Astrocreep2000 hat geschrieben:(19 Nov 2021, 20:26)
Das nahm ich anders wahr, denn man hat sich schon von Anfang an auf Zahlen berufen - allerdings änderten sich die Kriterien ständig: Reihum wurden Reproduktionszahl, Inzidenzzahl, Infektionen pro Tag, Hospitalisierungsrate etc. als "alleinige Wahrheit" propagiert, nach dem sich dann Entscheidungen und Maßnahmen auszurichten hatten. Zumindest für eine gewisse Zeit. (Nicht falsch verstehen: Das geht ja auch gar nicht anders, solange man eine Dynamik erlebt, aber eben nicht weiss, was sie bedingt.)
Ja, man hat anfangs schon versucht, gewisses Basiswissen in die Bevölkerung zu bringen - sicherlich nicht ohne Erfolg. Rt, exponentielles Wachstum, Inzidenz - das alles ist vielen ein Begriff geworden. Die Krux ist aber, dass uns das viel weniger bringt als man denkt, wenn der Dateninput nicht gut ist. Dazu sagt man dann "Garbage in - garbage out". Man kann es sich so vorstellen: In meine Küche habe ich den besten und virtuosesten Koch der Welt eingeladen. Er soll heute Abend uns beiden ein wunderbares Mahl auf den Tisch zaubern. Leider hat er von mir als Zutaten aber nur zwei Wochen altes schimmeliges Fleisch und eine bereits leicht grünlich anlaufende Flasche Milch bekommen. Selbst der beste Koch der Welt kann hieraus keinen Gaumenschaus mehr zaubern. Und so ist es eben auch mit der Datenerhebung. Die muss sauber sein. Wenn man dort richtig Mist baut, ist das so, als würde man bei einem Hausbau am Fundament sparen.
Und das ist übrigens auch ein Grund dafür, warum viele so leicht fordern können, man solle den Indikator wechseln und beispielsweise die Hospitalisierungsrate verwenden, obwohl diese langsamer ist und der Inzidenz hinterläuft. Genau dieses "switchen" der Indikatoren lässt sich nur deshalb so leicht vertreten, weil die Inzidenz einen statistischen Geburtsfehler hat, der bis heute nicht korrigiert wurde. Dieser Fehler hat auch Querdenkern und rechtspopulistischen Politikern in die Hände gespielt, die tatsächlich nicht völlig zu unrecht anmerken, dass Testungen und positive Befunde voneinander abhängen. Das sollten sie aber nicht. In einem vernünftigen (probabilistischen) Stichprobenprozess muss die Inclusion probablity eines Elements n in der Population N von entscheidender Bedeutung sein, damit ich mit vernünftigen, unverzerrten Schätzern und angemessenen Konfidenzintervallen arbeiten kann. Ich habe dazu selbst geforscht und kann dir sagen, dass die Datenqualität hier ziemlich schnell brachial abnimmt, wenn die Ziehung eines Elements nicht mehr probabilistisch ist, sondern von (meist unbekannten) Drittvariablen beeinflusst wird.
Astrocreep2000 hat geschrieben:(19 Nov 2021, 20:26)
Ich muss fairerweise fragen: Ist Dir ein Land, wo man das besser gemacht hat? Zumindest oberflächlich betrachtet scheint das nicht der Fall zu sein, denn erfahrungsgemäß stehen immer die Länder, die gerade als Positivbeispiel angeführt werden, wenige Wochen/Monate später wieder im negativen Brennpunkt ... Den "Königsweg" scheint niemand zu kennen - oder eben nur theoretisch.
Sören hatte ja Südkorea angesprochen. Auch Taiwan ist mir positiv in Erinnerung geblieben und war auch eines der ersten Länder, dass reagiert hat (bereits 2019 - sicherlich auch, da man dort den "großen Bruder" China etwas besser kennt...). Und im UK gibt es immerhin eine vernünftige Datenerhebung.
Astrocreep2000 hat geschrieben:(19 Nov 2021, 20:26)
Selbst, wenn wir "valide Zahlen" haben, lassen sie noch eine Menge Interpretationsspielraum zu und nicht jeder leitet dieselben Erkenntnisse daraus ab.
Das ist richtig, Die normative Seite von "nackten Zahlen" will ich auch niemandem aufzwingen - da verlassen wir den Bereich der Empirie und betreten den Bereich der Meinung. Für den einen ist es wenig, wenn er in einem von 1000 Fällen sterben könnte, für den anderen viel. Da unterschiedlicher Meinung zu sein ist für mich völlig in Ordnung. Aber um überhaupt diskutieren zu können wäre es schon gut zu wissen, wie die Fakten überhaupt aussehen. Sonst diskutieren wir nur über Vorstellungen, die in der Realität gar nicht zutreffen mögen.