Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

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Kibuka
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Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Kibuka »

Die Zahl aller Arbeitslosen der Welt soll 2013 nach der neuesten Projektion der Weltarbeitsorganisation erstmals die Schwelle von 200 Millionen überschreiten.

Ein Großteil der Produktion wird nach Asien, vor allem China, und anderswo verlagert.

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Die Arbeitslosenrate in den entwickelten Industriestaaten liegt mittlerweile bei rund 8%.

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In vielen Industriestaaten hat sich eine strukturelle Arbeitslosigkeit herauskristallisiert.

In der Neoklassik wird der Arbeitslosigkeit durch den Abbau von Lohn-Rigiditäten und dem Abbau von Arbeitsmarktregulierungen (Arbeitszeit, Kündigungsschutz, etc.) entgegen getreten. Die Arbeitslosigkeit ist dort gesamtwirtschaftlich ein Marktungleichgewicht und kann nur abgebaut werden, wenn es zu Preissenkungen auf dem Arbeitsmarkt kommt (sich also die Arbeitskosten reduzieren, d. h. Lohn, Lohnnebenkosten, Fixkosten, etc.) oder wenn sich das Arbeitskraftangebot verringert.

Dagegen führt die keynesianische Wirtschaftstheorie die Arbeitslosigkeit auf mangelnde Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zurück. Lohnzurückhaltungen führen zu einem Kaufkraftverlust und zu einer Abwärtsspirale.

Offensichtlich haben beide Theorien ihre Fehler in der sehr trivialen Betrachtungsweise der Realität. Die Inhomogenität der Volkswirtschaften und Staaten, sowie der technologische Fortschritt und die Auswirkungen globaler Finanzströme werden nicht berücksichtigt. Das Arbeitsvolumen pro Kopf in Deutschland ist zwischen 1960 und 2010 um 30% gefallen.

Die Erwerbsarbeit wird gesellschaftlich zunehmend zu einem Selbstzweck, so dass die Arbeitsgesellschaft grundlegend in die Krise geraten ist. Diese Krise besteht vor allem darin, dass man sich von Erwerbsarbeit als Normalmodell der gesellschaftlichen Existenz in der Moderne nicht verabschieden kann. So wird Erwerbsarbeit politisch auf verschiedene Weise gestützt, etwa durch Absenkung der Lohnnebenkosten, was auf eine Subventionierung der Erwerbsarbeit bzw. lebendiger menschlicher Arbeitskraft gegenüber Maschinenlösungen hinausläuft.

Früher oder später wird der technologische Fortschritt die nächste Runde der Rationalisierung einleiten und den Arbeitsmarkt umstrukturieren. Spätestens dann, wenn einfache Tätigkeiten maschinell erledigt werden können, wird man sich die Frage stellen müssen, wie die Arbeitsgesellschaft der Zukunft aussehen soll.
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schokoschendrezki
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von schokoschendrezki »

Das größte Problem, das ich mit der Keynesianischen Deutung der Arbeitslosigkeit als mangelnde Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen habe, besteht in der paradoxen Umdeutung dieser Güter- und Diensleistungsnachfrage in eine "Arbeitserzeugungsnachfrage". Nach dem Motto: Du hast zwar schon zwei Autos in der Garage zu stehen, aber kauf Dir ein drittes, um die Beschäftgten der Autoinindustrie in Lohn und Brot zu halten. Ich werde eine solche Verbiegung natürlichen Verstands im Namen der Ökonomie niemals nachvollziehen können.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von pudding »

"Neoklassik", welch wohlklingender Name für etwas das feudalistischen Zeiten in denen man Arbeitnehmer rücksichtslos verheizt hat am nächsten kommt.
So ungefähr hätte man die Pest im Mittelalter die 'schwarze Rose' nennen können.
Das dauerhaft hohe Niveau an Arbeitslosen in den entwickelten Industriestaaten wird ja eben gerade um solche Strukturen zu erhalten und zu verstärken aufrecht erhalten. Nur mit entsprechend vielen Arbeitslosen lässt sich zum Beispiel erfolgreich Lohndruck auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen. Nur durch diesen Druck auf dem Arbeitsmarkt lassen sich die exorbitanten Zugewinne aus Profiten und Vermögen dauerhaft durchsetzen. So lange Banken und Unternehmen die Poltitk einseitig zu ihren Gunsten steuern wird sich das sicherlich nicht zum Positiven wenden. Die Arbeitslosenrate wird auch nicht mehr dauerhaft unter ca. 8% sinken um die 'positiven' Effekte zu erhalten.
Das Ganze ist natürlich früher oder später zum Scheitern verurteilt da ja dem virtuellen Kapital- und Güterumsatz in der reellen Welt nichts in auch nur annähernder Menge gegenübersteht und bei einer Kapitalisierung der Gewinne daraus reelle Güter erworben werden. Wer das aus Kurzsichtigkeit nicht erkennen mag wird sich noch wundern. Diese Kapitalisierungen in reelle Wirtschaftsgüter haben die Rationalisierungserfolge des letzten Jahrzehnts komplett aufgefressen und sind dadurch zwangsläufig nur einer ganz kleinen Gruppe von Profiteuren zum Nachteil der Masse zu Gute gekommen.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Angrboda »

Kibuka » Do 7. Feb 2013, 22:29 hat geschrieben:Die Zahl aller Arbeitslosen der Welt soll 2013 nach der neuesten Projektion der Weltarbeitsorganisation erstmals die Schwelle von 200 Millionen überschreiten.

