Sören74 hat geschrieben:(22 Jan 2021, 01:30)
Mal so gefragt, welche Art von Argumentation würde Dich denn überzeugen?
Beispielsweise hätte mich überzeugt, wenn die Anzahl der Bestellungen deutlich unterhalb dessen gewesen wäre, was man an Impfstoff benötigt. Das ist aber nicht der Fall. Die Anzahl der Bestellungen und die Anzahl der zusätzlichen Optionen sind so umfangreich, dass man die EU-Bürger alle ohne Ausnahme impfen kann, und dann noch jede Menge Impfstoff übrig hat.
Sorry, aber wenn Du die Relevanz des Faktors Zeit beim Thema Impfen anzweifelst, dann zweifelst Du damit auch die Wirksamkeit des Impfens generell an. Denn es sollte doch nachvollziehbar sein, dass nur das Impfen uns generell aus dem ganzen Schlamassel herausbringt und wir ohne Impfstoff warten müssten, bis sich durch natürliche Infektionen eine Art Herdenimmunität einstellt. Mit all den entsprechenden Todeszahlen, die sich aus der Infektionssterblichkeit ergibt. Also haben wir den Unterschied, dass sich die Immunität durch eine Impfung ergibt oder durch Infektion. Mit Impfung retten wir aber Leben. Viele Leben. Und daraus ergibt sich, je früher man viele Risikopatienten impfen kann, umso mehr Menschen rettet man das Leben. Das ist einfache Mathematik.
Dann hast du das mit der Herdenimmunität noch nicht verstanden. Es macht keinen großen Unterschied, ob du nach 3 Wochen, 3 Monaten oder 3 Jahren bei 40% liegst - es ist vielmehr ziemlich relevant, wann du bei 60%, 70% und mehr liegst.
Im Moment erreichen wir noch nicht mal im Vorreiterstaat Israel eine Durchimpfung, die wirklich relevant wäre - was man auch daran erkennt, dass deren Gesundheitssystem noch immer dramatisch unter Stress steht.
Für Europa bedeutet das: Selbst wenn der derzeit begrenzende Faktor noch die Verfügbarkeit des Impfstoffes ist, wird sich dies absehbar und zumindest mal für Europa binnen weniger Wochen so verändern, dass danach der begrenzende Faktor nur noch die Impfgeschwindigkeit ist. Dass es jetzt am Anfang ein wenig schwierig ist, ist für die Todesraten wenig relevant - und mit Massenimpfungen kann man auch ein paar Wochen Verzögerungen am Anfang schnell aufholen. Auch das ist Mathematik - allerdings eine etwas andere, als wenn man einfach durchzählt, dass ein begrenzter Impfstoff nicht bei Person A verfügbar ist, und ignoriert, dass dann damit Person B geimpft wurde.
Das kann man auch nur behaupten, wenn man das oben geschriebene vollkommen ignoriert.
Na ja - wenn man die Begrenzung des verfügbaren Impfstoffes ignoriert, kann man sich beliebig massiv durchimpft rechnen. Das hilft halt nur in der Praxis wenig.
Tatsächlich fehlt mir auch in deiner Sichtweise jede realistische Bewertung der Effizienz von Maßnahmen. Auch das ist einfache Mathematik. Heute wurde gerade erst wieder mal vorgerechnet, dass man mit einer durchaus realstischen Erhöhung der Home-Office-Rate die Todesrate um 10-12% absenken kann. Wie einfach ist eine solche Maßnahme, gegenüber dem, dass man nicht vorhandenen Impfstoff unbedingt ganz furchtbar schnell verimpfen will - einer Maßnahme, die die Todesraten aber erst dann relevant senken wird, wenn zumindest mal die Risikogruppe im wesentlichen mit zwei Impfdosen durchimpft ist. Welche einfache Maßnahme - das wäre noch nicht einmal wirklich eine Verschärfung des Lockdowns - die betroffenen Unternehmen und Behörden können dies meist umsetzen, einfach nur, indem sie Bedenken gegen Mißbrauch durch Arbeitnehmer mal hinten an stellen. Dem gegenüber ist das aus dem Boden stampfen einer neuen Produktionsstätte für Impfstoffe ein Mammutprojekt!
