Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

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Orbiter1
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Kamikaze hat geschrieben:(11 Dec 2020, 08:11)

Und wieder einmal verspielt die EU ihre Glaubwürdigkeit und wird zur reinen Geldumverteilungsmaschine für jene, die sich an nichts zu halten brauchen.
Die Trottel in diesem System sind doch die, die sich an die "europäischen Werte" halten und diese umsetzen wollen.
Anstatt hier mal klare Kante zu zeigen hat die EU einmal mehr den Schwanz eingekniffen und den lautesten Schreihälsen wieder einmal den Arsch gepudert anstatt ihr eigenes Veto gegen sie aus zu spielen.
So langsam aber sicher verstehe ich die Briten - und das obwohl ich bis dato überzeugter Europäer war. :(
Sie haben in allen Punkten recht. Die EU hat ihre Werte aufs schändlichste verraten. Ungarn und Polen können ihre Staaten weiter ungestört in Autokratien umbauen und erhalten trotzdem die Nettozahlungen und jetzt auch noch 24 bzw 6 Mrd € als Geschenk im Rahmen der Coronahilfe. Tiefer kann die EU nicht mehr sinken. Sie sollte endlich die Verträge ändern und die nun aufgegebenen Werte daraus streichen. Sie ist nun de facto eine reine Wirtschaftsunion. Das EU-Parlament muss zwar auch noch zustimmen, wird sich aber dem gigantischen Druck beugen und die Rechtsstaatlichkeit ebenfalls opfern.
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Fliege
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Orbiter1 hat geschrieben:(11 Dec 2020, 10:43)

Tiefer kann die EU nicht mehr sinken. Sie sollte endlich die Verträge ändern und die nun aufgegebenen Werte daraus streichen. Sie ist nun de facto eine reine Wirtschaftsunion.
Und wieso stieß man die Briten, die in einer Wirtschaftsunion geblieben wären, so vor den Kopf?
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Haegar »

Dieter Winter hat geschrieben:(10 Dec 2020, 22:32)

Der "Kompromiss" ist eine krachende Niederlage für die EU.
https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... 3184264274
Bei einem Kompromiss "verlieren" und "gewinnen" beide Seiten.
Der "Verlust" der EU ist in dem Artikel klar beschrieben.
Der "Gewinn" der EU liegt darin, dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (nur für die EU-Gelder) durch die Geldzuflüsse erstmals kontrolliert werden kann.
Unzureichend gebe ich zu.
Der Streit wurde auf 2027 vertagt. Wieder nun typisch EU.
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sünnerklaas
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(11 Dec 2020, 09:17)

Wieder meldet sich hier der Pole vom Dienst: Die Firma Lidl wirbt um geeignete Mitarbeiter im Lidl-Supermarkt in Kamień Pomorski. Vor etwa 2 Jahren wurde eine Anstellung "all inclusive" (Versicherungen, Altersversicherung, verbilligter Einkauf für Mitarbeiter) für 2.700 PLN angeboten (etwa 650 € / Monat). Gestern habe ich bei Lidl ein gleiches Stellenangebot für 3.900 PLN gesehen. Haben Sie jemals 30-prozentige Einkommenssteigerungen einer Berufsgruppe in Deutschland erlebt? Die mir erinnerliche "Spitzenleistung" war 1972 so ungefähr 15%... nach einige Monaten Streik.

Es tut sich also etwas in Polen... hoffentlich nicht nur bei Lidl.
Der Unterschied in Westdeutschland war, dass die Lohnsteigerungen in der Regel sukzessive erfolgt sind. Man hat immer gesehen, zumindest einen Inflationsausgleich hin zu bekommen.
Das Problem in den osteuropäischen EU-Ländern ist, dass gar nicht erst höher Löhne gefordert und durchgesetzt wurden, sondern dass vielmehr sehr schnell mit den Füßen abgestimmt wurde. Den Unternehmen, die in diesen Ländern auf Grund der dort niedrigen Löhne investiert hatten, konnte das nur recht sein. Sie konnten mit den niedrigen Löhnen kalkulieren und hatten zugleich ein doch recht großes Erpressungsmaterial gegenüber den Regierungen und der Bevölkerung. Diese Strategie ist ja auch lange Zeit aufgegangen: die Länder sind von ausländischen Firmen, von ausländischen Investoren und von ausländischem Geld abhängig.
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Orbiter1
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Haegar hat geschrieben:(11 Dec 2020, 11:18)

Bei einem Kompromiss "verlieren" und "gewinnen" beide Seiten.
Der "Verlust" der EU ist in dem Artikel klar beschrieben.
Der "Gewinn" der EU liegt darin, dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (nur für die EU-Gelder) durch die Geldzuflüsse erstmals kontrolliert werden kann.
Unzureichend gebe ich zu.
Unzureichend? Soll das ein Witz sein? Den Fall dass die nun beschlossene Rechtsstaatlichkeitsregelung am Ende tatsächlich zu Sanktionen führt gibt es doch gar nicht. Sie hätte in Ungarn weder den weit fortgeschrittenen Umbau in eine Autokratie verhindert noch die Ausbootung der Richter in Polen. Fehlt eigentlich nur noch dass sie nur dann angewandt werden darf wenn der Regierungschef des betroffenen Landes einen Vornamen hat der mit dem Buchstaben Q beginnt und in einer Sonntag Vollmondnacht zwischen 3:44 und 3:47 Uhr geboren sein muss. Die EU hat sich endgültig zur Kasperle-EU gemacht.
Der Streit wurde auf 2027 vertagt. Wieder nun typisch EU.
Die EU wird es in dieser Form 2027 nicht mehr geben.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Dieter Winter hat geschrieben:(11 Dec 2020, 03:51)

"Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit sollen nur noch dann geahndet werden, wenn sie die Verwendung von EU-Mitteln betreffen. Andere Verletzungen der Grundwerte, etwa die Einschränkung der Medien- und Meinungsfreiheit oder die Unterdrückung von Minderheiten, sind außen vor."

Jetzt klarer?
Nein, ist nicht klarer. Der Rechtsstaatsmechanismus ist völlig unverändert geblieben. Es gibt jetzt nur (vermutlich) eine Zusatzvereinbarung, die für die EU-Kommission nichtmal bindend ist. Jetzt werden Richtlinien für die Anwendung des Mechanismus ausgearbeitet. So wie ich den Kompromiss verstanden habe, haben sich Polen und Ungarn nun bereiterklärt, den EuGH anzurufen, wenn der Rechtsstaatsmechanismus gegen sie eingesetzt wird. Darauf sind sie seit Wochen hingewiesen worden. Gegen die Klagemöglichkeit ist auch überhaupt nichts einzuwenden. Das ist angemessen und entspricht rechtsstaatlichen Prinzipien. Warten wir mal ab, ob sich der Mechanismus "nur" auf die Verwendung von Geld beziehen wird und was darunter alles fällt.

Beispiel: Es ist ein offenes Geheimnis, dass Angehörige von Orbans Familie sich viele Millionen Euro aus EU-Mitteln in die Tasche gewirtschaftet haben. Da geht es um die Verwendung von Geld. In Ungarn wird deswegen aber nicht ermittelt oder gar Verfahren eingeleitet. Hier geht es um die Unabhängigkeit der Justiz. Beide Punkte haben unter dem Aspekt des Rechtsstaatsmechanismus also sehr wohl etwas miteinander zu tun. Ich wüsste nicht, was dagegen sprechen würde, Ungarn wegen mangelnder Unabhängigkeit der Justiz und beschnittener Rechtsstaatlichkeit die Mittel zu kürzen. Immerhin werden dadurch ja zweifelsfrei EU-Gelder verschwendet. Oder das Stichwort Korruption. Es ist ja wohl offensichtlich, dass es auch hierbei um die Verwendung von EU-Geld geht. Warten wir mal ab, wie die Kommission das künftig auslegt.