(...)

Früher oder später wird der technologische Fortschritt die nächste Runde der Rationalisierung einleiten und den Arbeitsmarkt umstrukturieren. Spätestens dann, wenn einfache Tätigkeiten maschinell erledigt werden können, wird man sich die Frage stellen müssen, wie die Arbeitsgesellschaft der Zukunft aussehen soll.
Diese Frage müßte man sich eigentlich bereits heute stellen. Wenn insgesamt weniger Arbeit gleich viel oder sogar mehr Menschen gegenüber steht, kann die griffigste Lösung eigentlich nur sein, Arbeitszeiten zu reduzieren... obgleich man aktuell als arbeitsscheuer Ketzer gilt, wenn man offen über so etwas nachdenkt.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Wähler »

Kibuka » Do 7. Feb 2013, 22:29 hat geschrieben: Früher oder später wird der technologische Fortschritt die nächste Runde der Rationalisierung einleiten und den Arbeitsmarkt umstrukturieren. Spätestens dann, wenn einfache Tätigkeiten maschinell erledigt werden können, wird man sich die Frage stellen müssen, wie die Arbeitsgesellschaft der Zukunft aussehen soll.
Für den industriellen Sektor mag das mit der Rationalisierung stimmen. Im Dienstleistungsbereich sieht es wohl anders aus.

Nehmen wir einmal die Kinderbetreuung. Der deutsche Staat gibt hierfür jährlich etwa 200 Milliarden an Steuergeldern aus. Neue Studien zeigen, dass sich die Maßnahmen gegenseitig widersprechen. Zum Beispiel das Ehegattensplitting und der Ausbau von Kinderkrippen zur Förderung berufstätiger Frauen ergänzen sich nicht. Es fehlt an Fachkräften für die Kindererziehung. Die Opposition plädiert für eine Konzentration auf den Ausbau der Infrastruktur und eine Verringerung der reinen Geldzuwendungen.

Dieses Beispiel zeigt meiner Meinung nach, dass in allen Wirtschaftsbereichen eine bessere Verknüpfung von Berufs- und Privatleben viel wichtiger für die Gesellschaft ist, als eine rein quantitative Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität.
Zeitungstexte bei Genios mit Bibliotheksausweis kostenlos: https://www.wiso-net.de/login?targetUrl=%2Fdosearch (Zugang auch bundesweit)
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von garfield335 »

Arbeitslosigkeit mus nicht ein Problem sein.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Praia61 »

Beteigeuze » Fr 8. Feb 2013, 07:46 hat geschrieben:
Diese Frage müßte man sich eigentlich bereits heute stellen. Wenn insgesamt weniger Arbeit gleich viel oder sogar mehr Menschen gegenüber steht, kann die griffigste Lösung eigentlich nur sein, Arbeitszeiten zu reduzieren... obgleich man aktuell als arbeitsscheuer Ketzer gilt, wenn man offen über so etwas nachdenkt.
Arbeitszeiten werden automatisch reduziert, dort wo es notwendig ist.
Kurzarbeit, Pleiten( Arbeitszeit = 0) .
Eine pauschalierte Arbeitszeitreduzierung ist Unsinn.
Wenn die blaue Kurve um den Mittelwert 7 % schwankt, gibt es keinen Grund heute schwarz zu sehen.
Zuletzt geändert von Praia61 am Freitag 8. Februar 2013, 12:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von garfield335 »

Garfield335 » Fr 8. Feb 2013, 10:56 hat geschrieben:Arbeitslosigkeit mus nicht ein Problem sein.
Weniger arbeiten kann auch ein Zeichen von einer sehr produktiven Volkswirtschaft sein.

Eine die es schafft, trotz geringerer Arbeitsstunden sehr viel mehr zu erwirtschaften.

Im übrigen würde ein Land wie Deutschland auch bei einer Arbeitslosenquote von 80% und einer Arbeitswoche von 10Stunden noch immer mehr erwirtschaften als so manches Land mit Vollbeschäftigung.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Haitu »

Garfield335 » Fr 8. Feb 2013, 11:56 hat geschrieben:Arbeitslosigkeit mus nicht ein Problem sein.
Allein der Ausdruck "Arbeitsloser" erzeugt bei der Mehrheit der Menschen in unserem Lande schon einen Kontext von persönlichkeitsreduzierenden Denkmustern.
Arbeitslosigkeit muss gesellschaftsfähig werden. Soll heißen, man darf Arbeitslos oder wie ich es lieber sagen würde "nicht erwerbstätig" sein ohne dass man dafür schräg angesehen oder sogar diffamiert wird.
Der Spuch: "Sozial ist was Arbeit schafft.", ist nicht nur überholt, sonder hat nie gestimmt. Sozial ist, vordergründig, die grundsätzliche Wertschätzung des Anderen.
Wie der Eingangsthread zeigt, wird die Erwerbslosigkeit durch weitere Automatisierung der Produktionsprozesse ansteigen. Es gibt diesbezüglich immer nur eine Mehr davon, kein Zurück.
Einen Traum, den wir inzwischen berechtigterweise träumen könne, an dessen Verwirklichung gearbeitet wird und bei Erfolg auch bestimmt im großen Umfang genutzt werden wird ist die Entwicklung des Personal-Roboters. Eine dem Menschen nachempfundene Maschine die mit großem Aufwand hergestellt im Prinzip nichts anderes macht, als, ich sage es mal salopp, meine Wäsche faltet.
Richtig nachgedacht; Was für ein Unsinn so etwas entwickeln zu wollen. Und doch ist es so, dass wir es ganz toll fänden, wenn es so etwas gibt.
Der Mensch entwickelt Maschinen um sich selber überflüssig zu machen, das ist doch eigentlich paradox.
Aber so sind wir nun einmal. Und die Verwerfungen die dadurch entstehen einer bestimmten Gruppe von Menschen in die Schuhe zu schieben ist genau so paradox.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von garfield335 »

