Selina hat geschrieben:(15 Jan 2021, 16:21)
Hmm, schaue ich mir diese Begriffserklärung an, kann ich erst einmal nichts Schlechtes daran finden. In Deutschland ist mir der Begriff noch nicht begegnet.
Als woke werden Menschen bezeichnet, denen Ungerechtigkeiten und Formen von Ungleichheit und Unterdrückung bewusst seien, die auf Minderheiten lasteten, von Rassismus bis Sexismus, einschließlich Umweltbelangen, und die sich im Allgemeinen eines intersektionalen Vokabulars bedienen. Der Begriff wird nicht nur mit antirassistischem, feministischem und LGBT-Aktivismus in Verbindung gebracht, sondern auch mit progressiver linker Politik und Reflexionen über die kulturellen Probleme der Gesellschaft. Die Black-Lives-Matter-Bewegung griff ihn ab 2014 auf und rückte ihn verstärkt in öffentliche Bewusstsein.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wokeness
Ach, du kannst daran nichts Schlechtes finden? Klar, wenn man nicht auf Methoden, sondern nur auf Ziele schaut, dann ist immer alles supi. Aber eben an den Methoden kann man sie erkennen - das Ziel ist auswechselbar.
In der Welt gibt es einen wunderbaren Beitrag der neu hinzugekommenen Redakteurin Bari Weiss. Sie hat bei der New York Times gekündigt weil die Redaktion dort mittlerweile vom allgemein in Amerika grassierenden linken Illiberalismus erfasst wurde - ein Effekt der Wokeness.
Hier ein paar Auszüge aus dem Bezahlartikel:
BARI WEISS
Botschaften aus einer totalitären Gesellschaft
„Überzeugung wird durch öffentliches Bloßstellen ersetzt, Pluralismus durch Konformismus“, schreibt die ehemalige „New York Times“-Journalistin Bari Weiss
Von der „New York Times“ zur WELT: Autorin Bari Weiss
Quelle: Sam Bloom, Montage: Infografik WELT
62 Prozent der Amerikaner sagen, dass sie sich selbst zensieren. Wer im Netz nicht den richtigen Slogan teilt, dem droht die Rache der Linksaußen-Orthodoxie. Wenn wir die Freiheit erhalten wollen, müssen wir uns diesem Meinungsdruck widersetzen.
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https://www.welt.de/debatte/kommentare/ ... chaft.html
Das erinnert mich mich nebenbei an eine Studie in Deutschland, wonach sich große Teile der Bevölkerung zu bestimmten Themen nur "sehr vorsichtig" äußern. Was du meiner Erinnerung nach auch sehr begrüßt hast ...
Weiter ... (rotes Amerika = republikanisch, blaues Amerika = demokratisch)
Meine linken Freunde, die im roten Amerika leben, räumen ein, dass sie Diskussionen über Masken in der Corona-Pandemie, über die Wahlen 2020 und Donald Trump vermeiden. Ich denke hierbei an meinen Freund, den konservativen Schriftsteller David French, der vier Jahre lang eine Lawine schrecklicher Angriffe gegen sich und seine Familie erdulden musste, weil er die Trump-Regierung kritisiert hatte. Letztendlich musste sich das FBI einschalten.
Es gibt allerdings nicht nur eine, sondern zwei illiberale Kulturen. Ich weiß dies, weil ich im blauen Amerika lebe, in einer Welt voller Tragetaschen mit „National Public Radio“-Aufdruck und Rasenschildern, auf denen der feste Glaube der Hausbewohner an soziale Gerechtigkeit konstatiert wird. In meinem Amerika fürchten sich Leute nicht vor Trump-Anhängern. Sie haben Angst vor der illiberalen Linken. Und halten deswegen den Mund.
Es fürchten sich Feministinnen, die finden, dass es biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Es fürchten sich Journalisten, die es für ihre Aufgabe halten, die Wahrheit über die Welt zu sagen, auch wenn es manchen nicht passt. Es fürchten sich Ärzte, deren einziges Glaubensbekenntnis die Wissenschaft ist; Anwälte, die beim Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz keine Kompromisse eingehen, oder Professoren, die in Freiheit schreiben und forschen wollen, ohne befürchten zu müssen, dass man sie deshalb verunglimpft.
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Vor allem bestand diese Weltsicht darauf, dass uns nicht Blut oder Boden, sondern gemeinsame Werte verbanden. Trotz all seiner Mängel ist das Besondere an Amerika, dass es Vorstellungen ablehnt, die an so vielen anderen Orten immer noch vorherrschen, nämlich dass Biologie, Geburtsort, Klasse, Rang, Geschlecht und Rasse unser Schicksal bestimmen. Unsere zweiten Gründerväter, Sklavereigegner wie der afroamerikanische Schriftsteller Frederick Douglass, waren Zeugen dieser Wahrheit.
