Handeln, nicht wegschauen

Moderator: Moderatoren Forum 2

Antworten
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Der einsame Kampf einer Berliner Jugendrichterin
Kirsten Heisig ist Richterin am Amtsgericht Tiergarten in Berlin. Beinahe täglich spricht sie ein Urteil über gewalttätige Jugendliche. Die Mehrzahl dieser jungen Straftäter hat einen Migrationshintergrund. Von höheren Strafen hält Richterin Heisig nicht viel. Sie setzt auf Prävention.

Berlin, Amtsgericht Tiergarten. Obwohl laut Kriminalstatistik die Straftaten in Berlin zurückgehen, türmen sich die Akten auf dem Tisch der Jugendrichterin Kirsten Heisig.

Kirsten Heisig: "Sie sehen hier, dass die Jugendkriminalität entgegen dem was man so landläufig hört nicht sinkt, insbesondere im Bereich der Rohheits- und Gewaltdelikte habe ich hier diese Verfahren zu verhandeln, das sind alles aktuelle Verfahren, ich muss jetzt auch in die Sitzung."

Kirsten Heisig, die Jugendrichterin aus Berlin, zuständig für den Problembezirk Neukölln-Nord, sorgt derzeit für Schlagzeilen, weil sie ganz offen sagt, wer die Probleme in ihrem Kiez macht.

Kirsten Heisig: "Die Täter sind überwiegend türkisch-, arabischstämmiger Herkunft und die Opfer sind überwiegend Deutsche. Die Brutalität hat extrem zugenommen, Besorgnis erregend. Selbst ich, die das 16 Jahre lang mache, bin teilweise besorgt darüber in welcher Form da vor gegangen wird gegen die Opfer."

Drei Termine hat die Richterin an diesem Vormittag angesetzt. Aufruf zur Verhandlung: "In der Anhörung X die Beteiligten bitte in den Saal. Die Verhandlung ist nicht öffentlich.“

Doch gleich in zwei Fällen sind weder die Angeklagten noch die Zeugen erschienen, Kirsten Heisig ist sauer.

Kirsten Heisig: "Wenn weder der Angeklagte noch der Zeuge kommen, dann muss ich mir Zwangsmaßnahmen überlegen gegen sämtliche Beteiligte."

Kirsten Heisig schöpft ihre Möglichkeiten aus, wendet die Gesetze an und verpasst Jugendlichen gezielte Warnschüsse.

Kirsten Heisig: "Arrest ist natürlich charmant, weil da kann man bis zu vier Wochen verhängen und das ist schon eindrucksvoll. Ich sag immer 'Knast light' oder 'Schnupperkurs' was den Freiheitsentzug anbelangt. Jemand der dabei ist eine kriminelle Karriere zu entwickeln, wenn man den mit 14, 15 in den Arrest steckt, ist der besser bedient, als wenn wir da noch drei Jahre warten und dann muss er für fünf Jahre in die Jugendanstalt."

Berlin Neukölln ist ein Problemviertel. Wer hier als Jugendlicher aufwächst hat wenig Chancen. Jugendgangs beherrschen die Straßen. Auch Fadi Saad, 28 Jahre alt, deutscher Staatsbürger, Sohn palästinensischer Flüchtlinge, war prügelnd und klauend hier als Mitglied einer Jugendgang unterwegs. Bei ihm hat der Warnschuss Arrest gewirkt.

Fadi Saad: "Dass ich natürlich vom Arrest gelernt habe Konsequenzen zu tragen für das was ich angestellt habe. Auch wenn es ein Wochenende war, es war schon erschreckend. Ich habe dann erst einmal meine Schule nachgeholt, habe meine Ausbildung gemacht zum Bürokaufmann."

Heute ist Fadi Saad Quartiersmanager, er kümmert sich um Probleme im Kiez, ist so was wie eine Schnittstelle zwischen den Jugendlichen, den Behörden und der Politik. Fadi Saad hat ein Buch geschrieben über seine Erfahrungen und wie die Probleme in den Griff zu kriegen sind. Einer der Punkte: Beschleunigung der Strafverfahren.

Fadi Saad: "Man muss nicht eine Debatte führen, welche neuen Gesetze müssen wir einführen, sondern wie können wir die anwenden und nicht nach 14 Monaten kommt ein Jugendlicher vor Gericht und dann heißt es: 'Ja, du bist hier wegen der und der Prügelei.' Der weiß doch gar nicht mehr worum es hier geht."

Im Amtsgericht Tiergarten wartet Jugendrichterin Kirsten Heisig immer noch auf die Angeklagten in zwei Fällen. Frau Heisig hat so genannte beschleunigte Verfahren eingeführt. Spätestens drei Wochen nach der Tat soll der Jugendliche vor Gericht stehen.

Kirsten Heisig: "Das ärgert mich sehr, die Sache, das ist nämlich ein beschleunigtes Verfahren und da wäre es sinnvoll, bei dieser Körperverletzung rasch zu reagieren, aber da muss ich halt die Zeugen haben und dass der Angeklagte also selber nicht erscheint ist natürlich im zarten Alter von 14 schon ein starkes Stück:"

Doch Kirsten Heisig begnügt sich nicht damit Gerichtsverfahren zu beschleunigen. Sie geht in ihren Kiez, lädt die Eltern der Problemkinder zu Veranstaltungen und ist dabei ein Netzwerk auf zu bauen. Sie will alle Beteiligten an einen Tisch bringen, weil sie glaubt, dass die Zeit drängt.

Kirsten Heisig: "Dieser Zungenschlag, der in die Straftaten rein gekommen ist, vor allen Dingen dieser Bezug zum schwul sein, Schwulensau, Judensau, Drecksvotze, deutsches Schwein, Hängebauchschwein, Scheißchrist, das ist atemberaubend. Das merkt man ja vielleicht auch, das mich das nach wie vor mitnimmt und schockiert und das ist auch bei den Opfern so. Die Opfer empfinden diese Beleidigung, diese Demütigung schlimmer als die Wegnahme des Handys."

Noch während unserer Dreharbeiten kommt es an dieser Berliner Schule zu einem Zwischenfall. Ein Jugendlicher türkischer Herkunft wird des Unterrichts verwiesen. Er holt zwei Verwandte die den Co-Rektor krankenhausreif prügeln. Geschockt berichten uns Schüler von den Verletzungen: "Schädelhirntrauma, Rippenbruch, Nasenbruch…"

Horst Freidank ist auf dem Weg der Besserung, die körperlichen Verletzungen heilen, doch psychisch hat der Mann jetzt Probleme.

Horst Freidank: "Hier stell ich doch gravierende Veränderungen an mir fest. Empfindungen, Gefühle, die ich vorher so nicht kannte, Angstgefühle, Schlafstörungen und eben auch Stimmungsschwankungen."

Zurück zu Kirsten Heisig. Die Richterin steht in der Kritik, weil sie Probleme anspricht, die mancher Politiker ungern hört. Unterstützung bekommt sie vom Bund deutscher Kriminalbeamter. Der bestätigt: jugendliche Gewalttäter sind in Berlin zu über 80% nichtdeutscher Herkunft.

Rolf Kaßauer, Bund deutscher Kriminalbeamter, Berlin: "Die Politik ist derzeit dabei es eigentlich unter den Teppich zu kehren, also immer nur auf öffentlichen Druck wird dann mal darüber geredet, aber dann werden Probleme auch gerne mal verschwiegen."

Kirsten Heisig kennt die gewalttätige Musik aus Neukölln, sie weiß, dass es dort jetzt schick ist Busfahrer zu überfallen und das ganze auf dem Handy zu filmen. "Happy Slapping" heißt das: Leute verprügeln, ausrauben, demütigen und filmen. Anschließend werden die Verbrechen ins Internet gestellt.

Kirsten Heisig: "Wir haben genug Gesetze, wenn man die konsequent durchziehen würde. Ich meine, wir können Jugendstrafen bis zu 10 Jahren verhängen. Das reicht. Also, wenn man einen in 10 Jahren nicht erzogen hat, dann schafft man es in 15 Jahren auch nicht. Also, das sind nicht die Ansätze."

Am letzten Mittwoch ist zumindest der dritte Angeklagte vor Gericht erschienen. Das Verfahren fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Gegenstand und Ergebnis sollen nicht berichtet werden. Nur soviel: Kirsten Heisig verhängt ungern lange Haftstrafen gegen Jugendliche. Sie schickt aber Ersttäter schnell mal für ein, zwei Wochen in den Arrest: "Knast light" als Erziehungshilfe.[reportMÜNCHEN]
http://www.br-online.de/das-erste/repor ... 865437.xml

So ist es richtig, es muss sofort Knast bei Fehlverhalten folgen. Alles andere fördert Kriminalität.
Es ist aber ein Irrtum das Stadtteile (=Gebäude) oder Migrationshintergründe Ursachen für Kriminalität wären, denn weder Gebäude noch Migrationshintergründe lassen Menschen kriminell werden.

