Realist2014 hat geschrieben:(11 Dec 2020, 11:19)
Ein BGE wäre gegenüber den heutigen Existenzsicherungssystemen asozial.
Nur wenn man falsche Annahmen zugrunde legt. Aus falschen Ideen kann man aber jeden Unsinn schliessen.
Es würden manche mehr bekommen als heute, und manche weniger bei einem "gleichen Betrag" für alle der ja ungefährt bei 650 Euro leigen würde.
Die 650€ für ein BGE sind zwar in früheren Beiträgen hier im Forum begründet worden, sind aber keineswegs in Stein gemeisselt. Die Berechnung dieses Betrags erfolgt auf Annahmen, die bei genauer Betrachtung nicht haltbar, nicht vollständig und in Teilen auch irrelevant sind.
Irgendwelche "Träume" , dass denen , die alles erwirtschaften, nur mehr weg genommen werden müsste, um ein höheres BGE zu finanzieren ( = mehr Umverteilung) werden genau das bleiben und sind keinesfalls Basis einer seriösen Diskussion.
Umverteilung ist in Gesellschaften völlig normal und ein notwendiges Korrekturelement zu Verwerfungen die Märkte aufgrund ihrer fundamentalen Eigenschaften mit sich bringen.
Unsere Gesellschaft hat sich für die soziale Marktwirtschaft entschieden - und damit die marktwirtschaftliche Organisation der wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt. Dabei dient aber die Wirtschaft den Menschen, und nicht die Menschen der Wirtschaft - weshalb die Marktwirtschaft soziale Fragestellungen mit adressieren muss. Wenn Märkte zu Verwerfungen führen, sind Korrekturmassnahmen deshalb notwendig. Unsere SGBs sind Teil dieser Korrekturmassnahmen, aber alles andere als perfekt.
In marktwirtschaftlichen Systemen bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis - und über die Gesetzgebung werden Rahmenbedingungen für Märkte definiert. Märkte sind nicht per se gerecht oder leistungsgerecht. Das werden sie allenfalls näherungsweise durch passende Steuerung durch Legislative und Exekutive. Weil das heutige System für jeden erkennbar eine ganze Reihe an Gerechtigkeitslücken hat, sind Forderungen nach Korrektur notwendig und richtig. Die Weiterentwicklung des veralteten Ansatz unseres heutigen Sozialsystems durch die Einführung eines BGEs ist ein Denkansatz, der aufzeigt wie systemisch bedingte Mängel des bestehenden Systems überwunden werden können.
Ein Teil der Mängel basiert auf den zahlreichen Brüchen im Finanz- und Sozialsystem, weil diese nicht konsequent und systematisch entwickelt wurden, sondern sich historisch als vielfaches Stückwerk ergeben haben. Eine Folge dieser Entstehungsgeschichte ist beispielsweise, dass es nicht gelingt unter Einhaltung der Würde des Menschen die Thematik von "Faulenzern" zu lösen. "Leistungsanreize" zum eigenverantwortlichen Bestreiten der eigenen Existenz wirken faktisch anders als gewollt. Gerade im Übergang vom SGB-Empfänger zum Steuerzahler werden Betroffene durch hohe Anrechnungsquoten abgeschreckt und in die Arbeitsverweigerung getrieben. Zur Korrektur greift das bestehende System auf Instrumente wie Sanktionen, Zwang und Drangsale zurück. Diese treffen regelmässig die falschen und verfehlen ihr Ziel, wie auch immer wieder unsere Judikative in teuren und langwierigen Verfahren feststellt.
Darüber hinaus zeigt sich eine gewisse Altertümlichkeit unseres bestehenden Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsystems darin, dass gesellschaftlich anerkannte wichtige Tätigkeiten nicht im Finanzsystem abgebildet sind - was faktisch ungerechte Abhängigkeitsverhältnisse schafft, die mit einem modernen Menschenbild nur schwer zu vereinbaren sind.
BGE-Systeme bieten für diese Missstände Lösungsansätze. Bestehende Brüche im Finanz- und Sozialsystem werden vermieden. Klare Leistungsanreize zur eigenverantwortlichen Tätigkeit werden gesetzt. Und: Menschen haben auch dann die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Teilhabe am Wirtschafts- und Finanzsystem, wenn ihr gesellschaftlicher Beitrag in klassischen Einkommensstrukturen nicht abgebildet ist.
Bei ausreichender BGE-Höhe und einer durch die Mehrheit als gerecht empfundenen Finanzierung besteht damit das Potential, dass die Gesellschaft in Richtung mehr Gerechtigkeit weiterentwickelt wird. Die Reform und Weiterentwicklung unserer sozialen Sicherungssysteme ist überfällig und dringend notwendig, um unsere soziale Marktwirtschaft zukunftsfähig zu machen.
Vereinzelte Profiteure des heutigen problematischen Systems fühlen sich von Veränderungen bedroht und erzählen deshalb quasi mit erhobenem Zeigefinger, dass ihnen dann was weggenommen würde. Das ist vielleicht sogar richtig. Aber wenn es richtig ist, dann deshalb, weil ihnen ein relativ geringer Beitrag völlig zurecht abverlangt wird, um bestehende Missstände zu beseitigen, Missstände von denen sie viele Jahrzehnte völlig zu unrecht profitiert haben. Auf diese Panikmache sollte man nicht reinfallen. Richtig ist: Durch eine Weiterentwicklung in Richtung eines BGE-Systems wird kein Reicher arm - und auch kein Armer reich. Stattdessen werden Missstände beseitigt und Gerechtigkeitslücken geschlossen. Das kann man sicherlich auch anders erreichen - aber gerade weil BGE-Ansätze sehr überzeugend wesentliche Missstände adressieren, gewinnen sie aus gutem Grund zunehmend an Aufmerksamkeit und die Zahl ihrer Befürworter steigt - und das nicht nur in Deutschland sondern weltweit.