Basschihan » Di 10. Feb 2015, 00:07 hat geschrieben:
Genau! Aber das ist leicht gesagt. Der Islam erhebt nunmal auch politische Ansprüche.
Wieso zeigen wir keine Mohammed-Karikaturen mehr? Über die Proteste der islamischen Welt, wirkt sich das islamische Bildnis-Verbot auch auf unser Handeln aus. Wir richten uns also schon heute in manchen Fragen undemokratisch legitimierten Vorgaben. Das Bildnisverbot ist ein muslimischer Glaubensinhalt, und kann nicht für uns gelten.
Sollte er auch nicht. Wenn wir uns das selber auferlegen sind wir selber Schuld. Aber auch die Karrikaturen nicht zu mögen gehört zur Freiheit
In den USA z.b. gehört es für die meisten Printmedien zum Pressekodex religiös diffamierende Karrikaturen nicht abzudrucken. Ist einfach so, Amerikaner mögen das nicht. Ist ebenso ihr Recht wie unseres das zu drucken.
Man sollte sich aber auch grundsätzlich fragen ob das Bilderverbot überhaupt ein islamischer Glaubensinhalt ist oder ob nicht hier wieder gestörte Konservative die Zügel in der Hand halten..
Der Koran enthält kein Bilderverbot.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bilderverbot_im_Islam
Basschihan » Di 10. Feb 2015, 00:07 hat geschrieben:
Der Islam und Demokratie mögen sich nicht gegenseitig ausschließen. Aber schließen sich auch Islam und Laizismus gegenseitig nicht aus? Wenn der Quran Gottes Wort ist, und politische Forderungen stellt (neben Sunna etc.), bleibt immer die Frage warum er nicht zur politischen Äußerung befugt sei. Vor allem dann, wenn er die Gelegenheit dazu hat.
Schliesst sich nicht aus. Es gibt im Islam zum Beispiel den Quietismus. Es gibt noch andere Strömungen. Die Vorstellung das Islam und Staat eine Einheit bilden ist ziemlich neu. Es gibt dazu einen sehr guten Artikel von Heinz Halm "Islam und Staatsgewalt", der leider im Moment nichtmehr online ist. (Hier nur ein Auszug:
http://www.damals.de/de/16/Islam-und-St ... howDetails)
Es sind jedenfalls erhebliche Zweifel an der These der Islamisten angebracht, das der Islam nach der politischen Macht greifen soll und dies auch im Koran verankert ist.
Basschihan » Di 10. Feb 2015, 00:07 hat geschrieben:
Gehen wir mal davon aus Deutschland wäre mehrheitlich muslimisch. Der mehrheitliche Islam in Deutschland wäre genauso gemäßigt, wie er heute hier praktiziert wird. Welche Gegenargumente könnten die Muslime einer möglicherweise aufkommenden Kraft entgegenhalten, die behaupte dass Gottes Wort nicht angezweifelt werden dürfe, und der Quran somit als Vorlage für Gesetzestexte herhalten müsse. Dieser könnte natürlich wieder humanistisch gedeutet werden, da die Muslime auch in einer humanistischen Tradition stehen würden, aber er muss doch solange politisch relevant sein, solange man an seiner Absolutheit nicht zweifeln darf. Und ist nicht beinahe jedes heute mehrheitlich muslimisch bevölkerte Land eine Bestätigung dieser Annahme?
Die Antwort darauf ist in der islamischen Geschichte zu finden. Dort wurden auch die Gegenargumente bereits geliefert.
Islamic history is full of free thinkers - but recent attempts to suppress critical thought are verging on the absurd
But despite what these religious despots would have their followers think, in fact Islamic history is full of free thinkers who have stood up to such authoritarianism. During the 8th century CE, when sharia law was being shaped, the Persian writer and thinker Ibn al-Muqaffa declared that it had the potential of becoming a political tool in the hands of kings and clerics manipulating the rough and credulous. And during the 9th and 10th centuries, a host of writers, satirist and free thinkers joined him in denouncing dogmatism.
The accomplished theologian Ibn al-Rawandi mocked religious scholars and the nonsense they peddled about a Paradise full of virgins. (Could it be pleasing to anyone but a rustic, he wondered.) His contemporary, the polymath and natural scientist Abu Bakr al-Razi, insisted that Islam without reason had no value. The renowned blind poet Abul "Ala" al-Ma'arri sought to correct "what established religion took for God's criteria".