Die Ursachen für Kriminalität in Deutschland sind grundsätzlich Kriminelle und niemand/nichts anderes. Daher ist die Vorgehensweise richtig und erfolgreich sofort Knast als Erziehungsmaßnahme zu fördern.

Ich hoffe, dass diesem Beispiel dieser engagierten Frau weitere Verantwortliche folgen werden !
Zuletzt geändert von jack000 am Dienstag 6. Januar 2009, 20:47, insgesamt 1-mal geändert.
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

wichtig ist es !
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Redwing

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Redwing »

jack000 hat geschrieben: Die Ursachen für Kriminalität in Deutschland sind grundsätzlich Kriminelle und niemand/nichts anderes. Daher ist die Vorgehensweise richtig und erfolgreich sofort Knast als Erziehungsmaßnahme zu fördern.

Ich hoffe, dass diesem Beispiel dieser engagierten Frau weitere Verantwortliche folgen werden!
Die Frau ist eine widerliche, selbstgerechte Soziopathin, und du bist noch schlimmer mit deinen vorgestrigen Spießersprüchen- bar jeglichen Realitätsbezugs. 8)
Verantwortlich ist einzig und allein dieses sozialdarwinistische Raubtiersystem der expansiv-kumulativen Gefälle, das immer weniger Menschen eine Perspektive bietet und Würde läßt. Ja, und Viele werden gar in ihrer existenz bedroht und sind absolut gezwungen, zum situatinsadäquatem Handeln. Dein jämmerliches, zum Scheitern verurteiltes Herumhacken auf Resultaten machts nur noch schlimmer! Ursachen müssen angegangen werden, und die hängen alle mit dieser Diktatur der reichen Minderheit zusammen.

Revolution- die beste Verbrechensprävention! 8)
Zuletzt geändert von Redwing am Donnerstag 8. Januar 2009, 21:13, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Redwing hat geschrieben:
Die Frau ist eine widerliche, selbstgerechte Soziopathin, und du bist noch schlimmer mit deinen vorgestrigen Spießersprüchen- bar jeglichen Realitätsbezugs. 8)
Verantwortlich ist einzig und allein dieses sozialdarwinistische Raubtiersystem der expansiv-kumulativen Gefälle, das immer weniger Menschen eine Perspektive bietet und ihnen Würde läßt. Deibn jämmerliches, zum Scheitern verurteiltes Herumhacken auf Resultaten machts nur noch schlimmer! Ursachen müssen angegangen werden, und die hängen alle mit dieser Diktatur der reichen Minderheit zusammen.
Mach doch mal einen Vorschlag ...

(PS: Steuern hinterziehen ist ebenso strafbar, warum hinterziehen denn manche Reiche Steuern und nicht alle ?)

Diskutieren über Ursachen bringt keine Lösung für das Problem.
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Aventuricus
Beiträge: 113
Registriert: Dienstag 5. August 2008, 11:33
user title: Linksliberaler Gutmensch

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Aventuricus »

Die Ursachen für Kriminalität in Deutschland sind grundsätzlich Kriminelle und niemand/nichts anderes.
Dieser Ansatz ist soziologisch vielfach widerlegt und völlig unhaltbar, weil in diesem Muster die entscheidende Frage, warum Leute kriminell werden, nicht beantwortet werden kann, weil Kriminelle einfach als Kriminelle vorausgesetzt werden. Der Ansatz, die Ursache für Kriminalität in den Kriminellen zu sehen, beantwortet die Frage nach der Ursache für Kriminalität, sprich dafür, dass Leute kriminell werden bzw. geworden sind, maximal vordergründig und verhindert jede wirkliche Lösung des Problems.
Deshalb die Frage an dich: Warum werden Leute kriminell?
Diskutieren über Ursachen bringt keine Lösung für das Problem.
Die Ursachen zu kennen ist die Grundvoraussetzung dafür, nachhaltigen Wandel zum Besseren erreichen zu können. Das offensichtlichste Beispiel ist die Medizin: So lange ich nicht weiß, was eine Krankheit hervorruft, kann ich weder sinnvoll prävenieren (siehe z. B. Aidsprävention - undenkbar ohne das Wissen, wie Aids übetragen werden kann).
Ähnlich ist es mit sozialen Phänomenen und menschlichen Handlungen, die ja immer ursächlich erklärbar sind, da sie Produkte nicht nur individueller Eigenschaften des Handelnden, sondern auch und gerade sozialer Rahmenbedingungen und vorhergehender sozialer Handlungen sind. Wenn man die ursächlichen Faktoren für ein soziales Phänomen kennt, kann man dann überlegen, ob man durch gezielte Beeinflussung das Ursachen-Wirkungs-System in seiner vorliegenden Form beeinflussen kann, sodass die unerwünschte Wirkung verschwindet und keine unverhältnismäßig hohen negativen Nebeneffekte auftreten. Wenn das geht, hat man eine Möglichkeit, das Problem nachhaltig zumindest zu mildern. Ohne Kenntnis der Ursachen hätte man diese Möglichkeit nicht.
Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und eine faire Globalisierung.
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Aventuricus hat geschrieben:
Dieser Ansatz ist soziologisch vielfach widerlegt und völlig unhaltbar, weil in diesem Muster die entscheidende Frage, warum Leute kriminell werden, nicht beantwortet werden kann, weil Kriminelle einfach als Kriminelle vorausgesetzt werden. Der Ansatz, die Ursache für Kriminalität in den Kriminellen zu sehen, beantwortet die Frage nach der Ursache für Kriminalität, sprich dafür, dass Leute kriminell werden bzw. geworden sind, maximal vordergründig und verhindert jede wirkliche Lösung des Problems.
Deshalb die Frage an dich: Warum werden Leute kriminell?
Mensch A, H4-Empfänger wohnt in Wohnblock F und ist kriminell
Mensch B, H4-Empfänger wohnt in Wohnblock F in der Nachbarwohnung und ist nicht kriminell

Es mag statistische Häufigkeiten geben, aber trotzdem ist es vorzufinden, dass Menschen in der gleichen Situation mal kriminell sind mal nicht.

=> Woran hat es also gelegen ?
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Aventuricus
Beiträge: 113
Registriert: Dienstag 5. August 2008, 11:33
user title: Linksliberaler Gutmensch

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Aventuricus »

Mensch A, H4-Empfänger wohnt in Wohnblock F und ist kriminell
Mensch B, H4-Empfänger wohnt in Wohnblock F in der Nachbarwohnung und ist nicht kriminell

Es mag statistische Häufigkeiten geben, aber trotzdem ist es vorzufinden, dass Menschen in der gleichen Situation mal kriminell sind mal nicht.

=> Woran hat es also gelegen ?
Kurze Antwort: An Zufällen im Einzelfall. Von diesen Zufällen hängen die wenigsten mit bewussten, freien Entscheidungen des Einzelnen zusammen, zumal auch der Rahmen, innerhalb dessen man frei handeln kann, vielfach sozial bestimmt ist.

Lange Antwort:
Man kann das Soziale nicht erklären, indem man nur das Individuelle betrachtet, das ist so, als würde man einen Wald erklären wollen, indem man nur die einzelnen Bäume betrachtet. Aus den Eigenschaften eines Individuums kann ich über das Soziale genausoviel oder eher genausowenig lernen, wie ich aus den Eigenschaften eines Baumes über einen Wald lernen kann.
Auch ist es müßig, mit Einzelfällen gegen die Relevanz statistischer Häufigkeiten zu argumentieren. Zu leugnen, dass bestimmte Milieus die Kriminalität fördern, weil nicht alle Menschen aus diesem Milieu kriminell werden, ist das selbe, wie zu leugnen, dass der Aufenthalt in einem Seuchengebiet das Risiko erhöht, krank zu werden, weil nicht alle Menschen im Seuchengebiet krank werden.
Hinzu kommt: Wenn eine Statistik sagt, dass in Milieu A 70% kriminell werden, dann sagt sie auch, dass in Milieu A 30% nicht kriminell werden. Diese Statistik sagt also explizit, dass es in Milieu A einige nicht kriminelle Personen gibt. Die Statistik wäre also widerlegt, wenn man keine Einzelfallbeispiele für nichtkriminelle Leute aus Mileu A fände. Anders gesagt: Einzelfälle, die dem allgemeinen Trend widersprechen, bestätigen an sich nur die Statistik. Wenn aber gleichzeitig in der Gesellschaft nur 10% aller Leute kriminell werden, dann sagt die selbe Statistik, dass das Risiko, in Milieu A kriminell zu werden, 7 mal so groß wie im Durchschnitt ist. Das kann man doch nicht anders erklären als durch Eigenschaften, die Milieu A von der Gesellschaft unterscheiden und sich positiv auf die Kriminalität auswirken.
Meistens liegt Kriminalität übrigens dann vor, wenn entweder die in Milieu A vermittelten Ziele den gesellschaftlich erstrebten widersprechen (Sichere die Macht unseres Mafiaclans!), und/oder wenn Milieu A zwar die Ziele der Gesellschaft teilt, aber seinen Mitgliedern die Mittel nicht zur Verfügung stehen, um diese Ziele auf legitimem Weg zu erreichen (Banküberfall als Mittel, reich zu werden). Man kann wiederum nur sozial erklären, welche Milieus ihren Mitgliedern warum welche Ziele vermitteln, und in welchen Milieus welche Mittel zum Erreichen der Ziele zur Verfügung stehen und gewählt werden.

