes folgen. Wenn du dich als normativer bezeichnest, bist du ebenfalls wertegebunden. Normen ohne Werte sind namlich Luft. Welche Einschränkung Werte durch Normen abgerungen bekommen, dass ist der springende Punkt. Das was, wie und woher Werte zu den Normen kommen, verschwindet dadurch nicht, das gesagt wird, alles ist nornativ.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

Selina hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:14)

Besser kann man es nicht zusammenfassen, worum es hier geht. Danke :)
War nur noch lückenhaft.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:21)
Das weiß ich nicht. Ich befrage keine Glaskugeln.
Ich auch nicht. Aber ich kommuniziere - im realen Leben!! - mit ziemlich vielen Menschen.

Ich kann sehr genau und immer wieder beobachten, wie solche sozialen Auflösungsprozesse den Wunsch nach Wertegemeinschaften wecken.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Tinkerbell hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:23)

War nur noch lückenhaft.
Wieso? Die Sätze sagen doch alles: "Damit kommen Gemeinschaftsfanatiker nicht so klar, die hätten gerne Einheit und Unterordnung und verbrämen das als Verteidigung der eigentlichen Werte, die nur gemeinschaftlich zu erreichen seien. Darin spiegelt sich eine Verachtung gesellschaftlicher Unverbindlichkeit, die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert." (Unité 1). Mehr gibts dazu eigentlich nicht zu sagen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

Edit doppelt.....
Zuletzt geändert von Tinkerbell am Freitag 10. November 2017, 13:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:27)

Ich auch nicht. Aber ich kommuniziere - im realen Leben!! - mit ziemlich vielen Menschen.

Ich kann sehr genau und immer wieder beobachten, wie solche sozialen Auflösungsprozesse den Wunsch nach Wertegemeinschaften wecken.
Das machen viele so. Deine Beobachtung stimmt. Nur sollte danach auch eine Lösung angedacht werden. Die liegt nicht darin Gemeinschaft weg zudiskutieren oder Werte auszuhöhlen.

Da hat Weber schlawortartig einennSchluss inndervraum geworfen. Das soziale geht nur im nationalen. Da ist viel wahres drin und was besseres hat noch kein Denker bis heute aufgezeigt. Nur wie das nationale da zu bewerten ist, darüber kann gestritten werden.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:40)
Einerseits werden Gesetze und wird das Grundgesetz nicht vom lieben Gott sondern von Menschen gemacht. Logisch, dass deren Wertvorstellungen darin einfließen. Wie auch sonst. Aber andererseits stellt die Rechtsordnung den unabhängigen und festen Rahmen dar, innerhalb dessen sich Kultur, Praxis, wertorientiertes Handeln überhaupt erst abspielt.
Diese Darstellung ist falsch.
Die Rechtsordnung ist Teil der Kultur. Immer. Und Kultur findet auch statt, wo die Rechtsordnung gar nicht greift. Abgesehen davon, gibt es auch Kultur gegen die Rechtsordnung.

Der Rahmen der Rechtsordnung ist auch alles andere als fest. Tatsächlich wird er ständig verändert, z.T. grundlegend. Haben wir erst kürzlich am Beispiel Homosexualität durchgekaut. Ich frage mich nur, warum. Geholfen hat es offensichtlich nicht.
schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:40)
Die Gesetze ziehen die Grenzen, zäunen ein Areal ab, innerhalb dessen sich das Leben der Gesellschaft abspielt. Wenn man das nicht so sehen könnte, hieße das, Gesetze werden nach gusto ausgelegt. Das Problem dürfte nicht darin bestehen, dass das eine unzutreffende Sicht ist, sondern eher, dass es sich um triviale Feststellungen und Selbstverständlichkeiten handelt.
Die Vorstellung, gesellschaftliches Leben wäre vollständig von der Rechtsordnung erfaßt, setzt einen totalitären Staat Orwell'scher Dimension voraus. Daß z.B. Abtreibungen nur im Rahmen des § 218 durchgeführt werden, kann man glauben, muß man aber nicht.
Gesetzesübertretungen sind auch Teil des gesellschaftlichen Lebens. Dabei werden Gesetze nicht nach Gusto ausgelegt, sondern mißachtet, z.T. sogar sehr gezielt, z.B. bei Hausbesetzungen.