Haitu » Fr 8. Feb 2013, 12:22 hat geschrieben: Der Spuch: "Sozial ist was Arbeit schafft.", ist nicht nur überholt, sonder hat nie gestimmt. Sozial ist, vordergründig, die grundsätzliche Wertschätzung des Anderen.
Wie der Eingangsthread zeigt, wird die Erwerbslosigkeit durch weitere Automatisierung der Produktionsprozesse ansteigen. Es gibt diesbezüglich immer nur eine Mehr davon, kein Zurück.
Dieser zunehmende Automatisierungsprozess bedeutet ja nicht, dass die Arbeitsleistung zurückgeht.
Somit kann man nicht sagen, dass es ein Volkswirtschaftstliches Problem gibt.

Allerdings mus dann über eine andere Geldverteilung und Arbeitsaufteilung nachgedacht werden. Aber das ist die Aufgabe des Gesetzgebers.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von ralphon »

Garfield335 » Fr 8. Feb 2013, 13:28 hat geschrieben: Allerdings mus dann über eine andere Geldverteilung und Arbeitsaufteilung nachgedacht werden. Aber das ist die Aufgabe des Gesetzgebers.
Geldverteilung wird zurecht als ungerecht empfunden - warum soll ich für jemanden die Arbeit machen die er/sei selbst tun könnte. Es fehlt also an Anreizen, Arbeit zu verteilen.
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Haitu
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Haitu »

Garfield335 » Fr 8. Feb 2013, 13:28 hat geschrieben:
Allerdings mus dann über eine andere Geldverteilung und Arbeitsaufteilung nachgedacht werden. Aber das ist die Aufgabe des Gesetzgebers.
Arbeit ist gekoppelt mit Einkommen. Wenn ich Arbeit aufteilen will, dann bedeutet das auch gleichzeitig Einkommen aufteilen.
Genau, dass ist die Diskussion. Zur Aufteilung der Arbeit würde wahrscheinlich eine Mehrheit noch ja sagen aber bei der Aufteilung des Einkommen eher nicht. Da aber beides zusammenhängt und in der Quantität von einander abhängig ist, wird Arbeit als Bestandsrecht/wunsch des jeweiligen Inhabers genannt, aber eigentlich ist das Einkommen gemeint.
Da es, wenigstens in unseren Breiten, sich nicht so gut anhört zu sagen, von meinem Einkommen will ich nichts abgeben, dies als asozial interpretiert werden könnte, hat es sich eingebürgert, dass Einkommen ohne Arbeit dann als asozial und Arbeit ohne Einkommen minderwertig gefühlt wird.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Praia61 »

ralphon » Fr 8. Feb 2013, 12:50 hat geschrieben: Geldverteilung wird zurecht als ungerecht empfunden - warum soll ich für jemanden die Arbeit machen die er/sei selbst tun könnte. Es fehlt also an Anreizen, Arbeit zu verteilen.
Umgekehrt, du darfst keine arbeiten machen, weil du dafür nicht qualifiziert bist.
Und das ist auch gut so. :cool:
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von pudding »

Garfield335 » Fr 8. Feb 2013, 13:16 hat geschrieben:
Weniger arbeiten kann auch ein Zeichen von einer sehr produktiven Volkswirtschaft sein.

Eine die es schafft, trotz geringerer Arbeitsstunden sehr viel mehr zu erwirtschaften.

Im übrigen würde ein Land wie Deutschland auch bei einer Arbeitslosenquote von 80% und einer Arbeitswoche von 10Stunden noch immer mehr erwirtschaften als so manches Land mit Vollbeschäftigung.
Und mehr arbeiten trotz vervorragender Produktivität ist ja dann logischerweise ein Zeichen für raffgierige Profiteure.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von schokoschendrezki »

Solange die simple Merkelsche Formel "Wachstum und Beschäftigung" die Infantilität einer großen Mehrheit der Bundesbevölkerung als intellektuelle Überlegenheit umschmeichelt, wird man, befürchte ich, die so notwendigen grundsätzlichen Paradigmenwechsel kaum in Angriff nehmen.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Adam Smith »

Beteigeuze » Fr 8. Feb 2013, 07:46 hat geschrieben:
Diese Frage müßte man sich eigentlich bereits heute stellen. Wenn insgesamt weniger Arbeit gleich viel oder sogar mehr Menschen gegenüber steht, kann die griffigste Lösung eigentlich nur sein, Arbeitszeiten zu reduzieren... obgleich man aktuell als arbeitsscheuer Ketzer gilt, wenn man offen über so etwas nachdenkt.
Dem wäre auch so, wenn es nicht immer mehr Rentner geben würde. Gegen die Ausgaben für die Rente sind die Ausgaben für Hartz4 Peanuts.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Angrboda »

