Das würde bedeuten das ich vorsätzlich irgendwelche Sachen sage die ich nicht so meine. Das habe ich aber noch nie getan, ist nicht meine Art.
d'Artagnan » Di 30. Dez 2014, 23:29 hat geschrieben:
Erdogan ist alles andere als "konservativ", der ist (und war schon immer) ein antikemalistischer
Reaktionär. Demonstranten mit Gasgranaten beschießen und niederknüppeln lassen, Regierungsgegner und Journalisten zu Dutzenden einzukerkern, die Juden und die USA für alles Elend verantwortlich machen, islamistische Rebellen im benachbarten (syrischen) Ausland gewähren zu lassen, neo-osmanische Weltmachtpläne zu artikulieren, den Islam als Herrschaftsinstrument zu verwenden ("unsere Minarette sind unsere Bajonette" etc.) und Geschichtsfälschung zu betreiben (Muslime hätten Amerika entdeckt ;D), das kann man nicht als "Konservatismus" bezeichnen.
Ich versuche jetzt auf alles einzugehen ohne jeden Punkt einzeln zu zitieren.
Die politische Landschaft in der Türkei ist anders als bei uns. Das Durchgreifen bei Gezi hatte nichts mit konservativ oder nicht zu tun, sondern in der Türkei wird einfach mit härteren Bandagen gekämpft. Die Gegenseite wäre und war da nicht anders. Die Kemalisten haben sogar Leute hängen lassen für derartige Vergehen. Und obwohl ich absolut auf der Seite der Gezi-Demonstranten bin, ist das vorgehen im historischen Vergleich sogar ein "Fortschritt". Man muss das im Kontext des Landes sehen.
Der Umgang mit den Journalisten ist in der Türkei sehr fragwürdig, aber auch das war unter den Kemalisten noch verschärfter. Es gibt nach wie vor grossen Druck auf die Medien und autoritäres Gehabe der Politiker gegenüber ihnen, aber Erdogan hat das nicht eingeführt. Das ist ein Erbe des Kemalismus.
Man kann ihm auf jeden Fall vorwerfen das er das nicht mit Nachdruck bekämpft.
Die Juden und die USA macht er in meinen Augen nicht für alles verantwortlich. Er ist ein Dampfschwätzer der immer mal wieder Israel gegenüber eine dicke Lippe riskiert, weil er weiss das das in der islamischen Welt gut ankommt. Er ist Populist. Gegen die USA kann er nicht viel machen oder sich auch nicht zuweit aus dem Fenster lehnen, die geben nach wie vor für die Türkei den Ton an.
Den IS hat die Türkei unterstützt nicht aus ideologischer Nähe, sondern weil sie Assad stürzen wollten. In Syrien würde bei freien Wahlen eine sunnitische, religiöse Partei gewinnen, die die Vormachtstellung der Türkei zementieren würde. Das war das Kalkül, andere Länder inklusive GB oder den USA haben ja auch schon Pakte mit dem Teufel beschlossen um ihre aussenpolitische Agenda zu pushen.
Das Neo-Osmanische....Ja, etwas grössenwahnsinnig. Kein arabisches Land würde sich nochmal eine türkische Vormundschaft gefallen lassen und militärisch wäre das auch nicht durchsetzbar.
Aber es ist eben die Abkehr der islamischen Elite vom Kemalismus, eine neue Vision für das Selbstverständnis der Türkei. Gefallen tut mir das auch nicht, aber der Kemalismus war schon lange tot bevor er abgewählt wurde. Die Türkei braucht etwas neues.
Der Islam ist teil dieses neuen Selbstverständnisses und in Form der AKP nicht viel anders als bei irgendwelchen stramm christlichen Parteien oder Parteigängern.
Das ist nicht der Islamismus des Iran oder der Saudis.
Was sein Gesabbel zu den Moscheen auf Kuba angeht. Das war einfach nur dumm, aber soll mMn. die von Mnderwertigkeitskomplexen geplagte islamische Welt bauchpinseln. Er versteht sich meisterhaft darauf damit zu spielen. Vermutlich kennt er das selber. Daher auch sein Gepöbel gegen Israel.
Nichtsdestotrotz ist das türkischer Konservatismus. Es gibt rechts neben der AKP noch viel radikalere Parteien, auch im religiösen Bereich.
Ganz zu schweigen davon das der IS der Türkei auch schon angekündigt hat, das sie auch fällig sein werden. Eine wirkliche Allianz existiert da nicht, sondern ein gegenseitiges Wegschauen, weil man momentan andere, wichtigere Feinde hat.
d'Artagnan » Di 30. Dez 2014, 23:29 hat geschrieben:
Lediglich die latente Korruption und die Strafversetzung missliebiger ermittelnder Polizisten und Staatsanwälte, sowie die Errichtung protziger Regierungspaläste trotz gerichtlicher Verbote halten den Vergleich mit der "konservativen" CSU stand.
(Wenn da auch ein quantitativer Unterschied besteht...)
In einem Artikel über die Korruption sagte neulich ein türkischer Handwerker in Ankara: "Er ist zwar korrupt, aber das waren die vor ihm auch. Im Gegensatz zu denen macht er aber seine Arbeit." (Verbesserung der Infrastruktur, Effizienz der Institutionen, deutliche Verbesserung der Lebensqualität, Wirtschaftsboom). Den meisten Türken ist Religion eine relativ nebensächliche Sache. Etwa 8% Der Türken wünschen sich die Scharia (in den arabischen Ländern oder noch schlimmer in Zentralasien sieht das ganz anders aus). Der Rest wählt entweder als Parteisoldat immer dasselbe, aber das Zünglein ander Waage sind jene, die pragmatisch danach wählen, was sie am Ende des Monats mehr in der Hand haben.
Während in den 90ern ein hoher kemalistischer Militär sagte: "Das Militär ist dazu da um den Staat vor dem Volk zu schützen."
Geh mal in dich und frag dich, wen würdest du in so einer Situation wählen?
Wenn ich Türke wäre, würde ich ihn auch nicht wählen. Aber die Opposition auch nicht.