Das Problem ist, daß deine "trivialen Feststellungen" an der Realität vorbeigehen.
schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:40)
Ein wirklich echter Dissenz in dieser Diskussion besteht eher in der Frage, ob es sich um unsere Werte handelt. Für mich gibt es kein "uns" oder "wir" in dieser Hinsicht. Das liegt objektiv betrachtet vor allem an der konkreten Art und Weise, wie hier Gesetze, Rechtsnormen gemacht werden. Das Entscheidende ist, dass an der Gesetzgebung die gesamte Legislative beteiligt ist, zur Zeit also alle Fraktionen von AfD bis Die Linke. Wenn auch einflussmäßig entsprechend des Abgeordnetenanteils. Der Sinn dieses Verfahrens als Teil der Gewaltenteilung besteht u.a. darin, solche Übermächtigkeiten wie sie sich in einem gesellschaftlichen Wir-Empfinden ausdrücken, zu verhindern. Man muss nur diesen Prozess der forcierten Wir-Bildung in Ländern wie Ungarn oder Polen verfolgen, um zu sehen, dass das in demokratischem Sinne vernünftig ist.
Daß die Werte ganz spezifisch "unsere" seien, hat meines Wissens niemand behauptet. Deswegen geht auch das ganze Geschwätz über die angebliche Wertegemeinschaft an der Sache vorbei.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:40)
Das ist zwar nicht die Antwort auf meinen Einwand, dass die Rechtsordnung hierarchisch strukturiert ist - von Grundgesetz bis hinunter zu den Paragraphen des Strafgesetzbuchs ... aber, ja, natürlich existiert das Rechssystem nicht losgelöst von Kultur und Werten. Ich habe ja schon weiter oben geschrieben, dass ich das Verhältnis dialektisch verstehe: Einerseits werden Gesetze und wird das Grundgesetz nicht vom lieben Gott sondern von Menschen gemacht. Logisch, dass deren Wertvorstellungen darin einfließen. Wie auch sonst. Aber andererseits stellt die Rechtsordnung den unabhängigen und festen Rahmen dar, innerhalb dessen sich Kultur, Praxis, wertorientiertes Handeln überhaupt erst abspielt.
Es war Quatsch, ist Quatsch und bleibt Quatsch, was du von dir gibts.
Kultur IST alles, das was vom Menschen geschaffen wurde. Kultur spielt sich NICHT innerhalb eines eines Rechtsrahmens ab, sondern umgekehrt, Kultur bildet Grundlage und Rahmen FÜR das Rechtssystem/die Rechtsordnung.
Werte/Wertvorstellungen entstehen durch intersubjektiven Konsens und sie bilden ihrerseits die Grundlage für Normen, welche in der Rechtsordnung/Rechtssystem verbindlich festgelegt werden. Werte fließen nicht in das Rechtssystem ein, sondern bilden dessen Grundlage.
schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:40) Man kann mit seinen Kindern zum Gottesdienst gehen oder sie zum Klavierunterricht schicken oder mit ihnen nach islamischen Grundsätzen leben oder sie einfach machen lassen. Nur: Wenn man sie verprügelt macht man sich (inzwischen) strafbar. Die Gesetze ziehen die Grenzen, zäunen ein Areal ab, innerhalb dessen sich das Leben der Gesellschaft abspielt. Wenn man das nicht so sehen könnte, hieße das, Gesetze werden nach gusto ausgelegt. Das Problem dürfte nicht darin bestehen, dass das eine unzutreffende Sicht ist, sondern eher, dass es sich um triviale Feststellungen und Selbstverständlichkeiten handelt.
Die Gesetze, regeln gesellschaftliches Zusammenleben. Sie zäunen gar nichts ab, schon gar keine Kultur.
Können sie auch nicht, weil innerhalb einer Kultur entstanden sind, mit dieser Kultur weiter einwickelt sind und die Wertvorstellungen dieser Kultur widerspiegeln.
In anderen Kulturen gibt es andere Wertvorstellungen, welche wiederum von der Rechtsordnung/den Gesetzen in dieser Kultur widergespiegelt werden. Das kann u.a. dazu führen, dass sich die verschiedenen Wertvorstellungen unterschiedlicher Kulturen antagonistisch gegenüber stehen.
Bei islamisch geprägter Kultur und europäischer Kultur ist das der Fall. Das wird u.a. von der Islamwissenschaftlerin Prof. Christine Schirrmeister heraus gearbeitet. Sie stellt darüber hinaus fest, wie sehr mangelndes Wissen und Verständnis über das Rechtssystem und die Kultur den Diskurs in der westlichen Welt, wie wenig Wissen über das spezifisch islamische Menschenrechtsverständnis und seine Unterordnung unter die Scharia.
schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:40) Ein wirklich echter Dissenz in dieser Diskussion besteht eher in der Frage, ob es sich um unsere Werte handelt. Für mich gibt es kein "uns" oder "wir" in dieser Hinsicht.
Wenn es für dich kein "wir" und "uns" gibt, ist das allein dein Problem - und ich meine damit Problem!
schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:40) Das liegt objektiv betrachtet vor allem an der konkreten Art und Weise, wie hier Gesetze, Rechtsnormen gemacht werden. Das Entscheidende ist, dass an der Gesetzgebung die gesamte Legislative beteiligt ist, zur Zeit also alle Fraktionen von AfD bis Die Linke. Wenn auch einflussmäßig entsprechend des Abgeordnetenanteils. Der Sinn dieses Verfahrens als Teil der Gewaltenteilung besteht u.a. darin, solche Übermächtigkeiten wie sie sich in einem gesellschaftlichen Wir-Empfinden ausdrücken, zu verhindern. Man muss nur diesen Prozess der forcierten Wir-Bildung in Ländern wie Ungarn oder Polen verfolgen, um zu sehen, dass das in demokratischem Sinne vernünftig ist.
Nein, das liegt NICHT objektiv daran ..., sondern an DEINER subjektiv verqueren Sicht auf Kultur, an deinem Nichtbegreifen, dass es OHNE spezifische Merkmale einer Kultur, keine (wie auch immer geartete) Rechtsordnung geben kann.
Du kapierst ja nicht einmal, dass die ganz konkrete Gewaltenteilung, OHNE ein ganz entscheidendes Merkmal unserer Kultur - genannt DEMOKRATIE - gar nicht geben würde.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:27)

Ich auch nicht. Aber ich kommuniziere - im realen Leben!! - mit ziemlich vielen Menschen.

Ich kann sehr genau und immer wieder beobachten, wie solche sozialen Auflösungsprozesse den Wunsch nach Wertegemeinschaften wecken.
Ich rede auch gelegentlich mit Menschen. Sogar mit Gewerkschafltern, z.B. von der IGM oder von ver.di.
Im Öffentlichen Dienst werden übrigens nicht weniger, sondern mehr Tarifverträge abgeschlossen.
Es mischen immer mehr kleinere Gewerkschaften mit.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von PeterK »

Dark Angel hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:02)
Natürlich gibt es kein Kongruenz zwischen Kollektiv und Kultur ...
Prima, dann sind wir uns ja einig: Eine verbindende spezifisch deutsche Kultur gibt es (wenn man von der Sprache absieht) nicht, weil es keine Kongruenz zwischen dem Kollektiv der Deutschen und einer Kultur gibt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Die Vielfalt der Gesellschaft - die Existenz der Vier Gewalten (Exekutive, Legislative, Judikative und publikative Gewalt), der ständige Interessensausgleich verschiedener Gruppen mit Hilfe der Politik, sämtliche Institutionen eines Staates, Religionsvielfalt und Religionsfreiheit - all das immer unter "Kultur" zu subsumieren, nennt man schlicht Kulturalismus. Dieser Kulturbegriff hat etwas Mystisches, als müsse man dabei von irgendeiner "höheren Gewalt" ausgehen, die einfach so hinzunehmen sei. Das hat auch nichts mehr mit weiterem oder engerem Kulturbegriff zu tun.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

PeterK hat geschrieben:(10 Nov 2017, 14:20)

Prima, dann sind wir uns ja einig: Eine verbindende spezifisch deutsche Kultur gibt es (wenn man von der Sprache absieht) nicht, weil es keine Kongruenz zwischen dem Kollektiv der Deutschen und einer Kultur gibt.
Schöner satirischer Kurzschluss.

