NicMan hat geschrieben:(28 Oct 2021, 08:59)
Was mir tatsächlich völlig unklar scheint ist die Behauptung, ein BGE sei nicht so viel teurer als die aktuellen sozialen Sicherungssysteme. Die Wahrheit ist doch, dass die aktuellen sozialen Sicherungssysteme deshalb funktionieren, weil sie eben nicht bedingungslos von jedem in Anspruch genommen werden können, sondern sich am Bedarf orientieren. Diese Bedarfsorientierung an den Lebensumständen macht das aktuelle System auch deutlich sozialer als ein BGE, welches den tatsächlichen Bedarf in keinster Weise berücksichtigt und bei einer realistischen Höhe auch noch aktuell bedürftige benachteiligen würden.
Nehmen wir einen Single in BW mit einem Einkommen von 3.300€ monatlich in Steuerklasse 1, nicht in der Kirche und mit einem KV-Zusatzbeitrag von 1,1%. Dann bekommt dieser ein monatliches Nettoeinkommen von 2166,22€ (Steuerrechner:
https://www.brutto-netto-rechner.info/).
Auf diesen Nettobetrag kommt der Rechner, weil er 664,13€ Sozialabgaben berücksichtigt, die für KV, PV, RV und Arbeitslosenversicherung ausgegeben werden.
Auf diesen Nettobetrag kommt der Rechner auch, weil der jährliche Grundfreibetrag für die Steuerbefreiung des Existenzminimum bereits mit 9744€ je Jahr = 812€ je Monat mit verrechnet ist.
Im Brutto und damit auch im Netto fehlen die Ausweisungen der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen. Dies ist deshalb bedeutsam, weil zumindest mal die KV und die PV aber auch die RV bedeutende Anteile enthalten, die zur direkten oder indirekten Finanzierung der Existenzsicherung dienen.
Bei einem typischen BGE in Höhe der Existenzsicherung geht man von einem deutlich anderen Szenario aus:
1) Die Sozialversicherungen werden nicht mehr über den Arbeitgeber mitfinanziert (jedenfalls nicht in der gleichen Art und Weise wie heute), sondern auf eine Kopfpauschale umgestellt. Diese hat in etwa den Gegenwert von 350€ je Kopf für die KV und PV je Monat. Auch bei der RV wird strikt getrennt zwischen dem Anteil der für die Existenzsicherung notwendig ist, und dem Anteil, der für Ansprüche oberhalb des Existenzminimums notwendig sind.
2) Der soziale Ausgleich in der KV und PV, der heute durch die Famlienversicherung und durch den Umverteilungsmechanismus innerhalb dieser Versicherungen organisiert ist, wird in das Steuersystem verlagert. Die Steuerkurven werden entsprechend angepasst.
3) Die Steuerbefreiung des Existenzminimums entfällt - die ist ja auch nicht mehr notwendig, weil im Gegenzug ein BGE bezahlt wird.
Unterm Strich sieht damit der Lohnzettel für den Single deutlich anders aus - aber am Ende bekommt der Lohnempfänger einen Nettolohn und ein BGE. In Summe entspricht die Kaufkraft aus diesem Betrag ungefähr dem, was er heute auch als Kaufkraft mit seinem Nettolohn hat.
Im Detail kann und wird es Abweichungen geben - allerdings lediglich geringfügige, die vor allem dem geschuldet sind, dass in der Systematik einer BGE-Gesellschaft manche Details einfach etwas anders organisiert und betrachtet werden, als dies in der heutigen Steuer- und Sozialpolitik der Fall ist.
Auch beim heutigen Hartz IV Empfänger ändert sich an der Kaufkraft eher wenig! Denn auch der heutige Hartz IV Empfänger bekommt sein Existenzminimum finanziert - allerdings wird es in mehreren für den Betroffenen kaum transparenten Zusammenhang bezahlt. So werden 449€ im Regelsatz bezahlt, dazu aber wird auch noch die Wohnung finanziert - also deren Miete und Nebenkosten in einem Umfang, der beispielsweise für einen Single einer typischen Wohnung mit ca. 46qm entspricht. Ist die Wohnung etwas größer oder kleiner, zahlt das Amt auch das, solange es passt und nicht unverschämt wird. Das Amt zahlt aber auch die Nebenkosten - also mindestens die Heizung und einiges mehr. Tatsächlich ENTSPRECHEN die Leistungen in etwa dem, was der Steuerbefreiung des Existenzminimums im Einkommensteuerrecht entspricht. Darüber hinaus zahlt der Staat intransparent aber auch noch die Beiträge zur KV und PV, wobei da der Staat einen Kniff nutzt, und dort nur den Minimalbeitrag einzahlt. Das führt faktisch heute dazu, dass Empfänger von Hartz IV die Leistungen für die PV und KV nicht in voller Höhe über Steuereinnahmen finanziert bekommen, sondern die Finanzierung der entsprechenden Kosten in der KV und PV für die Hartz IVer werden von der Versichertengemeinschaft der gesetzlich Versicherten übernommen - die ca. 15% Privatversicherten sind fein raus und müssen sich an dieser Art der Finanzierung sozialer Leistungen nicht beteiligen.