Adam Smith » Fr 8. Feb 2013, 17:25 hat geschrieben:
Dem wäre auch so, wenn es nicht immer mehr Rentner geben würde. Gegen die Ausgaben für die Rente sind die Ausgaben für Hartz4 Peanuts.
Nun, man wird kaum nur einen Teil des Systems umstellen können. Irgendwann wird man über ganz grundsätzliche und tiefgreifende Änderungen nachdenken müssen... vielleicht wird irgendwann bei Ehegatten nur noch 1 arbeiten gehen dürfen/müssen... oder Arbeitszeiten entsprechend Lebensalter und/oder Familienstand ausgestaltet werden... was auch immer da kommen möge...
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Adam Smith »

Beteigeuze » Fr 8. Feb 2013, 18:13 hat geschrieben:
Nun, man wird kaum nur einen Teil des Systems umstellen können. Irgendwann wird man über ganz grundsätzliche und tiefgreifende Änderungen nachdenken müssen... vielleicht wird irgendwann bei Ehegatten nur noch 1 arbeiten gehen dürfen/müssen... oder Arbeitszeiten entsprechend Lebensalter und/oder Familienstand ausgestaltet werden... was auch immer da kommen möge...
Im Moment sollen wir alle länger arbeiten, damit das System noch finanzierbar bleibt.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Angrboda »

Adam Smith » Fr 8. Feb 2013, 18:17 hat geschrieben:
Im Moment sollen wir alle länger arbeiten, damit das System noch finanzierbar bleibt.
Nun vermute ich, dass das die Lösung ist, die am wenigsten wirklich zur Lösung beitragen kann. Man sollte da durchaus offen mal diverse Alternativen diskutieren...
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von ralphon »

Praia61 » Fr 8. Feb 2013, 16:43 hat geschrieben: Umgekehrt, du darfst keine arbeiten machen, weil du dafür nicht qualifiziert bist.
Und das ist auch gut so. :cool:
Du hältst die Welt für notorisch unterqualifiziert und das für den einzigen Grund für Arbeitslosigkeit? Wieviel von dem was du gelernt hast hast du später benutzt?
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Kibuka »

Haitu » Fr 8. Feb 2013, 12:22 hat geschrieben:Einen Traum, den wir inzwischen berechtigterweise träumen könne, an dessen Verwirklichung gearbeitet wird und bei Erfolg auch bestimmt im großen Umfang genutzt werden wird ist die Entwicklung des Personal-Roboters. Eine dem Menschen nachempfundene Maschine die mit großem Aufwand hergestellt im Prinzip nichts anderes macht, als, ich sage es mal salopp, meine Wäsche faltet.
Das ist ein Traum, der zu 100% wahr werden wird, es ist nur eine Frage der Zeit.
Haitu » Fr 8. Feb 2013, 12:22 hat geschrieben: Richtig nachgedacht; Was für ein Unsinn so etwas entwickeln zu wollen. Und doch ist es so, dass wir es ganz toll fänden, wenn es so etwas gibt.
Der Mensch entwickelt Maschinen um sich selber überflüssig zu machen, das ist doch eigentlich paradox.
Aber so sind wir nun einmal. Und die Verwerfungen die dadurch entstehen einer bestimmten Gruppe von Menschen in die Schuhe zu schieben ist genau so paradox.
An dieser Stelle kann ich dir nicht folgen. Inwiefern machen Maschinen, die bestimmte Tätigkeiten des Menschen übernehmen, weil sie das besser (effizienter, schneller) können, den Menschen überflüssig? Ich habe angenehmere Dinge zu verrichten, als Wäsche zu falten.

Wenn du den Sinn deiner Existenz darin siehst, Kartoffeln aus dem Boden zu graben, dann mag dein Leben von einem Kartoffelroder tatsächlich obsolet gemacht worden sein, aber ich sehe darin nicht meine Existenzgrundlage.

Evolution hat mit Paradoxien nicht viel zu tun. Nicht der Mensch selbst wird überflüssig, bestimmte Tätigkeiten, die bisher nur von Menschen ausgeführt wurden, werden überflüssig. Und diese Entwicklung zieht sich durch die gesamte Geschichte der Menschheit.

Der menschenähnliche Roboter würde alle bisherigen stupiden Tätigkeiten, angefangen von der Treppenputzerin, dem Fließbandarbeiter, bis hin zum LKW-Fahrer, endgültig eliminieren. Es scheitert bisher noch an der Komplexität einer alltagstauglichen KI, aber diese wird kommen und damit wird sich diese Gesellschaft weiter umstrukturieren müssen. Damit einher gehen wichtige Fragen, nämlich wie eine Gesellschaft funktioniert, in der Erwerbsarbeit nicht mehr der regulative Faktor einer auf Gewinnmaximierung (das Kapital steht im Vordergrund) ausgerichteten Volkswirtschaft ist.

Genau das ist die spannende Frage, die bisher niemand beantworten kann. Der gesellschaftliche Mehrwert einer Erwerbsarbeit wird heute immer noch in harten Münzen gewertet, Leistung bestimmt der Markt nach mehr oder weniger plausiblen Kriterien.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Angrboda »

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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Antisozialist »

Kibuka » Fr 8. Feb 2013, 21:40 hat geschrieben:
Das ist ein Traum, der zu 100% wahr werden wird, es ist nur eine Frage der Zeit.