Übrigens steht weiter die Frage im Raum, warum aus deiner Sicht Leute kriminell werden.

(PS: Sorry für die lange Zeit bis zur Antwort, ich habe z. Zt. nur sehr limitierte Möglichkeiten, das Internet zu nutzen)
Zuletzt geändert von Aventuricus am Donnerstag 22. Januar 2009, 13:51, insgesamt 3-mal geändert.
Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und eine faire Globalisierung.
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Aventuricus hat geschrieben:
Kurze Antwort: An Zufällen im Einzelfall. Von diesen Zufällen hängen die wenigsten mit bewussten, freien Entscheidungen des Einzelnen zusammen, zumal auch der Rahmen, innerhalb dessen man frei handeln kann, vielfach sozial bestimmt ist.

Wenn eine Statistik sagt, dass in Milieu A 70% kriminell werden, dann sagt sie auch, dass in Milieu A 30% nicht kriminell werden. Diese Statistik sagt also explizit, dass es in Milieu A einige nicht kriminelle Personen gibt. Die Statistik wäre also widerlegt, wenn man keine Einzelfallbeispiele für nichtkriminelle Leute aus Mileu A fände. Anders gesagt: Einzelfälle, die dem allgemeinen Trend widersprechen, bestätigen an sich nur die Statistik. Wenn aber gleichzeitig in der Gesellschaft nur 10% aller Leute kriminell werden, dann sagt die selbe Statistik, dass das Risiko, in Milieu A kriminell zu werden, 7 mal so groß wie im Durchschnitt ist. Das kann man doch nicht anders erklären als durch Eigenschaften, die Milieu A von der Gesellschaft unterscheiden und sich positiv auf die Kriminalität auswirken.
Es mag sein, dass in Milieu A die Chance höher ist kriminell zu werden, das ist aber keine Begründung und vor allem keine Rechtfertigung. In dem Milieu "Spitzenverdiener" ist die Steuerhinterziehung weiter verbreitet als im Milieu "Otto-Normal-Arbeitnehmer". Das bringt zwar eine Aussage, wo man eher Steuerhinterzieher findet, bringt die Sache aber nicht weiter.
Übrigens steht weiter die Frage im Raum, warum aus deiner Sicht Leute kriminell werden.
Die Frage stellt sich nicht primär. Primär stellt sich nur die Frage :"Wie vermeidet man, dass weitere Straftaten begangen werden". Dabei kann die Ursache ein Teil der Lösung sein. Nicht mehr und nicht weniger.
(PS: Sorry für die lange Zeit bis zur Antwort, ich habe z. Zt. nur sehr limitierte Möglichkeiten, das Internet zu nutzen)
kein Problem :)
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Aventuricus
Beiträge: 113
Registriert: Dienstag 5. August 2008, 11:33
user title: Linksliberaler Gutmensch

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Aventuricus »

jack000 hat geschrieben: Es mag sein, dass in Milieu A die Chance höher ist kriminell zu werden, das ist aber keine Begründung und vor allem keine Rechtfertigung. In dem Milieu "Spitzenverdiener" ist die Steuerhinterziehung weiter verbreitet als im Milieu "Otto-Normal-Arbeitnehmer". Das bringt zwar eine Aussage, wo man eher Steuerhinterzieher findet, bringt die Sache aber nicht weiter.
Eine Rechtfertigung ist es nicht, eine Begründung aber schon, da das soziale Milieu entscheidend an der Formung der grundlegenden Denk-, Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster beteiligt ist, innerhalb derer dann der Mensch einigermaßen frei handeln kann. Das liegt an einem sich selbst reproduzierenden Prozess, bei dem bestimmte sozial vermittelte Ziele und Normen und der ebenfalls stark sozial geprägte Geschmack zu einem bestimmten Lebensstil führen, der seinerseits dazu führt, dass diese Ziele und der Geschmack bzw. die Denk-, Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster bestätigt und weitergegeben werden. Vor allem werden die Wahrnehmung und der Geschmack so gestaltet, dass man sein Milieu und die darin vorherrschenden Denk- und Verhaltensweisen als gut empfindet. Das könnte man als eine Art Stockholmsyndrom-Beziehung zum eigenen sozialen Milieu ansehen: Man kann sich eigentlich nicht davon befreien, also will man wenigstens das, was einen beherrscht, als einen guten bzw. den besten Herrscher ansehen.
Das wiederum heißt, dass Kriminalität bzw. kriminelle Handlungen, wenn sie in einem Milieu stark genug verbreitet sind, von den darin befindlichen Menschen, nicht mehr als negativ angesehen werden, sondern etwa als Beweis der eigenen Stärke (z. B. in Jugendgangs zu beobachten) oder als illegitimerweise staatlich für illegal erklärte Dienste an der eigenen Gruppe (s. die Mafia (Selbstbezeichnung: ehrenwerte Gesellschaft). Innerhalb der Gruppe wird man dann auch für richtiges kriminelles Verhalten belohnt, sodass die positiven Anreize, sich kriminell zu verhalten, verstärkt werden. Dass dann wiederum die Gesellschaft diese als positiv wahrgenommenen Handlungen für negativ und bestrafenswert erachtet, kann nochmals die Tendenz verstärken, sich jetzt erst recht nicht nach den Moralvorstellungen "der anderen" zu richten, oder ein - positiv konnotiertes - Selbstbild von sich als Kriminellem aufzubauen, womit dann kriminelle Handlungen, gerade weil sie als kriminell bezeichnet werden, sogar Handlungen sind, die den Erwartungen an die eigene soziale Rolle entsprechen (u. a. deshalb bringt eine knallharte Law-and-Order-Politik wenig).
Auf diese Weise werden Leute aus kriminalitätsfördernden Milieus oft nachhaltig dahingehend sozialisiert, sich kriminell zu verhalten, da eine Anreiz- und Erwartungsstruktur aufgebaut und bestätigt wird, die den Weg zu kriminellem Verhalten weist.
Die Frage stellt sich nicht primär. Primär stellt sich nur die Frage :"Wie vermeidet man, dass weitere Straftaten begangen werden". Dabei kann die Ursache ein Teil der Lösung sein. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein Teil, aber bei weitem der wichtigste. Solange man weiter Strukturen hat, die großen Gruppen kriminelles Verhalten als gut, erwünscht und richtig vermitteln, hat man den heißen Stein, auf dem andere Kriminalitätsbekämpfungsmaßnahmen nur größere oder kleinere Tropfen sind.
Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und eine faire Globalisierung.
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Aventuricus hat geschrieben:Solange man weiter Strukturen hat, die großen Gruppen kriminelles Verhalten als gut, erwünscht und richtig vermitteln, hat man den heißen Stein, auf dem andere Kriminalitätsbekämpfungsmaßnahmen nur größere oder kleinere Tropfen sind.
Was soll denn jetzt die Alternative zu Gefängnis sein ?
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Aventuricus
Beiträge: 113
Registriert: Dienstag 5. August 2008, 11:33
user title: Linksliberaler Gutmensch

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Aventuricus »

[quote=jack000]Was soll denn jetzt die Alternative zu Gefängnis sein ?[/quote]

Es ging nie darum, Gefängnisse abschaffen zu wollen. Diese sind in ihrer Funktion, Schutz vor rechtskräftig verurteilten Straftätern zu bieten und diese nach Möglichkeit zu resozialisieren, ein wichtiger Bestandteil des Rechtssystems.
Was sie allerdings aus den dargestellten Gründen nicht leisten können, ist, Kriminalität an sich wirksam zu bekämpfen. Dies kann nur durch einen Wandel derjenigen Strukturen gelingen, die Kriminalität erzeugen, wobei bei diesem Wandeln natürlich mit viel Augenmaß und Expertise vorgegangen werden muss, da eine Veränderung der Strukturen sich natürlich auch auf andere Felder als die Kriminalität auswirken würde.

Konkret könnte man z. B. folgende Maßnahmen ins Auge fassen:

- Da Kriminalität, wie in meinem vorvorherigen Beitrag dargestellt, daraus resultieren kann, dass Gruppen, die die gesellschaftlichen Ziele teilen, nicht die legitimen Mittel besitzen, diese zu erreichen, und deshalb auf illegitime und miest illegale Mittel zurückgreifen, könnte Kriminalität bekämpft werden, indem man den Zugang zu den legitimen Mitteln erleichtert, etwa, indem man für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem sorgt oder vertikale soziale Mobilität für Angehörige unterer sozialer Schichten erhöht.

