Kohlhaas hat geschrieben:(08 Nov 2020, 14:44)
Dieser Einschätzung kann ich jetzt gar nicht folgen! Es wirkt auf mich nicht annähernd "demokratisch", wenn ein Donald Trump Präsident werden konnte, obwohl Hillary Clinton gut drei Millionen Stimmen mehr bekommen hat als Donald.
Jetzt haben wir wieder die gleiche Situation. Biden hat drei oder vier Millionen Stimmen mehr bekommen als Trump. Aber das Wahlergebnis hängt im Zweifel von den vielleicht 500 Stimmen in EINEM STAAT ab. Wie damals bei der Wahl zwischen Gore und Bush. Das ist einfach nicht demokratisch. Das hängt doch nur von Zuschnitt der "Wahlbezirke" ab. Und wenn dieser Zuschnitt der Wahlbezirke (Stichwort: Gerrymandering) auch noch nach parteipolitischen Maßstäben erfolgt, dann ist doch endgültig alles verloren.
Und ein Mehrheitswahlrecht ist aus meiner persönlichen Sicht sowieso völlig undemokratisch, weil es die Stimmen der Minderheit(en) von vornherein für nichtig erklärt. The Winner takes it all... Eine "Opposition" kann es damit praktisch nicht mehr geben. Auch dann nicht, wenn der Unterschied zwischen Wahlgewinner und Wahlverlierer nur hauchdünn ist. Wirklich "demokratisch" kann eine Wahl nur dann sein, wenn JEDE abgegebene Stimme gleiches Gewicht hat. Und das geht halt nur, wenn ein Verhältniswahlrecht besteht. Meine Meinung!
Die Frage des Föderalismus muss man getrennt davon betrachten. Wenn es um die Frage der rechtlichen Stellung verschiedener Bundesländer in einem Gesamtstaat geht, dann ist das eine ganz isoliert zu betrachtende Frage. Die kann man nicht beantworten, indem man GESAMTSTAATLICHE Themen föderalistisch zu lösen versucht - wie es in den USA derzeit üblich ist!
Nehmen wir als Gegenbeispiel die Bundesrepublik Deutschland:
Hier gibt es einen Bundestag, der gesamtstaatlich nach Verhältniswahlrecht gewählt wird. Punkt. Da gibt es auch keine Zweifel. Führt leider dazu, dass der Bundestag sich immer weiter aufbläht. Aber mit dem Problem kann ich sogar leben. Das sind halt die Kosten der Demokratie... Besser wir bezahlen dafür als keine Demokratie zu haben.
Daneben gibt es den Bundesrat. Der wird nicht direkt gewählt. Der Bundesrat dient nur dazu, die Verhältnisse zwischen den Bundesländern zu organisieren. Der Bundesrat stimmt auch nur über Gesetze ab, die das Verhältnis der Bundesländer untereinander betreffen. Das ist auch völlig in Ordnung! Das bedeutet auch nicht (wie weiter oben impliziert wurde...), dass eine Stimme aus Bremen mehr Gewicht hat als eine Stimme aus NRW. Es bedeutet nur, dass Bremen als Bundesland (fast) gleiches Gewicht hat wie NRW.
So ein System gibt es in den USA aber nicht! Bei denen gibt es nicht diese Zweiteilung: Eine Kammer, die den gesamten Staat betrifft; eine Kammer, die das Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander betrifft.
Und genau das macht Präsidentschaftswahlen in den USA undemokratisch. Würde dort ein Wahlrecht wie in Deutschland gelten, dann hätten republikanische Kandidaten bei Wahlen keine Chance mehr. Hinzu kommt noch, dass die Parteienlandschaft dort völlig anders ist als in Deutschland... Aber das ist jetzt wieder ein ganz anderes Thema.
Ich weiß nicht, was das soll, von den drei offensichtlich inhaltlich zusammenhängenden Absätzen meines Beitrags nur den ersten zu zitieren.
Hier mein gesamter Text:
Brainiac hat geschrieben:(08 Nov 2020, 07:38)
Nachdem sich der Staub gelegt hat, muss ich zugeben, dieses merkwürdige Wahlsystem - bei aller berechtigter Kritik - in gewisser Weise schätzen gelernt zu haben. Sicher sollten die Anzahlen der Wahlleute je State besser die Bevölkerungsverhältnisse abbilden, aber grundsätzlich ist das Mehrheitswahlrecht je Bundesstaat natürlich viel spannender als eine landesweite Direktwahl und auch quasi eine Ode an den Föderalismus. Auch lernt man ein wenig über die States.
Es gab ja auch noch nicht so oft den Fall, dass der Gewinner des Popular Vote als Präsident unterlegen war. Dieses Mal hat das Wahlsystem Biden unterm Strich mehr genutzt als geschadet, er konnte sich in der Kampagne vor allem auf den Rust Belt konzentrieren und das war letztlich ausreichend. Georgia und Arizona sind nur das Sahnehäubchen on top.
Vielleicht wäre es ein Kompromiß, einfach mehr Splits wie in Maine und Nebraska zu haben - dann könnten auch Louisiana oder Kalifornien interessanter werden.
Ich habe auch nicht geschrieben, dass das US-amerikanische Präsidentschaftswahlsystem besonders demokratisch sei, ich habe ein paar aus meiner Sicht positive Punkte hervorgehoben und dargestellt, was ich evtl. verändern würde, wäre ich dafür zuständig (States in mehr Districts aufteilen wie in Maine/Nebraska; Anzahl Wahlleute exakter nach Bevölkerung ansetzen).
Es ist seit über einem Jahrhundert genau zweimal vorgekommen, dass der Sieger des Popular Vote nicht auch Präsident geworden ist. Sicherlich ist das ein Problem, man sollte es aber vielleicht auch nicht überbewerten.
"Ode an den Föderalismus" meint was anderes als "GESAMTSTAATLICHE Themen föderalistisch lösen". Es ist symbolisch gemeint. Die USA snd sehr wohl eine aus föderalen Gesichtspunkten vorbildliche Demokratie, vollkommen unabhängig davon wie die Präsidentschaftswahl funktioniert. Es ist richtig, dass die zweite Kammer (der Senat) in den USA eine ganz andere Rolle spielt als unser Bundesrat, das macht das System dort aber nicht per se undemokratischer und hat vor allem nichts damit zu tun, wie der Präsident gewählt wird.
Es handelt sich bei den USA um eine präsidentielle Demokratie, und nicht um eine parlamentarische, wie bei uns. Insofern ist es relativ sinnfrei, deutsche Ansätze dorthin übertragen zu wollen. Unser Bundeskanzler (wie auch der Bundespräsident) wird von den Parlamenten gewählt, die selbst per Verhältnswahl bestimmt wurden; das geht in einer präsidentiellen Demokratie aber nicht. Dort benötigt der Präsident eine vom Parlament unabhängige Legimitation.
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.