Haitu » Di 5. Feb 2013, 18:29 hat geschrieben:
Wie ich schon einmal schrieb ist die marxsche Philosophie eine Krisenphilosophie. Somit ist dein erster Satz für das Empfinden im Volk der wichtige. Der Mehrwert wird anders verteilt. Ich denke darum geht die Debatte im Wesentlichen.
Ja, darum geht es im Wesentlichen. Es können aber in einem Unternehmen nur Werte verteilt werden, die am Ende überhaupt vorhanden sind. Weder für den Arbeitswert noch für den Mehrwert gilt das notwendigerweise, wie ich es ja beschrieben habe. Man sollte sich also in einer Kapitalismuskritik, einer Diskussion über "Ausbeutung", vom Begriff Mehrwert abwenden und vom Unternehmensgewinn sprechen, d.h. von dem Ertrag abzüglich der Aufwendungen, denn nur der kann auch verteilt werden... was die Unternehmung nicht als Gewinn erwirtschaftet, kann auch nicht zusätzlich zum Bisherigen verteilt werden. Dabei ist zu beachten, daß vom Unternehmensgewinn die Arbeiterlöhne und Angestelltengehälter schon abgezogen sind, der Lohn für den Kapitalisten für seinen Kapitaleinsatz hingegen noch nicht. Der Gewinn stellt ja gerade diesen Lohn dar.
Kommunisten wie Rote_Galaxie beziehen nun die Position, daß der Kapitalbesitz an sich schon ein Verbrechen ist, wenn er ein bestimmtes Ausmaß angenommen hat. Gemäßigtere Linke sprechen zwar nicht von einem ausgesprochenen Verbrechen, zeigen aber durch Forderungen nach Einkommenssteuern bis zu 100%, Erbschaftssteuern sowie Vermögenssteuern, d.h. jährliche Maßnahmen zum fortgesetzten Vermögensabbau, daß ihnen größere Vermögen nicht sympathisch sind... man soll größere Vermögen nur schwer aufbauen können, und wer sie schon hat, bei dem sollen sie abgebaut werden. Aber nicht nur der Besitz von Vermögen wird vom Linken kritisiert bis kriminalisiert, sondern es ist für die ja völlig indiskutabel, daß aus dem Kapitaleinsatz z.B. in einem Unternehmen ein Gewinn resultieren können soll. Da der Besitz ja schon kritikabel bis kriminell ist, ist der Ertrag aus dem Besitz es ja nun erst recht... vor allem, weil, so das simple Argument, man ja für diese Erträge nicht im Schweiße seines Angesichts gearbeitet hat (das haben andere). Daß das nicht unerhebliche Verlustrisiko des Kapitaleinsatzes auch Angstschweiß erzeugen kann, der Kapitaleinsatz trotz Risiko einen Lohn wert sein muß, wird von Linken für gewöhnlich negiert.
Der zentrale Punkt in meinen Augen ist der, daß die Übergabe des Kapitals und der Produktionsmittel aus privater Hand in öffentliche nicht nur die Verhältnisse für die Allgemeinheit nicht verbessern, sondern deutlich verschlechtern wird (Anschauliche Beispiel dafür gab es ja in den verschiedenen Realsoz-Ländern zur Genüge). Meiner Analyse nach, die ich schon mal woanders hier näher ausführte, ist das Hauptproblem, das das, was allen gehört, eigentlich niemandem gehört, d.h. das Verantwortungsgefühl von Verwaltern von Gütern der Allgemeinheit ist in der Regel weit geringer als das Verantwortungsgefühl eines Menschen gegenüber dem EIGENEN Besitz. Kommunismusähnliche Systeme sind daher nur dann einigermaßen funktionsfähig, wenn Idealismus und soziales Verantwortungsgefühl weitverbreitet und überentwickelt sind. In den Anfangsphasen diverser kommunistischer Revolutionen war das auch das eine oder andere Mal der Fall, es zeigte sich aber, daß dieser Idealismus und die Zurückstellung der Eigeninteressen im Interesse der allgemeinen, gemeinsamen Sache jedesmal schnell schwanden... Am Ende scheiterten die verschiedenen Experimente jedesmal, und zwar nach längeren Phasen des Dahinvegetierens auf mehr oder weniger prekären Wohlstandsniveaus. Nie konnten diese sozialistischen Systeme auch nur annähernd die Wertschöpfung kapitalistischer Systeme erreichen. Diese Tatsache versuchen Linke allerdings regelmäßig zu verschleiern, z.B. indem die Wertschöpfung kapitalistischer Systeme dadurch kritisiert wird, daß sie a) auf Ausbeutung der dritten Welt, b) auf Ausbeutung der Natur, und, in letzter Zeit wieder verstärkt, auf c) Ausbeutung der Menschen im eignen Lande beruht, also eigentlich gar keine Wertschöpfung darstellen, sondern einen Wertediebstahl. Als ob die sozialistischen Systeme in ihren Anstrengungen der Wohlstandsschaffung nicht in viel größerem Umfang dritte Welt, Natur und ihre Menschen beklauten.