- Etwas schwieriger ist die Situation, wenn nicht Mangel an legitimen Mitteln, sondern Ablehnung der gesellschaftlichen Ziele bzw. Zustimmung zu abweichenden, milieuspezifischen Zielen Ursache der Kriminalität sind, da man es hier mit einem, siehe vorherigen Beitrag, sich selbst reproduzierenden Prozess zu tun hat, sodass diese Ziele sich letzten Endes aus sich selbst heraus festigen und wieder erzeugen. Was allerdings weiterhelfen kann, ist, sich bewusst zu machen, dass es eigentlich eine grobe Vereinfachung ist, den modernen Menschen einem einzigen Milieu zuzuordnen. Sicherlich gibt es meist ein dominantes Milieu, nämlich das der sozialen Schicht, aber der Einzelne ist auch immer Schnittstelle bzw. Kreuzungspunkt verschiedener Milieus, die alle ein eigenes Bündel an Zielen vermitteln - z. B. die Schule, ein Sportverein etc. können Orte sein, an dem der Einzelne mit anderen Milieus in Berührung kommt. Wer z. B. wie ich aus einem linksliberalen Elternhaus kommt und auf eine katholische Schule gegangen ist, ist sicherlich nicht nur von einem Milieu beeinflusst worden. Gerade in der Schule, einer der wichtigsten Sozialisationsinstanzen, kann man Kriminalität bekämpfen, indem man 1. dafür sorgt, dass die Schule ein Ort ist, an dem Menschen verschiedener sozialer Schichten zusammenkommen und schichtübergreifende Freundeskreise bilden (ebenfalls eine wichtige Sozialisationsinstanz), anstatt dass die Schule an die soziale Schicht gekoppelt ist; 2. die Schule als einen Ort begreift, der nicht nur Fachwissen in Geschichte, Bio, Mathe, Englisch etc. vermitteln soll, sondern auch dezidiert sozialisierend wirken soll; 3. den Schulen und Lehrern die Möglichkeiten an die Hand gibt, den unter 2. genannten Anspruch der Schule zu verwirklichen; 4. die Rolle der Schule im Vergleich zu anderen, schichtabhängigen Sozialisationsinstanzen wie dem Elternhaus stärkt, indem man etwa Ganztagsschulen einführt und / oder an der Schule im Sinne von Punkt 2 mehr Angebote wie AGs einführt, die nichts mit dem eigentlichen Unterricht zu tun haben.
Ebenfalls sollte darauf geachtet werden, dass es neben der sozialen Schicht auch andere Milieus gibt, die kriminalitätsfördernd wirken können (z. B. das rechtsextreme Milieu), die in ihrer Wirksamkeit und ihren Möglichkeiten, sich auf Menschen auszuwirken, für eine Kriminalitätsprävention gehemmt werden sollten. Man muss allerdings auch beachten, dass kriminalitätsfördernde Milieus durchaus auch andere, positive Effekte auf das Individuum haben können. Die Kunst besteht darin, die Beeinflussung des Einzelnen durch seine Haupt- und Nebenmilieus so zu beeinflussen, dass die negativen Effekte kriminalitätsfördernder Milieus durch Effekte anderer Milieus neutralisiert und die positiven gleichzeitig nicht berührt oder sogar verstärkt werden.
Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und eine faire Globalisierung.
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Aventuricus hat geschrieben:Konkret könnte man z. B. folgende Maßnahmen ins Auge fassen:

- Da Kriminalität, wie in meinem vorvorherigen Beitrag dargestellt, daraus resultieren kann, dass Gruppen, die die gesellschaftlichen Ziele teilen, nicht die legitimen Mittel besitzen, diese zu erreichen, und deshalb auf illegitime und miest illegale Mittel zurückgreifen, könnte Kriminalität bekämpft werden, indem man den Zugang zu den legitimen Mitteln erleichtert, etwa, indem man für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem sorgt oder vertikale soziale Mobilität für Angehörige unterer sozialer Schichten erhöht.
Nun, es wird immer unterschiedliche Einkommen geben und es gibt zig Dinge, die ich mir auch nicht leisten kann weil mein Einkommen halt dafür nicht ausreicht. Wenn sie alle hier lebenden Menschen über ihr Einkommen fragen, würden 90% Antworten, dass sie gerne mehr Geld hätten. Ein Grund Kriminell zu werden ist das nur in Ausnahmefällen (z.B. Brot im Supermarkt klauen, weil man Hunger hat und nicht gewaltsam jemandem sein Handy abziehen, nur weil man selbst nicht das neusste Modell hat).
- Etwas schwieriger ist die Situation, wenn nicht Mangel an legitimen Mitteln, sondern Ablehnung der gesellschaftlichen Ziele bzw. Zustimmung zu abweichenden, milieuspezifischen Zielen Ursache der Kriminalität sind, da man es hier mit einem, siehe vorherigen Beitrag, sich selbst reproduzierenden Prozess zu tun hat, sodass diese Ziele sich letzten Endes aus sich selbst heraus festigen und wieder erzeugen. Was allerdings weiterhelfen kann, ist, sich bewusst zu machen, dass es eigentlich eine grobe Vereinfachung ist, den modernen Menschen einem einzigen Milieu zuzuordnen. Sicherlich gibt es meist ein dominantes Milieu, nämlich das der sozialen Schicht, aber der Einzelne ist auch immer Schnittstelle bzw. Kreuzungspunkt verschiedener Milieus, die alle ein eigenes Bündel an Zielen vermitteln - z. B. die Schule, ein Sportverein etc. können Orte sein, an dem der Einzelne mit anderen Milieus in Berührung kommt. Wer z. B. wie ich aus einem linksliberalen Elternhaus kommt und auf eine katholische Schule gegangen ist, ist sicherlich nicht nur von einem Milieu beeinflusst worden. Gerade in der Schule, einer der wichtigsten Sozialisationsinstanzen, kann man Kriminalität bekämpfen, indem man 1. dafür sorgt, dass die Schule ein Ort ist, an dem Menschen verschiedener sozialer Schichten zusammenkommen und schichtübergreifende Freundeskreise bilden (ebenfalls eine wichtige Sozialisationsinstanz), anstatt dass die Schule an die soziale Schicht gekoppelt ist; 2. die Schule als einen Ort begreift, der nicht nur Fachwissen in Geschichte, Bio, Mathe, Englisch etc. vermitteln soll, sondern auch dezidiert sozialisierend wirken soll; 3. den Schulen und Lehrern die Möglichkeiten an die Hand gibt, den unter 2. genannten Anspruch der Schule zu verwirklichen; 4. die Rolle der Schule im Vergleich zu anderen, schichtabhängigen Sozialisationsinstanzen wie dem Elternhaus stärkt, indem man etwa Ganztagsschulen einführt und / oder an der Schule im Sinne von Punkt 2 mehr Angebote wie AGs einführt, die nichts mit dem eigentlichen Unterricht zu tun haben.
Ebenfalls sollte darauf geachtet werden, dass es neben der sozialen Schicht auch andere Milieus gibt, die kriminalitätsfördernd wirken können (z. B. das rechtsextreme Milieu), die in ihrer Wirksamkeit und ihren Möglichkeiten, sich auf Menschen auszuwirken, für eine Kriminalitätsprävention gehemmt werden sollten. Man muss allerdings auch beachten, dass kriminalitätsfördernde Milieus durchaus auch andere, positive Effekte auf das Individuum haben können. Die Kunst besteht darin, die Beeinflussung des Einzelnen durch seine Haupt- und Nebenmilieus so zu beeinflussen, dass die negativen Effekte kriminalitätsfördernder Milieus durch Effekte anderer Milieus neutralisiert und die positiven gleichzeitig nicht berührt oder sogar verstärkt werden.
Das ist richtig, aber auch hier ist ja das Problem dass genau die Nicht-Bestrafung diese Auswirkungen hat. Wenn ein Intensivstraftäter die Botschaft an seine Freunde weitergeben kann, dass er noch nie richtig dafür belangt wurde ist es doch klar, dass es Nachahmer gibt.