Es gibt keine kollektiv der deutsche ( weder als kollektiv selbst noch DER deutschen). Es gibt das volk der deutschen. Das besteht aus einer Vielzahl von individuen. Jedes hat seine kulturelle prägungung. Die Deutschen haben sich im laufe der Jahrhunderte eine bestimmte Sicht auf Kultur erarbeitet, die in vielen Dingen einmalig auf der welt ist und die eine rahmen für eine Wertegemeinschaft ist, wo der einzelne was zu beitragen kann.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

PeterK hat geschrieben:(10 Nov 2017, 14:20)

Prima, dann sind wir uns ja einig: Eine verbindende spezifisch deutsche Kultur gibt es (wenn man von der Sprache absieht) nicht, weil es keine Kongruenz zwischen dem Kollektiv der Deutschen und einer Kultur gibt.
Der Schwachsinn, den du von dir gibst, bleibt auch dann noch Schwachsinn, wenn du ihn noch mehrfach wiederholst.
Es gibt eine verbindede spezifisch deutsche Kultur außerhalb der Sprache und diese spezifisch deutsche Kultur basiert auf intersubjektivem Konsens. Es gibt kein "Kollektiv der Deutschen", es gibt nur ein Deutsches Volk und das wiederum definiert sich a) über kulturelle Gemeinsamkeiten über die Sprache hinaus und b) über die Staatszugehörigkeit und das wiederum bedeutet c) das Volk, im Gegensatz zu Kollektiv kein homogenes Gebilde ist.
Es gibt genauso eine verbindende deutsche Kultur, ie es eine verbindende französische Kultur gibt oder eine verbindende polnische, britische etc.

Versuche mal den Schwachsinn vom Nichtvorhandensein einer Kongruenz zwischen " dem Kollektiv der Franzosen und französischer Kultur und daraus resultierend, dass es keine verbindende französische Kultur gäbe, zu erzählen. Der ird dich mit Sicherheit für verrückt erklären.
Es gibt kein Land, in dem das Vorhandensein einer verbindenden Kultur derart geleugnet wird, wie es in Deutschland der Fall ist.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Ammianus »

Selina hat geschrieben:(10 Nov 2017, 14:39)

Die Vielfalt der Gesellschaft - die Existenz der Vier Gewalten (Exekutive, Legislative, Judikative und publikative Gewalt), der ständige Interessensausgleich verschiedener Gruppen mit Hilfe der Politik, sämtliche Institutionen eines Staates, Religionsvielfalt und Religionsfreiheit - all das immer unter "Kultur" zu subsumieren, nennt man schlicht Kulturalismus. Dieser Kulturbegriff hat etwas Mystisches, als müsse man dabei von irgendeiner "höheren Gewalt" ausgehen, die einfach so hinzunehmen sei. Das hat auch nichts mehr mit weiterem oder engerem Kulturbegriff zu tun.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von PeterK »

Dark Angel hat geschrieben:(10 Nov 2017, 22:05)
Der Schwachsinn, den du von dir gibst, bleibt auch dann noch Schwachsinn, wenn du ihn noch mehrfach wiederholst.
Es gibt eine verbindede spezifisch deutsche Kultur außerhalb der Sprache und diese spezifisch deutsche Kultur basiert auf intersubjektivem Konsens. Es gibt kein "Kollektiv der Deutschen", es gibt nur ein Deutsches Volk ...
Darf ich aus Deinem (wie so oft) höflich und stilvoll formulierten "Beitrag" schließen, dass Deiner Ansicht nach ein Volk kein Kollektiv ist?
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

PeterK hat geschrieben:(10 Nov 2017, 22:25)

Darf ich aus Deinem (wie so oft) höflich und stilvoll formulierten "Beitrag" schließen, dass Deiner Ansicht nach ein Volk kein Kollektiv ist?
Na klar, selbstverständlich ist ein Volk auch ein Kollektiv. Der Begriff "Kollektiv" kam im Sozialismus nur leider in Misskredit, deshalb verwenden ihn heute viele nicht mehr. Aber ansonsten hast du vollkommen recht, auch mit deinem ironischen Kommentar zum "höflich und stilvoll formulierten Beitrag" ;)

Zitat:

Der Begriff Kollektiv (lat: colligere „zusammensuchen“, „zusammenlesen“) benennt unspezifisch soziale Gebilde, deren Zugehörige nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten zusammengefasst werden – es kann etwa ein Volk, eine Klasse oder eine Belegschaft sein.

https://de.wikipedia.org/wiki/Kollektiv
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von ryu1850 »

Dark Angel hat geschrieben:(10 Nov 2017, 22:05)


Es gibt eine verbindede spezifisch deutsche Kultur außerhalb der Sprache und diese spezifisch deutsche Kultur basiert auf intersubjektivem Konsens. Es gibt kein "Kollektiv der Deutschen", es gibt nur ein Deutsches Volk und das wiederum definiert sich a) über kulturelle Gemeinsamkeiten über die Sprache hinaus und b) über die Staatszugehörigkeit.......
Was sind denn kulturelle Gemeinsamkeiten die über die Sprache hinaus gehen?
Sind es Handlungsweisen, Einstellungen und Vorlieben die von einer statistischen Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden?

Beispiel: Statistisch gesehen ist XY das liebste Essen der Deutschen, ist dann dieses Essen Teil der "verbindenden deutschen Kultur"? Was ist mit den Deutschen die dieses essen nicht mögen? "Fehlt" ihnen ein Stück deutscher Kultur?

Reicht es nicht wenn jemand sich dazu bekennt, seinen persönlichen Lebensentwurf im Rahmen des Grundgesetzes leben zu wollen? Alles andere wird unter Individualität zusammengefasst.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

ryu1850 hat geschrieben:(11 Nov 2017, 15:36)

Was sind denn kulturelle Gemeinsamkeiten die über die Sprache hinaus gehen?
Sind es Handlungsweisen, Einstellungen und Vorlieben die von einer statistischen Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden?

Beispiel: Statistisch gesehen ist XY das liebste Essen der Deutschen, ist dann dieses Essen Teil der "verbindenden deutschen Kultur"? Was ist mit den Deutschen die dieses essen nicht mögen? "Fehlt" ihnen ein Stück deutscher Kultur?