So "stumpf" wie manche es darstellen ist der Rechtsstaatsmechanismus nicht.
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Fliege
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Orbiter1 hat geschrieben:(11 Dec 2020, 13:00)

Die EU wird es in dieser Form 2027 nicht mehr geben.
Ich tippe: Sobald der Euro, die Währung, durch starken Wertverfall zerschellt, bildet sich eine Nord-EG (wieder mit Britannien).
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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H2O
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

sünnerklaas hat geschrieben:(11 Dec 2020, 11:38)

Der Unterschied in Westdeutschland war, dass die Lohnsteigerungen in der Regel sukzessive erfolgt sind. Man hat immer gesehen, zumindest einen Inflationsausgleich hin zu bekommen.
Das Problem in den osteuropäischen EU-Ländern ist, dass gar nicht erst höher Löhne gefordert und durchgesetzt wurden, sondern dass vielmehr sehr schnell mit den Füßen abgestimmt wurde. Den Unternehmen, die in diesen Ländern auf Grund der dort niedrigen Löhne investiert hatten, konnte das nur recht sein. Sie konnten mit den niedrigen Löhnen kalkulieren und hatten zugleich ein doch recht großes Erpressungsmaterial gegenüber den Regierungen und der Bevölkerung. Diese Strategie ist ja auch lange Zeit aufgegangen: die Länder sind von ausländischen Firmen, von ausländischen Investoren und von ausländischem Geld abhängig.
Im produzierenden Gewerbe sind Ihre Betrachtungen völlig richtig. Im Dienstleistungsgewerbe würden aber westliche Gehälter zu einem sehr groben Ungleichgewicht führen. Ein "kleiner" Rentner muß hier zusehen, daß er mit 500 PLN (= 100 €) über die Runden kommt. Ich kann hier auf dem Lande so etwas aus dem Augenwinkel sehen, wie sich die kleinen Leute dann Gemüse und Kartoffeln und Obst um das Haus herum anpflanzen, also teilweise Selbstversorger sind. Auch am Zustand der Häuser kann man praktisch im Vorbeifahren erkennen, wo Rentner arm dran sind.

Der Anschluß dieser ehemals sozialistischen Pleitestaaten an Westeuropa ist eine Generationenaufgabe. Unsere Ossis sind mit geringen Abschlägen schlicht in das westliche System eingebaut worden. Dennoch gab es dabei viel Unglück, oder wie es immer so umschrieben wird: "Brüche in der Erwerbsbíographie". Die gab es in Polen ja auch, und schon kamen die Menschen in Scharen als Erntehelfer und Bauhilfsarbeiter in den Westen... um überleben zu können.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Die EU wird es in dieser Form 2027 nicht mehr geben.
Alles andere wäre auch in der Tat erstaunlich. Die EU befindet sich in ständigem Wandel. Die EU von 2010 sah auch sehr viel anders aus als die von heute. Ich bin davon überzeugt, daß es die EU der zwei Geschwindigkeiten geben wird, wobei einem etwas loseren Kreis von neuen und zurück gebliebenen alten Mitgliedern weniger Mitwirkungsrechte zugestanden werden als den alten Mitgliedern. So viel wird man ja wohl aus der letzten Beitrittsrunde gelernt haben. Zuerst müssen die wirtschaftlichen und politischen Ungleichgewichte abgebaut werden.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Haegar »

Orbiter1 hat geschrieben:(11 Dec 2020, 13:00)

Unzureichend? Soll das ein Witz sein? Den Fall dass die nun beschlossene Rechtsstaatlichkeitsregelung am Ende tatsächlich zu Sanktionen führt gibt es doch gar nicht. Sie hätte in Ungarn weder den weit fortgeschrittenen Umbau in eine Autokratie verhindert noch die Ausbootung der Richter in Polen. Fehlt eigentlich nur noch dass sie nur dann angewandt werden darf wenn der Regierungschef des betroffenen Landes einen Vornamen hat der mit dem Buchstaben Q beginnt und in einer Sonntag Vollmondnacht zwischen 3:44 und 3:47 Uhr geboren sein muss. Die EU hat sich endgültig zur Kasperle-EU gemacht.
Die EU wird es in dieser Form 2027 nicht mehr geben.
Diese polnische Regierung wird es wohl 2027 auch nicht mehr geben. Und ob Orban, dann in Ungarn noch was zu sagen hat, werden wir auch bis dahin wissen. :rolleyes:
Wir spekulieren aber beide und ich denke/hoffe auch die EU wird sich weiter entwickeln.
Doch ich denke die kleinen Schritte sind zwar frustrierend, aber bringen die EU langfristig weiter, als ein großer, der dann sofort als deutsche oder französische Hegemoniebestrebung umgedeutet wird.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(11 Dec 2020, 13:35)

Alles andere wäre auch in der Tat erstaunlich. Die EU befindet sich in ständigem Wandel. Die EU von 2010 sah auch sehr viel anders aus als die von heute. Ich bin davon überzeugt, daß es die EU der zwei Geschwindigkeiten geben wird, wobei einem etwas loseren Kreis von neuen und zurück gebliebenen alten Mitgliedern weniger Mitwirkungsrechte zugestanden werden als den alten Mitgliedern. So viel wird man ja wohl aus der letzten Beitrittsrunde gelernt haben. Zuerst müssen die wirtschaftlichen und politischen Ungleichgewichte abgebaut werden.
Chancen auf eine EU der "zwei Geschwindigkeiten" sehe ich nicht. Das würde sehr schnell zu einem Staatenbund, bestehend aus D, F und BENELUX führen, alle anderen - vielleicht mit Ausnahme Österreichs - wären außen vor. Es gibt nämlich ein ganz entscheidendes und grundsätzliches Problen: das ist die Sprachbarriere. Bei einem Zusammenschluss von D, F, BENELUX und Österreich wäre die Sprachbarriere nicht hoch: man käme mit drei Amtssprachen aus. Hinzu kommt die gemeinsame Geschichte, die vom Frankenreich über das römisch-deutsche Reich von Karl dem Großen über Otto I angefangen über die französische Revolution bis hin zu Napoleon in allen fünf Ländern bis heute kulturprägend und Teil des gemeinsamen Selbstverständnisses ist.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(11 Dec 2020, 11:38)

Der Unterschied in Westdeutschland war, dass die Lohnsteigerungen in der Regel sukzessive erfolgt sind. Man hat immer gesehen, zumindest einen Inflationsausgleich hin zu bekommen.
Das Problem in den osteuropäischen EU-Ländern ist, dass gar nicht erst höher Löhne gefordert und durchgesetzt wurden, sondern dass vielmehr sehr schnell mit den Füßen abgestimmt wurde. Den Unternehmen, die in diesen Ländern auf Grund der dort niedrigen Löhne investiert hatten, konnte das nur recht sein. Sie konnten mit den niedrigen Löhnen kalkulieren und hatten zugleich ein doch recht großes Erpressungsmaterial gegenüber den Regierungen und der Bevölkerung. Diese Strategie ist ja auch lange Zeit aufgegangen: die Länder sind von ausländischen Firmen, von ausländischen Investoren und von ausländischem Geld abhängig.
Diese Sicht auf den ersten Blick insofern falsch, als dass die Abhängigkeit mittlerweile beiderseitig ist. Auf den zweiten Blick kann man dies so formulieren, dass es - aber eigentlich schon seit längerem - so etwas wie "ausländische Firmen", soweit sie länderübergreifend operieren, gar nicht mehr oder kaum noch gibt. Diese Phase liegt längst hinter uns. Es gibt einfach länderübegreifend operierende Firmen und uns, die wir uns an traditionelle Namen gewöhnt haben und das Wort "Ikea" irgendwie mit Schweden und "Audi" irgendwie mit Deutschland verbinden. Diese Assoziation ist aber einfach nur Marketingideologie und kaum mehr.

Was die vergleichsweise niedrigen Löhne in Mittel-Osteuropa betrifft: Sie stehen zusammen mit den dort sehr niedrigen Arbeitslosenzahlen den extrem hohen Arbeitslosenzahlen vor allem unter jungen Leuten in Südeuropa gegenüber. Italien, Spanien, Griechenland: Du hast studiert, einen guten Abschluss, wohnst bei denen Eltern, hast aber oft keine Chance eine eigene Familienexistenz zu gründen. Ungarn: Du hast als junger Mensch einen Job, bekommst von daher auch einen Kredit für einen Hausbau, musst aber quasi die ganze Großfamilie bei der Lastenverteilung einspannen und kannst nicht einfach mal in Thailand Urlaub machen. Diese Grundsituation sorgt insgesamt a) für einen stärkeren Zusammenhalt, b) für einen bedeutsameren informellen Sektor in der Wirtschaft und c) damit auch für mehr Korruption, Steuerhinterziehung und dergleichen. Und im Gefolge davon d) auch für einen stärkeren Nationalismus.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von sünnerklaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 14:45)