An dieser Stelle kann ich dir nicht folgen. Inwiefern machen Maschinen, die bestimmte Tätigkeiten des Menschen übernehmen, weil sie das besser (effizienter, schneller) können, den Menschen überflüssig? Ich habe angenehmere Dinge zu verrichten, als Wäsche zu falten.

Wenn du den Sinn deiner Existenz darin siehst, Kartoffeln aus dem Boden zu graben, dann mag dein Leben von einem Kartoffelroder tatsächlich obsolet gemacht worden sein, aber ich sehe darin nicht meine Existenzgrundlage.

Evolution hat mit Paradoxien nicht viel zu tun. Nicht der Mensch selbst wird überflüssig, bestimmte Tätigkeiten, die bisher nur von Menschen ausgeführt wurden, werden überflüssig. Und diese Entwicklung zieht sich durch die gesamte Geschichte der Menschheit.

Der menschenähnliche Roboter würde alle bisherigen stupiden Tätigkeiten, angefangen von der Treppenputzerin, dem Fließbandarbeiter, bis hin zum LKW-Fahrer, endgültig eliminieren. Es scheitert bisher noch an der Komplexität einer alltagstauglichen KI, aber diese wird kommen und damit wird sich diese Gesellschaft weiter umstrukturieren müssen. Damit einher gehen wichtige Fragen, nämlich wie eine Gesellschaft funktioniert, in der Erwerbsarbeit nicht mehr der regulative Faktor einer auf Gewinnmaximierung (das Kapital steht im Vordergrund) ausgerichteten Volkswirtschaft ist.

Genau das ist die spannende Frage, die bisher niemand beantworten kann. Der gesellschaftliche Mehrwert einer Erwerbsarbeit wird heute immer noch in harten Münzen gewertet, Leistung bestimmt der Markt nach mehr oder weniger plausiblen Kriterien.
Warum sollte ich einen Roboter erbauen, der es z.B. meinem Nachbar ermöglicht, nicht mehr arbeiten zu müssen? Bin ich denn blöd?
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von pudding »

Antisozialist » Mo 11. Feb 2013, 15:08 hat geschrieben:
Warum sollte ich einen Roboter erbauen, der es z.B. meinem Nachbar ermöglicht, nicht mehr arbeiten zu müssen? Bin ich denn blöd?
Ja eben warum solltest du das tun? Gerade du der seine grösste Antriebskraft aus dem Wissen um die Knechtschaft anderer zieht, du würdest glatt verrecken. :rolleyes:
Obwohl, gar kein so unschöner Gedanke. :cool:
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Antisozialist »

pudding » Mo 11. Feb 2013, 18:33 hat geschrieben: Ja eben warum solltest du das tun? Gerade du der seine grösste Antriebskraft aus dem Wissen um die Knechtschaft anderer zieht, du würdest glatt verrecken. :rolleyes:
Obwohl, gar kein so unschöner Gedanke. :cool:
Dann gebe es einen weniger, der Ihr nicht erfüllendes Leben als Langzeitarbeitsloser finanziert.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Kibuka »

Antisozialist hat geschrieben:
Warum sollte ich einen Roboter erbauen, der es z.B. meinem Nachbar ermöglicht, nicht mehr arbeiten zu müssen? Bin ich denn blöd?
Du wirst darüber aber nicht zu entscheiden haben.

Der technologische Fortschritt ist unumgänglich. Einfache Roboter übernehmen schon heute Lackier- und Schweißarbeiten, etc. Amazon arbeitet derzeit am vollautomatisierten Warenlager. Sobald die Problematik der Softwaresteuerung in komplexen Systemen gelöst ist, wird die Robotik auch in vielen anderen Bereichen Einzug halten.

Und dann wird sich die Arbeitswelt zwangsläufig weiter verändern. Der Schub wird ähnlich massiv ausfallen, wie zur Zeit der Industrialisierung.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von sylvester »

Kibuka » Mo 11. Feb 2013, 20:56 hat geschrieben:
Du wirst darüber aber nicht zu entscheiden haben.

Der technologische Fortschritt ist unumgänglich. Einfache Roboter übernehmen schon heute Lackier- und Schweißarbeiten, etc. Amazon arbeitet derzeit am vollautomatisierten Warenlager. Sobald die Problematik der Softwaresteuerung in komplexen Systemen gelöst ist, wird die Robotik auch in vielen anderen Bereichen Einzug halten.

Und dann wird sich die Arbeitswelt zwangsläufig weiter verändern. Der Schub wird ähnlich massiv ausfallen, wie zur Zeit der Industrialisierung.


Falls die Entwicklung in diese Richtung geht und einiges spricht schon dafür, wird man wohl eines Tages die Arbeit der Maschinen besteuern müssen.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Haitu »

Kibuka » Mo 11. Feb 2013, 21:56 hat geschrieben:
Du wirst darüber aber nicht zu entscheiden haben.

Der technologische Fortschritt ist unumgänglich. Einfache Roboter übernehmen schon heute Lackier- und Schweißarbeiten, etc. Amazon arbeitet derzeit am vollautomatisierten Warenlager. Sobald die Problematik der Softwaresteuerung in komplexen Systemen gelöst ist, wird die Robotik auch in vielen anderen Bereichen Einzug halten.