Gerade am letzten Punkt merkst du, dass es in den heutigen Finanzierungsregelungen für sozial schwache Menschen doch den ein oder anderen Punkt gibt, der fragwürdig organisiert ist. Würde man das System der Finanzierung der Existenzsicherung auf ein BGE umstellen, wäre es natürlich absolut sinnvoll, diese fragwürdigen Baustellen gleich mit zu bereinigen!
Aber: Entscheidend ist, wenn man diese Leistungen aus Hartz IV auf ein BGE umstellt - dann entspricht das in Summe im Leistungsumfang eben gerade dem, was heute auch schon ein Hartz IV Empfänger typischerweise bekommt.
In Summe entspricht die Kaufkraft eines Hartz IV Empfängers auch in einer BGE-GEsellschaft in etwa dem, was dieser auch heute an Kaufkraft besitzt.
In der Breite gilt: Heute ist das Existenzminimum von der Wiege bis zur Bahre organisiert und finanziert. Teilweise über soziale Sicherungssysteme, teilweise über das Nettoeinkommen der Einkommensempfänger, teilweise über die Sozialversicherungen.
Mit der Umstellung auf ein BGE-System wäre dies auch nicht anders. Da wäre das Existenzminimum über das BGE finanziert - von der Wiege bis zur Bahre. Über dieses hinaus würde die Kaufkraft eines heutigen Hartz IV Empfängers dem entsprechen, was er auch dann an Kaufkraft hat - und gleiches gilt für den Bezieher eines Einkommens.
So gesehen wäre die Umstellung des heutigen Systems auf ein BGE-System bezogen auf die Kaufkraft in der Breite neutral - im Einzelfall jedoch könnte und würde es Abweichungen geben, weil man im Detail dann doch die ein oder andere Ungereimtheit des heutigen Systems gleich mit bereinigen würde.
Auch würde man einige Positionen aus Hartz IV, die heute dem Bedürftigkeitsprinzip unterliegen, pauschaliert in einen moderat höheren BGE-Satz einrechnen. Man mache sich klar, dass bei Einkommensbezieher regelmäßig die entsprechenden Ausgaben im Steuerrecht steuermindernd geltend gemacht werden können, sofern sie dort nicht schon in irgendeiner Pauschalen sowieso direkt verrechnet werden.
Bezieht man das mit ein, kann man ein BGE von irgendwo zwischen 1.200 und 1.500€ im Monat herleiten - und ersetzt damit sowohl im Steuerrecht als auch im Sozialrecht zahlreiche Positionen, die heute mit hohem Aufwand verwaltet werden.
Mit der Umstellung bereinigt man zahlreiche Ungereimtheiten im heutigen Steuer- und Sozialrecht und pauschaliert an einigen wenigen Stellen, wenn dies praktisch ist.
Was sich dadurch nicht grundlegend ändert ist die Kaufkraft, die die Menschen in der BRD in den unterschiedlichsten Gruppen haben. Im Detail wird es bei dem einen mal ein wenig mehr sein als heute, dafür bei anderen auch mal ein wenig weniger. Wir reden hier aber nicht über dramatische Verschiebungen, sondern über sinnvolle Verschiebungen, die man eigentlich auch heute schon machen sollte - die aber der Gesetzgeber bisher nicht vorgenommen hat.
