Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Wenn DAS tatsächlich der Grund dafür sein sollte, dann ist das letzte Wahlergebnis mehr als verdient.
Das letzte Wahlergebnis ist, gemessen am eigenen Anspruch, sogar noch viel zu positiv ausgefallen und beruht auf der "Zombie-Quote"*, auf der sich die Partei keinesfalls ausruhen kann.
*) Als "Zombie-Quote" bezeichne ich jenen Effekt der "Traditions-Wähler"; jener Leute also, die Präferenzen mit Tradition (vor allem: "
Ich bin jetzt 70|80|90 Jahre alt, und ich habe immer SPD gewählt; also werde ich das jetzt nicht mehr ändern."; aber auch "
Schon Opa hat SPD gewählt. Da gibt's für mich gar keine Frage." oder "
SPD? Das ist doch die Arbeiter-Partei in Deutschland.") begründen.
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Die "Merkelmussweg" Sprüche kommen zwar auch aus dem Partei Inneren, aber eben auch vom Wahlvolk. Und zumindest bei letzterem sind die Gründe andere, denn Merkel IST ja nun anders als im Fall Oppermann die Parteiführung. Nun kann man den Schreihälsen natürlich vorhalten, so naiv zu sein, dass sich nach Merkel alles zum guten wendet.
Ich bezog diesen Hinweis eigentlich nur darauf, dass man eine einzelne Person mit einer Partei gleichsetzt, dass also der offensichtliche Glaube vorherrscht, wir würden nicht in einer Demokratie, sondern in einer Monarchie, in der Parteiführer diktatorische Rechte ausüben können, leben.
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Was ist die Alternative ? Wirklich ALLE anderen Parteien genau unter die Lupe nehmen oder einfach garnicht wählen ?
Grundsätzlich ist "gar nicht wählen" sogar eine sehr sinnvolle Variante, die an Gewicht gewinnt, je mehr sich daran beteiligen; und die obendrein ein "Selbstläufer" ist, weil sie ... nun ja, ... gar keine intellektuelle Leistung erfordert; also für wirklich jedermann erreichbar ist.
Aber auch der sich zunehmend äußernde gesellschaftliche Unmut, der sich in vielen Ländern Europas - noch irregulär, aber auch Demokratie muss man üben, bevor man sie benutzen kann - Bahn bricht, ist eine gültige Alternative. Ich verstehe beispielsweise die Motivation "
AfD-wählen!" durchaus; auch wenn ich sie aus verschiedenen Gründen (die auch "Programm gründlich lesen" beinhalten

) nicht teile.
Die sinnvolle Alternative liegt allerdings m.E. weder im Einen, noch im Anderen. Vielmehr sollte die Frage lauten, was man eigentlich erreichen kann und vor allem: will. Denn "gleichen Protest", hier vorzugsweise den "Protest gegen das Establishment", kann man auf verschiedene Arten ausdrücken. Wer beispielsweise, ganz egal, aus welcher "Eigen-Motivation" heraus, eine politisch rechte Partei wählt, der setzt - vgl. "Politiker-Echokammer" - zugleich das Signal, dass die Gesellschaft, und ich fasse es hier leicht verzerrend zusammen, "noch zu sozial" ist; dass also "mehr Eigenverantwortung" und damit konsequenterweise "das Recht des Reicheren" gesellschaftliches Ziel sein muss. Und wer - auch hier ist die Eigen-Motivation kraft "Politiker-Echokammer" irrelevant - politisch linken Parteien den Vorzug gibt, setzt ein gegenteiliges Signal.
Daran - und NUR DARAN - messen die Parteien ihre Strategie-Erfolge und -Misserfolge. Je weiter rechts also gewählt wird, desto weiter nach rechts strecken sich die Parteien nach der (Wähler- und damit Finanzierer-)Decke. Umgekehrt entsprechend.
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Zugegeben, ich werte bei meiner Wahl der Parteien nur die aus, von denen ich meine, dass sie es in den Bundestag schaffen. Es gibt wahrscheinlich noch einige andere, deren Programm mir zusagen würde.
Das ist natürliches Verhalten i.S.d. "natürlichen Erfolgsorientierung" und muss niemanden beschämen. Allerdings behindert es die demokratische Freiheit erheblich, wie du an jedem einzelnen "Bundestags-Neuzugang" in aller epischen Breite vorgeführt bekommst: NIchts "erschreckt & verstört" etablierte Parteien mehr, als "noch ein Hai im gleichen Pfründe-Becken", das doch gerade erst mühselig aufgeteilt wurde.
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Richtig, aber wenn ich überhaupt keinen wähle, dann ist die Chance, dass IRGENDEIN "Versprechen" überhaupt in die Tat umgesetzt wird gleich Null.
