Kohlhaas hat geschrieben:(31 Oct 2021, 12:16)
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in diesem Streit noch ein Kompromiss möglich ist. Das ist inzwischen zu grundsätzlich geworden und betrifft jetzt vor allem den Anspruch der PiS, dass polnisches Recht Vorrang vor EU-Recht haben solle. Das wird die EU unter keinen Umständen akzeptieren, denn das würde letztlich den Bestand der EU infrage stellen.
Diesen prinzipiellen Konflikt haben aber nicht nur die Polen, sondern beispielsweise auch Deutschland.
Dieser Konflikt ist allerdings durchaus lösbar, solange man nationales Recht beständig so anpasst, dass es gerade nicht mit EU-Recht im Konflikt steht - und umgekehrt, indem man EU-Recht so weiterentwickelt, dass es kein grundsätzliches Problem mit den nationalen Verfassungen der Mitgliedsländer gibt.
Die EU hat keine eigene Verfassung - und schon gar kein Vertragswerk, welches gleich einer Verfassung durch die Mitgliedsländer so akzeptiert ist. Insofern sind die nationalen Grundgesetze und Verfassungen erst mal da, und auch für nationale Gerichte so lange bindend, bis für die relevanten Rechtsteile, die die EU betreffen,die nationalen Verfassungen so erweitert werden, dass in diesen Punkten das EU-Recht Vorrang hat.
Bei dieser rechtlichen Bewertung muss man sich auch klar machen, dass es ja auch durchaus mal sein könnte, dass in der EU Dinge vereinbart werden, die nicht mehr mit den Grundrechten des GG vereinbar sind. Würde man beispielsweise die Finanzierungsfragen von Medien auf der Ebene der EU klären, könnte es sehr schnell zu einem Konflikt mit dem GG kommen - und ob dann eine Mehrheit sich finden würde, um das deutsche GG anzupassen, ist mehr als fraglich. Je umfassender das EU-Recht - sowohl das Explizite als auch das Implizite (also das, das durch die Weiterentwicklung des Rechts durch Entscheidungen des EuGH zustande kommt) - sich entwickelt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu Konflikten in Details mit nationalen Verfassungen kommen kann - auch deshalb, weil nationale Verfassungen immer wieder auch Teile beinhalten, die man besser nicht in den Verfassungsrang heben sollte.
Umgekehrt gilt auch: Die EU ist von Beginn an eine Meisterleistung des politischen Kompromisses. Das ist weder selbstverständlich noch auch für alle Zukunft garantiert. Aber man kann schon eine gewisse Idee haben, dass nicht gleich jede Krise die EU grundsätzlich in Frage stellen wird - es wird immer wieder kreative Leistungen geben, die neue Kompromisse ermöglichen. Die EU ist für alle Mitgliedsstaaten weitaus bedeutender, als man gemeinhin meint. Gerade auch nach dem Brexit haben doch wohl die meisten EU-Staaten erhebliche Bedenken gegen eine Auflösung der EU - solange keine attraktive Alternative vor der Tür steht. Und die ist derzeit nicht erkennbar.