Reicht es nicht wenn jemand sich dazu bekennt, seinen persönlichen Lebensentwurf im Rahmen des Grundgesetzes leben zu wollen? Alles andere wird unter Individualität zusammengefasst.
Jenau, jenau allet indevidualidät. Nur das du nicht wusstest was deine indevidualidäd wär, wenn du nicht die durch die Adaption und Sozialisation durch tradiertem wertmaßstab hättest formen können. Dä indevidualidäd heute hat ja nach deinen Ausführung nix mehr mit Erziehung zu tun...merkt man häufig.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Ein Terraner »

Ammianus hat geschrieben:(10 Nov 2017, 22:17)

...
Frag doch einfach wenn du mit den Fremdwörtern nichts anfangen kannst.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Unité 1 »

Tinkerbell hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:13)

Konsistente Antwort. Nur wird darin vergessen, dass es nicht darum geht , wie ich zu dir , ihm oder sonst wem stehe und umgekehrt, sondern wie der Rahmen gezogen wird, in dem das anerkennen des anderen der raum gegeben wird, um der erarbeitet freiheit im Bereich der Wertinterpretation, die uns frei gemacht haben, zu ermöglichen.
Du hast mich falsch verstanden, es geht richtigerweise nicht darum, wie du zu mir oder sonstwem stehst. Das steht da auch nicht, sondern um die Anerkennung, dass jemand wo steht. Die Unverbindlichkeit schreibt kein so-oder-so-stehen vor. Du kannst es gerne innerlich ablehnen oder es öffentlich thematisieren (im Rahmen der Gesetze), akzeptieren musst du es trotzdem. Das ist die Verbindlichkeit. Und das ist auch
Deshalb ist die Anerkennung hier herrschender Gesetze nach unserer Interpretation Grundlage. Ein formales Bekenntnis dazu ist inhaltsleer. Die FDGO ist nun mal formal nicht zu begreifen und zu fassen.
ein implizites Bekenntnis zu den und Anerkennung der den Grundrechten zugrundeliegenden Werte.

Wie du schon richtig sagst, ein gefordertes formales Bekenntnis wäre wie ein Fahnenappell ein inhaltsleeres, nur symbolisches Ritual. Anerkennung lässt sich nicht erzwingen.
Da ist nix mit über's oder Unterordnung, da ist nur was mit verstehenchtsentwic Verständnis.
Kann ich beim besten Willen nicht entziffern.

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 Nov 2017, 13:11)

Ja. Das ist so ziemlich genau das, was ich auch in der ganzen Diskussion versuche, deutlich zu machen.

Ich hab' eine ganze Weile über diese Unterscheidung von Normativismus und Dezisionismus bei den Rechtsphilosophien nachgedacht. Über Recht als Sollen oder Recht als Sein. Was die "Erzeugung" einer Rechtsordnung anbetrifft, also den Weg und die Regeln der Erarbeitung von Gesetzen, bin ich klar und eindeutig Normativist. Und zwar mit Aufklärung, Humanismus, Demokratie als Grundnorm. Recht entsteht nicht im luftleeren Raum. Sind Gesetze jedoch einmal erlassen, gültig, niedergeschrieben, sind sie "dezisionistisch" anzusehen, so als wären sie unhinterfragbar und nicht zu hinterfragen von einer absoluten Instanz in die Welt gesetzt. Bei Hobbes wäre dies der absolute bändigende Staat. Sonst läuft man in die Falle des Kulturalismus. Indem man die Gesetze, die eigentlich Verbindlichkeiten sind, als Kulturleistung und auch noch als Unterscheidungsmerkmal zu anderen "Kulturen" ansieht. Das ist nicht ihr Zweck. Ihr Zweck ist es, einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen Kultur und wertorientiertes Handeln überhaupt erst stattfindet und stattfinden kann: "Die Verbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert.".
Ich denke, dass du dabei dich einer Illusion hingibst, dass unhinterfragbare Gesetze tatsächlich nicht hinterfragt würden, nur weil ein Dogma aufgestellt wurde. Dieser Grundsatz verstieße den Grundsatz demokratischer Selbstbestimmung, was ihn anfällig macht für Aushebelungen. Verschwände der normative Charakter irgendwann, wäre die Verteidigung des Dogmas leeres Ritual und Symbolik und über kurz oder lang würde es gekippt, weil der Grund zur Verteidigung fehlt. Paradoxerweise sind insbesondere Demokratien dafür anfällig aufgrund der Notwendigkeit, Mehrheiten zu gewinnen. Ein Dogma herauszufordern, an das niemand mehr glaubt, ist ein hervorragendes Thema, um Wähler anzusprechen und zu mobilisieren. Es ist risikofrei und populistisch. Es erlaubte die Inszenierung als Kämpfer für die Selbstbestimmung des Volkes.

Ich stimme dir im Prinzip zum Gedanken unhinterfragbarer Menschenrechte zu, denke aber, dass ohne Wertbetonung und regelmäßige -erneuerung die humanistische und demokratische Basis erodiert. Ich sehe noch nicht mal einen prinzipiellen Widerspruch. Menschenrechte als Naturrechte können - und sollten meiner Meinung nach - mit Verve verteidigt und gelobt werden als normative Basis. Das festigte ein Dogma. Menschenrechte als universelle Rechte lassen sich eigentlich auch nicht kulturalistisch aufladen, da sie allgültig sind. Sie sind Ergebnis der Menschheitskultur. Ich sehe es so: Aufgrund des universellen Charakters der Menschenrechte, muss die "Entdeckung" bzw. Formulierung ein historischer Zufall gewesen sein. Sie existierten ja bereits, waren nur noch nicht expliziert. Das hätte demnach überall passieren können und aus diesem Grund taugt es nicht als Unterscheidungsmerkmal. Es ist im Gegenteil ein einigendes.

Der Verlust der normativen Basis wäre übrigens auch meine Antwort auf die Frage nach dem Erstarken von Gemeinschaftsverfechtern im hier diskutierten Sinn. So wie Gemeinschaftsideen radikal aufgeladen und gedeutet werden können, so gilt das auch für Gesellschaftsideen. Ohne verbindendes, also gemeinschaftliches Element fehlt der innere Grund für Zusammenhalt von Gesellschaften. Die Erosion der Solidarität, der Abbau des Sozialstaats, usw., all das sind für mich Audruck eines gesellschaftsfanatischen Ideals, wonach jeder atomisiert seines Glückes Schmied sei. Da geht es mir nicht um ökonomische Aspekte, sondern um den sozialen Klebstoff gewissermaßen. Nichts ist tödlicher für gesellschaftliche Stabilität als eine zu starke Ungleichverteilung von Wohlstand. Wird dies noch ideologisch untermauert, es liege an einem selbst, ob Karriere gemacht oder Wohlstand erreicht wird, wird die Ungleichverteilung legitimiert. NIchts anderes erleben wir mMn seit den 80ern, seit Giddens drittem Weg und dem Sterben der Sozialdemokratie. Natürlich; ohne eigene Leistung wird nichts erreicht. Aber das bedeutet nicht den Umkehrschluss, dass mit eigener Leistung automatisch was erreicht werde. Die Unverbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert.

