Atue001 hat geschrieben:(10 Jan 2021, 17:37)
Bitte rechne doch mal vor, wie du auf die These kommst, dass uns dieses "Versagen" zig Menschenlegen pro Tag kostet.
Ich glaube nicht, dass man Stand heute eine präzise Rechnung anstellen kann. Das heißt aber nicht, dass man nicht seriös sagen könnte, dass die Verzögerung bei der Impfung sehr viele Menschenleben in Deutschland kosten wird; deswegen habe ich ja auch von "zig" Menschenleben geschrieben.
Warum wird denn überhaupt geimpft? Es geht doch letztlich darum, schwere Verläufe und Todesfälle zu vermeiden. Deswegen verstehe ich gar nicht, wie man nun plötzlich bezweifeln kann, dass die Impfung keinen Effekt auf die Sterberate haben wird.
Bei der momentanen Sterberate kann doch auch jeder selbst grob abschätzen, wie viele Menschenleben durch eine frühere Impfung hätten gerettet werden können. Derzeit wären das zehntausende Menschenleben pro verlorenen Monat. Es kann natürlich sein, dass die Sterberate auch ohne Impfung im Frühjahr würde abgenommen haben; genauso wäre aber auch das Gegenteil denkbar, beispielsweise aufgrund der neuen Virusmutation, die für eine noch schnellere Verbreitung sorgen könnte.
In anderen Ländern läuft es auch nicht unbedingt optimal, auch in den Ländern, in denen ich mich normalerweise aufhalte und deren politisches System ich sehr schätze. Trotzdem hätte ich von Deutschland mehr erwartet; ich habe das Gefühl, dass der Fokus der Politik wo ganz anders lag. Man gefiel sich in immer härteren Lockdowns und Katastrophenrhetorik; man gefiel sich als Sozialamt der EU, das den Italienern großzügig Geld zuschusterte, das nun eher auf sinnlose Art und Weise ausgegeben wird.
Eine Impfaktion wie die eben angelaufene ist logistisch eine große Herausforderung, und häufig bestimmt das schwächste Kettenglied die Geschwindigkeit des Ganzen. Offenbar hat man in Deutschland gleich mehrfach versagt, so dass sich jeder wird herausreden können: Seht, unser Impfzentrum ist bereit - wir können nur deswegen nicht impfen, weil kein Impfstoff da ist. Oder: Seht, der Impfstoff ist da - es kann nur nicht geimpft werden, weil die Verteilung des Impfstoffes nicht funktioniert oder weil die Impfzentren nicht bereit sind.
Hier hätte man eben die gesamte Kette von Abläufen durchorganisieren müssen - und es hätte dafür auch jemand in Verantwortung stehen müssen, der sich dann nicht auf die eine oder andere Weise hätte herausreden können.
Auf jeden Fall fand ich bedenklich, dass ein so zurückhaltender Wissenschaftler wie Ugur Sahin öffentlich seine Verwunderung äußerte, dass Deutschland nicht mehr Impfstoff bestellen wollte. Das zeigt mir, dass ein Teil des Versagens schon in der frühzeitigen Bestellung lag. Im übrigen hätte man, wenn man die Pandemie als Katastrophe verstanden hätte, auch die Produktion des Impfstoffes beschleunigen können - zwar nicht unendlich, doch aber deutlich. Dazu wären aber staatliche Eingriffe und Zusicherungen notwendig gewesen. Wenn man betrachtet, was die Pandemie uns wöchentlich an menschlichem Leid, an Grundrechtseingriffen und ökonomisch kostet, wäre solch ein Vorgehen mehr als berechtigt gewesen.