Und dann wird sich die Arbeitswelt zwangsläufig weiter verändern. Der Schub wird ähnlich massiv ausfallen, wie zur Zeit der Industrialisierung.
Es wird so werden wie du es schreibst. Sorge macht mir, dass die Automatisierung schneller voranschreitet als Lösungen für die Menschen die dann im Arbeitsprozess nicht mehr gebraucht werden. Zwangslösungen wie Arbeitsdienst oder Ähnliches kann es nicht sein. Wo läge dann der dem Menschen dienende Vorteil, für alle, um den muss es ja letztendlich gehen.

Auch in Bezug zum Personal-Roboter sehe ich, dass es so kommen wird. Nicht weil ich einen wesentlichen Vorteil für den Einzelnen sehe, sonder mehr dadurch, dass es eine faszinierende Vorstellung ist und, ich sage es mal so, wenn die alten Römer schon eine Vorstellung davon gehabt hätten, auf dem Mond zu landen, dann hätten wir heute unser Sonnensystem schon längst verlassen.
Was mich aber da noch interessieren würde wäre, was wird der Mensch als sozusagen unabdingbare Behalte für sich aussparen die er keinem Roboter übergeben möchte.
Ich meine, als Beispiel, im Prinzip könnte ich, zu ende gedacht, auch einen Roboter beauftragen für mich einen Urlaub auf den Malediven war zu nehmen.
Was also macht der Mensch, wenn er nichts mehr tun muss?
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Barreegriff »

Die meisten Aussagen die man zu diesem Thema treffen kann, sind spekulativer Natur.

Die zunehmende Automatisierung ist nicht mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen gleichzusetzen, sondern führt eher zu einer Umstrukturierung. Ähnliches hat man ja in der Zeit der Industrialisierung gesehen, als der Landwirtschaftssektor gegenüber dem Industriesektor immer kleiner wurde. Die Arbeitslosenzahlen der Vergangenheit geben einen Wegfall auch nicht her, denn betrachtet man die letzten hundert Jahre, so hat sich die durchschnittliche Arbeitslosigkeit trotz extremer Fortschritte kaum verändert. Die Statistiken am Anfang des Threads zeigen ja größere Veränderung der Arbeitslosigkeit erst seit Ausbruch der Finanzkrise, was sich in fünf, sechs Jahren vielleicht schon wieder dem alten Niveau angepasst haben wird.

Was möglicherweise eintreten könnte, ist eine Verkürzung der Arbeitszeit, denn eine solche Entwicklung lässt sich in manchen Branchen in den letzten hundert Jahren schon beobachten (was natürlich vielfach durch neue Gesetze verursacht wurde).
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Kibuka »

Barreegriff » Di 12. Feb 2013, 17:21 hat geschrieben:Die meisten Aussagen die man zu diesem Thema treffen kann, sind spekulativer Natur.

Die zunehmende Automatisierung ist nicht mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen gleichzusetzen, sondern führt eher zu einer Umstrukturierung.
Das ist so nicht richtig, wie ich in meinem Eingangsbeitrag ausführlich erörtert habe.

Richtig ist, es findet eine Umstrukturierung statt, aber sie ist viel fundamentaler, als der Wegfall von mittelalterlichen Berufen.

Die Automatisierung schafft zunehmend sämtliche einfachen Tätigkeiten ab und ermöglicht eine hohe Produktivität ohne bzw. mit kaum existierenden Personal. Gerade in der Industrie ist die Zahl der Mitarbeiter stetig zurückgegangen bei steigender Produktivität.

Jeder Mensch braucht Nahrung und Fahrzeuge werden auch immer gekauft. Dagegen hat es ein Künstler deutlich schwieriger Geld für seine Arbeit zu erhalten.

Wir sind heute de facto eine Dienstleistungsgesellschaft.

Die Vorgänge führen zu gesellschaftlichen Veränderungen in der Erwerbsarbeit, die es bisher in der Geschichte der Menschheit so noch nicht gegeben hat.

Die Frage ist, wie wird Arbeit in Zukunft entlohnt. Es reicht nicht, wenn eine Gruppe Zugriff auf Produktions- und Kapitalanlagen hat und die andere Gruppe sich mit kaum nachgefragten Dienstleistungen über Wasser hält.
Barreegriff » Di 12. Feb 2013, 17:21 hat geschrieben: Was möglicherweise eintreten könnte, ist eine Verkürzung der Arbeitszeit, denn eine solche Entwicklung lässt sich in manchen Branchen in den letzten hundert Jahren schon beobachten (was natürlich vielfach durch neue Gesetze verursacht wurde).
Eine Verkürzung der Arbeitszeit könnte nicht möglicherweise eintreten, sondern ist bereits seit langem eingetreten. Im 20. Jahrhundert kam es in Deutschland zu einer stetigen Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit. 1900 wurden der 10-Stunden-Arbeitstag (in einer 6-Tage-Woche) und 1918/19 der 8-Stunden-Arbeitstag gesetzlich geregelt. 1955/56 wurde in der Bundesrepublik die 5-Tage-Woche schrittweise realisiert, 1965 die 40-Stunden-Woche. In der DDR wurde die 5-Tage-Woche nach einer Regelung für jede zweite Woche 1966 durch den Ministerratsbeschluss vom 3. Mai 1967 im Sommer 1967 endgültig für alle Wochen eingeführt. Ab 1990 wurde in einigen Branchen eine 35-Stunden-Woche eingeführt.