Listigerweise: Nein. Diese Chance sinkt und steigt ironischerweise nicht durch deine Wahl. Vielmehr, das kannst du übrigens jederzeit und bei allen Parteien beobachten, steigt der "Umsetzungsdruck" durch Opposition sogar noch an; man wird also "ehrlicher", je länger man auf der Oppositions-Bank verweilen muss.
Und das bedeutet eigentlich: "Versprechen finden ihren Umsetzungsweg (fast ausschließlich) über die Oppositions-Bank." Entweder durch Androhung derselben qua Umfrage; oder durch Realisierung qua Wahl.
Dieses Muster sorgte in der Vergangenheit dafür, dass die "Bestrafungs-Expeditionen der Wähler", also die Ablösung von Partei (A) durch Partei (B) und die darauf folgende Umkehrung der Straf-Expedition, scheinbar so erfolgreich waren, dass man sich dieses Musters bis heute bedient und noch eine ganze Weile bedienen wird (vgl. "Wechselwähler").
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Kann man das so vergleichen ? Unternehmen kommen und gehen, die Gründe dafür sind unterschiedlich. Eine Regierung wird es aber immer geben, lediglich die Personen dahinter verändern sich, aber was juckt es mich wenn ich im Bundestag war, was danach passiert ? Ich bin doch versorgt..

.
Natürlich hinkt ein solcher Vergleich dramatisch. Wer Volkswirtschaft mit Betriebswirtschaft verwechselt, dürfte endgültig seine Expertise verwirkt haben. Doch es dient als plastisches Beispiel: Auch Parteien müssen sich am wirtschaftlichen Erfolg messen lassen und auf einem mit Mitbewerbern reichlich gefüllten Markt bestehen. Nur ist eben ihr wirtschaftlicher Erfolg nicht Umsatzzahl, sondern Wählerzahl. Und auch Parteien werden bis heute diktatorisch - also "von oben nach unten" - geführt. Je weiter rechts, desto intensiver kannst du es beobachten. Aber auch bei den angeblich "Liberalen", die bekanntlich nur schwierig im gewohnten politischen Rechts-Links-Spektrum unterzubringen sind, kannst du es derzeit besonders plakativ sehen: Sie gestalten ihre ganze Partei als One-Man-Show; wiederholen also letztlich den westerwelleschen Fehler erneut. Eine Ausnahme bildet hier die SPD: Sie ist, obwohl scheinbar links zu verorten, in besonderer Weise diktatorisch strukturiert, wie man an verschiedenen Indikatoren, etwa der Schwerfälligkeit, Entscheidungen auf anderen Wegen als "von oben diktiert" zu finden, ablesen kann.
Im Übrigen solltest du analog zum Beispiel nicht zu stark abstrahieren. Du schreibst "
EIne Regierung wird es aber immer geben." Das wäre jedoch analog zu "
Unternehmen wird es immer geben.", was wiederum keinerlei Aussage zur Überlebensfähigkeit des einzelnen Unternehmens (vgl. Partei) trifft. Dies gilt insbesondere unter der Prämisse der "parlamentarischen Vertretungs-/Parteien-Demokratie"; also einer gesellschaftlichen Ordnung, die zwingend Parteien als Mittler zwischen Volk und Staat vorsieht.
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Schulz hatte einen relativ guten Posten in Brüssel, und nun ?
Oh, das hat er nicht übersehen.

Er verlor seinen "guten Posten in Brüssel" zuvor, weil er im politischen Klüngel nicht mehr haltbar war. Er war also "gerade frei & hatte sowieso nix Besseres zu tun". Mehr noch: Er konnte unter einer ganz besonders exponierten Prämisse antreten, denn er hat, im Gegensatz zu anderen Genossen, die folglich sehr viel mehr "zu verlieren" hatten, bereits "ausgesorgt" und eine sehr gut dotierte "EU-Rente" sicher. Ihm konnte also das Ergebnis persönlich und politisch "scheißegal" sein; denn seine Genossen hatten ihn bereits hervorragend versorgt. (Abgesehen davon bin ich d'accord, wenn du sagst, dass "Geld verdienen erst nach der politischen Karriere beginnt". Auch Schulz wird sein Auskommen in hochdotierten Wirtschaftsposten finden, wie praktisch jeder elitäre Spezialdemokrat vor ihm.)
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Ich denke nicht, dass Schulz so weit ab von der Realität ist, dass er sich und die SPD in 4 Jahren erfolgreicher als heute sieht.
