Taner » So 24. Aug 2014, 10:27 hat geschrieben:Noch mehr faulenzer, etwas mehr Einnahmen durch Steuer, da mehr Geld um Umlauf ist also ausgegeben wird.
Bei Leistungsberechtigten handelt es sich nicht zwangsläufig um "Faulenzer". Aber es ist wohl zutreffend, daß sich die Anzahl der Leistungsberechtigten erhöhen würde.
Betrachten wir mal einen Artikel der Süddeutschen von 2012, dessen Angaben natürlich nicht eins zu eins auf die Gegenwart übertragbar sind, da der bevorstehende "Mindest"lohn die Berechnungen ändert. Dort heißt es:
"Sicher ist: Eine kräftige Erhöhung würde viel Geld verschlingen und Hunderttausende neu ins Hartz-IV-System treiben. Das geht zumindest aus neuen Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen."
Mit "treiben" ist hier wohl gemeint, daß mehr Menschen anspruchsberechtigt wären. Im Artikel wird dazu gesagt:
"Wird die staatliche Grundsicherung kräftig erhöht, hätten auch deutlich mehr Menschen darauf Anspruch. Bei einem Monatsplus von 50 Euro bekämen weitere 460.000 Haushalte mit gut einer Million Menschen Hartz IV, rechnet die BA vor. Der Großteil würde Geld für die Unterkunft und deren Heizung erhalten."
Es wird also nicht getrieben, sondern der bereits bestehenden Bedürftigkeit, die im Niedriglohnsektor bisher unbeachtet bleibt, würde rechnung getragen, ebenso der Bedürftigkeit von Menschen, die nicht erwerbsfähig sind, aber nach der aktuellen Berechnungsgrundlage als nicht bedürftig angesehen werden. Dazu heißt es:
"Zugleich erhielten deutlich mehr nicht erwerbsfähige Erwachsene Anspruch auf Sozialhilfe. Die Zahl der Wohngeld-Empfänger sinkt dagegen, weil sie ins Hartz-IV-System fallen."
Der Begriff "fallen" ist meiner Meinung nach unangebracht, da ein erweiterter Anspruch die derzeitige Armut dieser Personen lindern würde. Betroffen sind kranke Menschen und Rentner, deren Alterssicherung unterhalb der bereits geltenden Armutsgrenze liegt. Das Thema Altersarmut wird ja seit einiger Zeit diskutiert, es kommt in etwa aufs gleiche raus ob dieser durch höhere Renten oder durch Sozialgeld begegnet wird. Wie bereits festgestellt würde ein Großteil der hinzu kommenden Zuwendungen die Kosten der Unterkunft betreffen, also für die Bezahlung von Miete und Heizkosten aufgebracht würden, nicht zuletzt deshalb, weil diese Kosten enorm gestiegen sind und vermutlich weiterhin steigen.
Herr Alt gibt zu bedenken, daß der Anreiz zur Erwerbstätigkeit durch höhere Regelsätze geschmälert werden könnte:
"Ein höherer Hartz-IV-Bezug wird schnell zum Vermittlungshemmnis. Nämlich dann, wenn die Grenzen zwischen Erwerbseinkommen und Hartz IV verschwimmen."
Er äußerte jedoch auch er sei sich sicher, dass die allermeisten Menschen in der Grundsicherung sich nicht ausschließlich "von einem ökonomischen Kalkül leiten lassen, arbeiten und ihre Lebenssituation verbessern" wollten. Trotzdem müssten die Regierenden darauf achten, "dass Arbeit weiter attraktiv bleibt".
Diesem Gedankengang kann ich weder bei ihm noch bei Herrn Gabriel folgen, die Attraktivität der Arbeit daraus ableiten, daß sie im Niedriglohnsektor nicht auskömmlich ist und diese Attraktivität über die Bedürftigkeit jenes Personenkreises stellt, der hier bereits genannt wurde: nicht erwerbsfähige Mitbürger, für die auch die attraktivste Arbeit keine Option ist.
Weiters verweist er auf die wichtigere Aufgabe der Vermittlung in Arbeit und sagt: "Am Regelsatz zu schrauben ist die einfachste Übung, Menschen in Arbeit zu bringen die schwierigere", sagt er.