Erst seit Ende der 1990er Jahre wurden die Arbeitszeitverkürzungen vielerorts zurückgenommen und die Arbeitszeit teilweise verlängert.

Die Arbeitszeiten sind volkswirtschaftlich recht uninteressant, solange sie nicht zu niedrig ausfallen. Interessant werden sie erst im Zusammenspiel mit anderen Volkswirtschaften.

Ab welchen Zeitpunkt ein Angebotsrückgang der Arbeit tatsächlich negative Effekte hat, wäre dann zu evaluieren.

Der Mensch arbeitet derzeit hauptsächlich, um Geld zu verdienen. Der Rest der volkswirtschaftlichen Entwicklung fällt "quasi" als Nebenprodukt ab. Deswegen schrieb ich auch. Die Erwerbsarbeit wird gesellschaftlich zunehmend zu einem Selbstzweck, so dass die Arbeitsgesellschaft grundlegend in die Krise geraten ist. Diese Krise besteht vor allem darin, dass man sich von Erwerbsarbeit als Normalmodell der gesellschaftlichen Existenz in der Moderne nicht verabschieden kann.

Und genau hier liegt das Problem!
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Elser »

schokoschendrezki » Fr 8. Feb 2013, 16:34 hat geschrieben:Solange die simple Merkelsche Formel "Wachstum und Beschäftigung" die Infantilität einer großen Mehrheit der Bundesbevölkerung als intellektuelle Überlegenheit umschmeichelt, wird man, befürchte ich, die so notwendigen grundsätzlichen Paradigmenwechsel kaum in Angriff nehmen.

Das ist ein ganz toller Satz! Ich bin genau Deiner Meinung. Das dumme ist nur, das diejenigen die in unbedingt verstehen sollten, in wohl nicht verstehen werden. Gysi sagt zu seinen Genossen dann immer:".....aber unsere Sprache , unsere Sprache..."
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von garfield335 »

pudding » Fr 8. Feb 2013, 16:17 hat geschrieben: Und mehr arbeiten trotz vervorragender Produktivität ist ja dann logischerweise ein Zeichen für raffgierige Profiteure.
Jeder will halt reich sein,

Eine Schüssel Reis als Mahlzeit und einer Lehmhütte reicht den Menschen halt nicht ;)
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Elser »

sylvester » Mo 11. Feb 2013, 21:14 hat geschrieben:


Falls die Entwicklung in diese Richtung geht und einiges spricht schon dafür, wird man wohl eines Tages die Arbeit der Maschinen besteuern müssen.

Genau diese Maschinensteuer, mit der dann die Sozialversicherungen bezahlt werden, ist eine jahrzehnte alte Forderung der Gewerkschaften. Da nun auch immer mehr Dienstleistung unsere Arbeitwelt gestaltet, könnte man auch über eine allgemeine Umsatzsteuer nachdenken. Ja, genau - die gibt es schon. Wenn die Erhöhung der Umsatzeuer zu Anfang der Schwarz/Roten-Regierungszeit ausschließlich für die Sozialversicherungen eingesetzt worden wäre, wäre sie ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Dr. Nötigenfalls »

Kibuka » Di 12. Feb 2013, 21:44 hat geschrieben: Diese Krise besteht vor allem darin, dass man sich von Erwerbsarbeit als Normalmodell der gesellschaftlichen Existenz in der Moderne nicht verabschieden kann.

Und genau hier liegt das Problem!
Soso.
Und das wichtigste,nämlich dein Statement dazu,deine Alternative fehlt.
6 setzen.
:D :p
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Elser »

Dr. Nötigenfalls » Mi 13. Feb 2013, 10:47 hat geschrieben:
Soso.
Und das wichtigste,nämlich dein Statement dazu,deine Alternative fehlt.
6 setzen.
:D :p

Was heißt hier "soso". Bist Du denn anderer Meinung? Ich finde diesen Beitrag von Kibuka sehr gut. Ich hatte schon vor, etwas mit dem selben Inhalt zu schreiben. Ob es mir so gut gelungen wäre....?

Das kostruktive Statement kommt doch jetzt bestimmt von Dir. Ich bin gespannt.

Elser
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Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Barreegriff »

Kibuka » Di 12. Feb 2013, 22:44 hat geschrieben:
Das ist so nicht richtig, wie ich in meinem Eingangsbeitrag ausführlich erörtert habe.

Richtig ist, es findet eine Umstrukturierung statt, aber sie ist viel fundamentaler, als der Wegfall von mittelalterlichen Berufen.

Die Automatisierung schafft zunehmend sämtliche einfachen Tätigkeiten ab und ermöglicht eine hohe Produktivität ohne bzw. mit kaum existierenden Personal. Gerade in der Industrie ist die Zahl der Mitarbeiter stetig zurückgegangen bei steigender Produktivität.
Die Gesamtzahl der Arbeiter (also inklusive Dienstleistungssektor) ist aber nicht gefallen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit den du im Eingangsbeitrag dargestellt hast, betrifft doch insbesondere die Jahre 2008-2013, also die Zeit seit Ausbruch der Finanzkrise. Es handelt sich also in größeren Teilen um Arbeitslosigkeit, die durch Konjunktureinbrüche entstanden ist.
Kibuka » Di 12. Feb 2013, 22:44 hat geschrieben:Jeder Mensch braucht Nahrung und Fahrzeuge werden auch immer gekauft. Dagegen hat es ein Künstler deutlich schwieriger Geld für seine Arbeit zu erhalten.