Schulz hat, im Gegensatz zu den meisten anderen führenden Parteigenossen, so manchen lichten Moment. Beispielsweise sagte er, damals war er schon EU Parlamentspräsident, seine Worte hatten also wahrnehmbar an Gewicht gewonnen und würden typischerweise sehr viel intensiver abgewogen werden, mal den bemerkenswerten Satz:
Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident hat geschrieben:Wenn die EU ein Staat wäre, der die Aufnahme in die EU beantragt; müsste dieser Antrag mangels demokratischer Strukturen abgelehnt werden. (Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident)
Nochmals: Das sagte nicht etwa irgendein "rechter EU-Skeptiker" oder ein "linker EU-Kritiker". Das sagte der Chef des europäischen Parlaments über seine eigene Organisation. In diesem Sinne, aber auch in Anbetracht der Langzeit-SPIEGEL-Reportage über den Kanzlerkandidaten Schulz, der immer wieder von (Selbst-)Zweifeln geplagt wird (vgl. "
Die halten mich doch für lächerlich, wenn ich sage 'Ich werde Kanzler!' und alle wissen längst, dass ich es nie werden kann." und "
Natürlich klatschen sie mir zu. Doch nicht aus Begeisterung, sondern aus Mitleid." O-Ton Martin Schulz), dürfte Schulz noch zu den Wenigen in der Partei-Elite gehören, die noch nicht alle Fenster zur Welt geschlossen haben; was umso erstaunlicher ist, als er als EU-Politiker praktisch keinerlei Berührung zum "gemeinen Pöbel" besaß respektive überhaupt besitzen musste. Und daher dürfte ihm auch in besonderer Weise klar sein, dass die Partei, wenn sie jemals wieder auf einen grünen/ansteigenden Ast kommen will, gewaltige Aufgaben vor sich hergeschoben hat, die es schleunigst zu lösen gilt. Er erinnert mich also in gewisser Weise an den Papst Franziskus, der sich vor einer ähnlichen Aufgabe sieht; und der ebenfalls das eine oder andere sehr bemerkenswerte Wort nicht scheut; etwa, wenn wir an seine "Kapitalismus-Kritik", mit der er zu einem Rundumschlag auch gegen seine eigene Organisation ausholte, denken.
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Und wenn Schulz nun nicht als Kanzlerkandidat kandidiert hätte ? Meinst du, dann hätte er seinen Stuhl in Brüssel geräumt ? Und wenn schon..erfolgreich wird es für die meißten sowieso erst nach ihrer Parteikarriere.
Schulz hatte den lukrativsten Sessel, namentlich das Präsidenten-Amt, in Brüssel bereits verloren. Und er konnte auch nicht bleiben, weil seine politischen Gegner kraft seiner Korruption zunehmend Verfahrens-Druck auf ihn ausübten, ihm also dort nur blieb, was wir aus der deutschen Perspektive sonst nur umgekehrt kennen: Er musste aus dem Sichtfeld, dieses Mal eben "aus der EU ins eigene Land", abtauchen, wollte er nicht überaus unangenehme "Untersuchungen gegen seine Person", die sich auch außerordentlich nachteilig auf oben erwähnte "SPD-Zombies" auswirken könnten, in Kauf nehmen. Oder kurz gesagt: Der Schaden, den er als Kanzler-Kandidat anrichten konnte, war ERHEBLICH geringer, als der Schaden, den er als NIcht-Kanzler-Kandidat und EU-Parlamentarier anrichten konnte.
Eisvogel hat geschrieben:(10 Oct 2017, 20:55)
Selbst wenn die CDU ist wo sie immer war, die Tatsache, dass sie mit der SPD mehr oder weniger gemeinsam regiert hat, hat dafür gesorgt, dass die AFD dieses Wahlergebnis eingefahren hat. Und das wird beim nächsten mal nicht schlechter aussehen, wenn die CDU wieder keinen Unterschied zu ihren Mitbewerbern zeigt.
Ich fürchte, dass es nicht ganz so einfach ist. Die Menschen lernen gerade sehr aussagekräftig und plastisch "Politik". Ich bin sogar optimistisch genug, zu glauben, dass sie in gar nicht mehr allzu ferner Zeit auch erkennen werden, dass "Wut-Büger" keine Kosebezeichnung, sondern ein Schimpfwort ist, das ihnen aus der "etablierten konservativen/liberalen Ecke", in die sie doch eigentlich "zum Kuscheln" drängen, so verächtlich entgegengeschleudert wird. Dann könnte die Wut leicht zu Zorn werden. Und dann ist der Abgesang aller Parteien als Generalvertretung im letzten Akt angekommen.
Sollte das der Fall sein, dürfte sich jede weitere Bewegung der Parteien innerhalb konservativer, also "bewahrender" Strukturen als Zappeln eines Fisches auf dem Trockenen erweisen: Es ist egal, was man tut - man wird am Ende (das Leben) verlieren.