DarkLightbringer » Fr 10. Jul 2015, 09:58 hat geschrieben:
Janukowitsch war und ist nicht resident in der Ukraine. Der Rücktritt konnte zwar nicht persönlich im Parlament verlesen werden, wie Art. 109 vorsieht, der allgemeinere Art. 112 fand jedoch eine sinngemäße Anwendung für einen Fall, der eigentlich so gar nicht vorgesehen ist. Die "vorzeitige Beendigung der Amtszeit" (Art. 112) ist doch dann faktisch gegeben, wenn der Amtsinhaber nicht resident ist. Er kann ja gar nicht vorgeladen werden und ähnliches.
Der Angeklagte muss doch gar nicht physisch anwesend sein. Wenn sich jemand physisch von der Justiz versteckt anstatt sich zu verteidigen, und das Feld dem Ankläger überlässt, der ist schließlich selbst schuld wenn er in seiner Abwesenheit verurteilt und zur Fahndung ausgeschrieben wird.
Der Fall, wenn der Präsident sich seiner Pflichten entledigt auf die er einen Eid geleistet hat ist doch durch das Gesetz der Ukraine vorgesehen. Es erfüllt den Tatbestand des Hochverrats und dann greift Artikel 111. Das Parlmant kann einen Präsidenten der ein Verräter ist, rechtskräftig absetzen.
Dazu ist es aber notwendig, dass das Verfahren wegen Hochverrats vom Parlament initiert und es höchstrichterlich zu einer Verurteilung kommt. Das schreibt Artikel 111 vor.
Oder wie soll jemand einen Staatsbesuch abnehmen oder auch nur darüber offiziell informiert werden, der praktisch unbekannt verzogen ist?
Wie gesagt, wenn er sich seiner Pflichten entledigt und einfach abhaut, wäre das Hochverrat. Das muss man allerdings vor Gericht beweisen.
Vor dem Gesetz ist man schließlich solange unschuldig, bis die Schuld von der zuständigen Instanz rechtskräftig festgestellt worden ist.
Die genauen Umstände des Verbleibs von Mr. Janukowitsch kennen wir nicht. Es mag ja sein, dass er sich aus dem Untergrund gemeldet hat, aber möglicherweise bereits von russischen Agenten begleitet, vielleicht unter Druck.
Die genauen Umstände seiner Flucht und vor allem seine Motive kennen wir auch nicht so genau.
Kann doch sein, dass das was er sagt stimmt, und er ist vielleicht tatsächlich von seinen politischen Konkurrenten mit Gewalt vertrieben worden. Wenn das was er sagte wahr ist, erlischt sein Amt vor dem Gesetz nicht, selbst wenn er gezwungen sein sollte das Land zu verlassen. Keine Frage verliert ein warum auch immer geflohener Präsident de-facto seine Macht, aber er verliert nicht den Anspruch darauf, wenn er vor dem Gesetz legitimiert bleibt.
Eine Exilregierung ist die Regierung eines Landes, das von einer anderen Macht besetzt ist oder von einer anderen, als illegitim angesehenen Regierung kontrolliert wird. Sie kämpft vom Ausland (Exil) aus gegen die Besatzer bzw. die als illegitim angesehene Regierung.
...
Eine spanische Exilregierung, die sich auf die im Spanischen Bürgerkrieg untergegangene Zweite Spanische Republik berief und die Regierung Francisco Francos als illegitim ansah, hatte von 1939 bis 1977 ihren Sitz in Mexiko.
https://de.wikipedia.org/wiki/Exilregierung
Ein weiteres, gewichtiges Argument ist jedoch, dass einer Rückkehr zur Demokratie die Absetzung eines diktatorischen Usurpators immanent ist.
Das hätte dann zwar fraglos einen revolutionären Charakter, aber hatte das die Französische Revolution 1789, die Oktoberrevolution 1917 in Russland oder die Novemberrevolution 1918 in Deutschland nicht auch?
Man könnte meinen es sei eine Revolution gewesen. Also ein Aufstand von Unten der vom Volk ausging.
Dann begeben wir uns aber außerhalb des Staatsrechts in einem sehr prikärem Bereich. Die Abgrenzung einer Revolution zum Terrorismus ist schwierig. Eine Revolution beinhaltet schließlich die Zersetzung und Abschaffung der bestehenden Staatsordnung und ist grundsätzlich immer durch Gewalt begleitet. Eine Revolution ist daher Niemals mit dem bestehenden Staatsordnung vereinbar, aber sie kann durchaus legitim sein. Zum Beispiel wenn das Volk sich eines Autokraten entledigt der seine Macht willkürlich missbraucht oder massiv Menschenrechte verletzt oder die Bevölkerung unzumutbaren Bedienungen aussetzt usw...
Problematisch bleibt dabei, dass einer Revolution demokratische Legitimation und gesellschaftlicher Konsens fehlt was zwangsläufig zur Spaltung der Gesellschaft und fast immer zum Bürgerkrieg fürht.