Their contemporary, the scientist Abu Rayhan Al-Biruni, who is regarded by some as a free thinker not only of his age but across all ages, insisted that it was essential to question everything – from religion to philosophy – and to respect criticism, including of one's religion, in order to benefit from its arguments. And the 12th-century philosopher Ibn Rushd, who later had huge influence on European thought, argued that matters of belief should be decided only on the basis of reason and evidence – a position deemed so dangerous that his numerous books were banned, and Ibn Rushd himself was briefly banished.
http://www.independent.co.uk/voices/com ... ebook-post
Die Situation der meisten heutigen islamischen Länder ist mit mehreren Faktoren zu begründen. Stillstand in der islamischen Theologie, mit den ultrakonservativen als Leitfiguren, Regime die den Islam instrumentalisieren um ihre Despotie zu legitimieren:
Plädoyer für einen Weitwinkel-Blick auf die arabische Welt
Die Terrormiliz baut auf einen herrschenden rückwärtsgewandten religiösen Diskurs, der eigentlich entstanden ist, um die überkommenen Öldespotien am Golf - allen voran Saudi-Arabiens - mit dem notwendigen ideologischen konservativen Überbau zu versorgen, um ihre überkommene Macht zu erhalten.
Und die Despoten waren so erfolgreich, weil sie die Köpfe der Menschen mit religiösen Diskursen füllen, die ihre Macht nicht herausforderte.
http://de.qantara.de/inhalt/strategien- ... ische-welt
Da werden staatlich gesteuerte Imame und Koranschulen gepflegt, die Demokratie und "Opposition" (alles was das Herrscherhaus in Frage stellt) als Teufelszeug bezeichnet, der Volkszorn lieber auf Karrikaturen im Westen gelenkt (mit teilweise 6 monatiger Verspätung, um innenpolitischen Druck abzubauen), gleichzeitig aber die extremistischen Auswüchse die sie selber produzieren und die ihre Macht gefährden, per Lippenbekenntnis verurteilt (aber auch unterstützt, man schadet ja auch den Feinden). Ein Teufelskreis, aber mit eine der Hauptursachen warum diese Länder im Zustand sind in dem sie sind. Diese Staaten exportieren ihre Ideologie auch noch, um ihre Macht auszubauen.
Hinzu kommen noch extreme Bildungsdefizite, dadurch verursacht das diese Despotien Bildung auch nicht wirklich fördern (wieso auch Bildungsbürgertum verursacht nur Probleme) und extreme wirtschaftliche Missstände in vielen Ländern, durch die Kleptokratie bedingt.(
http://www.theguardian.com/world/2011/f ... ly-fortune)
Die eigentliche Frage ist doch, wie würde der Islam sich in einem demokratischen Umfeld entwickeln, in dem er nicht die letzte Bastion gegen die Despotie ist, sondern sich
inneren Konflikten und Debatten stellen muss?
Islamisten haben das so beantwortet: Wirkliche Demokratie muss mit allen Mitteln verhindert werden, denn sie bedeutet das Ende des Fundamentalismus.
Dementsprechend sieht ihr Urteil über Demkratie und die Türkei so aus:
This form of “unbelief” persuades the people that they are in charge of their destiny and that, using their collective reasoning, they can shape policies and pass laws as they see fit. That leads them into ignoring the “unalterable laws” promulgated by God for the whole of mankind, and codified in the Islamic shariah (jurisprudence) until the end of time.
(...)
The goal of democracy, according to Al-Ayyeri, is to “make Muslims love this world, forget the next world and abandon jihad.” If established in any Muslim country for a reasonably long time, democracy could lead to economic prosperity, which, in turn, would make Muslims “reluctant to die in martyrdom” in defense of their faith.
He says that it is vital to prevent any normalization and stabilization in Iraq. Muslim militants should make sure that the United States does not succeed in holding elections in Iraq and creating a democratic government. “If democracy comes to Iraq, the next target [for democratization] would be the whole of the Muslim world,” Al-Ayyeri writes.
The al Qaeda ideologist claims that the only Muslim country already affected by “the beginning of democratization” and thus in “mortal danger” is Turkey.
“Do we want what happened in Turkey to happen to all Muslim countries?” he asks. “Do we want Muslims to refuse taking part in jihad and submit to secularism, which is a Zionist-Crusader concoction?”
(...)