Zurück zur Verteilungsgerechtigkeit des Verteilbaren, der Unternehmensgewinne. Ich sehe hier keine Notwendigkeit, staatlich einzugreifen, da die Märkte die Gerechtigkeit maximieren, die Märkte das Problem regeln. Sind die Gewinne eines Unternehmens exorbitant (also z.B. Apple in den vergangenen Jahren), werden sich andere Unternehmen auf dessen Geschäftsfelder stürzen, denn auch sie wollen exorbitante Gewinne einfahren (also z.B. Samsung u.a.). Um einen Wettbewerbsvorteil zu haben, ist man preislich günstiger, was natürlich die Gewinne drückt. Das Unternehmen mit den ehemaligen Höchstgewinnen muß seine Gewinnerwartungen anpassen, um wiederum die Konkurrenten preislich zu unterbieten, usw. Irgendwann pendeln sich die Gewinne idealerweise auf einem minimalen Niveau ein, das dem Kapitaleinsatz gerade noch als Rendite ausreichend, aber für ihn mindestens notwendig ist. Störungen des Gleichgewichts, also Situationen mit exorbitanten Gewinnmöglichkeiten, entstehen dann erst wieder, wenn jemand neue, besonders innovative Ideen hat, und diese in Produkte umsetzen kann, die hochnachgefragt sind... weil er über das Alleinstellungsmerkmal eine gewisse Hoheit bei der Preisfestsetzung hat, sie wird noch nicht von Konkurrenten, sondern erstmal nur vom Konsumenten und seiner Bezahlbereitschaft begrenzt.
Ganz wichtig ist dabei, daß es nicht zu dauerhaften Monopolbildungen kommen kann, denn der Monopolist kann die Preise diktieren, und er wird sie so diktieren, daß er seine Gewinne maximiert. Es gibt kein Regultiv für die Gewinne mehr über die kapitalistische Konkurrenz. Es ist Aufgabe des Staates, die Freiheit der Wirtschaftstätigkeit sicherzustellen, monopolartige Preisabsprachen unter Konkurrenten zu unterbinden, und zwar mit aller Härte des Gesetzes, sowie dafür zu sorgen, daß die gesetzlichen Rahmenbedingungen für alle gelten und von allen eingehalten werden... um den beschriebenen Gewinnregulationsmechanismus nicht zu gefährden.
Marx sagte die Entwicklungen in der industriellen und postindustriellen Zeit völlig falsch voraus. Nach seinen Vorstellungen sollte sich der Kapitalismus in eine Richtung weiterentwickeln, bei der am Ende nur noch Monopolisten übrigbleiben, die ihren Gewinn maximiert haben, d.h. die Löhne minimiert haben, und ein großes Heer der Arbeiter und Angestellten, welches in totaler Verarmung dahinvegetiert. Mit der Wirklichkeit hat das nicht viel zu tun... denn Marx vernachlässigte dabei scheinbar die Möglichkeiten, Vermögen auch zu vernichten, durch Risikofehlkalkulation, durch Übergang von geschäftigen Firmenpatriarchen auf verprassungssüchtige Erben usw... und so ist die Geschichte des Kapitals eben nicht eine der beständigen Kapitalakkumulation in einigen wenigen Zentren, sondern eine des ständigen Werdens aber auch Vergehens einer großen Vielzahl solcher Zentren.