Diese Sicht auf den ersten Blick insofern falsch, als dass die Abhängigkeit mittlerweile beiderseitig ist. Auf den zweiten Blick kann man dies so formulieren, dass es - aber eigentlich schon seit längerem - so etwas wie "ausländische Firmen", soweit sie länderübergreifend operieren, gar nicht mehr oder kaum noch gibt. Diese Phase liegt längst hinter uns. Es gibt einfach länderübegreifend operierende Firmen und uns, die wir uns an traditionelle Namen gewöhnt haben und das Wort "Ikea" irgendwie mit Schweden und "Audi" irgendwie mit Deutschland verbinden. Diese Assoziation ist aber einfach nur Marketingideologie und kaum mehr.
Trotzdem: welche selbständigen großen und international agierenden Unternehmen mit Stammsitz in Polen, Ungarn etc. gibt es? Audi ist immer noch VW, der Sitz der Zentrale ist in Deutschland.
Was die vergleichsweise niedrigen Löhne in Mittel-Osteuropa betrifft: Sie stehen zusammen mit den dort sehr niedrigen Arbeitslosenzahlen den extrem hohen Arbeitslosenzahlen vor allem unter jungen Leuten in Südeuropa gegenüber. Italien, Spanien, Griechenland: Du hast studiert, einen guten Abschluss, wohnst bei denen Eltern, hast aber oft keine Chance eine eigene Familienexistenz zu gründen. Ungarn: Du hast als junger Mensch einen Job, bekommst von daher auch einen Kredit für einen Hausbau, musst aber quasi die ganze Großfamilie bei der Lastenverteilung einspannen und kannst nicht einfach mal in Thailand Urlaub machen. Diese Grundsituation sorgt insgesamt a) für einen stärkeren Zusammenhalt, b) für einen bedeutsameren informellen Sektor in der Wirtschaft und c) damit auch für mehr Korruption, Steuerhinterziehung und dergleichen. Und im Gefolge davon d) auch für einen stärkeren Nationalismus.
Für Osteuropa hast Du noch einen Faktor vergessen: das der Kleptokraten an der Spitze einiger Länder. Ein ganz wichtiger Aspekt in Orbans Erzählung ist die vom "Beschützer der Ungarn": wenn man ihn abwähle, könne er sein Volk nicht mehr beschützen und dann käme der Muselmann. Diese Drohung kommt an, schließlich war Ungarn zeitweilig Teil des Osmanischen Reichs, die Angst ist also historisch begründet.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(11 Dec 2020, 16:08)

Trotzdem: welche selbständigen großen und international agierenden Unternehmen mit Stammsitz in Polen, Ungarn etc. gibt es? Audi ist immer noch VW, der Sitz der Zentrale ist in Deutschland.
Ja. Aber zwischen Audi Hungaria, den Skoda-Werken in Mlada Boleslaw und den PKW-Produktionsstätten in den Sonderwirtschaftszonen in den Industrieregionen Südpolens gibts nochmal bedeutsame Unterschiede. Und umgekehrt auch: Wem gehören eigentlich Firmen wie Daimler oder Bosch. Zu erheblichen Teilen Institutionen wie der Kuwait Investment Authority, der Beijing Automotive Group usw. Während im 20. Jahrhundert Besitzer wie diese in Ruhe ihr Geld wachsen sahen, sich aus allem heraushielten und sich lieber mit Kamelzucht und der wahren Religion befassten, greifen sie heute schon eher ins operative Geschäft ein. Die Welt ist eine ganz andere geworden!
Vorsicht. Viktor Orbán sieht die Ungarn heute gerade als Teil der Turkvölker. Anders als die Mehrheit der Sprachforscher sieht er die ungarische Sprache nicht als finno-ugrisch, also als verwandt mit dem finnischen, estnischen und einigen westsibirischen Sprachen sondern als Turksprache an. Die Ungarn als Teil der Turkvölker. Er reist extra zu entsprechenden Veranstaltungen nach Kirgistan oder Turkmenistan, um auf Pferden zu reiten oder Bogenschießen zu üben. Versteh mal: All diese Politik ist einfach eine Fake- Veranstaltung. Es wird gemacht, was Nutzen verspricht. Politik ist ein Geschäft. Darin unterscheidet sich aber Viktor Orbán in keinster Weise von etwa Boris Johnson. Historische kulturelle Zugehörigkeiten, entschuldige, damit kapert man einfach Dummköpfe.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(11 Dec 2020, 16:08)

Trotzdem: welche selbständigen großen und international agierenden Unternehmen mit Stammsitz in Polen, Ungarn etc. gibt es? Audi ist immer noch VW, der Sitz der Zentrale ist in Deutschland.
Aber davon unabhängig. MOL ist die mit Abstand umsatzmäßig größte Firma in Ungarn. MOL steht für "Magyar Olaj- és Gázipari Részvénytársaság". Steht für ungarisches Öl- und Gasunternehmen. 34 000 Mitarbeiter. Den meisten Menschen wahrscheinlich eher als Tankstellenkette bekannt. "MOL" aber arbeitet ähmlich wie das umsatzmäßig größte Unternehmen der Schweiz, Glencore. Es handelt einfach weltweit mit Rohstoffen. Auch und gerade weil es weder in der Schweiz noch in Ungarn irgendwelche nennenswerten Rohstoffe gibt. Glencore ist breiter aufgestellt und operiert in Südamerika oder Afrika. MOL eher in den GUS-Nachfolgestaaten. So läuft das. Du nennst dich irgrendwie, ziehst dich zurück, machst aber im Hintergrund Milliarden über Milliarden. Und bildest die Basis für Poltitiker wie Viktor Orbán, die sich grinsend und überheblich lächelnd hinstellen und die ganze EU als Organisation vorführen können.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

George Soros zum Rechtsstaatlichkeitkompromiss.

"Zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, scheint klar, dass Merkel einen Kompromiss mit Orbán und Polens faktischem Führer, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński, ausgehandelt hat. Jedoch stellt die Absprache, die Deutschland mit den beiden Schurkenstaaten der EU getroffen hat, die Schlimmste aller denkbaren Welten dar. ... Die Absprache, so wie sie nach derzeitigem Verständnis zu existieren scheint, ist abstoßend und spricht den ausdrücklichen Wünschen des Europäischen Parlaments Hohn. .... Ich kann nichts weiter tun, als die moralische Empörung zum Ausdruck zu bringen, die diejenigen, die in der EU eine Beschützerin europäischer und universeller Werte sahen, spüren müssen. Ich möchte zudem davor warnen, dass dieser Kompromiss das schwer verdiente Vertrauen, dass sich die EU-Institutionen durch Schaffung des Wiederaufbaufonds erworben haben, ernsthaft beschädigen könnte." Quelle: https://www.project-syndicate.org/comme ... -12/german

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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von sünnerklaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 16:48)
MOL eher in den GUS-Nachfolgestaaten. So läuft das. Du nennst dich irgrendwie, ziehst dich zurück, machst aber im Hintergrund Milliarden über Milliarden. Und bildest die Basis für Poltitiker wie Viktor Orbán, die sich grinsend und überheblich lächelnd hinstellen und die ganze EU als Organisation vorführen können.
MOL dürfte ein Grund für das gute Verhältnis zwischen Orban und Putin sein.
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Dieter Winter
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Dieter Winter »

Kohlhaas hat geschrieben:(11 Dec 2020, 13:16)
So "stumpf" wie manche es darstellen ist der Rechtsstaatsmechanismus nicht.
Er greift jetzt weder bei der Einschränkung der Pressefreiheit, noch bei der Kontrolle der Judikativen. Und das war eigentlich Sinn der Übung.
Never approach a bull from the front, a horse from the rear, or an idiot from any direction.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Dieter Winter hat geschrieben:(11 Dec 2020, 21:32)

Er greift jetzt weder bei der Einschränkung der Pressefreiheit, noch bei der Kontrolle der Judikativen. Und das war eigentlich Sinn der Übung.
Das hängt sehr von der "Kreativität" der Kommission ab. Ein Beispiel dafür hatte ich schon genannt.

Hier mal eine Analyse der FAZ, wie "vernichtend" die angebliche "Kapitulation" der EU war:

https://www.faz.net/aktuell/politik/aus ... 97664.html

Demnach besteht das einzige Zugeständnis an Polen und Ungar darin, dass Mittelkürzungen erst dann wirksam werden dürfen, wenn der EuGH über eine sogenannte Nichtigkeitsklage entschieden hat. Das hat von der Leyen den Polen und Ungarn seit Wochen immer wieder vorgeschlagen.

Orban und Morawiecki gehen trotzdem gerade in gewohnt populistischer Weise mit der Behauptung hausieren, dass sie "gesiegt" hätten und ihren Ländern nun 173 Milliarden Euro "zustehen" würden. Das ist aber falsch! Wenn der EuGH die Nichtigkeitsklage abweist, erfolgen die Mittelkürzungen RÜCKWIRKEND zum 1. Januar 2021!
Zitat aus dem FAZ-Text: "Die Juristen bestätigten: Auch wenn der Mechanismus erst später angewendet wird, bezieht er sich auf sämtliche Zahlungen ab 1. Januar kommenden Jahres, aus dem regulären Haushalt und aus dem Corona-Hilfsfonds."
Orban und Morawiecki dürfen gern den medienwirksam kaltgestellten Sekt saufen. Trotzdem ist den beiden Herren gar nichts sicher!

