Der General » Do 10. Okt 2013, 21:37 hat geschrieben:
Der Tod Hunderter Flüchtlinge bei einem Bootsunglück vor Lampedusa wurde von vielen Politikerinnen und Politikern als "Schande Europas" bezeichnet. Das ist richtig.
Doch aus dem Munde der politisch Verantwortlichen ist dies pure Heuchelei. Denn auch wenn die Ausmaße der Tragödie von Lampedusa außergewöhnlich sind: Das Massensterben an den Außengrenzen der EU ist längst furchtbare 'Normalität' und Teil einer vor allem auf Abwehr und Abschottung setzenden Politik.
Die Politik Europas als "
Abwehr und Abschottung" gegenüber Flüchtlingen zu verurteilen, halte ich für ungerecht. Natürlich haben die europäischen Staaten jeder für sich und auch ihre Gemeinschaft das Recht, Migration, wie auch immer sie in jedem Einzelfalle motiviert sein mag, zu kontrollieren. Europa schottet sich nicht ab, aber um das Problem illegaler Zuwanderung oder der Prüfung von Asylberechtigungen darf und muss sich die europäische Staatengemeinschaft kümmern. Eine unkontrollierte, grenzenlose Zuwanderung könnte Europa kaum verkraften.
Niemand kann sagen, er oder sie hätte es nicht gewusst: An die Zehntausenden Toten als 'Preis der Abschottung' hat die Fraktion DIE LINKE in den letzten Jahren mehrfach im Bundestag erinnert und zusammen mit Nichtregierungsorganisationen einen grundlegenden Wandel der EU-Flüchtlingspolitik gefordert. Vergeblich. Die konsequente Abschottung vor dem Elend der Welt war den Regierenden wichtiger als die Rettung von Menschenleben. Die Toten von Lampedusa haben auch sie deshalb mitzuverantworten.
Aus welchen Gründen Menschen sich veranlasst sehen, ihre Heimat aufzugeben, auf welche Art und Weise sie versuchen, nach Europa zu kommen, ob legal oder illegal, ob aus eigener Kraft oder mit Hilfe von Schleusern, ist zuerst einmal ihre ganz persönliche Entscheidung.
Die Behauptung, die europäischen Staaten betrieben "
konsequente Abschottung vor dem Elend der Welt", ist zuallererst Propaganda! Immer schon haben sich die Staaten Europas um Entwicklungshilfen in den armen Ländern gekümmert, mögen diese Hilfen in der Vergangenheit auch teils ihren Zweck verfehlt, teils materiell oder strukturell unzureichend gewesen sein. Politische, gesellschaftliche und andere Unzulänglichkeiten in vielen Staaten der Welt konnten und können die europäischen Staaten nicht ändern oder gewaltsam beeinflussen - die "Politik" der USA macht das sehr deutlich. Es ist ungerecht und geht an der Realität vorbei, die europäischen Staaten für das ganze Elend auf der Welt verantwortlich zu machen!
Höhere Strafen für Schleuser erhöhen nur ihren Preis
Der Gipfel des Zynismus ist es, wenn Bundesinnenminister Friedrich oder auch EU-Innenkommissarin Malmström als Reaktion auf die Katastrophe vor allem schärfere Maßnahmen gegen organisierte Schleuser fordern. Denn eine solche Politik härterer Strafen im Zusammenhang der illegalen Einreise wird seit Jahren praktiziert und ist komplett gescheitert.
Das Geschäft der Schlepper und Schleuser basiert geradezu auf der EU-Politik: Eine legale Einreise wird Asylsuchenden und unerwünschten Migrantinnen und Migranten verweigert, die illegale Einreise zunehmend erschwert. Die Menschen haben also gar keine andere Wahl, als Fluchthelfer in Anspruch zu nehmen. Höhere Strafen gegen Schleuser erhöhen vor allem den Preis, der für ihre Dienste zu zahlen ist, und die Gefährlichkeit der Routen, die sie wählen, um nicht entdeckt zu werden.
Diese "
Schlepper und Schleuser" sind Verbrecher, und zwar einer sehr üblen Sorte, die für die Befriedigung ihrer persönlichen Gier die Notlage von Menschen erbarmungslos ausnutzen. Mit Recht geht die europäische Staatengemeinschaft gegen sie vor, und eine härtere Gangart gegen Verbrecher zu fordern, hat überhaupt nichts Zynisches!
Wer Geschäftemachern der Flüchtlingsnot die Grundlage ihres Geschäfts entziehen will, muss eine sichere Einreise Schutzsuchender ermöglichen und legale Einwanderungswege für Migrantinnen und Migranten schaffen. In diese Richtung geht auch der aktuell diskutierte Vorschlag eines humanitären Korridors für Flüchtlinge: Asyl soll in europäischen Botschaften im Ausland beantragt werden können. Wird ein Schutzbedarf festgestellt, soll eine legale und sichere Einreise in die EU möglich sein. Dies darf nun allerdings nicht dazu führen, Asylsuchende generell auf die Antragstellung bei europäischen Institutionen im Ausland zu verweisen. Besser wäre es daher, den Asylsuchenden ein Visum zur Einreise in die EU zu geben, damit sie hier ihr Asylverfahren betreiben können. Auch Familienangehörige bereits in der EU lebender Flüchtlinge sollten einen Anspruch auf sichere Einreise haben, ohne ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen.