Selbst wenn in der Folge für eine Familie mit 3 Kindern die sagenhafte Zahl von beispielsweise 1200*5 = 6000€ im Monat als Grundeinkommen ausgewiesen würde - die tatsächliche Kaufkraft dieser Familie wäre nicht wirklich höher als die Kaufkraft einer reinen Hartz IV Familie mit 3 Kindern unter heutigen Bedingungen. Sie müssten von den 6000€ im Monat beispielsweise ca. 1750€ allein schon für die KV und PV abdrücken. Dann noch die Kosten für die Vorsorge der Existenzsicherung im Alter, die Kosten für den Wohnraum und die vollen Kosten für Nahrung etc. für alle Beteiligten! Unterm Strich wäre die Kaufkraft trotz der scheinbar zunächst großen Summen nicht anders als heute.
Man kann dann die Frage stellen: Wenn nichts anders ist als heute - warum sollte man es dann machen?
Im großen und ganzen und auf einer hohen Flugebene stimmt es, dass nichts anders wäre als heute. Im Detail aber wäre schon das ein oder andere anders - und diese Details wären es wert.
Als ein kleines Beispiel habe ich schon genannt, dass sich heute Privatversicherte faktisch nicht an der Gegenfinanzierung der KV und der PV von Hartz IV Empfängern beteiligen - was fragwürdig ist, weil das eigentlich eine zu finanzierende Leistung ist, die aus dem Steueraufkommen finanziert werden sollte. Auch würde man etwas mehr als heute bei den staatlichen Leistungen pauschalieren - insbesondere dann, wenn die Bedürftigkeitsprüfung von heute teurer ist, als die Einsparungen, die man heute durch die Bedürftigkeitsprüfung erreicht. Sicher lohnen würde auch ein Blick in die Details dessen, wo heute bei Hartz IV viel Unmut entsteht - also beim finanziellen Aufwand von Bedarfsgemeinschaften. Hier mischt sich heute der Staat in privateste Verhältnisse ein, was den Staat eigentlich nichts angeht. Umgekehrt pauschaliert der Staat genau diese Thematik im Steuerrecht über eine Pauschale weg - was den einen mal zu kurz kommen lässt, während der andere davon profitiert. Warum dieser Mischmasch - im Steuerrecht werden die gleichen Thematiken im Detail anders behandelt als im Sozialversicherungsrecht - und das obwohl es sich in beiden Fällen um dieselben Sachtatbestände handelt. Es geht immer darum, wie und in welcher Höhe und in welchem Umfang wird das Existenzminimum finanziert.
Experten schätzen, dass bei einer reinen systematischen Umstellung der Finanzierung des Existenzminimums sowohl im Steuerrecht als auch im Sozialrecht die Mehrkosten im niedrigen zweistelligen Bereich liegen würden - also so zwischen 10 und 20 Mrd. EUR jährlich bezogen auf den Gesamtstaatshaushalt von 1,3 Billionen EUR. Im Gegenzug würden wir dafür ein Gesamtsystem erhalten, welches deutlich transparenter und nachvollziehbarer organisiert wäre - und welches dann auch einfacher zu finanzieren wäre, weil man auf vielerlei Prüfungen verzichten könnte. Darüber hinaus würden zahlreiche heute geführten Rechtsstreitigkeiten durch eine moderat stärkere Pauschalierung vermieden werden können. Durch diese Einsparungen könnte es gelingen, dass die Mehrkosten für ein solches BGE auf Existenzsicherungsniveau kostenneutral oder mit einem niedrigen Mehraufwand zu finanzieren ist.
Man darf sich von heutigen Strukturen nicht blenden lassen - auch heute kostet die Existenzsicherung bei Hartz-IV-Empfängern mehr als die 449€ Pauschale je Monat....nur sieht den tatsächlichen Bedarf heute niemand. Das verwirrt immer wieder - unterm Strich bleibt die Umstellung auf Existenzsicherungsniveau fast kostenneutral - und trotzdem wäre sie revolutionär, weil sie Sicherheit bringt, weil sie Klarheit und Transparenz bringt, und weil viele Finanzierungsfragestellungen, die heute fragwürdig sind, dann stringent organisiert wären.
Reich würde dennoch keiner, der sich in einem solchen Umfeld rein auf das BGE finanzieren lässt. Und auch arm würde niemand in einer solchen Gesellschaft! Finanziell bezüglich der Kaufkraft wäre zumindest bei einem Start das meiste sehr ähnlich zu dem, was wir heute schon kennen.
Der Rest sind
Die meisten hier und an anderen Orten, die so vehement das BGE scheinbar ablehnen, sind
Von diesen Nebelkerzen darf man sich nicht blenden lassen - es lohnt mehr, selbst nachzurechnen.