Ich gebe ihnen Recht, dass es natürlich auch die entsprechenden Rahmenbedingungen geben muss, damit es für jeden die Möglichkeit gibt aus seiner Situation das beste zu machen. Aber gibt es da gar nichts ?
Bitte hören Sie sich doch mal die Aussage dieses ehemaligen Intensivtäters vollständig an :
Es ist nicht hinnehmbar die Opfer so lange leiden zu lassen, bis der Täter selbst auf die Idee kommt dass es nicht ok sein könnte was er tut.
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Aventuricus
Beiträge: 113
Registriert: Dienstag 5. August 2008, 11:33
user title: Linksliberaler Gutmensch

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Aventuricus »

jack000 hat geschrieben:Wenn sie alle hier lebenden Menschen über ihr Einkommen fragen, würden 90% Antworten, dass sie gerne mehr Geld hätten. Ein Grund Kriminell zu werden ist das nur in Ausnahmefällen (z.B. Brot im Supermarkt klauen, weil man Hunger hat und nicht gewaltsam jemandem sein Handy abziehen, nur weil man selbst nicht das neusste Modell hat).
Wir meinen glaube ich jeweils etwas anderes, wenn wir von einem Grund für Kriminalität reden. Wenn ich von Gründen rede, meine ich Ursachen und nicht Rechtfertigungen. Ich stimme dir völlig zu, dass es kein legitimer Grund ist, jemanden zu überfallen, nur weil man das neuste Handymodell haben will. Durch diese Bewertung ändern wir aber nichts daran, dass es in unserer Gesellschaft Strukturen gibt, die dazu führen, dass es viele Menschen gibt, die ein solches Verhalten als legitim sehen. Wenn wir uns anschauen, wer diese Menschen sind, dann stellen wir fest, dass sie sich klar auf Milieus konzentrieren, die über wenig Besitz, wenig Bildung und wenig Aufstiegschancen verfügen. Das legt die Vermutung mehr als nahe, dass es eine mittelbare ursächliche Beziehung zwischen diesen sozialen Bedingungen und der konkreten Kriminalität gibt; genauso, wie ähnliche ursächliche Beziehungen dafür sorgen, dass Angehörige des bildungsbürgerlichen Milieus eher ins Theater oder zu Lesungen gehen als Angehörige anderer Milieus.
jack000 hat geschrieben:Aber gibt es da gar nichts ?
Bitte hören Sie sich doch mal die Aussage dieses ehemaligen Intensivtäters vollständig an : ... re=related
Es ist schön, dass dieser junge Mann Erfahrungen gemacht hat, die dazu geführt haben, dass er nicht mehr kriminell ist, und es wäre schön, wenn noch viel mehr Leute solche Erfahrungen machen würden. Aber mit seinem neuen Standpunkt wird er schwerlich dutzende Studien über soziale Mobilität, Prägung des Individuums durch Sozialisation und soziale Rahmenbedingungen usw. widerlegen können, zumal seine Argumentation sich tendenziell selbst widerlegt:
Angenommen, es gäbe für jeden realistische und faire Aufstiegschancen, und ob man diese nutze oder nicht, läge allein am individuellen Verhalten, müsste erklärt werden, warum offensichtlich insbesondere Leute aus bestimmten Milieus diese Chancen nicht suchen und nutzen. Womit wir wieder bei den sozialen Ursachen angekommen wären. Daraus folgt:

Die Negation des sehr starken Einflusses sozialer Prägungen und der dadurch sehr limitierten realen Freiheit des Einzelnen hält einfach einer Realität nicht stand, in der ja nicht nur Kriminalität, sondern auch viele oft banale Eigenschaften und Verhaltensweisen wie die Art der Freizeitgestaltung, die Weltanschauung, der bevorzugte Kleidungsstil, die Art des Umgangs mit anderen, die politische Orientierung, die Berufswahl usw. ganz eindeutig auffällig stark in bestimmten Milieus konzentriert in einer bestimmten Form auftreten, in der sie in anderen Milieus deutlich seltener auftreten.

Das heißt nicht, dass der Mensch durch sein soziales Umfeld absolut determiniert wäre - aber es heißt, dass er durch es hinreichend determiniert ist, dass man bei guter Kenntnis des sozialen Umfelds eines Menschen vorhersagen kann, wie sich sein Leben im Allgemeinen mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickeln wird, wenn es zu keinen beteudenden Einflüssen durch positive oder negative Zufälle kommt. Wenn man solche Vorhersagen treffen kann, kann man weder den Einzelnen als real wirklich frei ansehen noch die Verantwortung für die Taten des Einzelnen - wobei Taten alles vom Raubüberfall bis zum Theaterbesuch einschließt - allein diesem zurechnen.

Übrigens gibt es von dem Youtubevideo noch eine Langfassung; die ersten 1:20 Minuten würde ich wiederum zum Ansehen empfehlen: gegen Ende insbesondere unter der Fragestellung: Wer oder was sorgt dafür, welche Vorbilder jemand wahrscheinlich hat?
Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und eine faire Globalisierung.
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Aventuricus hat geschrieben:
Wir meinen glaube ich jeweils etwas anderes, wenn wir von einem Grund für Kriminalität reden. Wenn ich von Gründen rede, meine ich Ursachen und nicht Rechtfertigungen. Ich stimme dir völlig zu, dass es kein legitimer Grund ist, jemanden zu überfallen, nur weil man das neuste Handymodell haben will.
Mit der Betrachtung sind wir 100% einer Meinung.
Durch diese Bewertung ändern wir aber nichts daran, dass es in unserer Gesellschaft Strukturen gibt, die dazu führen, dass es viele Menschen gibt, die ein solches Verhalten als legitim sehen. Wenn wir uns anschauen, wer diese Menschen sind, dann stellen wir fest, dass sie sich klar auf Milieus konzentrieren, die über wenig Besitz, wenig Bildung und wenig Aufstiegschancen verfügen. Das legt die Vermutung mehr als nahe, dass es eine mittelbare ursächliche Beziehung zwischen diesen sozialen Bedingungen und der konkreten Kriminalität gibt; genauso, wie ähnliche ursächliche Beziehungen dafür sorgen, dass Angehörige des bildungsbürgerlichen Milieus eher ins Theater oder zu Lesungen gehen als Angehörige anderer Milieus.
Es ist richtig, dass es an mangelnden Aufstiegschancen, etc... bei manchen Gruppierungen liegt. Aber das ist allenfalls eine Ursache aber nicht der Grund. Ansonsten müssten alle Betroffenen so handeln, das tun sie aber nicht. Die alleinerziehende Sekretärin vom Chef der Beschaffung wir auch nie Vorstandsvorsitzende vom Unternehmen werden, trotzdem gbt sie sich mit dem kümmerlichen Gehalt zufrieden und wird nicht kriminell.

Ebenso ist der Besitz nicht ausschlaggebend, ansonsten gäbe es keine Steuerhinterzieher, Drogenkonsumenten, Gewalt, etc... unter den Schwerreichen.
Ebenso hat es Ernst August auch nie davon abgehalten, seinen Schirm gegenüber Reportern "anzuwenden". Seine Frau Caroline ist vom Thema "Reporter" weitaus mehr negativ betroffen als er selbst, trotzdem hat sie noch nie einen Reporter verprügelt (Obwohl sie das genauso ohne mit der Wimper zu zucken könnte).
Übrigens gibt es von dem Youtubevideo noch eine Langfassung; die ersten 1:20 Minuten würde ich wiederum zum Ansehen empfehlen: gegen Ende insbesondere unter der Fragestellung: Wer oder was sorgt dafür, welche Vorbilder jemand wahrscheinlich hat?
Zu bedenken ist, dass derjenige ja definitiv gebrieft wurde (=Nur das sagen, was PC ist), leider aber von der offiziellen Version der PC Aussage abgewichen ist als er die entscheidene Frage gefragt wurde.

Ein jeder sucht sich sein Vorbild selbst aus. Daher werden Sie auch den Unterschied zwischen Mädchen und Jungen feststellen obwohl die im selben Umfeld und gleichen Bedingungen aufwachsen.

Ein jeder ist für seine Entscheidung selbst verantwortlich und muss auch dafür die Konsequenzen tragen. Ein jegliches Entschulden der Taten fürt dazu, dass Kriminalität gerechtfertigt und entschuldigt werden könnte.
Dies kann nicht das Ziel sein, denn sonst kann ein jeder Ernst August die Reporter verprügeln ohne das er dafür definitionsgemaß eine Schuld hätte.
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Benutzeravatar
K.-H. Hirmer
Beiträge: 2463
Registriert: Samstag 10. Januar 2009, 16:16
user title: S 194
Wohnort: 27211 Bassum

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von K.-H. Hirmer »

Armut hat mit Kriminalität nichts zu tun.

Anzunehmen, dass Armut kriminell macht oder Kriminalität begünstigt, halte ich für völlig verfehlt. Erst recht dann nicht, wenn Gewalt im Spiel ist. Nach meinem Dafürhalten ist die größte Förderung von Kriminalität deren Duldung. Um das zu erkennen, muss man in Gesellschaften fahren, in denen tatsächliche Armut herrscht. Meine Frau und ich waren 2001 in Chile, genauer in Südchile in der Nähe der Stadt Puerto Montt.

Da gibt es Armut! Das Preisniveau für die Lebenshaltung entspricht ungefähr deutschen Verhältnissen. Allerdings liegt das Durchschnittseinkommen einer Familie in Chile nur bei ca. 150 - 200 Euro im Monat. Durchschnittseinkommen heißt, dass es eine erkleckliche Zahl von Leuten gibt, die noch darunter verdienen. Zwei Beispiele dafür, warum Armut nichts mit Kriminalität zu tun hat.