Ihre Nichtigkeitsklage müssen Polen und Ungarn zudem schnell einreichen. Die Frist beträgt zwei Monate. Dass der EuGH für seine Urteile immer so zwei Jahre braucht, stimmt auch nicht. Auf berechtigte Bitte eines Verfahrensbeteiligten (z.B. Kommission) kann das Gericht auch sehr viel schneller urteilen und hat es in der Vergangenheit auch schon getan. Vergiblich ist demnach auch die Hoffnung, dass z.B. Herr Orban aufgrund des Kompromisses nun Zeit schinden kann bis nach der nächsten Wahl in Ungarn.

Falsch ist auch die hier geäußerte Kritik, dass der Rechtsstaatsmechanismus sich jetzt plötzlich "nur noch" auf die Verwendung von EU-Geldern beziehen würde. Er hat sich IMMER nur darauf bezogen! Im EU-Sprachgebrauch hieß der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus von Beginn an offiziell "Verordnung über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten".

In Gänze hier nachzulesen:

https://eur-lex.europa.eu/legal-content ... 24&from=de

Zitat aus dem Abschnitt "Gründe und Ziele": "Die Achtung dieser Werte muss daher in allen Bereichen der EU-Politik gewährleistet werden. Dies gilt auch für den EU-Haushalt, denn die Achtung der Grundwerte ist eine Grundvoraussetzung für eine wirtschaftliche Haushaltsführung und eine wirksame EU-Finanzierung. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger der Union von Bedeutung, sondern auch für unternehmerische Initiativen, Innovationen und Investitionen. Die europäische Wirtschaft floriert dort am besten, wo der gesetzliche und institutionelle Rahmen mit den gemeinsamen Werten der Union in Einklang steht."

Hier wird klar gesagt, dass Rechtsstaatlichkeit für das gesamte Wirtschaften in der Union von zentraler Bedeutung ist. Und das haben auch Polen und Ungarn unterschrieben! Das ist durch den "Kompromiss" auch in keiner Weise geändert worden.



Wie schon geschrieben: Es hat sich gar nichts geändert. Mit dem Zusatzprotokoll, das dieser Verordnung nun angeheftet wird, präzisiert die EU-Kommission jetzt lediglich, dass das Instrument nicht eingesetzt werden soll, um Handlungen einzelner Mitgliedsstaaten "abzustrafen", die anderen Mitgliedern nicht gefallen. Als Disziplinierungsinstrument war der Rechtsstaatsmechanismus ja wohl auch nie gedacht. Nun kommt es auf die "Kreativität" der Kommission an. Sie muss Rechtsstaatsverstöße nachweisen und sie muss belegen, dass dadurch eine ordnungsgemäße Haushaltsführung und/oder wirtschaftliche Tätigkeit der Bürger unmöglich ist oder erschwert wird.

Eine ordnungsgemäße Haushaltsführung der EU ist dann unmöglich, wenn in einem Mitgliedsland EU-Geld in private Taschen umgeleitet werden kann. Sie ist dann unmöglich, wenn die Justiz dies offensichtlich nichtmal untersucht - weil sie nicht mehr unabhängig ist.

Eine freie wirtschaftliche Tätigkeit von Bürgern und Unternehmen ist dann nicht mehr möglich, wenn sie sich nicht auf Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Tätigkeit der Gerichte verlassen können. Sie ist auch dann nicht mehr möglich, wenn staatlich gelenkte Medien irgendwelche Kampagnen gegen "Investoren" führen, die der Regierung gegen den Strich gehen. Oder gegen Hochschulen. Man denke doch nur mal an das, was in Ungarn zwischen Orban und Soros abgelaufen ist.

https://www.dw.com/de/wie-george-soros- ... a-53572731

Das war nicht rechtsstaatlich und das hat ganz gewiss die Rechtssicherheit von Bürgern und Investoren und die ordnungsgemäße Haushaltsführung der EU beeinträchtigt. Die EU-Kommission regt sich doch nicht aus bloßem Altruismus darüber auf, dass in Polen und Ungarn was schief läuft. Sie regt sich darüber auf, dass die EU für solche Eskapaden bezahlen muss. Die EU kann Polen und Ungarn letztlich gar nicht verbieten, autoritäre Strukturen einzuführen. Sie kann Polen und Ungarn lediglich deutlich machen, dass sowas in der EU keinen Platz hat, weil es alle anderen Staaten objektiv Geld kostet!
Slava Ukraini
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Danke für diesen etwas lang geratenen Beitrag... aber die Klärung war notwendig. Wir erkennen aber vor diesem Hintergrund, wie geduldig die EU mit diesen stänkernden Nationalisten bisher umgegangen ist.

So schlecht ist auch die Klärung der Frage "Rechtsstaat verletzt ?" gar nicht ausgestaltet. Immerhin sind im EU-Parlament nicht nur Regierungsparteien vertreten, sondern auch Mitglieder aus Oppositionsparteien aller Mitgliedsstaaten. Und die werden schon vortragen, was aus ihrer Sicht in ihrem Staat gemeinschaftswidrig abläuft. Die EU-Kommission muß dazu "nur" ihr Hörrohr stärker auf das EU-Parlament ausrichten.

Tatsächlich ist es auch so, daß hier in Polen durchaus festgestellt wird, welchen Sieg die Stänker in den Haushaltsberatungen errungen haben. Wer daran Interesse hat, der nimmt auch die Verlogenheit bestimmter Politiker Polens und ihr individuelles Fehlverhalten wahr. Er muß eben dazu nur die von der Regierung unabhängigen Tageszeitungen und Wochenblätter lesen. Die Gazeta Wyborcza (nach meinem Empfinden links-liberal) und die Rzeczpospolita (nach meinem Empfinden bürgerlich-liberal) lassen es an Kritik und Offenheit nicht fehlen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

H2O hat geschrieben:(12 Dec 2020, 22:08)

Danke für diesen etwas lang geratenen Beitrag...
Ich bitte um Nachsicht. "Kurz" ist mir schon immer schwer gefallen. Liegt vielleicht daran, dass ich zu Beginn meines Berufslebens von Zeilenhonorar gelebt habe. Je mehr Zeilen, desto mehr Honorar.... ;)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Kohlhaas hat geschrieben:(12 Dec 2020, 22:42)

Ich bitte um Nachsicht. "Kurz" ist mir schon immer schwer gefallen. Liegt vielleicht daran, dass ich zu Beginn meines Berufslebens von Zeilenhonorar gelebt habe. Je mehr Zeilen, desto mehr Honorar.... ;)
Um Himmelswillen: Nein, so war das nicht gemeint! Sie haben ja viele immer wieder strittige Punkte abgeräumt. Das geht doch nicht mit 10 Schlagworten! :)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Haegar »

Die Regierungen von Ungarn und Polen konnten gar nicht anders als diesen "Kompromiss" zu schlucken, um es dann als "Sieg" vor dem eigenen Publikum zu verkaufen. Denn in der Gedankenwelt dieser Wähler gibt es wohl nur Sieg und Niederlage, wobei der große Clanchef, Vorsitzende oder Führer natürlich nur gewinnen kann.
Ich erwarte dann, dass die Hetze gegen die "bösen EU-Bürokraten" dann losgeht, wenn wirklich Gelder zurückzuzahlen sind.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Haegar hat geschrieben:(14 Dec 2020, 10:15)

Die Regierungen von Ungarn und Polen konnten gar nicht anders als diesen "Kompromiss" zu schlucken, um es dann als "Sieg" vor dem eigenen Publikum zu verkaufen. Denn in der Gedankenwelt dieser Wähler gibt es wohl nur Sieg und Niederlage, wobei der große Clanchef, Vorsitzende oder Führer natürlich nur gewinnen kann.
Ich erwarte dann, dass die Hetze gegen die "bösen EU-Bürokraten" dann losgeht, wenn wirklich Gelder zurückzuzahlen sind.
Ich hoffe sehr, dass dieser Fall früher eintritt als Orban sich das erhofft. Mit seiner Klage beim EuGH darf er nicht lange warten. Und ich bin sicher, dass der Gerichtshof dieser Klage höchste Priorität einräumen und sie möglichst zügig bearbeiten wird... :D
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Quo vadis, Europa und EU

Beitrag von relativ »

Da schau einer an.
Konnte die EU sich dieses Jahr und unter Ratpräsidentschaft von Deutschland, tatsächlich zu etwas ganz Bemerkenswerten durchringen. Hat sich die Mehrheit der EU doch durchgesetz mit dem Rechtsstaatsmechanismus, dazu noch ein durchaus fettes Ausrufezeichen bezüglich der Solidarität mit einem 750 Millarden Corona Hilfspaket.
Seht ihr dies auch so positiv , oder habt ihr da etwas zu kritiseren bzw. Vorschläge wie es noch besser gehen könnte?
Wie auch immer, ich werde diesbezüglich die EU auch nicht mehr unterschätzen, evtl. kommt ja noch etwas zum Jahresende, z.B. was positives bezüglich dem Brexit.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
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Re: Quo vadis, Europa und EU

