Kibuka » Mo 2. Jun 2014, 21:09 hat geschrieben: Diese Aussagen sind pauschal falsch.
Der TE hatte nach einem europaweiten Schuldenschnitt gefragt und nicht nach einem deutschen Schuldenschnitt. Europa ist überwiegend "inländisch" verschuldet. Das bedeutet, dass ein Schuldenschnitt bei den öffentlichen Schulden völlig unterschiedliche Auswirkungen auf Länder und Individuen hätte, aber weitestgehend unabhängig von außereuropäischen Betrachtungen vonstatten ginge.
Es würden keineswegs große Teile der deutschen Bevölkerung erhebliche Verluste verzeichnen, weil der Großteil der Deutschen überhaupt nicht über viel Vermögen verfügt. 60 % Vermögen wird von 10 % der Bevölkerung gehalten. Ganze 80 % von 20 % der Bevölkerung. Über 90 % von 30 % der Bevölkerung.
Ein europaweiter Schuldenschnitt im Rahmen von Gesetzen, würde zunächst zu einer Umverteilung führen. Es gäbe weder zwangsläufig eine Staatspleite, noch ein Kreditereignis. Wobei der Begriff Staatspleite schon schwammig ist. Griechenland ist de facto auch pleite, aber dennoch fließt Liquidität nach Athen.
Ein derartiger Schuldenschnitt wäre praktisch eine Enteignung der Reichen. Enteignungen sind aber in der Regel nicht ohne weiteres durchführbar, da das Grundgesetz diese nach Artikel 14 nur unter ganz bestimmten Punkten erlaubt.
Eine radikale Enteignung durch einen Schnuldenschnitt würde erhebliche Vertrauensprobleme nach sich ziehen, da diejenigen mit Vermögen, ihr Vermögen in Zukunft aus der EU in andere Staaten verschieben würden. Banken und Versicherungen würden europäischen Staaten kaum wieder Geld leihen. Man müsste Kapitalverkehrskontrollen einführen, de facto den europäischen Kontinent vom Rest der Welt isolieren. Ähnlich, wie in Island.
In Deutschland gab es in der Geschichte auch schon Zwangsanleihen. Der US-Bundesstaat Kalifornien erhob im November 2009 zur Bekämpfung akuten Geldmangels auch eine Zwangsanleihe von 10 % auf alle in seinem Hoheitsgebiet gezahlten Einkommensteuern.
Nun ich glaube nicht, dass meine Darstellung so falsch ist, wie du den Eindruck erwecken willst.
Zunächst einmal ist es nicht so relevant ob es nun ein deutscher oder europäischer Schuldenschnitt wäre, denn die Verschuldung ist im Regelfalle national insoweit wäre ein "europäischer" Schuldenschnitt nur eine Summe nationaler Schuldenschnitte. Des Weiteren war Deutschland nur bespielhaft gedacht (wie ich auch geschrieben habe) um die Prozesse die ablaufen würden zu illustrieren. das würde im Zweifel in jedem Land vergleichsweise ähnlich ablaufen. Damit bleibt nur die Betrachtung des Wechselkurses aussen vor.
Im Kern ist es für die genannten Prozesse auch egal ob die Verschuldung national ist oder "international", der einzige nennenswerte Vorteil einer nationalen Verschuldung ist nur, dass ich als Staat und Schuldner meine Gläubiger durch Gesetzeskraft besser in den Griff kriegen kann. Bei Internationaler Verschuldung ist das Kapital sehr schnell abgezogen.
Die Betrachtung der Vermögensverteilung ist ebenfalls nicht allzu wichtig, da man natürlich im Verhältnis zum individuellen Vermögen jedem einen recht großen Schaden zufügt. In Absoluten Werten ist das bei "den oben" größer als bei den unten jedoch in deren relativer Sicht auf das eigene Vermögen schadest du allen ganz erheblich. Und platt gesagt ich glaube nicht, dass sich der selbständige Handwerker freut, wenn man Ihm seine 100k Lebensversicherung halbiert und ihm dann kommt mit dem Argument: "Hey kein Problem, der Chefarzt um die Ecke hat sogar 60% verloren..."
Die Einschätzung zum "Credit Event" teile ich nicht. Selbst bei GR wurde hiermit schon relativ eindeutig gedroht. Man hat sich dann am Ende nur damit geholfen, dass man die Sprachregelung gefunden hat, die Gläubiger hätten "freiwillig" verzichtet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Gläubiger der europäischen Staaten auf 50% ihrer Forderungen "freiwillig" verzichten. Insofern wäre ein "Credit event" extrem sicher. Damit würde dann auch die o.g. Prozesskette quasi automatisch greifen.
Im Kern ist es auch egal ob es formal zu einem "Credit Event" kommt denn das Vertrauen wäre natürlich - wie du ja auch einräumst - erheblich und auf Jahre/Jahrzehnte zerstört. Die Kapitalmärkte - auch für Dt. Unternehmen - wären quasi tot.
Zu dem Thema Art. 14 sollte man zumindest noch sagen, dass natürlich eine Enteignung nur unter recht strengen Bedingungen überhaupt möglich ist Art. 14 (3) S2 sagt hierzu "Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt." Das BVerfG läßt ebenfalls keinen Zweifel daran, dass die Entschädigung angemessen zu sein hat. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass eine Streichung von 50% der Verschuldung auf Basis dieser Rechtsgrundlage auch nur geringe Aussicht auf Erfolg hat.
Ich vermisse Aussagen von dir dazu (vgl. c) und d) ), wie du denn die Versicherungen und Banken, die große Teile der Bundeswertpapiere halten retten willst, die ja im Moment des Schuldenschnitts 50% ihrer Vermögen abschreiben müssen. Im Regelfall ist damit nämlich der Insolvenzfall bei diesen Instituten eingetreten, da sie kaum so viel Eigenkapital haben um diese Abschreibung zu kompensieren. Wie soll dann in der Folge eine Finanzierung der Wirtschaft erfolgen ?
Zusammengefasst: ich glaube, dass deine Einschätzung "Ein derartiger Schuldenschnitt wäre praktisch eine Enteignung der Reichen." erheblich zu kurz greift und nicht einmal im entferntesten das Gefahrenpotenzial darstellt, die eine solche Entscheidung bedeutet. Und das nicht nur für "die Rechen" sondern für alle Bürger. Die negativen Konsequenzen würden die positiven -sofern man davon überhaupt sprechen kann - mehrfach übersteigen.