Al-Ayyeri says Iraq would become the graveyard of secular democracy, just as Afghanistan became the graveyard of communism. The idea is that the Americans, faced with mounting casualties in Iraq, will “just run away,” as did the Soviets in Afghanistan. This is because the Americans love this world and are concerned about nothing but their own comfort, while Muslims dream of the pleasures that martyrdom offers in paradise.
Basschihan » Di 10. Feb 2015, 00:07 hat geschrieben:
Als Vorreiter steht hier wohl die Türkei. Sie erhebt den Anspruch laizistisch zu sein, und ist mit der westlichen Kultur am ehesten zu vergleichen. Aber auch sie hat unaufhörlich mit mehr oder weniger islamistischen Unterwanderungen zu kämpfen... auch wenn der genaue Sachverhalt komplexer sein mag (
http://www.hsfk.de/downloads/report0107.pdf). Außerdem beachte man mal diese Zahl: in der Türkei sind 99% der Menschen muslimisch. In welcher freiheitlichen Gesellschaft, entscheidet sich denn beinahe jedes Mitglied für denselben Glauben? Wie kann sich denn jeder humanistisch aufgeklärte Mensch für dieselbe Religionsform begeistern?
Das hat für die Türkei verschiedene Gründe. Es gab die Verbrechen an den Armeniern, es gab den Bevölkerungsaustausch mit den Griechen etc. pp.
Aus demselben Grund warum die Türkei zu 99% islamisch ist, ist Griechenland zu 97% orthodox. Beide hatten früher signifikante Minderheiten der anderen Religion.
Die Türkei ist auch nicht wirklich laizistisch. Sie hat ein staatliches Amt für Religion, das widerspricht der Idee von Laizismus diametral. (Das Amt wurde von Atatürk eingeführt)
In der Türkei ist die Entwicklung auch und vor allem mit dem desaströsen Versagen der alten Elite zu begründen. 8% der Türken sind für die Scharia, den Rest interessiert die Religion nur dann, wenn ein Politiker ihnen Brot auf den Tisch und wirtschaftlichen Aufschwung bringt. Und danach wählen sie.
Das ist im Moment Erdogan. Die alte kemalistische Elite hat die Türkei vor allem als reinen Selbstbedienungsladen gesehen, in dem man keine Rechenschaft ablegen muss. Gäbe es Kemalisten die eine Vision haben und auch performen, dann hätten diese gute Chancen auch zu gewinnen. Momentan gibt es die aber nicht. Das ist also nicht die Frage der Religion.
Basschihan » Di 10. Feb 2015, 00:07 hat geschrieben:
Und nochmal. Die muslimische Religion ist tatsächlich am ehesten von allen Religionen mit der christlichen zu vergleichen. Diese beiden waren sich zumindest bis vor etwa 300 Jahren sehr ähnlich. Bis wir (plus Vorläufer) mit einem Paukenschlag und und seitdem unaufhörlich begannen christliche Ideologien zu zermürben. Das gelebte Christentum hat mittlerweile einen deutlichen Säkularisierungsvorsprung zum Islam. Kaum ein Christ beruft sich noch auf Jesus, wenn er nach seiner eigenen Meinung gefragt wird. Der westliche Islam befindet sich heute in einer Welt, die abseits seiner Sphären erstritten wurde. Er selbst kennt die Macht der Kritik bisher nur oberflächlich - quasi nur aus Geschichten - dabei ist die Kritik doch unsere eigentliche gesellschaftliche Errungenschaft, auf der die anderen erst folgten. Nimmt ein Muslim den Islam von einer Kultur der Kritik aus, so grenzt er sich meiner Meinung nach zwangsläufig auch von aufklärerischen Werten ab.
Bin ich vollkommen deiner Meinung. Und die Kritik muss fortgeführt und intensiviert werden. Es müssen Debatten und Diskurse angeleiert werden die sich gewaschen haben. Die Pforten des Ijtihad müssen sich wieder öffnen, es muss diskutiert und in Frage gestellt werden bis es weh tut.
Wenn du noch ein bisschen Zeit zu lesen hast und Englisch kannst, dann das hier:
What non-Muslims (and Muslims) need to know about Islam
http://www.egyptindependent.com/opinion ... bout-islam
Wir sollten zwei Dinge tun. Aufhören die zu unterstützen, die den Islam der uns und die Freiheit bedroht geschaffen haben und wir sollten uns nicht davon einschüchtern lassen und den offenen, verbalen Streit über fragwürdige Dinge suchen, inklusive Karrikaturen.