Beitrag von Wähler »

relativ hat geschrieben:(15 Dec 2020, 10:34)
Konnte die EU sich dieses Jahr und unter Ratpräsidentschaft von Deutschland, tatsächlich zu etwas ganz Bemerkenswerten durchringen.
Das einzig Bemerkenswerte daran sehe ich in der Corona-Krise, die den Druck auf die Regierungschefs so stark erhöht hat, dass der destruktive Versuch von Ungarn und Polen keinen Erfolg hatte. Auch in den USA hat der neue Präsident mit Glück gegen jemanden gewonnen, der sich nicht scheute, die Axt an das demokratische Wahlrecht zu legen. Bei den neuen Beziehungen mit Großbritannien geht es wohl mehr um Basarhandel, als um grundlegende politische Prinzipien wie Rechtsstaat oder Solidarität in Notzeiten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Kohlhaas hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:26)

Die EU kann Polen und Ungarn letztlich gar nicht verbieten, autoritäre Strukturen einzuführen. Sie kann Polen und Ungarn lediglich deutlich machen, dass sowas in der EU keinen Platz hat, weil es alle anderen Staaten objektiv Geld kostet!
Da geh ich jede Wette ein dass es der EU-Kommision/ dem EuGH niemals gelingen wird Ungarn oder Polen nachzuweisen dass durch den Umbau ihrer Staaten in Autokratien im EU-Budget finanzieller Schaden entstanden ist. Und zu einer Kürzung oder gar Rückforderung von EU-Geldern wird es schon gar nicht kommen. Solange man so tun kann als ob Rechtsstaatlichkeit ein Wert ist den man auch durchsetzen kann, ist die Kasperle-EU zufrieden. Man wird Rechtsstaatlichkeit aber auch weiterhin nicht durchsetzen können.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Orbiter1 hat geschrieben:(15 Dec 2020, 20:05)

Da geh ich jede Wette ein dass es der EU-Kommision/ dem EuGH niemals gelingen wird Ungarn oder Polen nachzuweisen dass durch den Umbau ihrer Staaten in Autokratien im EU-Budget finanzieller Schaden entstanden ist. Und zu einer Kürzung oder gar Rückforderung von EU-Geldern wird es schon gar nicht kommen. Solange man so tun kann als ob Rechtsstaatlichkeit ein Wert ist den man auch durchsetzen kann, ist die Kasperle-EU zufrieden. Man wird Rechtsstaatlichkeit aber auch weiterhin nicht durchsetzen können.
So ist es. Dass die EU eine Werte-Union sei, und nicht das, was sieimmer schon war, eine Teppichhändlerverein, kann nur jenen verborgen bleiben, die gerne mit Tomaten auf den Augen herumlaufen.

Aber insgesamt sind die Segnungen des EU-Bazars doch beträchtlich im Alttag der Menschen und der Wirtschaft.
Der EU-Binnenmarkt, die Reise- und Niederlssngsfreiheit, dieses Europa ohne die üblichen Grenzregime zwischen den Mitgliedsländern ist schon ein Pfund. Ganz besonders auch innerhalb jener Länder, die den Euro sls Währng haben. Im Prinzp sind es nur noch wenig beachtete Schilder, die einen Hinweis geben, dass man sich nicht mehr in D befindet, sondern in Ö, IT oder FRA, BEL, NL usw. je nachdem, wo man wohnt.

Aber als Werteunion kann man die EU vergessen. Egal, was in hehren Verträgen steht.
Man hat es ja nicht einmal geschafft, sich eine gemeinsamre Verfassung zu geben...
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Dieter Winter »

Orbiter1 hat geschrieben:(15 Dec 2020, 20:05)

Da geh ich jede Wette ein dass es der EU-Kommision/ dem EuGH niemals gelingen wird Ungarn oder Polen nachzuweisen dass durch den Umbau ihrer Staaten in Autokratien im EU-Budget finanzieller Schaden entstanden ist.
Zumindest wäre das sehr überraschend. Bislang war nur Deutschland blöd genug, sich vom EuGH in die Steuerhoheit reinreden zu lassen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(15 Dec 2020, 20:32)

So ist es. Dass die EU eine Werte-Union sei, und nicht das, was sieimmer schon war, eine Teppichhändlerverein, kann nur jenen verborgen bleiben, die gerne mit Tomaten auf den Augen herumlaufen.

Aber insgesamt sind die Segnungen des EU-Bazars doch beträchtlich im Alttag der Menschen und der Wirtschaft.
Der EU-Binnenmarkt, die Reise- und Niederlssngsfreiheit, dieses Europa ohne die üblichen Grenzregime zwischen den Mitgliedsländern ist schon ein Pfund. Ganz besonders auch innerhalb jener Länder, die den Euro sls Währng haben. Im Prinzp sind es nur noch wenig beachtete Schilder, die einen Hinweis geben, dass man sich nicht mehr in D befindet, sondern in Ö, IT oder FRA, BEL, NL usw. je nachdem, wo man wohnt.

Aber als Werteunion kann man die EU vergessen. Egal, was in hehren Verträgen steht.
Man hat es ja nicht einmal geschafft, sich eine gemeinsamre Verfassung zu geben...
Ihr Urteil über die Werteunion ist mir zu hart. Immerhin sind in der EU über 20 lupenreine Rechtsstaaten versammelt, die daran Anstoß nehmen, daß dieses Staatskonzept in einigen neueren Mitgliedsstaaten durchbrochen wird. In Polen ernennt und erläßt die Regierung Richter, läßt friedlich demonstrierende Frauen von Schlägertrupps mit Totschlägern bearbeiten, kauft die Staatsfirma Orlen mit dem Geld der Steuerzahler Medien zusammen, die fortan nur noch das veröffentlichen, was der Regierung nützt. Diese Situation in Ungarn seit Jahren einschließlich Fehlverwendung von EU Mitteln. Von Rumänien und Bulgarien erwartet niemand mehr, daß die Schluß machen mit der korrupten Verwendung unserer Steuergelder; in Malta und Zypern werden Unionsbürgerschaften an Oligarchen verkauft und Journalisten im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht. Nur die Slowakei scheint sich gefangen zu haben.

Ich meine, daß die EU an den Stellen allmählich vom Florett mit dem EuGH zum Vorschlaghammer des Ausschlusses aus der Mittelverteilung der Nettozahler greifen sollte.
Eulenwoelfchen

Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Eulenwoelfchen »

@H2O,
erinnern Sie sich noch an jene Vereinbarung in der Flüchtlingskrise, eigentlich noch vor Beginn dr dmaligen Welle, bei der sich angeblich Kanzkerin Merkel so selbstherrlich über allen anderen Mitgliedsländer hinwegsetzte, weil sie in einer humanitäten Notsituation den Menschen in Not nicht die Zuflucht und Nothilfe verweigerte?

Man hatte vereinbart, nach einem mühsam ausgehandelten Schlüssel ca. 160.000 Hilfesuchnde Menschen auf die 27 EU Staaten zu verteilen. Alle Staaten hatten das schrftlich in einem entsprechenden Vertrag zugesichert.
Was passierte dann mit dieser Zusicherung und der Erfüllung? Nichts. Es hielten sich nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Polen oder Ungarn nicht daran, sondern auch solch Länder verweigerten, die Sie unter der Rubrik der lupenreinen 20 Demokratien führen. Was ich gar nicht bestreite.

Aber Werteunion ist was anderes. Und eine solche gibt es nicht.

Siehe auch meinen Hinweis, dass es keine einheitliche EU-Verfassung sprich gemeinsame Wertegrundlage gibt. Schließlich haben eine EU-Verfassung als geneinsame Wertegrundlage und Werteunion z.B. Länder wie FRA und NL abgelehnt und damit genau diese Werteunion in den Papierkorb versenkt. Was blieb? Sagen wir mal so, Ein Wertehandelsverein, der vorrangig in seinem Handeln vom wirtschaftlichen Handeln bestimmt wird. Und dessen "ethischen" Grundlagen und "Werten".

Mit einer Werteunion hat das nichts zu tun. Und natürlich in Ländern wie Polen oder Ungarn aktuell schon gar nicht.