Jede Revolutionsbewegung hat immer mit einer mehr oder weniger starken Gegenbewegung (Antirevolution) zu kämpfen. Das war in den von dir genannten Beispielen auch der Fall gewesen.
Das Revolutionsgeschehen zwischen Juli und Oktober 1789 hatte innerhalb der beiden vormals privilegierten Stände Emigrationswellen ausgelöst und zu Sammelpunkten an kleinen Fürstenhöfen etwa in Turin, Mainz und Trier geführt, von denen gegenrevolutionäre Umtriebe ausgingen, die sowohl die Destabilisierung der neuen Ordnung in Frankreich als auch die Herbeiführung einer ausländischen Intervention zum Ziel hatten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz%C3% ... Revolution
Russische Oktoberrevolution von 1917 führte zu einem Bürgerkrieg dem 10 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Russische ... Crgerkrieg
Es dürfte auf der Hand liegen, weshalb eine Revolution nicht durch das Völkerrecht abgedeckt sein kann.
Das Völkerrecht hält sich grundsätzlich bei solchen Dingen die innerhalb des selben Staates passieren möglichst heraus. Es kann nicht im Sinne des Völkerrechts sein, bei einem Bürgerkrieg eine der Seiten über die Andere zu stellen. Wenn es zu einer Revolution und einem Bürgerkrieg kommt, hat das Völkerrecht eigentlich schon versagt und das Staatsrecht sowieso.
In USA und EU und eigentlich überall auf der Welt wird jede Person, welche mit Waffengewalt die Staatsordnung in Frage stellt, auf der Stelle zum Terroristen erklärt und eliminiert. Oder ist es nicht so?
Damit hat doch auch die Übergangsregierung in Kiev nach der Machtübernahme die Antiterroroperation begründet. Die gewaltsame Besetzung von Polizei- und Regierungsgebäuden im Osten der Ukraine, stellt die bestehende Staatsordnung, die Souveränität der Ukraine und seine Territoriale Integrität erheblich in Frage.
Was man sich dabei fragen muss, was ist deren Motivation? Warum stellen Menschen im Osten der Ukraine die Staatsmacht in Frage? Warum lassen sie sich nicht regieren?
Eine mögliche Erklärung: Terrorismus.
Weitere: Separatismus.
Dritte: Gegenrevolution.
Wenn man also annimmt, der Maidan sei eine Revolution gewesen, dann muss man fast zwangsläufig davon ausgehen, dass der Aufstand im Osten der Ukraine eine Gegenrevolution darstellt. Vieles spricht dafür:
1. Janukowitsch stammte aus Donezk und war dort beliebter als in anderen Provinzen.
2. Die Partei der Regionen war traditionell eher im Osten und Süden der Ukraine seine Stammwähler.
3. Umfragen zum Maidan seinerzeit zeigten eine deutliche Spaltung der Gesellschaft in zwei gleich große Lager. Maidan und Anti-Maidan.
Während der Westen der Ukraine einschließlich Kiev, Janukowitsch am liebsten gelyncht sehen wollten, hatten die Menschen im Osten und im Süden der Ukraine angst dass es dazu kommen könnte und sie dann einem Diktat der Neuen pro-West orientierten Regierung ausgesetzt wären.
Als in Kiev Unruhen tobten und Menschen getötet wurden und die ganze Aufmerksamkeit der Medien (vor allem westlicher Medien) Kiev gewidmet war, hat es in Donezk und Lugansk und anderen Städten Massendemonstrationen von Maidangegnern gegeben. Da sie aber weitgehend friedlich verliefen, hat sich kaum jemand in der EU überhaupt wahrgenommen.
proof?
Hier sind Fotos vom Antimaidan:
Donezk, 1. März. 2014
http://i.t30p.ru/1Pko
http://i.t30p.ru/1Pkm
Die Aufschriften auf den Transparenten lauten: "Donbass ist mit Russland" und "Nein zum Faschismus".
Wenn man genau hinsieht erkennt man die Fahnen der DNR sowie das Georgiev-Band (Symbol der Separatisten). Aber auch Leute in Militärkleidung.
Zwei Wochen vor dem Krim Referendum wohlgemerkt.
Zwei wochen später, 15 März 2014 Donezk: Ein Tag vor dem Referendum der Krim.
http://1-ps.googleusercontent.com/h/www ... HTFuU.webp
http://1-ps.googleusercontent.com/h/www ... dixgF.webp
Zuletzt ein Foto vom 30. März vom Antimaidanmeeting in Luhansk:
https://img-fotki.yandex.ru/get/9828/36 ... 201_XL.jpg
Quelle:
http://lugansk-lg-ua.livejournal.com/457953.html
So eine Revolution spaltet nicht nur die Gesellschaft innerhalb des betroffenen Landes, sondern auch die Weltgemeinschaft. Es gibt keine klare Revolutionsregeln weshalb die einzelnen Staaten sich entsprechend ihrer Prinzipien und Ideale für die eine oder andere Seite entscheiden. Und das ist gefährlich, weil dies zu Verwerfungen führt die im Extremfall zu Angriffskriegen entwickeln können.