Beispiel 1: Wir hatten eine Blockhütte am Llanquihue-See gemietet. Als Putzservice kamen Frauen aus dem nahegelegenen Ort. Und das waren sicher nicht die Frauen der Reichen. Einmal hatte ich aus Vergeßlichkeit 700 USD(!) Bargeld in einer Mappe auf dem Nachtischschrank liegen lassen. Als ich abends wiederkam, lag die Mappe mit allen 700 USD ausgerichtet auf dem Nachttischschrank. Gleiches gilt für Kameras, Schmuck, etc. Niemals ist uns auch nur die geringste Kleinigkeit gestohlen worden.

Beispiel 2: Auf einer Fahrt zum Pazifik verfuhren wir uns heillos. Da unsere Handys in Chile nicht funktionierten (anderes Netz), konnten wir unsere Freunde die uns nach Chile eingeladen hatten nicht verständigen, dass die uns abholen. Es kam wie es kommen musste: Wir landeten in der Stadt Osorno (benannt nach dem Vulkan in der Nähe) in den Slums. Ich kann euch versichern, auch wenn man solche Bilder aus dem Fernsehen kennt: Sieht man das wirklich mal live, ist man absolut fassungslos! Es gibt tatsächlich ganze "Stadtviertel", die bestehen aus Stangen mit Plastikplanen, Blechen, Brettern, Tüchern, Decken und was weiß ich nicht alles. Von Gerüchen reden wir lieber gar nicht.

Meine Frau und ich waren dann gezwungen, unseren Wagen kurzfristig "aufzugeben". Weiterfahren ging nicht mehr, da wir auch nicht die geringste Idee mehr hatten, wo wir noch hätten hinfahren sollen. Keinesfalls wollte ich meine Frau alleine am Wagen zurücklassen, während ich versuchen würde Hilfe zu organisieren. Andererseits wollte ich meine Frau in der Gegend auch wahrlich nicht alleine losschicken, damit sie irgendeinen Polizisten oder sonstigen "Offiziellen" sucht. Wir nahmen alles aus dem Fahrzeug, was unbedingt erhalten bleiben musste. Geld, Papiere, unsere beiden Kamerataschen. Und in einer kurzen Jeanshose und T-Shirt als einzige Bekleidung, kann man auch nicht verbergen, dass man wohl zu den "reichen" Touristen zählt.

Wie auch immer im Detail, wir fanden Hilfe. Nur Kriminalität fanden wir nicht. Das war völlig irre! Wir waren wohl an die zwei Stunden da drin unterwegs. Ich fand es war eine Ewigkeit ...

Es gab nicht die geringste Situation, wo wir bedroht worden wären.

Und der absolute, nicht zu überbietende Hammer war: Wir wurden nicht ein einziges Mal angebettelt! Nicht ein einziges mal!

In unserem schönen Bremen kann ich nicht zum Nordausgang des Hauptbahnhofes rausgehen, ohne auf den lächerlichen fünfzig Metern bis zum Aldi-Markt einige Male angeschnorrt zu werden: "Hasse ma' 'n Euro?" Und das jeden gottverdammten Tag im wohlhabenden Bremen!

Hier in Europa müssen die Menschen also betteln, weil sie ach so arm sind. :cry2: :roll:

In den Slums von Osorno kann ich aber volle zwei Stunden rumlaufen und denn Menschen dort - für ihre Verhältnisse - enormen "Reichtum" offen vorführen und werde nicht angebettelt? Und vor allen Dingen werde ich nicht ausgeraubt und finde den Wagen ohne jede Beschädigung mit unserem ganzen Gepäck wieder?

Da stimmt doch was nicht! Ich weiß auch was da nicht stimmt. Nämlich die These, dass "Armut kriminell macht oder zumindest Kriminalität fördert". Die stimmt nicht.

Was meiner Ansicht nach so sehr dazu beiträgt, dass es Kriminalität im wohlhabenden Europa gibt, ist ihre Duldung und Entschuldigung. Angefangen von Politikern, über Pfarrer jeder Coleur bis zu einem Heer von Sozialpädagogen redet jeder den Kriminellen ein, dass es ja eigentlich ganz verständlich ist, was sie tun. Weil sie ja so arm sind, dürfen die für einen "alternativen Eigentumsausgleich" selber sorgen. Man hat Verständnis. Und geht scharf gegen jeden vor, der sich gegen die Alltagskriminalität auflehnt und deren Beseitigung fordert.

Es ist das Heer der selbsternannten "Täteranwälte", die den Tätern einreden, dass sie ihr Verhalten eigentlich nicht wirklich ändern müssten. "Die Gesellschaft" ist schließlich schuld daran, dass sie kriminell sind. :roll:

Das ist die Hauptursache von Kleinkriminalität. Und nicht Armut.

K.-H. Hirmer
Zuletzt geändert von K.-H. Hirmer am Sonntag 8. Februar 2009, 22:49, insgesamt 2-mal geändert.
Legaler Waffenbesitz? Mit Sicherheit Ja! Forum Waffenrecht
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

K.-H. Hirmer hat geschrieben:Was meiner Ansicht nach so sehr dazu beiträgt, dass es Kriminalität im wohlhabenden Europa gibt, ist ihre Duldung und Entschuldigung. Angefangen von Politikern, über Pfarrer jeder Coleur bis zu einem Heer von Sozialpädagogen redet jeder den Kriminellen ein, dass es ja eigentlich ganz verständlich ist, was sie tun. Weil sie ja so arm sind, dürfen die für einen "alternativen Eigentumsausgleich" selber sorgen. Man hat Verständnis. Und geht scharf gegen jeden vor, der sich gegen die Alltagskriminalität auflehnt und deren Beseitigung fordert.

Es ist das Heer der selbsternannten "Täteranwälte", die den Tätern einreden, dass sie ihr Verhalten eigentlich nicht wirklich ändern müssten. "Die Gesellschaft" ist schließlich schuld daran, dass sie kriminell sind. :roll:

Das ist die Hauptursache von Kleinkriminalität. Und nicht Armut.
Das sehe ich genauso. Die Gründe, warum man unbedingt kriminell sein müsste, weil es ja nicht anders geht entbehren jeglicher Grundlage.

So hat die Zypries mal Häuser als Kriminalitätsursache genannt :
„Riechen Sie die U-Bahn?“, frage ich. Wir steigen ein, fahren durch die Problemviertel Berlins. Drei Betrunkene steigen zu, sie haben Bierflaschen in den Händen. Ich habe keinen Augenkontakt mit den Biertrinkern. Frau Zypries auch nicht. Wir sprechen über die Architektur der Großstädte, die auch Gewalt auslöst, über Hochhäuser.
Also sind die hohen Häuser Schuld ? Ich sehe das in der Tat so, dass fiese Plattenbauten nicht gerade ein Wohlfühlerlebnis erzeugen. Aber sind die Häuser jetzt daran schuld ? Klare Antwort : Nein !

Um mal ein Beispiel zu geben :

Die Haniball-Hochhäuser in Stuttgart sind eine bevorzugte Wohnlage http://de.wikipedia.org/wiki/Hannibal_(Hochhaus)
Auch wenn diese Gebäude von weit her äusserst fies aussehen und man denkt, dass dort die Unterschicht von Stuttgart geparkt wird ist es nicht so.

Vergleichbare Bauten sind aber in der Tat zu sozialen Brennpunkten geworden. Also liegt es nicht an den Häusern, sondern an den Bewohnern.

Daher sind Aussagen über die Kriminilatitätsursachen "Haus" völlig ausser acht zu lassen (Zu bedenken ist, das Deutschland eine Justizministerin hat, die tatsächlich Gebäuden die Schuld für Kriminalität gibt).

Es muss die Schuld immer und vollständig beim Täter gesucht werden und bei niemandem anderes.
Hohe Steuerabgaben sind auch keine Entschuldigung für Steuerhinterziehung !
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Benutzeravatar
Kopernikus
Beiträge: 16597
Registriert: Montag 2. Juni 2008, 14:22
user title: Bazinga!

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Kopernikus »

K.-H. Hirmer hat geschrieben:[...]