Wertegemeinschaft einem Rechtsstaat gegenüberzustellen, halte ich für nicht zielführend. Ich würde bestreiten, dass Grundrechte kulturspezifisch seien. Vielleicht gilt dies, wenn überhaupt, für Interpretationen von auf dem Humanismus fußenden Grundrechten. Aber diese können nicht den universellen Menschenrechten gegenübergestellt werden, sonst wäre die Interpretation selbst eine Gegenüberstellung.

Zugespitzt gesagt: Den liberalen Rechtsstaat zu entwerten, hieße den Gemeinschaftsfanatikern zuvorzukommen. Besser wäre, ihn zu verteidigen. ;)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

Zwei Juden machen sich Gedanken über die deutsche Kultur und ein leibhaftiger Holocaust-Leugner tritt auch auf:

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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Ammianus »

Ein Terraner hat geschrieben:(11 Nov 2017, 15:47)

Frag doch einfach wenn du mit den Fremdwörtern nichts anfangen kannst.
Dazu bin ich viel zu dumm. Ich bin nämhlich ein Nazi. Ich weiss nicht wie man ein Fragezeichen malt oder gar wie es aussieht ...

(Merke: wer "nähmlich" mit h schreibt ist dämlich
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Alpha Centauri »

[quote="ryu1850"](11 Nov 2017, 15:36)

Was sind denn kulturelle Gemeinsamkeiten die über die Sprache hinaus gehen?
Sind es Handlungsweisen, Einstellungen und Vorlieben die von einer statistischen Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden?

Beispiel: Statistisch gesehen ist XY das liebste Essen der Deutschen, ist dann dieses Essen Teil der "verbindenden deutschen Kultur"? Was ist mit den Deutschen die dieses essen nicht mögen? "Fehlt" ihnen ein Stück deutscher Kultur?

Reicht es nicht wenn jemand sich dazu bekennt, seinen persönlichen Lebensentwurf im Rahmen des Grundgesetzes leben zu wollen? Alles andere wird unter Individualität zusammengefasst.[/quote
]


Ja, und ich kann noch ergänzen, ich bin Weltbürger kein Staatsbürger. Nieder mit dem Nationalstaat.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Unité 1 hat geschrieben:(11 Nov 2017, 16:54)

So wie Gemeinschaftsideen radikal aufgeladen und gedeutet werden können, so gilt das auch für Gesellschaftsideen. Ohne verbindendes, also gemeinschaftliches Element fehlt der innere Grund für Zusammenhalt von Gesellschaften. Die Erosion der Solidarität, der Abbau des Sozialstaats, usw., all das sind für mich Audruck eines gesellschaftsfanatischen Ideals, wonach jeder atomisiert seines Glückes Schmied sei. Da geht es mir nicht um ökonomische Aspekte, sondern um den sozialen Klebstoff gewissermaßen. Nichts ist tödlicher für gesellschaftliche Stabilität als eine zu starke Ungleichverteilung von Wohlstand. Wird dies noch ideologisch untermauert, es liege an einem selbst, ob Karriere gemacht oder Wohlstand erreicht wird, wird die Ungleichverteilung legitimiert. NIchts anderes erleben wir mMn seit den 80ern, seit Giddens drittem Weg und dem Sterben der Sozialdemokratie. Natürlich; ohne eigene Leistung wird nichts erreicht. Aber das bedeutet nicht den Umkehrschluss, dass mit eigener Leistung automatisch was erreicht werde. Die Unverbindlichkeit wird zum alleinigen Merkmal hochstilisiert.
Diese "jeder ist seines Glückes Schmied"-Losung empfinde ich als unheimlich verlogen. Aber genauso ist es, wie von dir geschildert. Darauf baut sich ja diese gesamte Gesellschaft inzwischen auf, seit die Sozialdemokratie aufgehört hat, sozialdemokratisch zu sein. Das Ganze geschieht auch nicht ohne Absicht. Denn wird dem letzten Hartz-vier-Bezieher (gilt für ganz Europa, wo es ja fast überall ähnliche "Sozial-Transfers" gibt) dann auch endlich mal klar, dass er sich abstrampeln kann noch und nöcher und er es einfach nicht schafft, da rauszukommen und es seine Kinder auch nicht schaffen, da rauszukommen, wachsen eine Resignation, ein Fatalismus und eine passive Insichgekehrtheit heran, woraus niemals eine gesellschaftsverändernde Kraft entstehen kann. Und so bleibt alles immer schön beim Alten. Wie gewünscht in den Kreisen, wo Macht und Geld zusammenfließen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Unité 1 hat geschrieben:(11 Nov 2017, 16:54)
Zugespitzt gesagt: Den liberalen Rechtsstaat zu entwerten, hieße den Gemeinschaftsfanatikern zuvorzukommen. Besser wäre, ihn zu verteidigen. ;)
Er liegt zumindest auf einer anderen Ebene. Man hat ihn als grundsätzliche Voraussetzung für Kulturausübung überhaupt zu verteidigen. Das "Stufenmodell der Rechtsordnung" als grundsätzliches rechtsphilosophisches Basismodell macht schon Sinn. Bzw. macht es keinen Sinn, von Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, demokratischen Grundprinzipien bis hinunter zu Strafrecht, Freiheit der Kunst, Pressefreiheit usw. alles zu einer großen Kultur- und Wertepampe zu verrühren. Weil sich so eigentlich kaum genaue und präzise Aussagen machen lassen.

Einer der etablierten und verbreitet genutzten Begriffe ist der der "demokratischen Kultur". Es gibt ein "Zentrum für demokratische Kultur" usw. Der Begriff "demokratische Kultur" meint etwas anderes als "Demokratie als Kultur". Er meint die Ausübung und Wahrnehmung gegebener demokratischer Strukturen.