Die EU und USA taten die ganze Zeit so, als wäre der Maidan ein Kampf des Volkes gegen einen verrückten Diktator gewesen und dass es den Antimaidan nie gegeben hätte.
Ohne mit der Wimper zu zucken stellte sich die Transatlantische Allianz auf die Seiten der Revolutionsbewegung und verurteilte die Gegenrevolution als Terrorismus.
Das war wie ich meine höchst unverantwortlich gewesen. Damit hat man im Prinzip eine Partei ergriffen und ihr internationall den Rücken gestärkt, während man die andere Partei internationall für Vogelfrei erklärt hatte.
Es ist verständlich, dass Russlands sympatien der Gegenbewegung gelten, da sie pro-russisch orientiert ist. Es ist deshalb auch verständlich, dass Russland auf die Parteiergreifung der EU und USA entsprechend reagiert und ebenfalls Partei ergreift um seine Sympatisanten zu schützen. Das macht USA und die EU genauso in Jemen. Was da vor sich geht ist mit keinerlei internationalen Regeln vereinbar, aber das juckt Niemanden, weil Saudi Arabien ein verbündeter der USA ist, und die Huthi Rebellen für Saudi Arabien langfristig eine Bedrohung darstellten.
Der Fall Kosovo war ähnlich gelagert. Es gab zwischen dem Westen und Russland auch damals unterschiedliche Auffassungen und Deutungen des Konflikts weshalb man sich damals schon gegenseitig mit Schmutz bewarf.
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Zuletzt muss man sich auch die Frage stellen, inwiefern die Revolutionsbewegung tatsächlich spontan gewesen ist, und in wie weit sie vom Volk ausging.
Grundsätzlich kann man ja eine Revolution auch von außen auslösen indem man Interessenskonflikte im betroffenem Staat schürt.
Und dazu ist es in Kiev ohne Zweifel gekommen. Schon lange vor der Machtergreifung in Kiev, unterstützen EU und US Politiker offen den Maidan. Sprachen von der Bühne auf dem Maidan der Menge Unterstützung zu. Gaben Versprechungen ab sie nicht in Stich zu lassen.
Man kann sich ausmalen welche Wirkung das auf Andersdenkende im Osten der Ukraine hatte.
Die Aussicht, dass die EU und USA im Falle des Erfolgs des Maidans, die im Osten verhasste Opposition international anerkennen würde, und der Donbass sich den Neuen Machthabern unterwerfen müsste, hat ihnen völlig alle Sicherungen durchknallen lassen. Deshalb gingen sie zunächst auf die Straße, demonstrierten friedlich, hielten ihre Pässe in die Kamaras um zu zeigen, dass sie auch Ukrainer sind.
Bild: 5. März Antimaidan in Lugansk, Menschen zeigen ihre Pässe.
http://www.ostro.org/files_lg/New%20Fol ... G_8772.JPG
Quelle:
http://www.ostro.org/lugansk/politics/news/439327/
Als es dann sicher war, dass die EU und USA die Neuen Machthaber in Kiev vollständig internationall anerkannt hatten, wars vorbei mit lustig. Aus dieser ausweglosen Lage, haben sie ihrerseits angefangen Staatliche Einrichtungen zu besetzen. Genauso wie es der Maidan in Kiev tat, mit dem Unterschied, dass dabei Niemand sterben musste und die Polizei in der ber betroffenen Region zum Teil auf der Seite der Bevölkerung war und den Aufstand mit unterstützte.
Die ersten Besetzungen von Staatlichen Einrichtungen in Donezk und Lugansk liefen fast schon wie eine Party ab. Es gab dort außer ein Paar vereinzelne Rangeleien praktisch keine Gewalt, geschweige denn Schießereien mit der Polizei mit über 100 Toten wie in Kiev. Zu Schießereien im Osten der Ukraine kam es erst nach dem 7. April, nachdem Kiev die Antiterroroperation ins Leben rief.
oder versuch mal einen Nachweis in den Medien dafür zu finden, dass es schon vor dem 7. April 2014 als die ATO begann, zu Schießereien in der Ostukraine gekommen ist.... Keine Chance, hat es nicht gegeben. Zuerst begann die Antiterroroperation, dann begang der Bewaffnete Widerstand im Osten der Ukraine. Und dann erst (am 12. April) kam Igor Girkin und übernahm das Kommando.
Wenn man die Ereignisse im Osten der Ukraine also chronologisch zurückverfolgt, sieht es nicht so aus als wäre die Ukrainische Regierung in der Defensive. Sie haben damit angefangen. Sie wollten unbedingt durch eine Revolution an die macht. Sie wollten ihre politischen Konkurrenten einfach erdrücken und die Gegenrevolution niederschlagen. Und unter anderem Deutschland, hat ihnen dabei den Rücken gestärkt.
Denke das reicht fürs erste.
Übrigens, ich schreibe so offen aus mir heraus weil ich deine konstruktive Art zu diskutieren durchaus zu schätzen weiß.