Es ist doch so, dass man - wie auch jetzt wieder - wenigstens nicht die Wirtschaftsunion gefährden will und dem alles unterordnet. Das kann ich sogar verstehen. Fände es schade, wenn diese Wirtschaftsunion auseinanderbräche, und deren Segnungen, die ich schon erwähnte. Aber nochmal, mit einer Werteunion hat das alles nichts zu tun.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(16 Dec 2020, 08:46)
Aber Werteunion ist was anderes. Und eine solche gibt es nicht.
Ethische Werte spielen sicherlich im gesellschaftlichen Zusammenleben eine wichtige Rolle, auch über Landesgrenzen hinaus. Auf supranationaler politischer Ebene geht es doch eher um völkerrechtliche Verträge und rechtsstaatliche Verfahren. Die Entwicklung von einem vollständig souveränen Nationalstaat zur Abtretung von Teilen der Souveränität an supranationale Institutionen, wie sie im Vertrag von Lissabon samt Kompetenzverteilung festgelegt, ist eine komplexe Angelegenheit mit kleinen Fortschritten und manchen Rückschlägen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von relativ »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(16 Dec 2020, 08:46)

@H2O,
erinnern Sie sich noch an jene Vereinbarung in der Flüchtlingskrise, eigentlich noch vor Beginn dr dmaligen Welle, bei der sich angeblich Kanzkerin Merkel so selbstherrlich über allen anderen Mitgliedsländer hinwegsetzte, weil sie in einer humanitäten Notsituation den Menschen in Not nicht die Zuflucht und Nothilfe verweigerte?

Man hatte vereinbart, nach einem mühsam ausgehandelten Schlüssel ca. 160.000 Hilfesuchnde Menschen auf die 27 EU Staaten zu verteilen. Alle Staaten hatten das schrftlich in einem entsprechenden Vertrag zugesichert.
Was passierte dann mit dieser Zusicherung und der Erfüllung? Nichts. Es hielten sich nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Polen oder Ungarn nicht daran, sondern auch solch Länder verweigerten, die Sie unter der Rubrik der lupenreinen 20 Demokratien führen. Was ich gar nicht bestreite.

Aber Werteunion ist was anderes. Und eine solche gibt es nicht.

Siehe auch meinen Hinweis, dass es keine einheitliche EU-Verfassung sprich gemeinsame Wertegrundlage gibt. Schließlich haben eine EU-Verfassung als geneinsame Wertegrundlage und Werteunion z.B. Länder wie FRA und NL abgelehnt und damit genau diese Werteunion in den Papierkorb versenkt. Was blieb? Sagen wir mal so, Ein Wertehandelsverein, der vorrangig in seinem Handeln vom wirtschaftlichen Handeln bestimmt wird. Und dessen "ethischen" Grundlagen und "Werten".

Mit einer Werteunion hat das nichts zu tun. Und natürlich in Ländern wie Polen oder Ungarn aktuell schon gar nicht.

Es ist doch so, dass man - wie auch jetzt wieder - wenigstens nicht die Wirtschaftsunion gefährden will und dem alles unterordnet. Das kann ich sogar verstehen. Fände es schade, wenn diese Wirtschaftsunion auseinanderbräche, und deren Segnungen, die ich schon erwähnte. Aber nochmal, mit einer Werteunion hat das alles nichts zu tun.
Ich gebe dir Recht, daß es mit einer aktiven Werteunion in der EU , noch nicht so gut bestellt ist, aber viel wichtiger ist m.M. das es Schritte dahin gibt und genau diese sind wichtig. Wie schnell jetzt eine wirkliche Werteunion, oder sogar ein föderaler Zusammenaschluss mit Verfassung entstehen kann, liegt doch sehr an den Bürgern, aka Wählern in den Ländern, selbst.
Wichtig ist, daß es jetzt ein juristisches Mittel gibt, Vorgänge wie in Polen und Ungarn zu sanktionieren, was sich auf dauer im Wahlverhalten der Bürger dieser Länder durchaus auswirken kann.
Hinzu kommt noch, daß die EU Länder einheitlich eine Fortführung der Sanktionen gegen Russland und eine Verschärfung der CO2 Ziele für 2030 beschlossen hat. Für dieses Horrorjahr finde ich das keine so schlechte Bilanz.
Zuletzt geändert von relativ am Mi 16. Dez 2020, 09:37, insgesamt 1-mal geändert.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
Eulenwoelfchen

Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Eulenwoelfchen »

relativ hat geschrieben:(16 Dec 2020, 09:17)

Ich gebe dir Recht, daß es mit einer aktiven Werteunion in der EU , noch nicht so gut bestellt ist, aber viel wichtiger ist m.M. das es Schritte dahin gibt und genau diese sind wichtig. Wie schnell jetzt eine wirkliche Werteunion, oder sogar ein föderaler Zusammenaschluss mit Verfassung entstehen kann, liegt doch sehr an den Bürgern, aka Wählern in den Ländern, selbst.
Wichtig ist, daß es jetzt ein juristisches Mittel gibt, vorgänge wie in Polen und Ungarn zu sanktionieren, was sich auf dauer im Wahlverhalten der Bürger dieser Länder durchaus auswirken kann.
Hinzu kommt noch, daß die EU Länder einheitlich eine Fortführung der Sanktionen gegen Russland und eine Verschärfung der CO2 Ziele für 2030 beschlossen hat. Für dieser Horrorjahr finde ich das keine so schlechte Bilanz.
@Wöhler und @relativ,

ich weiss, dass ich hier der EU-Werteunion-Schwarzmaler bin. Mit Kästner könnte man mich fragen, "Wo bleibt das Positive?"
"Non lo so", würde ich auch weiterhin antworten. ;)
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Re: Quo vadis, Europa und EU

Beitrag von relativ »

Wähler hat geschrieben:(15 Dec 2020, 17:32)

Das einzig Bemerkenswerte daran sehe ich in der Corona-Krise, die den Druck auf die Regierungschefs so stark erhöht hat, dass der destruktive Versuch von Ungarn und Polen keinen Erfolg hatte. Auch in den USA hat der neue Präsident mit Glück gegen jemanden gewonnen, der sich nicht scheute, die Axt an das demokratische Wahlrecht zu legen. Bei den neuen Beziehungen mit Großbritannien geht es wohl mehr um Basarhandel, als um grundlegende politische Prinzipien wie Rechtsstaat oder Solidarität in Notzeiten.
Nunja es ist ja durchaus ziemlich menschlich, daß erst dann reagiert wird, wenn es notwendig wird, oder eine Krise zeigt, wo die Schwachpunkte sind.
Die ständige kritik und subtile Forderung , die Politik müsste alles vorhersehen und oder für jede Eventualität gerüstet sein, ist m.M. doch ein wenig überzogen. Beim Brexit geht es darum, daß die EU nicht auch noch der wirtschaftliche Zusammenhalt ins Trudeln gerät, indem sie Länder ausserhalb der EU zuviel Rechte einräumt.
Mit Glück hatte die Biden Wahl nix zu tun, sondern mit der Angst einer Mehrheit der US Bürger, daß Trump die USA sowohl Innenpolitisch als auch Aussenpolitisch noch mehr schaden könnte. Was er mit Sicherheit auch getan hätte.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

H2O hat geschrieben:(16 Dec 2020, 08:09)

Ihr Urteil über die Werteunion ist mir zu hart. Immerhin sind in der EU über 20 lupenreine Rechtsstaaten versammelt, die daran Anstoß nehmen, daß dieses Staatskonzept in einigen neueren Mitgliedsstaaten durchbrochen wird. In Polen ernennt und erläßt die Regierung Richter, läßt friedlich demonstrierende Frauen von Schlägertrupps mit Totschlägern bearbeiten, kauft die Staatsfirma Orlen mit dem Geld der Steuerzahler Medien zusammen, die fortan nur noch das veröffentlichen, was der Regierung nützt. Diese Situation in Ungarn seit Jahren einschließlich Fehlverwendung von EU Mitteln. Von Rumänien und Bulgarien erwartet niemand mehr, daß die Schluß machen mit der korrupten Verwendung unserer Steuergelder; in Malta und Zypern werden Unionsbürgerschaften an Oligarchen verkauft und Journalisten im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht. Nur die Slowakei scheint sich gefangen zu haben.

Ich meine, daß die EU an den Stellen allmählich vom Florett mit dem EuGH zum Vorschlaghammer des Ausschlusses aus der Mittelverteilung der Nettozahler greifen sollte.
Genauso sehe ich das auch. Es gibt immer noch mehr als 20 gefestigte Demokratien. Und als Polen und Ungarn beigetreten sind, herrschten auch dort noch Demokratie und Rechtssicherheit. Damals konnte niemand damit rechnen, dass Leute wie Orban und Kaczynski mal versuchen würden, das zu ändern.

Klar, die "Werteunion" ist noch nicht explizit definiert oder gar hergestellt worden (Stichwort: Verfassung), aber in den Hinterköpfen der Verantwortlichen gab es sie schon immer. Und nun hat die EU erstmals ein Instrument geschaffen, mit dem man "Abweichlern" zumindest ordentlich weh tun kann.

