Das waren die Vermutungen in dem weiter oben zitierten Tagesspiegel-Artikel. Aber das ist vielleicht doch etwas zu kurz gegriffen. Bzw. das ist ein Antwortversuch aus einer rein empirisch-soziologischen Perspektive. Liest man sich in den Themenbereich "Rechtsphilosophie" etwas ein, bekommt man schon einigen Respekt vor der (meinerseits jedenfalls) unvermuteten Komplexität des Gegenstands. Auf die Frage "Woraus leitet sich 'Recht' ab" gibt es keinesfalls eine einfache Antwort und vor allem auch keine einheitliche Denkrichtung. Es lassen sich ganz grob zwei Lager abgrenzen: Normativismus und Dezisionismus. Oder kurz: "Sollen" und "Sein". Allerneueste Richtungen versuchen diese Frage der Ableitung des Rechts ähnlich wie in den Wirtschaftswissenschaften zu "mathematisieren". In dem Fall mit den Methoden der Aussagenlogik.Selina hat geschrieben:(10 Nov 2017, 08:49)
Genau. Jetzt müsste nur mal einer beantworten, warum manche immerzu so nach diesem "Verbindenden" in der "deutschen Kultur", nach diesem "wir gehören zusammen, weil wir uns beim Grüßen die Hand geben"-Quatsch lechzen. Warum? Was ist das Motiv? Sich ein bisschen größer und stärker fühlen zu können in seiner eigentlichen Unbedeutendheit? Will man endlich wieder wer sein? Oder was steckt dahinter?
Die Ableitung des Rechts aus den Prinzipien einer "Wertegemeinschaft" ist ziemlich klar normativistisch. Die vielzitierte "westliche Wertegemeinschaft" tritt an die Stelle früherer Religionsgemeinschaften. Der Punkt ist nur, dass dieser Begriff im Laufe der letzten 20,30 Jahre in der Reflexion vieler Menschen stark erodiert ist. In der Zeitschrift "Ossietzky" las ich einen Artikel von 2002, in dem etliche in Fragen der Rechtsphilosophie kompetente Menschen gefragt wurden, was ihnen spontan zum Begriff "westliche Wertegemeinschaft" einfalle. Es kamen ausschließlich zynisch-ironische Antworten. Nur mal eine:
Es ist ganz bestimmt nicht nur ein "Will man endlich wieder wer sein" sondern auch ein "WIll man endlich wieder wo sein". Sprich: Das Gefühl haben, sich in einem verlässlichen, überschaubaren, konsistenten Werte-Koordinatensystem zu befinden. Möglicherweise ist die Frage der Werte-Inhalte dabei gar nicht mehr allein ausschlaggebend. AN die Stelle des Jelzin-Chaos solle die (scheinbare) Ordnung der Putin-Ideologie treten. Hauptsache Ordnung und Orientierung. Und die aktuelle Renaissance von Nation und Heimat ist nicht immer und vor allem nicht nur Nationalismus und Heimattümelei sondern zeigt vielleicht auch dieses verbreitete Bedürfnis nach Orientiertheit. Aber so wie die Welt augenblicklich aussieht, fürchte ich, eine solche Werte-Konsistenz und Orientierungssicherheit wird sich in nächster Zeit nirgends mehr herstellen lassen.Die letzte Antwort kam von Prof. Martin Kutscha, Vorsitzender der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen: "Westliche Wertegemeinschaft - da taucht vor meinem geistigen Auge folgende Szenerie auf: Eine Villa in Oggersheim - der Alte hat gerade Besuch. Aus der Küche bringt Angela Merkel Bier für Edmund Stoiber und Helmut Kohl. Sie stellt die Gläser mit devoter Geste auf den Tisch und überreicht den beiden einen Spendenaufruf für die hungernden Kinder in Afghanistan. Auch Scharping und Joschka Fischer hätten schon gespendet, berichtet sie. Kohl und Stoiber nicken anerkennend, zücken ihre Börsen und überreichen jeweils einen 20-Euro-Schein. Ein paar handsignierte Porträtfotos von sich legen sie dazu. Merkel schluchzt leise vor Rührung. Stoiber zieht unvermutet eine Grundgesetzbroschüre aus der Tasche und liest mit kokettem Augenaufschlag aus Art. 21 vor. Es geht darin um die Parteien. ,Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.' Der Rest des Satzes geht im dröhnenden Gelächter des großen Alten unter."