Dieses Schichtenmodell anstelle von "alles ist Kultur" ist das eine. Vielleicht noch wesentlicher ist die Überwindung der Vorstellung von Demokratie als der "Kultur des Westens". Was immer mit "Westen" eigentlich gemeint ist. Demokratie ist eine gesellschaftliche Daseinspraxis, die sich aus allgemein und universell gültigen humanen, anthropologischen, menschenbezogenen Werten ergibt. Es ist insbesondere ein Irrtum, dass der Islam als Religion prinzipell demokratieunfähig sei. Zurecht wird darauf hingewiesen, dass der Islamismus als tatsächlich demokratieinkompatible Variante seine eigentlichen Wurzeln in der Zeit der Kolonialreiche hat. Zum einen als Widerstand gegen koloniale Fremdherrschaft. Zum anderen wurden immer wieder islamistische Bewegungen von westlichen Staaten in ihren lokalen Machtkämpfen instrumentalisiert. Der Wahhabitismus etwa richtete sich zum einen gegen den kolonialen Einfluss des Westens und wurde zum anderen von England bei der Ausbreitung auf der arabischen Halbinsel protegiert. Diese Doppelstrategie des Westens (Unterdrückung+Instrumentalisierung) dauert im Prinzip bis heute an.

Die christlichen Religionen gäben sehr wohl auch genügend Vorlagen her, um bei einer wortwörtlichen Auslegung bei Terror und Diktatur zu landen. Und so wie die attische Demokratie des alten Griechenlands nicht zuletzt auch auf der privilegierten Stellung aller Nichtfrauen und Nichtsklaven beruht, so basierte die Entwicklung im Urland der Demokratie, England, nicht zuletzt auf der privilgierten Stellung dieses Herren-Landes in einem Weltkolonialreich, in welchem es sich gut und angenehm demokratisieren ließ.
Der Islam gibt kein eindeutiges politisches Modell vor. Der Slogan, der Islam sei „din wa-daula“, also gleichzeitig „Religion und Staat“, ist die Schöpfung von Islamisten, die im 19. Jahrhundert den Kampf gegen die Kolonialmächte aufgenommen hatten und forderten, an die Frühzeit des Islams anzuknüpfen, also etwa die Trennung von Religion und Staat aufzuheben. So wollten sie dem übermächtigen Westen eine eigene islamische, in sich ruhende Welt entgegenstellen.
(FAZ)
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Als Neuling hier habe ich nicht den gesamten Thread gelesen, aber vieles geht natürlich wie immer in Richtung Bratwurst und Tirolerhut und ähnlich sinnvoller kultureller Errungenschaften.

Vielleicht wäre es sinnvoll, erst einmal zu einem grundsätzlichen Verständnis des Begriffes zu gelangen.

Im Bourdieu-Handbuch findet sich eine auf den ersten Blick ganz brauchbare sozialwissenschaftliche Definition des Kulturbegriffes, wonach dieser Kulturbegriff "eine jeweilige Gesamtheit symbolischer, ideeler und materieller Ausdrucksformen umfasst. Diese können sich auf konkrete Interaktionsverhältnisse, Institutionen, gruppen- oder gesellschaftsspezifische Ritualisierungen beziehen, die bewusst oder unbewusst vollzogen werden und somit als Stabilität garantierende normen- und wertbezogene Bindungen verstanden werden."

Diese Definition liefert zumindest einen brauchbaren Rahmen, denn jeder steckt in diesen in einem soziokulturellen Milieu erworbenen Verhältnissen und Ritualisierungen. Und im Sprechen, im Gebrauch von Begriffen mit "verschobenen" Bedeutungen erkennen wir ganz rasch den Unterschied.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Es gibt eine Menge verschiedener Kulturbegriffe. Mal ganz unabhängig von engem oder weitem Kulturbegriff findet man im Internet locker fünf oder mehr Kulturbegriffe. Der Kern der Debatte scheint mir in dem Satz von schokoschendrezki zu liegen: "Der Begriff 'demokratische Kultur' meint etwas anderes als 'Demokratie als Kultur'." Und eine demokratische Kultur schließt für mich ein, tolerant, weltoffen und liberal zu leben. Die enge deutsche Befindlichkeit, die sich in irgendeiner "verbindenden deutschen Kultur" äußert oder gar in einer "Leitkultur", ist weltfremd und arrogant. Wenn das Ganze dann noch im frei erfundenen "Kampf der Kulturen" gipfelt, dann weiß man, wo der Hase im Pfeffer liegt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(14 Nov 2017, 08:34)

Als Neuling hier habe ich nicht den gesamten Thread gelesen, aber vieles geht natürlich wie immer in Richtung Bratwurst und Tirolerhut und ähnlich sinnvoller kultureller Errungenschaften.

Vielleicht wäre es sinnvoll, erst einmal zu einem grundsätzlichen Verständnis des Begriffes zu gelangen.

Im Bourdieu-Handbuch findet sich eine auf den ersten Blick ganz brauchbare sozialwissenschaftliche Definition des Kulturbegriffes, wonach dieser Kulturbegriff "eine jeweilige Gesamtheit symbolischer, ideeler und materieller Ausdrucksformen umfasst. Diese können sich auf konkrete Interaktionsverhältnisse, Institutionen, gruppen- oder gesellschaftsspezifische Ritualisierungen beziehen, die bewusst oder unbewusst vollzogen werden und somit als Stabilität garantierende normen- und wertbezogene Bindungen verstanden werden."

