NicMan hat geschrieben:(06 Nov 2021, 20:27)
Prinzipiell wurden die Maßnahmen ja im wesentlichen eingeführt, um die Überlastung des Gesundheitssystems (welches hauptsächlich durch die Risiken von Älteren und vorerkrankten resultiert ) zu verhindern. Das war ja auch richtig so, und dafür habe ich hier im Forum schon im Februar 2020 getrommelt, als diejenigen, welche auf die Gefahr von Covid-19 für unsere kritische Infrastruktur hinwiesen, noch die Querdenker waren. Ein überlastetes Gesundheitssystem trifft ja schließlich auch nicht nur ältere.
Das Argument der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems hat sich allerdings erst als Kriterium etabliert, als alle anderen zuvor definierten Kriterien/aufgelegten Meßlatten nach und nach unterschritten wurden...
Das wiederum ein überlastetes Gesundheitssystem nicht nur Ältere trifft, ist klar. Aber was mich daran nach wie vor auf die Palme bringt: Dass man seitens der Politik offenbar der Meinung war
"Super, die Leute bleiben alle zu Hause, dann kommt die Impfung - und so werden wir die Krise schon überstehen", OHNE dass parallel dazu in die prekären Verhältnisse auf Intensivstationen und in der Altenpflege investiert wird.
Ich sehe hier immer noch ein massiven Widerspruch zwischen Reden und Handeln der Politik: Es wurde appeliiert, wie in einer Katastrophe nun mal appeliert wird - aber wurde gehandelt, wie in einer Katastrophe erwartbar? Vergleiche Ahr-Hochwasser: Am Tag danach gibt es Krisenstäbe VOR ORT, Feuerwehr, THW, Polizei, Bundeswehr, Leute aus den Nachbargemeinden rücken an, alle packen mit an, Spendenaktionen ohne Ende.
Das ist
aktives Handeln, um ein Problem anzugehen. Die Maßnahmen, um eine "Überlastung des Gesundheitssystems" zu vermeiden, waren lediglich
passiv: Alle bleiben möglichst Zuhause. Dann wird auch niemand krank und dann werden die Intensivstationen auch nicht überlastet. Naja, vielleicht wurden ja auch schon Gespräche mit Ahr, Mosel und Rhein geführt, sich in Zukunft zurückzuhalten... Dann könnte man beim Katastrophenschutz auch dort noch weiter sparen.
NicMan hat geschrieben:(06 Nov 2021, 20:27)
Gleichzeitig hat man sich dann in der Politik für Maßnahmen entschieden, die oftmals das schlechteste aus beiden Welten vereint haben. Man hatte massive Todeszahlen in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen bei gleichzeitig stattfindenden massiven Freiheitseinschränkungen und wirtschaftlichen Schäden.
So lautet mein Fazit seit einem Jahr - und ich bin bisher auf nichts gestoßen (worden), was meine Meinung geändert hätte.
Ich lasse aber gelten, dass die Entscheider hier vor ganz vielen Dilemmata standen und man hinterher immer klüger ist. Spahn hatte eigentlich etwas Kluges gesagt: "Wir werden uns viel zu verzeihen haben". Diese Offenheit und Ehrlichkeit in der Kommunikation blieb leider die Ausnahme. Es wurde viel instrumentalisiert, gesteuert.
NicMan hat geschrieben:(06 Nov 2021, 20:27)
Gleichzeitig hat sich meine Generation massiv eingeschränkt, um dann zu erfahren, das für jüngere in der Politik offenbar ganz andere Standards gelten. Aus Sicht meiner Generation, in der einzelne Menschen teils ihr Studium abbrechen mussten, ihre Aushilfsjobs verloren haben oder monatelang alleine im ersten Semester in fremden Städten auf 18 Quadratmetern gelebt haben, für die ist es frustrierend wenn man sich die Prämisse des "Schutz der Alten" ansieht - und das gleichzeitige Resultat. Da mag die Prämisse dann ein Lippenbekenntnis gewesen sein - aber viele junge Menschen haben für genau diese Prämisse viele Opfer gebracht.
"Lippenbekenntnis" meint ja gerade: Aussage ohne Wert, dem Reden folgt kein Handeln.
Ich (Ende 40) sehe das genauso wie Du: Die Kinder und Jugendlichen (auch Studierende) haben eine enorme (aber eben für junge, "unverdorbene" Gehirne logsiche ...) Solidarität* gezeigt. Sie haben verstanden, dass es nicht um sie geht, sondern darum "Oma und Opa" zu schützen. Das haben so schon Grundschulkinder verstanden und formulieren können.
Dennoch sind es diese Gruppen, die jetzt wieder drohen, hinten runter zu fallen. Eine Covid-Erkrankung stellt für Kinder und Jugendliche ein absolut zu vernachlässigendes Gesundheitsrisiko dar - und sie können auch nichts dafür und haben da keinerlei Handhabe, wenn sich die Personengruppen in ihrem Umfeld, die sie - theoretisch - "bedrohen", nicht impfen lassen.
Trotzdem werden jetzt offenbar drohende Schulschließungen/Homeschooling zum Druckmittel auf Impfmuffel instrumentalisiert - auf Kosten der jungen Menschen, die ohne schon seit knapp 2 Jahren hinten anstehen - obwohl sie eben selbst gar nicht nennenswert bedroht sind.
Aber klar: Schau Dir die Demografie an und leite davon ab, für wen in diesem Land priorisiert Politik gemacht wird. Ich finde es schlimm, dass die jungen Menschen zahlen sollen für die Impfgegner einerseits - aber eben auch für die Versäumnisse der Politik und Entscheider im Gesundheitswesen, die dortigen - von der Pandemie völlig unabhängigen, durch sie aber eben massiv verstärkten - Probleme anzugehen.
Nein, tun wir nicht. Ist ja auch mal ganz schön ;-)
* "Aus Solidarität zu handeln", ist übrigens eine Karte, die seitens der "offiziellen Kommunikation" meiner Meinung nach nicht gut gespielt wurde - obwohl man gerade bei den am geringsten von Covid-19 Bedrohten sieht, dass es funktioniert. Stattdessen wurde eine Regelrechte "Todesangst" quer durch die Bevölkerung eingepflanzt, um das gewünschte Verhalten zu erzielen. Ein Teil dieser Leute schaut sich dann aber Zahlen an und sieht: Hm, ich bin aufgrund Alter, Vefassung etc. gar nicht bedroht - so what? Dann das Narrativ "keiner ist sicher vor einem schweren Verlauf, mindestens Long Covid" noch in "Solidarität für andere" umzuwandeln, scheint dann nur noch schwer möglich.
Das "Wir-Gefühl"/Solidarität wurde durch die Kommunikation in der Krise nicht gefördert, stattdessen "Angst". Angst führt aber dazu, das "Ich" in den Vordergrund zu stellen. Beim Impfen setzen dann aber plötzlich alle auf ein "Wir" ... Aber wo soll das denn herkommen, wenn man 1,5 Jahre lang Isolation und Einzelkämpfertum fördert, ja zur "Überlebensfrage" macht?