Nur Dein Gleichnis mit dem Florett erscheint mir zu optimistisch. Was der EuGH bisher in der Hand hatte, war kein Florett. Es war eine Gänsedaune. Der Rechtsstaatsmechanismus ist jetzt sowas wie ein Florett. Wenn sich die bösen Buben in der EU mal an dieses pieksende Florett gewöhnt haben, kann die EU dann auch irgendwann zum schweren Säbel greifen :D

Ich bin fest überzeugt, dass der Rechtsstaatsmechanismus nicht ungenutzt bleiben wird. Mag sein, dass er erstmal "nur" bei Sachverhalten zur Anwendung kommt, bei denen es tatsächlich nur um die Verwendung von EU-Mitteln geht. Aber das allein ist schon ein großer Schritt! Jetzt kann sich das korrupte Gesindel in diversen Staaten nicht mehr einfach und ungestraft mit EU-Geld die Taschen füllen. Und wenn in Ländern wie z.B. Ungarn und Rumänien endlich die Korruption eingedämmt wird, dann geht es auch mit Demokratisierung voran.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Schon richtig; sittliche Werte und Veruntreuung von Zuwendungen, das paßt nicht zusammen. Dann verlottert ein Staatswesen... wie wir das leider beobachten müssen. Da wird zusammengeklammert, was nicht zusammen paßt. Frau Merkel und Herr Juncker wollten die große EU unbedingt zusammenhalten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Wie ich es erwartet habe! Orban sollte nicht darauf hoffen, dass sonderlich viel Zeit vergeht, bis die EU Ungarn den Geldhahn abdreht: Von der Leyen will beim EuGH ein beschleunigtes Verfahren beantragen, wenn Klage gegen den Rechtsstaatsmechanismus erhoben werden.

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/p ... r-BB1bYiYL
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Euractiv 16. Dezember 2020 Portugals EU-Ratspräsidentschaft
https://www.euractiv.de/section/deutsch ... -visionen/
"Portugal stellt das soziale Europa in den Mittelpunkt seiner Präsidentschaft. Dies ist eine begrüßenswerte Entwicklung, da die Pandemie die bestehenden Ungleichheiten in der Union – sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch innerhalb der Gesellschaften – erneut deutlich gemacht und sogar noch vertieft hat. Daher ist es eindeutig an der Zeit, in ein belastbares und soziales Europa zu investieren. Während der portugiesischen Präsidentschaft ist ein Sozialgipfel geplant, und die Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte muss sichergestellt werden."
Ein wichtiges Thema, um den Rechtspopulistischen Parteien in der EU das Wasser abzugraben.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Brauchen die Suedlaender wieder frisches Geld aus dem Norden? Oder wie mag der portugiesische "Vorstoß" gedeutet werden?
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Fliege hat geschrieben:(17 Dec 2020, 17:00)

Brauchen die Suedlaender wieder frisches Geld aus dem Norden? Oder wie mag der portugiesische "Vorstoß" gedeutet werden?
Wir Europäer streben doch gemeinsam einen Lebensraum an, in dem die Menschen ihren Begabungen und Mühen entsprechend gleiche Lebens- und Entwicklungschancen haben. Dieses Streben sollte eigentlich ein Teil unserer Wertegemeinschaft sein. Natürlich wird es noch viele Jahre dauern, bis wir dieses Ziel erreicht haben, aber ich würde diesen Teil unserer Wette auf die gemeinsame Zukunft nicht mit Bettelei verwechseln. Allerdings könnte es sein, daß einige Nationalisten unter Wertegemeinschaft verstehen, daß es ihnen und ihren Anhängern besser gehen soll als dem minderwertigen Rest der Gemeinschaft. So etwas geht nie lange gut. Es ist also schon ganz in Ordnung, wenn wir daran erinnert werden. So, wie es auch gut war, daß Präsident Macron an die Harmonisierung unseres Wirtschafts- und Abgabensystems erinnert hat. Da wenden sich Nationalisten mit Grausen. Recht hat Präsident Macron aber dennoch. Der Dialog mit den Europäischen Bürgern, der gerät immer weiter in Vergessenheit, aber vergessen habe ich den Gedanken nicht, den Präsident Macron in seiner Rede in der Sorbonne nach seiner Wahl äußerte. Vielleicht nimmt die portugiesische Ratspräsidentschaft den Faden wieder auf.

Jetzt hoffen wir erst einmal, daß Präsident Macron wieder genesen von Covid-19 auf die Beine kommt!
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

H2O hat geschrieben:(17 Dec 2020, 17:57)

Wir Europäer streben doch gemeinsam einen Lebensraum an, in dem die Menschen ihren Begabungen und Mühen entsprechend gleiche Lebens- und Entwicklungschancen haben. Dieses Streben sollte eigentlich ein Teil unserer Wertegemeinschaft sein. Natürlich wird es noch viele Jahre dauern, bis wir dieses Ziel erreicht haben..."
So sieht es aus. Da müssen wir hin, und das wird noch ein langer Weg. Aber wie sagte schon Konfutius? "Auch der längste Weg beginnt mit einem ersten Schritt". Ist doch schön, dass Portugal jetzt vorangehen will. ;)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Die Staatsverschuldung der EU-Staaten wird durch die unzähligen Corona-Hilfspakete massiv ansteigen. Im bereits hochverschuldeten Italien entwickelt sich eine Debatte wie man sie wieder los wird. Über 80 Mrd € lässt man sich ja bekanntlich von anderen EU-Staaten schenken und wieso sollte man eigentlich die von der EZB gekauften Staatsanleihen tilgen? Wenn man diese Schulden einfach streicht sind sie doch auch weg.

"EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat sich klar gegen eine Streichung von Anleiheschulden von Ländern ausgesprochen. „Die Debatte ist schädlich und sollte beendet werden“, schrieb sie am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Twitter. Eine solche Schuldenstreichung wäre ein klarer Vorstoß gegen die EU-Verträge. Diese verbieten der Euro-Notenbank jedwede monetäre Staatsfinanzierung.

Die in Italien mitregierende Fünf-Sterne-Bewegung hatte gefordert, Corona-bedingte Staatsanleiheschulden zu streichen, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) gehalten werden. Ein solcher Schuldenerlass wäre nicht nur fair sondern auch leicht machbar, erklärte die Partei Mitte November. Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, hatte zuvor einen Erlass von Schulden als „interessante Arbeitshypothese“ bezeichnet. Die EZB hat in den vergangenen fünf Jahren rund drei Billionen Euro an Staatsanleihen der Euro-Länder erworben." Quelle: https://www.handelsblatt.com/finanzen/g ... 30692.html

Es würden doch nur EU-Verträge gebrochen, also nichts worüber man sich aufregen müsste. Das passiert ständig.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Haegar »

Großbritannien ist noch nicht "richtig" draußen, da wollen ein paar von Ihnen wieder zurück:

https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... c77681226b

Ich denke da sind noch viele Brocken aus dem Weg zu räumen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Tom Bombadil »

Man will also Ungleichheiten beseitigen. Woran erinnert mich das nur? Keine Wunder, dass diese Initiative von Sozialisten kommt.

Es wird an allen möglichen Angriffspunkten Hand an den Wohlstand der EU gelegt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses Pulverfass explodiert.
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
Thomas Jefferson
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist nun doch mit einem genehmigten Haushalt 2021 bis 2027 und einem aktualisierten Klimaschutzprogramm abgeschlossen worden, und zwar einmütig von allen 27 Mitgliedern. Die Verbindung von Rechtsstaatlichkeit und Mittelzuweisungen aus dem Corona-Fonds ist präzisiert worden. Der Fonds ist aufgelegt worden. Und über den Brexit muß man in 2021 nicht mehr reden. Die EU kann sich mit neuen Herausforderungen befassen... hoffentlich in Richtung von mehr Gemeinsamkeit in der Zielvorgabe.

Die portugiesische Ratspräsidentschaft folgt nun der deutschen, und in der zweiten Jahreshälfte die slowenische. Die drei Staaten der EU bilden auch einen Dreierbund, der sich bis zum Ende der portugiesischen Ratspräsidentschaft gegenseitig unterstützt. Was bedeutet, daß sich drei gute Freunde gegenseitig aushelfen, und daß die Bundeskanzlerin immer noch als guter Geist im Hintergrund mitwirken kann.

Wir Europäer dürfen hoffen, von der Pandemie befreit zu werden, wenn auch ihre wirtschaftlichen Folgen wie eine Wand vor uns stehen. Aber auch da geht es gemeinsam zur Sache.

Deutschland trägt gemeinsam mit Frankreich die EU in vieler Hinsicht. Mit diesem Pfund müssen beide Nachbarn wuchern. Vielleicht gelingt in Polen ein Politikwechsel; die polnische Regierung ist angeschlagen, in Polen erkennen viele Leute den nationalistischen Kurs der Regierungsparteien... selbst das Wort Polexit wurde im Tagesgeschäft benutzt. Da stehen einer deutlichen Mehrheit der Polen die Haare zu Berge. Der polnische Politikwechsel könnte das Angebot "Weimarer-Dreieck" wieder beleben, also die Einbindung Polens in die deutsch-französische Vertrauenspartnerschaft.

