H2O hat geschrieben:(11 Nov 2020, 19:51)
Damit hätte ich in dieser Allgemeinheit auch meine Probleme. Es kommt eben ganz darauf an, wie sehr der Mensch schon todgeweiht zu sein scheint. Wer soll das aber allein schon durch Berufserfahrung besser wissen als ein guter Arzt?
Ich kann nur eigene Erfahrung beisteuern. Eine ältere Dame war stark pflegebedürftig mit sehr offensichtlicher Demenz. Sie war ein Fall für ein Pflegeheim. Natürlich war noch zur Zeit voller Kritikfähigkeit eine Verfügung getroffen worden, für den Fall einer lebensgefährlichen Erkrankung auf krankheitsverlängernde Maßnahmen zu verzichten.
Es kam, wie es nicht kommen sollte: Ein nächtlicher Schlaganfall mit Bewußtlosigkeit und Unfähigkeit, sich überhaupt noch zu bewegen. Die Pflegestation war nur mit einer unerfahrenen Pflegerin besetzt, die in Panik eine Einweisung in ein großes Krankenhaus verfügte. Beim ersten Besuch im Krankenhaus der unveränderte Zustand, aber künstliche Ernährung, um den Tod durch Unterversorgung aus zu schließen. Nach wenigen Tagen "austherapiert" zurück ins Pflegeheim. Ein noch nicht ganz toter Mensch ohne Aussicht auf Rückkkehr ins Bewußtsein, das aber auch schon stark beeinträchtigt war.
Unter solchen Bedingungen können sterbende Menschen noch viele Wochen zwischen Grundfunktionen wie Kreislauf, künstlicher Ernährung durch den Bauchnabel, Atmung am Leben gehalten werden. Einen Sinn kann ich darin nicht erkennen, den unwiderruflichen Ablauf des Sterbevorgangs auf diese Weise zu steuern.
Nach wenigen Tagen gab es auf Betreiben der Angehörigen der Sterbenden eine Konferenz, bei der der alte Hausarzt, die Pflegeleitung und ein Vertreter der Gesundheitsbehörde ihre Einschätzungen des weiteren Sterbens der alten Dame austauschten. Die Verfügung, doch auf jeden Fall keine den Sterbeprozeß verlängernden Maßnahmen ein zu setzen, spielte trotz Hinweis darauf keine Rolle! Ergebnis des Beratungsgesprächs: Künstliche Ernährung wird fortgesetzt, aber vergleichweise harmlose Tabletten zur Blutverdünnung (mit der Nahrung zugeführt) wurden abgesetzt.
Zwei Tage später: Herzstillstand und Tod.
Meine Erkenntnis aus diesem Vorgang: Eine sehr erfahrene Pflegerin hätte die Kranke so weit versorgt, wie das noch möglich war, hätte ansonsten aber einen Arzt hinzu gezogen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Meine heutige Vermutung: Der Arzt hätte aufgrund der Vorgeschichte den beginnenden Sterbevorgang laufen lassen. Nach zwei Tagen wäre er mit dem Tod beendet gewesen. Die Verfügung über sterbeverlängernde Maßnahmen wäre erfüllt worden. 14 Tage Todeskampf und sinnloser Beschäftigung von überlasteten Krankenhausärzten und langer Kummer der Angehörigen wären vermieden worden.
Diese praktischen Beispiele sind es doch, die uns helfen, das Verhalten des von Ihnen kritisierten Arztes vernünftig ein zu ordnen. Immerhin geht es doch um sehr pflegebedürftige und offenbar mehrfach erkrankte betagte bis hochbetagte Menschen. Wollen Sie wirklich erzwingen, daß die dann mit einem Schlauch im Atemweg und noch anderen externen Zugängen ihr Ende finden, oder wollen Sie zulassen, daß diese Menschen mit der Hilfe eines erfahrenen Arztes ihrem natürlichen Ende entgegen dämmern? Immerhin wissen wir, daß jeder vierte künstlich beatmete Corvid-19-Patient diesen Rettungsversuch nicht überlebt.
Ich bezweifele sehr, daß diese Statistik auf betagte und hochbetagte Kranke anwendbar ist. Ich vermute, daß so sortiert der Anteil der versterbenden künstlich beatmeten Corvid-19-Patienten weitaus höher ist. Vermuten heißt selbstverständlich "nicht sicher wissen". Aber an Ihrer Stelle würde ich schon meinen Zorn über die Entscheidungen des Arztes dämpfen!