„Wir sind so hipp, das C steht bei uns für cool"
http://www.handelsblatt.com/politik/deu ... 27618.html
Helmuth, zu Deiner Eingangsfrage: Ich find es etwas albern, wenn man sich immer mit Floskeln so bemüht, ein bestimmtes zu vermitteln. Und das finde ich bei der Union recht typisch, als Partei der warmen Worte. Authentischer wäre es, wenn sie zu einer Macher-Partei würde und Dinge einfach tut, statt sie möglichst schön verbal zu verpacken.
Zudem kommt sie ja nicht daran vorbei, die heutigen gesellschaftlichen Zustände zu akzeptieren. Mit Ansichten aus den 50ern schießt sie sich halt selbst ins Aus. Damit löst sie keine Probleme in diesen dynamischen Zeiten, auch wenn diese manch einen überfordern, manchmal auch Ängste auslösen und man sich einfache Antworten wünscht. Die Parteien haben ja in einer repräsentativen Demokratie der Bevölkerung zu dienen und nicht sich die gewünschte Bevölkerung zu formen. Würden sie eh nicht schaffen. Daher hilft da mittelfristig nichts, als es vor allem mit Akzeptanz zu versuchen. Und es wird immer Personen geben, denen das mißfällt. Man denke nur an die 80er, wo ein Stoiber als zu "modern" galt, weil er obligatorische Sprachkurse für Migranten forderte und deren Kinder auf deutsche Schulen schicken wollte. Sofort kamen da Vorwürfe a la "Zwangsgermanisierung". Heute sind solche Positionen selbstverständlich udn finden sich in den Parteiprogrammen von den Linken bis zur CSU. Mir ist auch nicht bekannt, daß es da innerhalb der Union noch massiven Widerstand gibt durch Politiker, die das wieder umkehren möchten, weil für sie Migranten per se die Bürger ihrer Heimatländer von morgen sind statt Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Wir hatten das Thema ja bereits in einem anderen Forum, vor allem in Bezug auf die Verstädterung. Und in Städten, nicht nur unter Zugezogenen, gibt es auch sehr konservative Milieus mit konkreten Wertevorstellungen, die sie auch von der Politik erwarten. Es ist nur auf anderen Ebenen des Konservatismus als -- ich weiß, das sind jetzt Stereotypen -- man es von ländlichen, oftmals sehr religiösen Gemeinden kennt. Daher habe ich mir manchmal den Spaß erlaubt und die Union mit den Grünen in einen Topf geworfen, während ich mehr Gemeinsamkeiten zwischen SPD und FDP sehe. Und das ist kein typisch hamburgisches Phänomen, sondern zeigt sich in vielen deutschen Städten von Nord nach Süd und Ost bis West.
Städtische Gemeinschaften mögen zwar auf kleiner Ebene ähnliche Strukturen wie Dörfer haben, aber funktionieren als Gesamtes anders. Und die Verstädterung aufhalten kann die Politik nicht. Nicht grundlos sagen viele derzeit, daß die Zukunft im 21. Jahrhundert in den Städten stattfindet, da sie Kern von Kultur, Produktivität und Forschung sind aufgrund ihrer (Synergie-)Effekte. Wenn Du es akademisch willst, dann such mal nach Agglomerations- und Urbanisationseffekten. Das mag man (als Betroffener) natürlich doof finden, aber so ist das halt und dies weltweit. Das liegt neben der Produktivität aber auch daran, daß sich Werte verschoben haben. Früher, zu Wirtschaftswunderjahren, galt es als Zeichen des Aufstiegs, wenn man die schmuddeligen, höchstkriminellen Stadtteile verlassen konnte und sich sein Eigenheim mit Auto auf dem Land gönnte. Heute -- sowohl bei jungen Familien, als auch Senioren -- gilt viel mehr die Frage, was es für soziale Einrichtungen gibt, wie das kulturelle Leben aussieht, welche Vielfalt ein Standort einem für die Freizeit bietet, wie die verkehrliche Erschließung ist und so weiter. Und das sieht aufgrund von Dichte eben in Städten in der Regel besser aus. Kind mag die Schule nicht? Schick ich es einen Kilometer weiter auf eine andere. Der Friseur ist blöd? Egal, gibt in der Straße noch mehr. Heute mal Hunger auf Brasilianisch? Man sucht kurz bei Google. Wegzug fürs Studium ist zu teuer? Macht nichts, gibt mehr als genug vor Ort.