Diese Definition liefert zumindest einen brauchbaren Rahmen, denn jeder steckt in diesen in einem soziokulturellen Milieu erworbenen Verhältnissen und Ritualisierungen. Und im Sprechen, im Gebrauch von Begriffen mit "verschobenen" Bedeutungen erkennen wir ganz rasch den Unterschied.
Weder Bratwurst noch Tirolerhut sind sinnlos.
Die eine schmeckt gut und der andere ist praktisch ... zumindest wenn du Kühe auf der Alm hüten musst und es regnet.
Interaktionsverhältnisse ist ein schöner Begriff, muß man aber mit konkreten Beispielen füllen.
ZB. sind diese weit eher bestimmt vom sozialen Status als von einem Nationalverständnis oder national definierten Kulturbegriff.
Meist verhält sich beides sogar konträr, je höher der soziale Status, desto unwichtiger die Volksgemeinschaft.
Jedoch gibt es immer noch Dinge, die im deutschen Kulturraum spezifisch sind.
Jeder ... zumindest in meiner Generation kann was mit dem Namen Siegfried anfangen und meint damit keinen Magier in Las Vegas.
Auch jeder denkt bei Schneewittchen erst einmal an das Grimm Märchen,das er als Kind vorgelesen bekommen hat und nicht an einen Disney Film.
Es gibt also Begriffe, die kulturspezifisch sind und die nur hier,in unsrem geschichtlichen Kontext verstanden werden und die anderswo mit einer anderen Bedeutung beladen sind.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

odiug hat geschrieben:(14 Nov 2017, 09:11)


Interaktionsverhältnisse ist ein schöner Begriff, muß man aber mit konkreten Beispielen füllen.
Jede Begegnung zwischen Menschen ist ein Interaktionsverhältnis. Und wenn man sich die unendliche Zahl möglicher Sätze ins Bewusstsein ruft, die dabei ausgetasucht werden im gemeinsamen Handeln etc. (und auch Sprechen ist immer ein Tun), dann ist auch klar, warum es Unfug ist, wenn jemand einen auffordert, "mal zu definieren, was deutsche Kultur ist" - quasi als Bedingung, dass es die überhaupt geben könne. Aber wer in dieser Interaktion steckt, wird an Sätzen oder Handlungen u.U. klar und ohne viel nachzudenken erkennen, was nun deutsch ist oder eher nicht. Erst im "das nicht" zeigt sich die Abgrenzung so richtig. So, wie man ohne nachzudenken glücklich in den Tag lebt, ohne von diesem Glück zu wissen, aber wenn man mit der Birne hart gegen das Schicksal knallt und das Glück an die Wand gefahren hat, weiß man, dass es das gibt/gab. Aber positiv zu definieren ist unmöglich. Wie bei der Kultur. Deshalb ist Leitkultur auch Unsinn, aber man könnte trotzdem ein paar unstrittige Leitlinien formulieren. Ob es nun gerade Politiker sein müssen, die das tun, ist wieder eine andere Frage.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

odiug hat geschrieben:(14 Nov 2017, 09:11)
Auch jeder denkt bei Schneewittchen erst einmal an das Grimm Märchen,das er als Kind vorgelesen bekommen hat und nicht an einen Disney Film.
Es gibt also Begriffe, die kulturspezifisch sind und die nur hier,in unsrem geschichtlichen Kontext verstanden werden und die anderswo mit einer anderen Bedeutung beladen sind.
"Schneewittchen" als Märchen im Buch der Brüder Grimm ist auch nur eine von zig Dutzend Varianten ein- und derselben nicht nur europaweit sondern bis nach Arabien, Afrika und die Mongolei verbreiteten Ur-Legende.

Und eines der (vermeintlich) deutschesten aller Kulturobjekte, die heutige Nationalhymne und frühere "Kaiserhymne" Josef Haydns basiert auf einem alten burgenland-kroatischen Volkslied. Und zwar nicht nur irgendwie und ungefähr. Das "Lied der Deutschen" ist passagenweise mit diesem Volkslied melodisch vollkommen identisch. (http://fenix-magazin.de/melodieteile-de ... en-gleich/, [url]ttps://www.youtube.com/watch?v=6GYiDajT-kQ[/url]) Haydn unternahm bei seinem mehrjährigen Aufenthalt auf Schloss Eszterháza im ungarischen Burgenland Spaziergänge durch kroatisch besiedelte Dörfer.

Bei genauerem Hinsehen stellen sich sehr viele vermeintlich nationaltypische Phänomene als das Ergebnis von Austausch und Überformungen heraus.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Sextus Ironicus
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(14 Nov 2017, 10:31)



Bei genauerem Hinsehen stellen sich sehr viele vermeintlich nationaltypische Phänomene als das Ergebnis von Austausch und Überformungen heraus.
Aber klar, aller Austausch beinhaltet auch, dass etwas genau so und nicht anders absorbiert und umgeformt, integriert wird. Außer ein paar vollkommen nationalistischen Reinheitstoren würde auch niemand das Gegenteil behaupten.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(14 Nov 2017, 09:38)

Jede Begegnung zwischen Menschen ist ein Interaktionsverhältnis. Und wenn man sich die unendliche Zahl möglicher Sätze ins Bewusstsein ruft, die dabei ausgetasucht werden im gemeinsamen Handeln etc. (und auch Sprechen ist immer ein Tun), dann ist auch klar, warum es Unfug ist, wenn jemand einen auffordert, "mal zu definieren, was deutsche Kultur ist" - quasi als Bedingung, dass es die überhaupt geben könne. Aber wer in dieser Interaktion steckt, wird an Sätzen oder Handlungen u.U. klar und ohne viel nachzudenken erkennen, was nun deutsch ist oder eher nicht. Erst im "das nicht" zeigt sich die Abgrenzung so richtig. So, wie man ohne nachzudenken glücklich in den Tag lebt, ohne von diesem Glück zu wissen, aber wenn man mit der Birne hart gegen das Schicksal knallt und das Glück an die Wand gefahren hat, weiß man, dass es das gibt/gab. Aber positiv zu definieren ist unmöglich. Wie bei der Kultur. Deshalb ist Leitkultur auch Unsinn, aber man könnte trotzdem ein paar unstrittige Leitlinien formulieren. Ob es nun gerade Politiker sein müssen, die das tun, ist wieder eine andere Frage.

So es ist. Speziell zum Deutschen muss noch angemerkt werden, dass beim nation buildung nach Napoleon die gemeinsame klammer in d das war, was die menschen als gemeinsames kulturelles gerüst ansahen. D ist aus einer gemeinsamen gültigen Ordnungsfunktion der Kultur zur nation geworden. Andere nationen hatten zuerst politische, machtstrukturelle wurzeln.

So und jetzt wieder die Kulturrelativisten anne Front. Hoch lebe die belanglosigkeit.
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Selina
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Tinkerbell hat geschrieben:(14 Nov 2017, 11:23)

So es ist. Speziell zum Deutschen muss noch angemerkt werden, dass beim nation buildung nach Napoleon die gemeinsame klammer in d das war, was die menschen als gemeinsames kulturelles gerüst ansahen. D ist aus einer gemeinsamen gültigen Ordnungsfunktion der Kultur zur nation geworden. Andere nationen hatten zuerst politische, machtstrukturelle wurzeln.