Wir sind heute de facto eine Dienstleistungsgesellschaft.

Die Vorgänge führen zu gesellschaftlichen Veränderungen in der Erwerbsarbeit, die es bisher in der Geschichte der Menschheit so noch nicht gegeben hat.
Ich finde einige frühere Revolution extrem tiefgreifend, teilweise tiefgreifender als das Internet oder die Entwicklung von Robotern. Man denke an Erfindungen wie z.B. die Dampfmaschine. Man sollte das nicht unterschätzen. Natürlich erleben wir Veränderungen, aber ich würde nicht behaupten, dass die Menschheit so etwas noch nie erlebt hätte. Es ist immer die Angst und das Erstaunen vor dem Neuen, was die Menschen glauben lässt, so etwas hätte es noch nicht gegeben. Dabei wiederholt sich Geschichte in der einen oder anderen Form ständig.
Kibuka » Di 12. Feb 2013, 22:44 hat geschrieben:Die Frage ist, wie wird Arbeit in Zukunft entlohnt. Es reicht nicht, wenn eine Gruppe Zugriff auf Produktions- und Kapitalanlagen hat und die andere Gruppe sich mit kaum nachgefragten Dienstleistungen über Wasser hält.
Dem kann ich teilweise zustimmen. Ich sehe auch die Gefahr, dass zwischen den Besitzern der Anlagen (nennen wir sie einfach mal Kapitalisten) und den Arbeitern in der Dienstleistungsbranche eine immer größere Kluft entstehen könnte.
Nun sind wir aber heute in der glücklichen Lage, dass dieser Wandel relativ langsam vonstatten geht und man Zeit hat die Entwicklung zu lenken. Als die Industrie den Landwirtschaftssektor nach und nach abgelöst hat, mussten die Menschen ebenfalls zu sehr schlechten Bedingungen arbeiten, damals besaßen sie auch deutlich weniger Rechte. Wenn es politisch gewollt wäre, bin ich davon überzeugt, dass man dafür sorgen kann, dass die Entlohnung und auch die Arbeitsbedingungen bei Dienstleistungen besser sind.
Kibuka » Di 12. Feb 2013, 22:44 hat geschrieben:Der Mensch arbeitet derzeit hauptsächlich, um Geld zu verdienen. Der Rest der volkswirtschaftlichen Entwicklung fällt "quasi" als Nebenprodukt ab. Deswegen schrieb ich auch. Die Erwerbsarbeit wird gesellschaftlich zunehmend zu einem Selbstzweck, so dass die Arbeitsgesellschaft grundlegend in die Krise geraten ist. Diese Krise besteht vor allem darin, dass man sich von Erwerbsarbeit als Normalmodell der gesellschaftlichen Existenz in der Moderne nicht verabschieden kann.

Und genau hier liegt das Problem!
Hm, das ist an sich eine gute Analyse, zumindest wenn man davon ausgeht, dass der Dienstleistungssektor nicht dazu in der Lage ist, die Menschen aus dem Industriesektor aufzunehmen. Und selbst, wenn er dies schafft, wird auch möglicherweise irgendwann der Dienstleistungssektor immer mehr von Robotern übernommen werden.

Vermutlich stoßen wir auch irgendwann an einen Punkt, an dem das Wirtschaftswachstum zum Erliegen kommt, einen Steady-State. Joseph Schumpeter prognostiziert in seinem Werk "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie", dass die Vorteile des Kapitalismus irgendwann ohne Wirtschaftswachstum ausgereizt sein werden und die Menschen dieses System dann auch nicht weiter zu unterstützen bereit sind. Dann müssten neue Strukturen her; Schumpeter geht davon aus, dass eine Art Sozialismus entsteht, bei dem die Großbetriebe in Gemeinschaftseigentum überführt werden, so dass die breite Bevölkerung an den Erträgen beteiligt wird. Wie realistisch oder wünschenswert das ist, darüber lässt sich natürlich trefflich streiten.
Zuletzt geändert von Barreegriff am Mittwoch 13. Februar 2013, 14:33, insgesamt 1-mal geändert.
Powerchord!
Dr. Nötigenfalls

Re: Arbeitslosigkeit in den entwickelten Industriestaaten

Beitrag von Dr. Nötigenfalls »

Elser » Mi 13. Feb 2013, 11:01 hat geschrieben:

Was heißt hier "soso". Bist Du denn anderer Meinung? Ich finde diesen Beitrag von Kibuka sehr gut. Ich hatte schon vor, etwas mit dem selben Inhalt zu schreiben. Ob es mir so gut gelungen wäre....?

Das kostruktive Statement kommt doch jetzt bestimmt von Dir. Ich bin gespannt.

Elser
Merk dir mal eines,wir sind hier nicht hinter der Glotze.
Nur kritisieren Gaffen und Maulaffen feilhalten reicht nicht um zu überzeugen.

Ich frag mich manchmal echt wohin die ganze Bildung verdunstet wenn sowas dabei rauskommt.
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