Da stimmt doch was nicht! Ich weiß auch was da nicht stimmt. Nämlich die These, dass "Armut kriminell macht oder zumindest Kriminalität fördert". Die stimmt nicht.
[...]
Deine Position entspricht nicht den wissenschaftlich erarbeiteten Studien über das Phänomen Jugendkriminalität.
Es kann heute eindeutig festgestellt werden, dass schlechte Bildung Kriminalität fördert und mangelnde Bildung besonders unter sozial prekären Schichten überdurchschnittlich verbreitet ist. Diese Kausalkette ist relativ simpel wenn auch nicht deterministisch.
Ich empfehle jedem hier folgende Sendung, die gerade heute auf ARTE lief. Sie heißt "Prügelknaben - Wenn Jugendliche zuschlagen" und sollte unter folgendem Link noch 7 Tage zu sehen sein:
http://plus7.arte.tv/de/detailPage/1697 ... 03038.html
Falls der Link nicht funktioniert, auf ARTE+7 nach dem Titel suchen.
http://kartoffeln-im-netz.tumblr.com/
"Das Volk ist immer da, wo das große Maul, die heftigste Phrase ist." Alfred Döblin
http://www.youtube.com/watch?v=xwsOi0ypuSI
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

Kopernikus hat geschrieben:Deine Position entspricht nicht den wissenschaftlich erarbeiteten Studien über das Phänomen Jugendkriminalität.
Es kann heute eindeutig festgestellt werden, dass schlechte Bildung Kriminalität fördert und mangelnde Bildung besonders unter sozial prekären Schichten überdurchschnittlich verbreitet ist. Diese Kausalkette ist relativ simpel wenn auch nicht deterministisch.
Ich empfehle jedem hier folgende Sendung, die gerade heute auf ARTE lief. Sie heißt "Prügelknaben - Wenn Jugendliche zuschlagen" und sollte unter folgendem Link noch 7 Tage zu sehen sein:
http://plus7.arte.tv/de/detailPage/1697 ... 03038.html
Falls der Link nicht funktioniert, auf ARTE+7 nach dem Titel suchen.
In letzter Konsequenz ist es immer nur eine Erklärung aber niemals eine Rechtfertigung. Täter sind bis auf ganz wenige Ausnahmen immer selbst schuld an ihrer Tat.
Andere Beteiligte sind unter den exakt gleichen Bedingungen aufgewachsen, haben aber denoch ein weitaus besseres Ergebnis hingelegt.

Ein jeder ist sein Glückes Schmied !
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Aventuricus
Beiträge: 113
Registriert: Dienstag 5. August 2008, 11:33
user title: Linksliberaler Gutmensch

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von Aventuricus »

Ansonsten müssten alle Betroffenen so handeln, das tun sie aber nicht.
Siehe hierzu meinen ersten Beitrag in diesem Thema, wo ich erklärt habe, dass Ausnahmen in den Statistiken immer schon eingerechnet sind, weil ja niemand was von einer Quote von 100% erzählt, und dass man trotz dieser Ausnahmen signifikante Unterschiede in den Kriminalitätsraten je nach Milieu feststellen kann.
Ebenso ist der Besitz nicht ausschlaggebend, ansonsten gäbe es keine Steuerhinterzieher, Drogenkonsumenten, Gewalt, etc... unter den Schwerreichen.
Siehe hierzu ebenfalls den ersten Beitrag von mir in diesem Thema, da habe ich geschrieben, dass neben mangelnden Mitteln auch Ablehnung von Zielen oder Normen Kriminalität verursachen kann. Ergänzen sollte man noch, dass Ablehnung von Zielen auch aus einem Konflikt zwischen zwei einander widersprechenden Zielen resultieren kann, wenn man dem einen viel mehr Bedeutung zumisst als dem anderen. Steuerhinterziehung ist ein typischer Fall, wo die starke Zustimmung zum Ziel "Reich werden / sein / bleiben" dazu führt, dass man ein Ziel wie "Zum Wohlergehen der Gemeinschaft beitragen" ablehnt, wenn dies mit der Weitergabe von Geld und damit einer Handlung, die dem erstgenannten Ziel zuwiderläuft, verbunden ist.

Armut ist also natürlich nicht die alleinige Ursache von Kriminalität, das hatte ich auch nirgends geschrieben. Aber insbesondere, weil sie mit einem Mangel an Aufstiegschancen verbunden ist, ist sie eine wesentliche Ursache von Kriminalität.
Ein jeder sucht sich sein Vorbild selbst aus. Daher werden Sie auch den Unterschied zwischen Mädchen und Jungen feststellen obwohl die im selben Umfeld und gleichen Bedingungen aufwachsen.
Das will ich nicht leugnen. Aber man sucht sich sein Vorbild nur unter denjenigen selbst aus, die Teil der Menge der potenziellen Vorbilder sind. Diese Menge stellt man sich nicht selbst zusammen, sondern kriegt sie durch Sozialisationsinstanzen vermittelt: Familie, Schule, Medien, Freunde ...
K.-H. Hirmer hat geschrieben: Um das zu erkennen, muss man in Gesellschaften fahren, in denen tatsächliche Armut herrscht. Meine Frau und ich waren 2001 in Chile, genauer in Südchile in der Nähe der Stadt Puerto Montt.
Ein Chilene hat doch eine völlig andere Vergleichsmenge als ein Deutscher, wenn er beurteilt, ob er arm ist oder nicht. Niemand, der in Deutschland feststellt, dass er zur untersten sozialen Schicht gehört und wenig Aufstiegschancen hat, wird sich denken, dass er global zur obersten Schicht gehört, und deshalb sein Verhalten ändern. Außerdem sieht die ganze Gesellschaft sich selbst immer noch primär als eine Gesellschaft und nicht als Teil der Weltgesellschaft. Der Bezugspunkt, wenn wir von Kriminalität in Deutschland und der Verbindung zwischen dieser und Armut und mangelnden Aufstiegschancen reden, kann deshalb nur die deutsche Gesellschaft sein.
Außerdem ist es immer schwer, mit Einzelbeispielen Statistiken widerlegen zu wollen, die ja eine gewisse Anzahl an Gegenbeispielen von vornherein einschließen.
Man hat Verständnis. Und geht scharf gegen jeden vor, der sich gegen die Alltagskriminalität auflehnt und deren Beseitigung fordert.
Ich bin nicht für Kriminalität. Ich bin nur dagegen, den Kampf gegen Kriminalität an der falschen Front zu führen, immer nur Wasser auf den heißen Stein zu schütten und die Symptome statt der (sozialen) Ursachen zu bekämpfen.
"Die Gesellschaft" ist schließlich schuld daran, dass sie kriminell sind. :roll:
Interessanterweise werden Hinweise darauf, dass es für bestimmte Milieus typisch ist, in die Oper zu gehen, während andere Milieus lieber DSDS gucken, nie mit Augenroll-Smileys kommentiert - obwohl die gleichen Mechanismen am Werk sind.
Es muss die Schuld immer und vollständig beim Täter gesucht werden und bei niemandem anderes.
Kriminalität ist soziales Handeln. Wer anerkennt, das soziales Handeln milieugeprägt ist, kann das für Kriminalität nicht plötzlich nicht anerkennen. Wer nicht anerkennt, das soziales Handeln milieugeprägt ist, erkläre bitte, warum nicht Leute aus allen sozialen Schichten gleichermaßen in die Oper gehen.
Davon abgesehen geht es mir um Verantwortung und nicht um Schuld. Schuld ist eine rechtliche Frage, die Frage nach Verantwortung versucht, herauszufinden, welche Faktoren in welchem Ausmaß an der Entstehung eines Phänomens beteiligt sind. Dementsprechend geht es mir auch nicht um "Entschuldigung", sondern die Negation der These, dass individuellen psychischen Faktoren eine höhere Verantwortung für soziales Handeln wie Kriminalität zukommt als sozialen Faktoren.
Die Gründe, warum man unbedingt kriminell sein müsste, weil es ja nicht anders geht entbehren jeglicher Grundlage.
Zitat von mir: "Das heißt nicht, dass der Mensch durch sein soziales Umfeld absolut determiniert wäre - aber es heißt, dass er durch es hinreichend determiniert ist, dass man bei guter Kenntnis des sozialen Umfelds eines Menschen vorhersagen kann, wie sich sein Leben im Allgemeinen mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickeln wird, wenn es zu keinen beteudenden Einflüssen durch positive oder negative Zufälle kommt."
Soziale "unbedingte" Determinierung habe ich nirgends konstatiert, dafür wirde wirklich jegliche Grundlage fehlen. Konstatiert habe ich und haben viele andere nur bedingte Determinierung, was das selbe ist wie sehr starke Prägung und Beeinflussung. Diese wiederum kann man an massig Beispielen auch jenseits der Kriminalität nachweisen, von denen ich einige bereits genannt habe.
Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und eine faire Globalisierung.
Benutzeravatar
K.-H. Hirmer
Beiträge: 2463
Registriert: Samstag 10. Januar 2009, 16:16
user title: S 194
Wohnort: 27211 Bassum

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von K.-H. Hirmer »

Kopernikus hat geschrieben:Deine Position entspricht nicht den wissenschaftlich erarbeiteten Studien über das Phänomen Jugendkriminalität.
Mit der hervorgehobenen Aussage haben Sie eigentlich in dieser Diskussion das Urteil gefällt: Gegen "wissenschaftlich erarbeitete Studien" kann man bekanntlich nichts einwenden. Wenn die Wissenschaft das sagt, muss es ja stimmen. Ich versuche trotzdem Einwände.