So und jetzt wieder die Kulturrelativisten anne Front. Hoch lebe die belanglosigkeit.
Das ist der eigentliche Hintergrund: Die "verbindende deutsche Kultur"-Leute wollen nicht "belanglos" sein. Sie wollen irgendetwas sein, wenigstens ein kleines bisschen bedeutend. Man ist ja auch so gequält worden die Jahrzehnte nach dem Krieg, man musste sich klein und niedrig machen, stets und ständig ducken vor der Forderung der Weltgemeinschaft, reinen Tisch mit der braunen Brut zu machen. Und das ein für allemal. Nun will man endlich wieder wer sein, man fordert eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" und ein völlig neues Geschichtsbild, wonach die Wehrmacht auch mal gelobt werden darf wegen all ihrer "Leistungen". Mir kommen die Tränen.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tinkerbell »

Selina hat geschrieben:(14 Nov 2017, 14:10)

Das ist der eigentliche Hintergrund: Die "verbindende deutsche Kultur"-Leute wollen nicht "belanglos" sein. Sie wollen irgendetwas sein, wenigstens ein kleines bisschen bedeutend. Man ist ja auch so gequält worden die Jahrzehnte nach dem Krieg, man musste sich klein und niedrig machen, stets und ständig ducken vor der Forderung der Weltgemeinschaft, reinen Tisch mit der braunen Brut zu machen. Und das ein für allemal. Nun will man endlich wieder wer sein, man fordert eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" und ein völlig neues Geschichtsbild, wonach die Wehrmacht auch mal gelobt werden darf wegen all ihrer "Leistungen". Mir kommen die Tränen.
Dir kann alles kommen. Bei deinem schmalbrüstigem geschreibsel kommen mit die lachtränen. Nichts als gefasel von dir. Niemand war klein und mickrig, nur du bist es. Kann der T beurteilen, der war viel unterwegs draußen inne welt. Deine braunphobie steck dir an den Po. Da könntest du die abwischen, aber du brauchst die ja noch, mehr hast ja nicht.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Tinkerbell hat geschrieben:(14 Nov 2017, 17:30)

Dir kann alles kommen. Bei deinem schmalbrüstigem geschreibsel kommen mit die lachtränen. Nichts als gefasel von dir. Niemand war klein und mickrig, nur du bist es. Kann der T beurteilen, der war viel unterwegs draußen inne welt. Deine braunphobie steck dir an den Po. Da könntest du die abwischen, aber du brauchst die ja noch, mehr hast ja nicht.
Oh, wie nett. War wohl ein Treffer ins Schwarze, oder besser, ins Braune? :D
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odiug

Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

schokoschendrezki hat geschrieben:(14 Nov 2017, 10:31)

"Schneewittchen" als Märchen im Buch der Brüder Grimm ist auch nur eine von zig Dutzend Varianten ein- und derselben nicht nur europaweit sondern bis nach Arabien, Afrika und die Mongolei verbreiteten Ur-Legende.

Und eines der (vermeintlich) deutschesten aller Kulturobjekte, die heutige Nationalhymne und frühere "Kaiserhymne" Josef Haydns basiert auf einem alten burgenland-kroatischen Volkslied. Und zwar nicht nur irgendwie und ungefähr. Das "Lied der Deutschen" ist passagenweise mit diesem Volkslied melodisch vollkommen identisch. (http://fenix-magazin.de/melodieteile-de ... en-gleich/, [url]ttps://www.youtube.com/watch?v=6GYiDajT-kQ[/url]) Haydn unternahm bei seinem mehrjährigen Aufenthalt auf Schloss Eszterháza im ungarischen Burgenland Spaziergänge durch kroatisch besiedelte Dörfer.

Bei genauerem Hinsehen stellen sich sehr viele vermeintlich nationaltypische Phänomene als das Ergebnis von Austausch und Überformungen heraus.
Ja schon ... Archetypen dieser Art finden sich in allen Kulturen in der ein oder anderen Form ... aber in Deutschland denkt man dabei halt an die Gebrüder Grimm und nicht an Walt Disney.
odiug

Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(14 Nov 2017, 09:38)

Jede Begegnung zwischen Menschen ist ein Interaktionsverhältnis. Und wenn man sich die unendliche Zahl möglicher Sätze ins Bewusstsein ruft, die dabei ausgetasucht werden im gemeinsamen Handeln etc. (und auch Sprechen ist immer ein Tun), dann ist auch klar, warum es Unfug ist, wenn jemand einen auffordert, "mal zu definieren, was deutsche Kultur ist" - quasi als Bedingung, dass es die überhaupt geben könne. Aber wer in dieser Interaktion steckt, wird an Sätzen oder Handlungen u.U. klar und ohne viel nachzudenken erkennen, was nun deutsch ist oder eher nicht. Erst im "das nicht" zeigt sich die Abgrenzung so richtig. So, wie man ohne nachzudenken glücklich in den Tag lebt, ohne von diesem Glück zu wissen, aber wenn man mit der Birne hart gegen das Schicksal knallt und das Glück an die Wand gefahren hat, weiß man, dass es das gibt/gab. Aber positiv zu definieren ist unmöglich. Wie bei der Kultur. Deshalb ist Leitkultur auch Unsinn, aber man könnte trotzdem ein paar unstrittige Leitlinien formulieren. Ob es nun gerade Politiker sein müssen, die das tun, ist wieder eine andere Frage.
Ja ... vielleicht ... oder vielleicht ist es auch einfach nur so, daß das, was man als Kultur verstehen will, sei sie nun deutsch oder was weiß ich was, davon abhängt, welche eigenen Vorstellungen man davon hat.
Man kann deutsche Kultur in einem ... nennen wir das mal bismarkschen Sinn für sich definieren, Oswald Spengler und Ernst Jünger fröhnen und dabei Wagner hören und sich sehr sehr deutsch dabei fühlen, man kann aber auch Heinrich Heine und Berthold Brecht lesen, Rosa Luxenburg und die Geschwister Scholl verehren und dabei Ton Steine Scherben oder Kurt Weil hören und sich mindestens so deutsch dabei vorkommen :p
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Selina
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Ja, bei Kurt Weill und Bertolt Brecht bin ich doch glatt dabei. Hier bitte:



Ton Steine Scherben tuns aber auch ;)
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