Zur Veranschaulichung kenn ich da auch ein recht schönes Beispiel aus Schleswig-Holstein. Eine recht wohlhabende Kleinstadt (25.000) Einwohner, die vor allem für ihre Pendler nach Hamburg bekannt ist bzw. war. Dort ist ein mittelgroßes KMU (ca. 500 Mitarbeiter) im Bereich Bautechnik ansässig und hat massive Probleme, um Nachwuchs zu finden, was schlichtweg daran liegt, daß es zu wenige bzw. quasi keine Bewerber gibt. Man hat das angebotene Einstiegsgehalt von 42.000 auf 48.000 erhöht, weil man dachte, manch einer würde es sich dann anders überlegen, nachdem einige Bewerber trotz Zusage den Vertrag ablehnten. Geholfen hat es wenig. Zum einen ist das Nettogehalt für unverheiratete, alleinwohnende Singles (was die meisten Jung-Ingenieure sind) nicht nennenswert anders, egal ob sie 3,5 oder 4,0 brutto verdienen. Bei Steuerklasse 1 (ohne Kinder) heißt das 2.100 oder 2.300 auf dem Konto. Und das Gehalt alleine ist für viele eben nicht ausschlaggebend. Also fragen sie sich, was man denn dort (wo sie evtl. niemanden kennen) in seiner Freizeit machen kann und stellen fest, daß da wenig bis nichts ist. Also fahren sie nach Hamburg oder zumindest nach Lübeck, um Leute kennenzulernen, (neue) Freunde zu treffen, in Vereinen aktiv zu sein und Hobbys nachzugehen. Und dann überlegen sie sich, ob sie nicht gleich nach Hamburg ziehen. Und da für viele Zeit wichtig ist, liebäugeln sie vielleicht auch schon mit einem Arbeitgeber in Hamburg. Da sind zwar die Mieten höher, aber die Einkommen auch und unterm Strich heißt es, wenn man die Mobilitätskosten berücksichtigt, vielleicht ein kleines Minus von einem Hunni, aber dafür mehr Zeitgewinn und eine (für sich subjektive) höhere Lebensqualität. Also ziehen die Akademiker in Städten. Ich weiß, Du hast andere Prioritäten, und dagegen ist nichts einzuwenden. Aber es ist nicht die Regel. Und ich glaub auch nicht, daß Du später für etwas mehr Geld unterm Strich in den Schwarzwald, an die schleswigsche Westküste oder ins Sauerland ziehen würdest.
Und das sind halt alles Dinge und Fragestellungen, mit denen sich die CDU beschäftigen muß. Derzeit mag ein Merkel-Hype ja noch ganz bequem sein, aber ich glaube niemand hier nimmt an, daß der ewig anhalten wird und sich 1:1 auf ihre Nachfolger überträgt.
Da schlägt sich auch wieder nieder, daß die CDU in Städten ja bekanntlich eher schlecht aufgestellt ist, weil sie mit ihren Themen wenige Menschen erreicht. Es ist ja typisch in föderalen Staaten (bei uns wie in der Schweiz, den USA oder auch Großbritannien), daß man von den jeweiligen Bundesregierungen wenig mitkriegen möchte. Da wählt man die CDU, weil man ihr vertraut und glaubt, daß sie sich irgendwie um die (bevorstehenden) Probleme schon zuverlässig kümmern wird. Tatsächlich will man aber, daß man möglichst wenig von der Politik mitbekommt, denn sie soll einem diese Probleme fernhalten. Kohl fuhr damit ja auch gut, bis sein Reformstau bei den Menschen vor Ort auch ankam, die Arbeitslosigkeit stieg und viele Betriebe nach Osteuropa oder auch China rübermachten. Zuvor konnte er tun und lassen, was er für richtig hielt. Und sei es nur, daß er die Beine hochlegt.
In Städten funktioniert das so wenig wie auf dem platten Land. Und in letzteren kommen kommunale Politiker ja auch gut an. Sie reden mit den Menschen, kennen ihre Sorgen und versuchen das beste aus der Situation zu machen. Das müßte sie in Städten auch tun. Und was die Leute dort bewegt, sind solche Fragen wie jene, wie man den Stau reduzieren kann, wo die nächste Kita ist (und was sie kostet), wie es mit der Kriminalität im Viertel aussieht, ob eine grüne Wiese für Wohnungsbau verkleinert wird, wie viele Großveranstaltungen anstehen, welche Museen möglicherweise mehr Geld erhalten, welche Schwerpunkte die Hochschulen setzen, wie viel Wohngeld man kriegen kann, wie die Situation der Krankenhäuser aussieht oder ob die Stadtwerke privatisiert werden sollen. Das sind halt alles Fragen, die sich lokal auf kleinster Ebene Stellen und für die es keine nationalen Lösungen geben kann. Und wenn die CDU das erkennt, sich Stadtpolitiker nicht als Pressesprecher der Bundespartei verstehen und man auch mal unkonventionelle Maßnahmen umsetzt, wenn man sie für richtig hält, dann hat die CDU da auch eine Zukunft. Wählen werde ich sie aber natürlich trotzdem nicht.