Atue001 hat geschrieben:(17 Oct 2021, 21:06)
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...Eine finale Lösung wäre eine EU-Verfassung, über die die Bürger dann auch abstimmen. Nur - der Weg war nicht in allen Ländern machbar, die man bei der geplanten EU-Verfassung mitnehmen wollte. Insofern ist das Problem nicht nur ein polnisches, sondern ein wesentlich umfassenderes.
Das hat man ja auch versucht mit dem Vertrag von Lissabon. Der war durchaus als Grundlage einer EU-Verfassung aufgebaut. Da nur in Irland, den Niederlanden und in Frankreich in solchen Dingen Volksabstimmungen erforderlich sind, wurden sie dort auch durchgeführt... und sie sind gescheitert. Die Bundeskanzlerin hat seinerzeit dann große Anstrengungen gemacht, aus dem Verfassungsentwurf einen weniger bedeutenden Vertragsentwurf zu machen, der dann nach langen Debatten in der EU rechtskräftig verabschiedet wurde... auch von Briten und Polen.
Der gilt, den haben alle Mitgliedsstaaten ausnahmslos unterschrieben, auch die Briten und Polen als neu eintretende Mitglieder. Die Briten haben mit vielen Lügenmärchen ihr Wahlvolk davon überzeugen können, daß die EU kein guter Ort für Briten ist... und geradlinig, wie sie nun einmal sind, haben sie den Austritt aus der EU mit ihren parlamentarischen Mitteln durchgesetzt. Schade, aber erst einmal einige Jahrzehnte lang nicht zu ändern.
Polen hatte das Glück, daß der europaskeptischen Regierung Lech Kaczyński eine sehr europafreundliche Regierung Donald Tusk / Ewa Kopacz folgte, die die Zusammenarbeit Polens mit den westlichen Partnern sehr förderte. Diese Zugewandtheit zum europäischen Projekt ist auch nach 6 Jahren mit einer PiS-Regierung und ihren erwartbaren Stänkereien gegen die EU und auch gegen Deutschland mehrheitlich unverändert erhalten geblieben.
Die national-klerikale PiS-Regierung hat es also ungleich schwerer als die konservative britische Regierung, ihre Wähler davon zu überzeugen, daß der Rückmarsch in die alte Nationalstaatlichkeit das Glück der Polen bedeuten wird. Sie vollführt deshalb eine Schaukelpolitik... vielleicht in der Annahme, daß der EU der Geduldsfaden reißen könnte. Und was tut die EU? Sie ruft die allseits vertraglich anerkannte Schiedsstelle EuGH an und bittet um Entscheidungen in an den Haaren herbeigezogenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen und tatsächlichen Vertragsbrüchen. Nun werden Urteile folgen, die niemandem wirklich Freude bereiten können, aber wenigstens keine sinnlos gewordenen EU-Mittel mehr in Richtung Polen und Ungarn fließen lassen werden.
Und dann wird man sehen, was zänkischen Politikern Polens und Ungarns dazu einfallen wird. Entweder vernünftig einlenken, oder sie zünden die nächste Stufe, die diese Partner von Wohltaten der EU abschneidet. Das hat Folgen auch für den EU-Binnenmarkt, der unter sehr wichtiger Beteiligung polnischer und ungarischer Mitarbeiter und Fachkräfte aufgeblüht ist. Der Schengenraum lebt ja schließlich von reibungsloser grenzüberschreitender Zusammenarbeit und nicht von Rechtsstreitigkeiten und rückwärtsgewandtem politischem Gestänkere. Will sagen, nach Zündung der ersten Stufe werden sich die Marktteilnehmer im Binnenmarkt auf zusammenbrechende Lieferketten und Märkte systematisch vor zu bereiten haben, damit sie die zweite Stufe nicht so kalt erwischt wie die Briten in den BREXIT-Nachwehen.
Natürlich sollte die EU eine gemeinsame Verfassung haben. Allerdings und bitte, bitte, eine Verfassung, die aus dem planmäßigen inneren Austausch zwischen den Partnern in der Union gewachsen ist, und die erst danach rechtlich geordnet aufbereitet werden sollte... immer wieder mit Volksbefragung der Partner... meinetwegen ein Prozeß, der Jahrzehnte dauern darf, bis er den Vertrag von Lissabon ersetzt. Der funktioniert schließlich ganz ordentlich... Eile und hoher Blutdruck sind überhaupt nicht geboten!