Was diese Aufgabe angeht steht das Versagen, sowohl der Politik (anhaltende Minderung der Gelder für Fördermaßnahmen) wie auch der Arbeitsagentur außer Zweifel. Es wird also dieses Versagen als Argument dafür verwendet, eine Anpassung der Berechnungsgrundlage des Existenzminimums an die Bedürftigkeit der Bürger zu verhindern.
Dies ist auch nicht außer acht zu lassen:
"Auch die Denkfabrik der BA, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, hatte in einer Studie bereits 2008 vor deutlich höheren Regelsätzen gewarnt: Dies habe "starke negative Arbeitsanreize" zur Folge. Für Menschen, die mit ihrem Verdienst aus einem Vollzeitjob nur wenig über den Hartz-IV-Zahlungen liegen, werde dadurch "die Option, allein von den Sozialleistungen zu leben, attraktiver"."
Eine Überlegung, die Herr Alt in diesem Artikel bereits relativiert hat. Dagegen steht folgendes:
"Die Grünen hatten in ihrem Beschluss erklärt, mit der Erhöhung der Hartz-IV-Leistung auf 420 Euro "die gröbsten systematischen und inhaltlichen Mängel der schwarz-gelben Regelsatzberechnung" zügig heilen zu wollen. Diese stammt aus dem Herbst 2010. Sie war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht moniert hatte, die damals gültige Berechnung der Leistungen sei willkürlich erfolgt. Die neue Berechnung ist jedoch ebenfalls umstritten. Grüne, Sozialverbände, und Fachleute im Deutschen Anwaltsverein halten sie für nicht verfassungsfest."
Diese geänderte Berechnungsgrundlage wurde hier bereits ausgeführt, in der Quelle ist dazu mehr zu erfahren.
Zur Finanzierbarkeit eines höheren Regelsatzes:
"Die Kosten schätzen sie (- die Grünen -)mit 2,5 Milliarden Euro geringer ein als die BA. Die Anhebung sei auch finanzierbar, weil sich bei der Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro bis zu 1,5 Milliarden Euro an Hartz-IV-Leistungen für die sogenannten "Aufstocker" sparen ließen.
Alt will sich zu den Grünen-Beschlüssen nicht direkt äußern. Auch ein Mindestlohn würde aber kaum etwas daran ändern, dass ein Aufschlag von 50 Euro rund eine Million Menschen zusätzlich in die Grundsicherung führen würde, merkt er an."
Und schon beißt sich die Katze wieder in den Schwanz.
"Für ihn ist die Debatte eine Grundsatzfrage: "Wollen wir wirklich ein Volk von Transferbeziehern werden?" Er gönne jedem Hartz-IV-Empfänger sein weniges Geld. Hartz IV dürfe aber "kein Lebensmodell sein", sagt Alt und fügt hinzu: "Ich glaube, die wenigsten möchten auf Dauer von staatlichen Transferleistungen leben.""
Nun, nicht erwerbsfähige Mitbürger sind größtenteils auf Transferleistungen angewiesen, ob sie wollen oder nicht. Das gleiche gilt für die Kinder einkommensschwacher Haushalte. Und er hat eingangs selbst angeführt, daß nur ein geringer Teil der Betroffenen (das Gegenteil von "die meisten", für die gerade das keine Option sei) dieses "Lebensmodel" favorisieren würde.
Eines bleibt in all diesen Ausführungen fast unbeachtet, nämlich die Diskrepanz zwischen freien Stellen und den Arbeitssuchenden. Der wäre zum Teil durch Qualifizierungsmaßnahmen zu begegnen, das geschieht jedoch nicht, so lange die dafür benötigten Gelder ständig weiter gekürzt werden. Aktuelle Verlautbarungen der Bundesagentur geben ja bekannt, daß diese Kürzungen dringend notwendige Förderungen inzwischen weitgehend unmöglich machen.
Die Katze und ihr Schwanz...
Ach ja, die Quelle fehlt noch:
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/f ... -1.1529831 (Seite 2 beachten)