Und damit lieferst Du uns noch einen Widerspruch dazu. Wenn der Zeitpunkt der Impfung nur wenig relevant ist, warum soll dann die Impfmenge von Bedeutung sein?
Du musst schon das Argument in Gänze erfassen - der Startzeitpunkt der ersten Impfungen ist ziemlich irrelevant - relevant ist hingegen durchaus, bis wann ausreichend viele Menschen durchimpft sind. Da die Anzahl an Impfungen aber derzeit vor allem an fehlenden Impfstoffmengen scheitern, wir aber die Impfstoffmengen in den nächsten Wochen zunehmend besser in den Griff bekommen werden, wird die Anzahl der Impfungen zunehmend gesteigert werden.
Beispiele für Steigerungspotential:
Mit der Zulassung von einfach handhabbaren Impfstoffen kann die Impfung über die Arztpraxen erfolgen - das ist ein Wahnsinnsmultiplikator für die Impfmöglichkeiten. Das geht mit dem Biontech-Impfstoff so halt einfach nicht. Und auch der Impfstoff von Moderna, der ein wenig leichter in der Handhabung ist, lässt Massenimpfungen eine große logistische Herausforderungen sein.
Für das Endedatum der Erreichung einer relevanten Herdenimmunität ist aber weit weniger relevant, ob wir am Anfang ein paar Wochen schneller oder weniger schnell sind, vielmehr ist relevant, dass dann ausreichend Impfstoff verfügbar sein muss, und dann die Logistik dazu effizient funktioniert.
Die EU hat derzeit erst zwei Impfstoffe zugelassen, die deutlich schwieriger in der Handhabung sind. Diese Impfstoffe effizient einzusetzen ist derzeit das Ziel - weshalb man vor allem die Risikogruppen zuerst impft, und dabei zuerst die schwierigen Pflegeheime und ähnliche Einrichtungen versorgt. Das klappt halbwegs gut - auch wenn da Steigerungsmöglichkeiten wären.
Ja, der Effekt wäre größer. ABER das macht einen politischen Fehler nicht ungeschehen. Wenn man Dir 10.000 Euro stiehlt, dann ist es trotzdem eine Straftat, wenn ich Dir 2.000 Euro zusätzlich wegnehme. Da hilft auch nicht das Argument, dass Du hättest besser auf Deine 10.000 Euro aufpassen müssen, dann hättest Du jetzt trotz meines Diebstahls mehr Geld. Auch EU-Kommissare und hohe Beamte sind ihrer Organisation und damit den Menschen verpflichtet, Schaden von ihnen abzuwenden. Auch wenn durch den Virus ein größerer Schaden entstanden ist.
Bisher habe ich noch keinen Nachweis gesehen, dass ein EU-Kommissar eine Straftat begangen hätte. Allenfalls haben einige der Bürokratie Schwerpunkte gesetzt, die man hätte anders setzen können und sollen. Das ist sicher nicht gut - und das kann darf und soll man auch kritisieren - eventuell kann so etwas auch mal personelle Konsequenzen haben. Nur - schneller geimpft ist damit auch niemand.
Sowohl die Effizienz als auch die Effektivität könnte man aber derzeit sehr leicht und sehr individuell steigern, wenn man schlicht und einfach die Ratschläge der Virologen konsequent umsetzen würde. Das passiert aber nicht - da ist nur der Schuldige schwerer zu greifen, weshalb man dort erst gar nicht ansetzt.
Ob die EU und die Länder und deren Bürokratie versagen oder doch nicht - entscheidet sich nicht in diesen Tagen - das werden wir im späten Frühjahr wissen. Davor hilft wildes anklagen genau genommen niemandem.