Es wäre vollkommen unsinnig, Asyl- und Flüchtlingspolitik in Europa danach auszurichten, dass Verbrecher keine Anreize mehr erhalten, ihre persönliche Gier gewissenlos zu befriedigen. Weder der einzelne Staat noch die Gemeinschaft der europäischen Staaten darf vor Verbrechern kuschen! Wenn das die Vorstellungen der LINKEN sind, dann muss man konstatieren: sie sind auf einem gefährlichen Holzweg!
Die Äußerung in diesem Beitrag, es gebe für Asylsuchende bzw. Migranten keine "
legale(n) Einwanderungswege" nach Europa, ist eine wohl beabsichtigte Unterstellung! Natürlich gibt es die. Wer diese nicht nutzt, muss mit entsprechenden Konsequenzen rechnen. Die verantwortlichen Politiker in Europa haben auch immer die Interessen der ganzen Staatengemeinschaft sowie der einzelnen Staaten dieser Gemeinschaft zu berücksichtigen. Diese müssen sorgsam abgewogen werden mit den Interessen von Menschen, die nach Europa kommen wollen. Es ist gewiss sehr schwierig, eine praktische Lösung zu finden, die allen Menschen in jedem Einzelfall gerecht werden kann.
Anreize für Abschottung auflösen
Geändert werden muss auch die so genannte Dublin-Verordnung. Danach sind diejenigen EU-Staaten für ein Asylverfahren oder die Aufnahme (und Abschiebung) von Flüchtlingen zuständig, die deren Einreise nicht verhindert haben – dies sind zumeist Länder mit EU-Außengrenzen wie Italien, Griechenland oder Spanien. Dies ist ein Anreizsystem für verschärfte Abschottungsmaßnahmen, abschreckende Aufnahmebedingungen und rechtswidrige Zurückweisungen. Wir fordern ein gerechtes und faires Verantwortungsteilungsprinzip, das sich nach den Wünschen der Flüchtlinge richtet und Ungleichgewichte bei der Aufnahme entsprechend der Größe und Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten auf finanzieller Ebene ausgleicht. So kann insgesamt eine grundsätzliche Offenheit und Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge in der EU erreicht werden.
Grundsätzlich einverstanden. In einem vorherigen Beitrag hatte ich mich dazu schon geäußert. Im Sinne einer humanitären, auch die Möglichkeiten einzelner Staaten berücksichtigenden Lösung des Zuwanderungsproblems muss selbstverständlich die ganze Staatengemeinschaft in die Pflicht genommen werden. Die EU muss also insbesondere allgemeinverbindlich regeln: Verteilungsquoten, Finanzierung der Kosten für Lebenshaltung, Qualifizierungsmaßnahmen usw. aus EU-Mitteln, Rechte und Pflichten von Migranten/Asylanten und der Aufnahmestaaten. Gewiss sollten "
Wünsche der Flüchtlinge" nach Möglichkeit berücksichtigt werden, doch kann sich die europäische Politik nicht daran, sondern nur an ihren tatsächlichen Möglichkeiten orientieren.
Das geltende System führt dazu, dass Zehntausende zu Flüchtlingen innerhalb der EU werden: Sie versuchen, zum Teil auf sehr gefährlichen Wegen, von einem EU-Land in ein anderes zu gelangen, weil sie die abstrakte Zuweisungsentscheidung des Dublin-Systems nicht akzeptieren oder weil es im Land der ersten Einreise keine menschenwürdigen oder sicheren Lebensbedingungen oder kein faires Asylverfahren für sie gibt. Im Ergebnis führt dies zur Illegalisierung und Entrechtung von Menschen, sie "tauchen unter", obwohl sie womöglich einen Anspruch auf Schutz hätten. Dies ist das Gegenteil eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, dessen sich die EU in der Innenpolitik immer rühmt!
Eine einheitliche, verbindliche Rechtsgrundlage in der ganzen EU, wie bereits dargelegt, würde die aufgezeigten Defizite rasch beseitigen. Natürlich bedarf es auch eines wirksamen Rechtsweges, der Betroffene vor (einzel-)staatlicher Willkür schützt.
Fluchtursachen zu beseitigen heißt, für eine gerechte Weltwirtschafts- und Friedenspolitik einzutreten. Hierfür steht die EU gerade nicht – einem Nobelpreis zum Trotz.
Der General
Schade, dass der im Grunde nicht schlechte Beitrag immer wieder auf antieuropäische Propaganda zurückgreift, wie auch zum Schlusse.