Dieser Konsens wurde von der neuen illiberalen Orthodoxie niedergewalzt. Da sie sich in die Sprache des Fortschritts hüllt, fallen verständlicherweise viele auf ihre Selbstdarstellung herein. Tun Sie es nicht! Sie verspricht revolutionäre Gerechtigkeit, aber sie droht uns zurück in eine Epoche zu ziehen, wo Stamm gegen Stamm kämpft. Diese Bewegung versteht sich nicht darin, etwas aufzubauen, zu erneuern oder zu reformieren, sondern nur darin, es abzureißen. Überzeugung wird durch öffentliches Bloßstellen ersetzt, Vergebung durch Bestrafung, Gnade durch Rache; Pluralismus wird durch Konformismus ersetzt, Debattieren durch Blockieren; Tatsachen durch Gefühle; Ideen durch Identität.
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Intentionen spielen keine Rolle
Wer im Netz nicht den richtigen Slogan teilt oder das richtige Bild online stellt, dessen Leben kann ruiniert sein. Sie denken, ich übertreibe? Tiffany Riley, die Leiterin einer öffentlichen Schule in Vermont, wurde im Herbst entlassen, weil sie kundtat, dass sie zwar die Grundidee von „Black Lives Matter“ teile, aber nicht die Methoden der Organisation „Black Lives Matter“ unterstütze. Intentionen spielen keine Rolle. Fragen Sie einfach Greg Patton. Im Herbst unterrichtete der Professor für Wirtschaftskommunikation an der University of Southern California die Studenten des Masterstudiengangs über den Gebrauch von „Füllwörtern“ wie „ähm“. In China sei das übliche Überbrückungswort „das“ beziehungsweise „dies“. Dessen Aussprache (etwa: „nèi ge“) ähnelt einem englischen Wort für eine rassistische Beleidigung.
Einige Studenten waren beleidigt und schrieben einen Brief an den Dekan der Business School, in dem sie ihren Professor der „Unachtsamkeit und Missachtung“ beschuldigten. Sie fügten hinzu: Wir sollten in der Schule „nicht gezwungen sein, für unsere innere Ruhe und unser geistiges Wohlbefinden zu kämpfen.“ Anstatt ihnen zu sagen, dass ihre Behauptungen Blödsinn waren, kapitulierte der Dekan der Fakultät vor dem Wahnsinn: „Es ist für die Fakultät einfach inakzeptabel, dass im Unterricht Worte gebraucht werden, welche ausgrenzen und die psychische Sicherheit unserer Studenten verletzen und schädigen können.“ Patton durfte den Kurs nicht weiter geben – und der zunehmend elastische Begriff „Sicherheit“ wurde erneut zu einer mächtigen Waffe.
Die Opferrolle verleiht einem in dieser Ideologie Moralität. „Ich denke, also bin ich“ wird ersetzt durch „Ich bin, also weiß ich“ und „Ich weiß, deshalb habe ich recht“. In dieser Ideologie haften Sie für die Sünden Ihres Vaters. In anderen Worten: Sie sind nicht Sie. Sie sind nur ein Avatar Ihrer Rasse oder Ihrer Religion. Und beim Rassismus geht es nicht mehr um Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe. Rassismus ist jedes System, das unterschiedliche Ergebnisse zwischen Bevölkerungsgruppen ermöglicht. Aus diesem Grund haben die Städte Seattle und San Francisco die „rassistische“ Algebra umgestaltet. Und deshalb erklärte die Smithsonian Institution im letzten Sommer, dass harte Arbeit, Individualismus und die Kernfamilie „weiße“ Merkmale sind.
In dieser totalisierenden Ideologie können Sie aufgrund Ihrer Nähe schuldig sein. Das Geschäft eines Palästinensers in Milwaukee, Majdi Wadi, wurde wegen rassistischer und antisemitischer Tweets, die seine dort angestellte Tochter als Teenager geschrieben hatte, fast in den Bankrott getrieben. Ein Profifußballer wurde wegen der Posts seiner Frau gefeuert. Es gibt Hunderte ähnlicher Beispiele. Die Aufklärung wurde, wie es der Kritiker Ed Rothstein ausdrückte, durch den Exorzismus ersetzt.
Am wichtigsten ist vielleicht, dass in dieser Ideologie die Rede, mit deren Hilfe Konflikte in einer zivilisierten Gesellschaft gelöst werden, Gewalt sein kann, aber Gewalt, wenn sie von den richtigen Leuten bei der Verfolgung einer gerechten Sache ausgeübt wird, überhaupt keine Gewalt darstellt.
Alle diese Effekte sind erst in den letzten Jahren entstanden. Noch Anfang der 2000er wurde von vielen Leuten in Amerika die Wokeness eher so angetan, wie es hier auch im Forum der Fall ist. Mittlerweile sieht man das als die Gefahr die es ist, und in GB werden erste Gesetze zum Schutz der Freiheit der Lehre an den Universitäten erlassen.
Die hier dargestellten Fälle sind keine Einzelfälle. Sie sind beispielhaft für eine illiberale Welle die über die Gesellschaft hereingebrochen ist.