http://monde-diplomatique.de/artikel/!5274030
Weltweit gibt es derzeit 60 Mio. offiziell registrierte Flüchtlinge. Für die Allermeisten davon gibt es weder eine Rückkehrperspektive in ihre Heimatländer, noch die Chance an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort dauerhaft aufgenommen zu werden. Die einzige Möglichkeit etwas zu ändern besteht für Viele nur in der "Flucht" in ein Land mit großzügiger Asylgesetzgebung, also derzeit v.A. nach Europa. Die derzeitige Strategie der Zielländer besteht in der schnellen Aufnahme und Integration der Neuankömmlinge. Die Integration stellt jedoch beide Seiten vor enorme Herausforderungen, ist nicht von Jedermann gewünscht (von dem Syrer der an seinen traditionellen Wertvorstellungen festhält genausowenig wie von dem Sachse der Flüchtlingsheime anzündet) und droht insgesamt zu scheitern.
In dem verlinkten Interview wird daher ein radikal anderer Weg vorgeschlagen: Anstatt den Versuch zu unternehmen Flüchtlinge mit aller Gewalt zu integrieren, sollte ihnen gestattet werden ihre eigenen Städte zu gründen und dort selbstbestimmt zu leben:
Die Idee - wenn auch kaum realistisch - finde ich durchaus interessant. Sie scheint einige offensichtliche Vorteile für beide Seiten zu haben: Die Flüchtlinge müssten sich nicht in einer ihnen völlig fremden Kultur und Gesellschaft zurechtfinden, die ihnen in vielen Fällen nur einen Platz am Rand - mit Sozialhilfe aber ohne Perspektive - bieten kann. Die Europäer hingegen sind von der enormen Aufgabe befreit die Neuankömmlinge irgendwie aufwändig integrieren zu müssen. Ökonomisch könnten sich ebenfalls Vorteile ergeben: Während Flüchtlinge im starren, bürokratischen und auf Formalien fixierten europäischen Arbeitsmarkt oft chancenlos sind oder in Billig-Jobs landen, könnten sie - befreit von der Bürokratie - im Umfeld der "eigenen Leute" möglicherweise erfolgreich dem Beruf nachgehen, den sie mal gelernt haben. Und anstatt in Flüchtlingsunterkünften monatelang Däumchen zu drehen, könnten Neuankömmlinge vom ersten Tag an mit anpacken.Wie wäre es, wenn Flüchtlinge in Europa Bauland zugewiesen bekämen, benachbart zu den europäischen Städten, aber in einem Abstand, der die Andersartigkeit wahrt.
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Die Neuankömmlinge kümmern sich dann um sich selbst, ganz entsprechend ihrer Kultur, Küchen, Musik und ihrer gesellschaftlichen Strukturen. Sie bauen in Europa ihre Städte wieder auf, ihre Plätze, ihre Schulen, ihre Theater, ihre Krankenhäuser, ihre Radiostationen und ihre Zeitungen. Die syrischen Ärztinnen sind wieder Ärztinnen, ohne eine deutsche Approbation zu benötigen, die kurdischen Lehrer sind wieder Lehrer, die Rechtsanwältinnen Rechtsanwältinnen, die Bäcker Bäcker und so weiter.
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Europa gibt Bebauungsland als Starthilfe, das erschlossen ist, also angebunden an Infrastruktur – Energie, ICT, Transport –, das aber ansonsten frei zur Gestaltung durch die Neuankömmlinge ist.
Auf der anderen Seite ergeben sich natürlich jede Menge offene Fragen: Was, wenn die neuen Städte kein wirtschaftliches Fundament entwickeln, sich keine stabile gesellschaftliche Ordnung herausbildet? Dann hätte man einfach nur Ghettos, die dauerhaft von Hilfslieferungen abhängig wären. Und wie weit sollte die Autonomie dieser Regionen gehen? Was, wenn eines Tages Enthauptungen an der Tagesordnung sind...? Was, wenn das friedliche Nebeneinander nicht funktioniert? (Beispiele dafür gibt es ja zu Hauf...) Wie soll das ganze rechtlich aussehen? Und wo wäre überhaupt Platz?
Noch sind die Flüchtlingszahlen zu gering um die skizzierte Idee ernsthaft in Erwägung zu ziehen... Aber sollte es mal zu einer richtig großen Flüchtlingswelle kommen (z.B. im Zuge des Klimawandels) und Europa von 20, 50 oder 100 Millionen Migranten überrannt werden wird sicherlich keiner mehr von Integrationsmaßnahmen reden...
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