Sozialwissenschaften (SW) sind keine exakten Wissenschaften wie die Physik oder die Chemie. Es kommt in den Sozialwissenschaften (SW) immer darauf an, was man messen möchte. Man hat wie im Dritten Reich Rassetheorien im Kopf? "Prima"! Schon kann man mit wissenschaftlichen Schädelvermessungen anfangen, psychische Merkmale der "Rassen" katalogisieren, "Rassenvermischungen" feststellen und vieles mehr. SW messen leider nur allzuoft das, was gemessen werden soll. Einige Jahre habe ich mich auch nebenbei für Psychologie interessiert. Mein lieber Scholli! Da gibt es erstmal Studien! Da reißt man die Augen auf, was wissenschaftlich so alles erwiesen ist.

Eine Studie, die das Familieneinkommen mit Kriminalitätshäufigkeit in Beziehung setzen soll, wird dies auch tun. Die Frage an kriminell auffällige Jugendliche und Erwachsene darf aber nicht lauten, wie hoch ist das Familieneinkommen, sondern muss lauten:

Wie oft pro Tag wurde Dir beigebracht, dass asoziales und/oder kriminelles Verhalten geduldet wird?

Nehmen wir eine Stadt wie Bremen

Schnorren - auch agressives - am Hauptbahnhof?

Bitte sehr, gern gesehen! Eine junge Frau aus einer Schnorrerclique hat seit Jahren vor dem Haupteingang ein festen Sitzplatz. An 250 von 365 Tagen im Jahr sitzt die da und lässt sich Geld geben. Wenn sie mal weg muss, setzt sich jemand aus der Clique hin und hält den Platz frei. An jedem dieser Tage wird tausenden Passanten klar gemacht, dass man eigentlich nicht arbeiten muss und trotzdem gut leben kann.

Am Bahnhof Nordausgang ist es noch viel besser. Dort wird vor dem Eingang zum Aldi und fünf(!) Meter neben dem Eingang zur Bundespolizei gruppenweise geschnorrt. Kann es eine bessere Demonstration von Gleichgültigkeit gegenüber Fehlverhalten geben, als die, dass sogar unter den Augen der Polizei asoziales Verhalten möglich ist?

Warum soll ein Jugendlicher, der das sieht eigentlich eine mühsame Lehre mit wenig Geld machen und jeden Morgen zur Arbeit aufstehen, wenn es auch ohne geht? Man schnorrt sich, was man braucht. Von da ist es zum "einfach nehmen was man braucht" wohl auch nicht sonderlich weit.

In einer Grundschule in Walle hospitierte ich einen Unterricht einer 3. Klasse. Die Lehrerin maßregelte auf dem Flur vor dem Schulleiter einen Drittklässler, weil er sein Zeug nicht aufgeräumt hatte. Dessen Antwort: "Ich fick' dich ins Knie!" Das wurde hingenommen. Und wie! Mir wurde entschuldigend erklärt, "das seien die Freuden des Schulalltags". Ein Drittklässler, der gelernt hat, dass er so mit einer Respektsperson sprechen kann, hat irgendwann auch den Bogen raus zu sagen: "Gib' mir dein Handy, oder ich hau' dir in die Fresse!"

An einer anderen Schule in Bremen versuchen die Lehrer, "auf gleicher Augenhöhe" mit den Schülern Lern- und Verhaltensverträge auszuhandeln. Damit nicht immer nur diese schreckiche Autorität das beherrschende Moment ist. Warum sollte ein Schüler, der lernt, dass sein Lehrer nicht "mehr" ist als er selbst, diesem Lehrer irgendwelche sozialen Werte und Maßstäbe abkaufen? Ein Kumpel der ein toller "Mac" ist, und gegen diese Werte erfolgreich verstößt, kann meinungsbildender sein als der Lehrer. Möglicher Gedankengang: Der Lehrer ist ja nur so klein wie man selber ist. Der Kumpel ist aber richtig cool und hat mit den geklauten Sachen unter Umständen schon Schlag bei den Mädels.

Im Zug fahre ich von Bassum seit zehn Jahren fast täglich an - insgesamt - kilometerlangen mit Grafittis beschmierten Lärmschutzwänden vorbei. Warum sollte man glauben, dass Sachbeschädigung etwas schlechtes ist.

Fahre ich abends von Bremen Gröpelingen nach Vegesack im Bus, sieht der Bus aus wie ein Dreckstall. Imbisstüten mit Pommesresten und Hähnchenknochen liegen da rum, nett garniert von leeren Joghurtbechern. Ja bitte schön, warum soll man Jugendlicher eigentlich seinen Dreck mit aus dem Bus nehmen? Da das jeden Abend da so aussieht, wird das schon in Ordnung sein, wenn man sein Zeug liegen läßt.

Der Vater erzählt stolz in der Familie, dass er mit seinem Arbeitskollegen Lautsprecherboxen von der Haftpflichtversicherung organisiert hat. Sie haben einfach angegeben, dass der Vater die von seinem Arbeitskollegen kaputtgemacht hat. Soll Söhnchen an dem Beispiel wirklich lernen, dass Betrug eine Straftat ist?

Sozialkriminalität soll strafbar sein? Gar betrügerische Erlangung von Sozialleistungen? Kann eigentlich nicht sein. Die Verwalter einer Bremer Wohnungsbaugesellschaft erzählten mir, dass in manchen Wohnungen Sozialhilfeempfänger in der dritten Generation wohnen. Sind noch nicht mal schlechte Mieter. Die Miete kommt ja pünktlich.

So ließe sich die Liste der täglichen Lektionen in Sachen "Asozialität und Kriminalität sind OK" endlos fortsetzen. Und damit die tatsächlichen Ursachen von Kriminalität zeigen.

Aber natürlich nicht wissenschaftlich erarbeitet. :roll:

K.-H. Hirmer
Legaler Waffenbesitz? Mit Sicherheit Ja! Forum Waffenrecht
Benutzeravatar
ToughDaddy
Beiträge: 36973
Registriert: Mittwoch 18. Juni 2008, 16:41
user title: Live long and prosper
Wohnort: Genau da

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von ToughDaddy »

jack000 hat geschrieben:
In letzter Konsequenz ist es immer nur eine Erklärung aber niemals eine Rechtfertigung. Täter sind bis auf ganz wenige Ausnahmen immer selbst schuld an ihrer Tat.
Andere Beteiligte sind unter den exakt gleichen Bedingungen aufgewachsen, haben aber denoch ein weitaus besseres Ergebnis hingelegt.

Ein jeder ist sein Glückes Schmied !
Dann mal eine Voraussage, weil ja gerade wieder sowas gefordert wird, wenn man immer mehr Menschen in Armut treibt und sie gegen die Wand drückt, wird es auch immer mehr Kriminalität geben, und anfangen tun dann vor allem die Jugendlichen.
Benutzeravatar
jack000
Beiträge: 44207
Registriert: Sonntag 1. Juni 2008, 18:21
Wohnort: Stuttgart

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von jack000 »

ToughDaddy hat geschrieben:
Dann mal eine Voraussage, weil ja gerade wieder sowas gefordert wird, wenn man immer mehr Menschen in Armut treibt und sie gegen die Wand drückt, wird es auch immer mehr Kriminalität geben, und anfangen tun dann vor allem die Jugendlichen.
Kriminell zu sein ist eine Einstellungssache. H4 ist eine karge Angelegenheit aber keine Armut. Ebenso ist Reichtum keine Rechtfertigung für Kriminalität, da ja durch hohe Steuersätze Steuerhinterziehung gerechtfertigt wird.

Es ist nicht zu rechtfertigen ...
"Sie verbieten nicht die Hassrede. Sie verbieten die Rede, die sie hassen"
Benutzeravatar
ToughDaddy
Beiträge: 36973
Registriert: Mittwoch 18. Juni 2008, 16:41
user title: Live long and prosper
Wohnort: Genau da

Re: Handeln, nicht wegschauen

Beitrag von ToughDaddy »

jack000 hat geschrieben:
Kriminell zu sein ist eine Einstellungssache. H4 ist eine karge Angelegenheit aber keine Armut. Ebenso ist Reichtum keine Rechtfertigung für Kriminalität, da ja durch hohe Steuersätze Steuerhinterziehung gerechtfertigt wird.

Es ist nicht zu rechtfertigen ...
Bei dem was man hier fordert, hast ja selber gelesen, wird es noch mehr als karg. Ansonsten: Als HIV eingeführt wurde, war es stark an der Grenze. Seit dem sind die Preise überall extrem gestiegen. Aber macht natürlich nichts. Klar es ist keine Armut wie in Afrika, dennoch bedeutet es hier Armut.
Ganz davon abgesehen, dass man sowieso fast nur hetzt gegen HIV Empfänger und aus der Gesellschaft ausschließt. Mithin fördert man mit sowas noch die Einstellung zur Kriminalität.

Von Rechtfertigung habe ich nicht gesprochen. Ansonsten: wenn es wie gewünscht so weitergeht, kann es aber zumindest moralisch schnell zur Rechtfertigung werden.
Antworten