Uns Deutschen steht ein "Epochenwechsel" bevor, weil wir einen neuen Bundestag und einen neuen Bundeskanzler wählen werden. Na ja, den Kanzler wählt der Bundestag auf Vorschlag des Bundespräsidenten. Allerdings stehen die Aussichten gut, daß es eine Bundesregierung aus einer Koalition demokratischer Parteien geben wird. Ein guter Grund dem kommenden europäischen Jahr voller Zuversicht entgegen zu sehen.

Ich nehme die Überzeugung der Kanzlerin mit in die neue Epoche: Wir schaffen das!
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Orbiter1
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(19 Dec 2020, 14:56)

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist nun doch mit einem genehmigten Haushalt 2021 bis 2027 und einem aktualisierten Klimaschutzprogramm abgeschlossen worden, und zwar einmütig von allen 27 Mitgliedern.
So ist das nun einmal in einer de-facto Wirtschaftsunion. Wenn es Geld gibt machen trotz großer Differenzen untereinander, alle mit.
Die Verbindung von Rechtsstaatlichkeit und Mittelzuweisungen aus dem Corona-Fonds ist präzisiert worden.
Ja, wenn man sich nicht vollkommen blöd anstellt darf der Umbau in Autokratien weiterhin präzise vollzogen werden.
Der Fonds ist aufgelegt worden. Und über den Brexit muß man in 2021 nicht mehr reden. Die EU kann sich mit neuen Herausforderungen befassen... hoffentlich in Richtung von mehr Gemeinsamkeit in der Zielvorgabe.
Irgendwie wird man sich schon darauf einigen wie den total überschuldeten EU-Mitgliedern die Last von den Schultern genommen werden kann. Wie wäre es mit Ausbau der begonnenen Schuldenunion, Tilgungsbeginn erst ab 2075 und garantierter Nullzins bis dahin oder Streichung der Schulden bei der EZB, oder, oder, ... Hauptsache nicht pünktlich in voller Höhe zurückzahlen was man ausgegeben und über Schulden finanziert hat.
Die portugiesische Ratspräsidentschaft folgt nun der deutschen, und in der zweiten Jahreshälfte die slowenische. Die drei Staaten der EU bilden auch einen Dreierbund, der sich bis zum Ende der portugiesischen Ratspräsidentschaft gegenseitig unterstützt. Was bedeutet, daß sich drei gute Freunde gegenseitig aushelfen, und daß die Bundeskanzlerin immer noch als guter Geist im Hintergrund mitwirken kann.
Ja, auch diese kleinen EU-Staaten werden mit deutscher Unterstützung nichts daran ändern dass die EU eine de-facto Wirtschaftsunion bleibt.
Deutschland trägt gemeinsam mit Frankreich die EU in vieler Hinsicht. Mit diesem Pfund müssen beide Nachbarn wuchern. Vielleicht gelingt in Polen ein Politikwechsel; die polnische Regierung ist angeschlagen, in Polen erkennen viele Leute den nationalistischen Kurs der Regierungsparteien... selbst das Wort Polexit wurde im Tagesgeschäft benutzt. Da stehen einer deutlichen Mehrheit der Polen die Haare zu Berge. Der polnische Politikwechsel könnte das Angebot "Weimarer-Dreieck" wieder beleben, also die Einbindung Polens in die deutsch-französische Vertrauenspartnerschaft.
Welchen Beitrag könnte denn der größte Nettoempfänger da leisten? Die sowieso schon komplizierte Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich weiter verkomplizieren? Deutschland und Frankreich in den ungelösten polnischen Konflikt mit Russland hineinziehen?
Uns Deutschen steht ein "Epochenwechsel" bevor, weil wir einen neuen Bundestag und einen neuen Bundeskanzler wählen werden. Na ja, den Kanzler wählt der Bundestag auf Vorschlag des Bundespräsidenten. Allerdings stehen die Aussichten gut, daß es eine Bundesregierung aus einer Koalition demokratischer Parteien geben wird. Ein guter Grund dem kommenden europäischen Jahr voller Zuversicht entgegen zu sehen.
Das wird entweder eine schwarz/grüne oder rot/rot/grüne Bundesregierung. Mit Europa kann da eigentlich außer den Grünen keiner was anfangen. Wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der de-facto Wirtschaftsunion bleiben.
Gin-Tonic
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Gin-Tonic »

was können denn die Grünen mit Europa anfangen ausser grosse Reden?

Eine Gemeinschaft (früher Dorf, Stadt, Burg, heute Staat und Gemeinschaften wie EU) funktioniert i.d.R. so:

Individuum gibt einen Teil seiner Freiheit auf und zahlt für (1) Sicherheit (physische), einen (2) regulatorischen Rahmen (Rechtssicherheit) und in Europa auch noch oft für (3) Fürsorge (Sozialgesetzgebung).

Bei 1 fällt Grün raus, da sich deren Prinzipien mit denen der NATO beissen und Verteidigungsausgaben als "böse" abgewatscht werden. Zudem Openborderspolitik die die innere Sicherheit auf lange Sicht gefährdet.
Zu 2: Mit Grün würde der Druck auf schnellen "Systemwandel" (siehe Grundsatzprogramm) noch zunehmen, Schnellschüsse wie die die die CDU unter Frau Merkel losgelassen hat (Energiepolitik) wären wohl Programm, langfristige Investitionen würde sich jeder 2 mal überlegen
Zu 3: Die Mischung aus 1+2 würden 3 implodieren lassen...

Für die EU bleibt nur zu hoffen dass nicht noch mehr von Grünen in Verantwortungspositionen kommen (europaweit). Die Verlagerung von industriellen Wirtschaftsaktivitäten nimmt schon zu (sogar mittelständige Betriebe), offiziell heisst es "Corona", inoffiziell bereitet man sich in der Wirtschaft auf "Grün" vor
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H2O
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

@ Gin-Tonic:

Für parteipolitische Themen dieser Art wäre eher Unterforum 22. Parteien die richtige Andockstelle.
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schokoschendrezki
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Der sogenannte "Pakt freier Städte", ein informelles Bündnis von zusammen 254 Städten der Visegrád-Staaten, zu denen alle vier Hauptstädte (also Warschau, Prag, Bratislava und Budapest) gehören, haben Anfang Dezember einen offenen Brief an Kommissions-Präsidentin von der Leyen unterzeichnet, in welchem sie scharf und unmissverständlich die Politik ihrer jeweiligen Landesregierungen verurteilen. Das Schreiben beginnt so:
Liebe Präsidentin von der Leyen,

die Regierungen Ungarns und Polens haben wieder einmal ihre krasse Missachtung für die Kernwerte unserer Union gezeigt, indem sie die Rechtsstaatsverbindlichkeit zurückgewiesen und dadurch den nächsten Langzeithaushalt der EU blockiert haben, einschließlich der Zuweisung dringend benötigter Covid-19-Wiederaufbauhilfe. Unter dem Deckmantel von Anti-Immigrations-Ideologie und nationalistischer Rhetorik versuchen sie, ein politisches System zu schützen, das auf unbegrenzter Macht, Vetternwirtschaft und einem vollständig manipulierten öffentlichen Raum aufbaut.

Wir, polnische und ungarische lokale Führer, verdammen die Aktionen von Herrn Orbán und Herrn Morawiecki. Millionen von Ungarn und Polen repräsentierend, erklären wir unsere Unterstützung für die Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und für eine gründliche Aufsicht über EU-Gelder, um sicherzustellen, dass unsere gemeinsamen Ressourcen dem öffentlichen Wohl dienen und nicht antidemokratischen und korrupten Interessen. ...
Es ist (u.a.) in der SZ veröffentlicht. https://www.sueddeutsche.de/politik/pol ... -1.5142852
.. und lässt an Deutlichkeit und Unzweideutigkeit wohl nix zu wünschen übrig.

Sehr viele Menschen in den westeuropäischen Gesellschaften, sehr viele Diskutanten hier und leider auch sehr viele Journalisten in den seriösen Medien begehen den Fehler, die Gesellschaften in Mittelosteuropa mit den jeweils gewählten Regierungen zu verwechseln. Auch wenn diese Regierungen demokratisch und durch Mehrheitsentscheidungen an die Macht gekommen sind. Die Ursache dafür liegt meines Erachtens darin, dass es einfach einfacher und populärer ist, die Solidarität auf die eigene Seite zu richten. Dabei gehört die Solidarität eben diesen Millionen in diesen Ländern, die sich nicht durch ihre Regierungen vertreten fühlen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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